Der Schock (Taschenbuch) / Marc Raabe Testbericht

ab 12,46
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Summe aller Bewertungen
  • Handlung:  spannend
  • Niveau:  durchschnittlich
  • Unterhaltungswert:  hoch
  • Spannung:  hoch
  • Humor:  wenig humorvoll
  • Stil:  durchschnittlich

Erfahrungsbericht von LilithIbi

"Das Pech, falsch auf die Welt gekommen zu sein."

4
  • Handlung:  sehr spannend
  • Niveau:  anspruchsvoll
  • Unterhaltungswert:  hoch
  • Spannung:  sehr hoch
  • Humor:  wenig humorvoll
  • Stil:  ausschmückend
  • Zielgruppe:  Erwachsene

Pro:

das Motiv ! ! ! überaus gelungene Wendungen, Überraschungen, Zusammenhänge, Spannungskurve

Kontra:

[eigenartiger Neu - Geruch], etwas zu zufallslastig, übertreibt hier und dort

Empfehlung:

Ja

"Laura keuchte. Versuchte, sich zu bewegen. Aber es ging nicht. Sie saß nackt auf einem Holzstuhl mit Armlehnen und war wie festgewachsen. Straff gespannte Folie, die ihr nicht einen Millimeter Spielraum ließ, fixierte ihre Glieder.
Laura wollte aus dem Traum aussteigen. Einfach aufwachen, auf der staubigen Matratze in Frankreich, im Haus von Jans Vater. Wo war eigentlich Jan? Plötzlich erinnerte sie sich an den Abend, an die Fahrt zum Supermarkt, an die Rückfahrt und..."
(Zitat, S. 59/60)

An ausgeprägter Gewichtung eines konstanten Spannungsfeldes mangelt es der meinerseits binnen zweier Abende gelesenen, 395 Seiten umfassenden Lektüre de facto gewiss nicht. Was jedoch recht eigentümlich auffällt, ist der wahrlich eigentümliche Geruch, der von der Neuware ausgeht. Auf solcherlei gehe ich sonstig keineswegs ein, empfinde diese Nuance jedoch als derartig beißend, dass es mir unbedingt eine Erwähnung wert ist ~ zumal dieser Umstand offenkundig etwas mit dem Verlag zu tun hat, riecht nämlich auch das Erstlingswerk des Autoren für mein persönliches Empfinden unbeschreiblich „fies“.

Wer wie ich zumeist ausgiebig an frisch ausfolierten Büchern schnuppert, der könnte hier eine gewisse Ernüchterung erleben. In anderen Worten: für mich riecht das "Holmen Book Cream" Papier kopfschmerzfördernd.

Wesentlich interessanter vermutlich, dass

“Der Schock“

zweifellos unter die Haut geht, wenngleich Verfasser Marc Raabe hier und dort doch etwas zu übertrieben agierte.
Bereits auf den ersten Seiten wurde ich rasch in den Bann des Psychothrillers gezogen und hätte das Buch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch ein einem einzigen Abend gelesen, wären nicht widere „äußere Umstände“ dazwischen gekommen.

Der Klappentext an sich verhält sich recht vorbildlich, wenngleich man die Zeilen bezüglich des „verstörenden“ Videos nicht allzu wörtlich nehmen sollte. Fakt ist vielmehr, dass das Sekunden-Video einen Streit zwischen Laura, Greg und Katy wiedergibt, während kurzzeitig das gespenstisch aussehende Gesicht des Fahrers eines anderen Autos zu sehen ist.

Dies stellt sodann quasiden einzigen Anhaltspunkt dar, den Jan sich zu Nutze machen kann, um seine große Liebe zu finden, fehlt seit jenem Streit von Laura jede Spur. Während Jan überzeugt ist, dass eine Art Verbrechen geschehen sein muss, ist es insbesondere seine Schwester Katy, die die Angelegenheit keinesfalls ernst nehmen möchte: zu oft ist Laura in ihrer Vergangenheit abgetaucht, ohne an die anderen zu denken oder sich gar bloß zu verabschieden.

Bereits zu dieser Stelle ist der Leser der Gruppe in der abgelegenen Hütte einen ganzen Schritt voraus, weiß dieser von „Froggy“, Peter und Fjodor und der Leidenschaft, einen bestimmten Schlag Frauen zu entführen und in einen „Dekorationsgegenstand“ zu verwandeln.

In der expliziteren Umsetzung mag dies ein wenig (arg) an den damaligen Kinokassenschlager „The Cell“ erinnern wie es auch schwerfällig anmuten könnte, rasch das Mit-Motiv „schwere Kindheit“ präsentiert zu bekommen.... tatsächlich jedoch fiel mir dies während des Leseprozesses kaum negativ auf, alldieweil ich eher damit beschäftigt war, stellenweise nur wenig Em- oder gar Sympathie für die weibliche Protagonistin aufzubringen.

Wirkliches Mitfiebern fiel somit streckenweise flach, konnte ich manche der Verhaltensweisen seitens Laura weder gutheißen noch nachvollziehen, während „Der Schock“ generell im weiteren Verlauf zunehmend verworren, verschlungen und rätselhaft daherkommt. Und ja, auch über die letzte Seite hinaus bleibt die ein oder andere Frage offen, die Marc Raabe seinen Lesern gar nicht erst beantworten wollte.
Für Menschen wie mich, die solche Grübeleien mitsamt ihren mannigfaltigen Möglichkeiten lieben, mag dies gewiss genial sein ~ andere hingegen könnten ein wenig missmutig gestimmt werden.

Hinsichtlich des erzählerischen Tempos wird dem Interessenten jedoch kaum Zeit gelassen, über vielerlei nachzudenken. Die Ereignisse überschlagen sich förmlich, wohingegen die Gespräche, die Jan mit Lauras Mutter führt, nicht nur für ihn zur Geduldsprobe verkommen. Ein Aspekt, der sich ebenfalls „genau richtig“ anfühlt, während die vorangegangene eiskalte Überraschung nicht die einzige war, die „Der Schock“ durch die Bank fesselnd macht.

Ein wenig zu viel des Guten nichtsdestotrotz die muntere Ansammlung diverser Psychopathen, die allesamt Laura für sich haben wollen. Laura als zentrale Haupt- und Begehrungsfigur bleibt hierbei tragischerweise generell etwas blass, etwas zu geheimnisvoll und wie bereits ausgeführt zu wenig konziliant, als das ich persönlich überbordend um sie gebangt hätte.

Ich will gar nicht abstreiten, dass es durchaus möglich ist, das eine einzige Person derartig viele Rückschläge überstehen muss, dass es für mehrere Leben gereicht hätte... doch „Der Schock“ in seiner Ansammlung divers gestörter Persönlichkeiten wirkt für mich hier und dort etwas überladen und somit leider tendenziell unglaubhaft, zumal quasi nahezu jeder der im Buch auftauchenden Charaktere ~ und sei es um die verlängerte Ecke herum ~ etwas mit den anderen zu tun hat.

Im Gegensatz dazu kommen Fans von illustrer Ermittlungsarbeit mitnichten auf ihre Kosten: die Auftritte der Polizeibeamten sind spärlich gesät, wirken zum Teil unprofessionell und können obendrein mit Jans eigenen Theorien kaum mithalten.

Bei Zeilen wie

„Also erstens finde ich das seltsam, dass er von „gehören“ spricht.. Und er hat es nicht einfach so dahingesagt. Es war ernst gemeint. In seiner Vorstellung ist das ganz normal, dass jemand einen anderen Menschen „besitzt“.“
(Zitat, S. 210)

finde ich für meinen Teil hingegen eher seltsam, dass jemand dieses gewisse „Besitzdenken“ seltsam finden kann. Sehr gut möglich, dass ich an dieser Stelle einfach nicht verstanden habe, auf welche Ausprägung dieses „mein Haus, mein Auto, meine Frau“ Bezug genommen werden sollte ~ doch generös psychotisch erscheint mir jenes Denken (!) nicht zu sein.

Besonders positiv hervorzuheben definitiv die Wendungen, die „Der Schock“ parat hält und immerfort treffsicher platzierte. Mit keiner einzigen hiervon habe ich gerechnet oder mir (vorrangig jene auf der ungefähren 125ten Seite) auch bloß vorstellen können, alldieweil König Zufall stetig über-präsent bleibt.
Kaum, dass eine Sache ausweglos erscheint, tut sich mir-nichts-dir-nichts eine Nische auf, die der vermeintlichen Heldenfigur neue Wege ebnet. Für meinen persönlichen Geschmack ein wenig müßig, dass zwar etliche traumatische Kindheitserlebnisse erwähnt werden, diese jedoch kaum erlauben, dass der Leser sich ein genaueres Bild von den einzelnen Beteiligten machen kann.

Wie wichtig dies überhaupt gewesen wäre, ist und bleibt hierbei allerdings einmal dahingestellt.

Unbestreitbar brillant in meinen Augen das Motiv, welches der besonderen Sammelleidenschaft zu Grund liegt; während der Autor auf gelungenste Art und Weise immer wieder eine psychologische Betrachtungs- wie auch Erklärungsweise in den Thriller einwob, ohne hierbei bloß einen Deut klinisch zu klingen.

Ferner finden sich diverse Passagen wie einzelne Zeilen, über die es sich meines Erachtens nach gewiss zu sinnieren lohnt:

„Manchmal muss man das Falsche tun, weil es richtig ist. Weil nur so das Richtige möglich wird.“
(Zitat, S. 295/296)

Potentielle Interessenten, die sich ob der vermuteten Grausamkeiten unschlüssig sind, ob sie sich an Marc Raabe's Thriller heranwagen sollen, sei gesagt, dass sich die Brutalitäten an für sich in zarten Grenzen halten.
Das, was dann aber tatsächlich an Gewaltakt geboten wird, kommt zumeist so unverhofft-plötzlich wie der hier buchstäbliche Schlag in die Magengrube.

Zum Finale hin überschlägt sich die Lektüre auf mehrere Arten: einerseits werden die diversen Kontexte noch einen Deut verworrener, um sich schlussendlich (wie so oft) auf mehreren Seiten Stück für Stück aufzudröseln; andererseits treffen mehrere Entwicklungsstränge mit dem ein oder anderen Knalleffekt zusammen.
Und nein, so wirklich glücklich wurde ich damit nicht.

Summa summarum


fällt es mir schwer, mich bezüglich präziserer Ausführungen wie Entwicklungen der Story zurückzuhalten. Vieles, was mir an dem Buch gefällt, lässt sich ebenso wie jenes, was mich eher „störte“, im Idealfall an Beispielen festmachen, die ich hier jedoch keinesfalls nennen möchte.
Insgesamt betrachtet wird „Der Schock“ ohne jeden Zweifel in manchen Facetten überladen, verfügt nichtsdestotrotz über eine immense Dynamik, der ich mich kaum entziehen konnte. Zu guter Letzt bin ich durchaus des Lobes voll, hätte mir jedoch ein paar weniger Zufälle und interpersonelle Wandlungen gewünscht, die ich der ein oder anderen Figur nicht immer abnehmen konnte.
Die mehr oder minder versehentliche Aussage „manches, was böse und kaltherzig aussieht, ist in Wahrheit eine liebenswerte, edle Absicht gewesen“ nimmt meines Empfindens nach zu sehr überhand, als das ich die komplette Lektüre als überaus authentisch bezeichnen können respektive wollen würde.

Nicht verschweigen möchte ich jedoch, dass Marc Raabe durch die stete auf-den-Kopf-Stellung mancher Vorfälle den Leser ohne Unterlass zum Mitdenken, Neu“bewerten“ der Umstände wie auch Personen zwingt.

Ergo des Ergos: um einen kleinen, aber feinen Punktabzug kommt der Psychothriller nicht herum; empfehlen würde ich das Büchlein nichtsdestotrotz all jenen, die gerne mit eine leserlichen Gänsehaut überzogen werden und ein Herz für schlicht-klingende, aber durchweg tiefschürfende Motive übrig haben.

16 Bewertungen, 4 Kommentare

  • goat

    27.07.2013, 16:05 Uhr von goat
    Bewertung: sehr hilfreich

    Das Buch ist schon auf meinem Wunschzettel gelandet. LG Melanie

  • Clarinetta2

    26.07.2013, 19:34 Uhr von Clarinetta2
    Bewertung: besonders wertvoll

    das hört sich nicht nach einem lesenwerten Buch an-bw

  • anonym

    26.07.2013, 09:36 Uhr von anonym
    Bewertung: sehr hilfreich

    Prima vorgestellt. Würde mich sehr darüber freuen, wenn du auch bei mir mal reinschaust =)) GLG

  • bella.17@live.de

    26.07.2013, 08:25 Uhr von [email protected]
    Bewertung: sehr hilfreich

    Liebe Grüße Annabelle