Mulholland Drive - Straße der Finsternis (VHS) Testbericht

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ab 16,49
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Erfahrungsbericht von T-Shirt

Nicht übertreiben, Mr. Lynch!

Pro:

-

Kontra:

-

Empfehlung:

Ja

Er hat es wieder getan. David Lynch, Großmeister der merkwürdig vertrackten Drehbücher, hat mit „Mulholland Drive“ sein neuestes Werk vorgelegt. Und wieder einmal scheint er vor allem ein Ziel zu haben: den Zuschauer zu verwirren ...

Im Mittelpunkt von Lynchs mittlerweile neunten Film stehen zwei junge Frauen: Rita (Laura Harring) hat ihr Gedächtnis verloren. Sie weiß nicht, wer sie ist, wie sie heißt, woher sie kommt oder wohin sie gehört. Betty (Naomi Watts), eine liebenswert-naives Mädchen vom Land, das nach Hollywood gekommen ist, um Schauspielerin zu werden, kümmert sich um Rita.

Nach dem nächtlichen Besuch in einem obskuren Variete taucht Rita wieder auf ... allerdings trägt sie plötzlich einen anderen Namen. Zudem hat sie eine lesbische Affäre mit einer jungen Frau, die Betty recht ähnlich sieht, aber bei weitem nicht deren liebenswert-naiven Charme wiederspiegelt. Und Rita (die gar nicht mehr Rita heißt) möchte den erfolgreichen Regisseur Adam heiraten, den der Zuschauer kurz vorher noch als Loser kennengelernt hat, der Frau und Job verliert. Und um die Verwirrung komplett zu machen, tauchen auch noch mysteriöse Cowboys, wortkarge Mafiosi und trottelige Killer auf.

Mancher mag durchaus Spaß an einem Film haben, auch wenn (oder gerade weil) er ihn nicht versteht. Für alle anderen geht es darum, zwei Szenen richtig zu deuten: Gleich zu Beginn des Films sieht man eine rote Bettdecke, unter der ein dezentes Schnarchen hervordringt. Viel später wird eine Person unter ebendieser Bettdecke geweckt. Und was könnte das für die Handlung zwischen diesen beiden Szenen bedeuten? Na ...? Und achtet auf eine kleine blaue Schachtel!

Selbst mit der schönsten Interpretation erklärt sich zwar nicht jede Szene des Films, aber zumindest 90 Prozent werden plausibel. Die restlichen 10 Prozent kann man entweder der Tatsache zuschreiben, dass David Lynch schon immer ein Meister der falschen Fährten war, oder dem Phänomen, dass der Film eigentlich der Pilot zu einer TV-Serie werden sollte, die nie gedreht wurde.

Aber immerhin gibt es für den Großteil des Films plausible Erklärungen. Das ist mehr, als man von Lynchs letztem Werk „Lost Highway“ sagen konnte. Doch auch bei „Mulholland Drive“ gibt es keinerlei Garantie dafür, dass man die richtigen Hinweise findet, um das kunstvoll verschlungene Bilderrätsel zu entschlüsseln. Vielmehr ist es ein gutes Stück Glückssache, wenn man sich in Lynchs Kino-Labyrinth nicht verläuft. Und hier scheiden sich die Geister: Ist das genial? Oder ist das die arrogante Überheblichkeit eines Regisseurs, der darauf stolz ist, wenn er als einziger versteht, was sein Film zu bedeuten hat?

„Memento“ ist ein gutes Beispiel, wie weit man gehen kann. Die Entschlüsselung dieses Kino-Rätsels ist schwierig und auch nicht zu 100 Prozent möglich. Aber der Zuschauer darf immer das Gefühl haben, der Lösung auf der Spur zu sein. David Lynch hat bei seiner legendären TV-Serie „Twin Peaks“ ebenfalls bewiesen, dass man durchaus ein kompliziertes Drehbuch-Labyrinth mit zahlreichen falschen Fährten aufbauen kann, ohne den Zuschauer komplett zu verwirren. Bei „Lost Highway“ hat es Lynch bereits definitiv zu weit getrieben. Mit „Mulholland Drive“ hat er zwar wieder einen Gang zurück geschaltet, doch trotzdem treibt er es für meine Begriffe noch immer ein bisschen zu wild. Und weil es Glückssache ist, die richtige Fährte zur finden, die zur (Teil-)Lösung dieses Streifens führt, gibt es eben nur die zweithöchste Yopi-Wertung.

Aber größere Abzüge in der Wertung sind nicht möglich, denn an der Tatsache, dass „Mulholland Drive“ trotz aller Grundsatz-Kritik ein cineastisches Meisterwerk ist, kann gar kein Zweifel bestehen. Lynch versteht es, eine merkwürdig bedrückende Stimmung zu erzeugen. Die surrealen Bilder, die er teilweise zeichnet (z.B. bei oben erwähntem Variete-Besuch) sind fantastisch und einfach typisch Lynch. Die Rollen sind bis zu den Nebenfiguren glänzend besetzt (herausragend: Justin Theroux als Regisseur sowie Naomi Watts, die zwei Rollen spielt), und gerade die liebevoll gezeichneten Nebenrollen geben dem Film die richtige Würze – sei es der wortkarge Mafia-Boss mit dem wählerischen Espresso-Geschmack oder der ungeschickte Killer, der versehentlich drei Personen tötet, statt, wie geplant, nur einer. Und letztlich erlebt der Zuschauer eine zweieinhalbstündige, unwiderstehliche Achterbahn-Fahrt, nach der man einfach beeindruckt und geplättet aus dem Kino kommt. Bei allem Ärger über die Arroganz des Regisseurs „Mulholland Drive“ zieht einen unweigerlich in seinen Bann.

Wenn David Lynch es dem Publikum nur etwas einfacher machen würde. Aber was will man von einem Mann erwarten, der (laut Biographie) rasierte Mäuse im Kühlschrank sammelt und auf seinem Bücherregal die in Formaldehyd eingelegten Eierstöcke einer Freundin aufbewahrt?! Wahrscheinlich muss man verrückt sein, um solche Filme zu drehen. Aber etwas weniger Wahnsinn hätte „Mulholland Drive“ auch ganz gut getan ...

16 Bewertungen, 4 Kommentare

  • kasmodiah

    28.04.2002, 17:55 Uhr von kasmodiah
    Bewertung: sehr hilfreich

    klingt gut, werd ich mir mal ansehen

  • Libraia

    08.04.2002, 00:44 Uhr von Libraia
    Bewertung: sehr hilfreich

    ich fand die Dosis Wahnsinn ganz passend...

  • Mummy

    23.03.2002, 23:58 Uhr von Mummy
    Bewertung: sehr hilfreich

    Ein Film, der einen so schnell nicht wieder loslässt...

  • Talianna

    23.03.2002, 15:39 Uhr von Talianna
    Bewertung: sehr hilfreich

    sehr schön geschrieben :-) Gruß, Tali