Abbitte (Blu-ray) Testbericht

Im Laufe der Jahre habe ich verschiedentlich Bücher von Ian McEwan gelesen, „Abbitte“ gehörte allerdings nicht dazu. Die Verfilmung des Romans habe ich mir auf Verdacht zugelegt – alles andere als ein Fehler, denn „Abbitte“ ist eine echte Sternstunde des Kinos.


Die Szene: Ein englischer Landsitz an einem heißen Sommertag im Jahr 1935. Die 12-jährige Briony Tallis (Saoirse Ronan) läuft aufgeregt durchs Haus: Soeben hat das Mädchen die letzte Zeile seines ersten Theaterstücks zu Papier gebracht, und nun präsentiert es das Werk stolz der Mutter. Die ist voll des Lobes für Töchterchens erste schriftstellerische Gehversuche und hat auch nichts gegen eine abendliche Uraufführung vor Publikum. Cousine Lola und deren Zwillingsbrüder, die kürzlich im Hause der Familie Tallis einquartiert worden sind, zeigen sich an Brionys Drama “The Trials of Arabella“ freilich nur leidlich interessiert – die Zwillinge möchten lieber schwimmen gehen, und auch Lola findet, dass eine halbe Stunde Pause allen nur gut tun kann.

Briony zieht sich zurück und beobachtet vom Fenster aus eine Szene am Brunnen vor dem Haus, die das Mädchen unglückseligerweise vollkommen falsch deutet. Briony erscheint es so, als sei Pförtnersohn Robbie Turner (James McAvoy) gegenüber ihrer Schwester Cecilia (Keira Knightley) zudringlich geworden zu sein. Der Inhalt von Robbies Brief, den Briony ihrer Schwester zuvor in dessen Auftrag zugestellt hzat, scheint Brionys Eindruck nur zu bestätigen – was niemand weiß und später niemanden interessiert: Die derb formulierte Zeile hat Robbies Schreibtisch nur im Zuge einer Verwechslung verlassen und war nie für die Öffentlichkeit bestimmt gewesen.

Die Verkettung unglücklicher Verwechslungen erreicht ihren Höhepunkt, als sich am gleichen Abend ein Unbekannter an Cousine Lola vergeht: Briony will Robbie erkannt haben und belastet den Bediensteten der Familie Tallis schwer. Robbie wird zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, allerdings nicht ohne vorher bei einem kurzen Schäferstündchen in der Tallis’schen Bibliothek Cecilia seine Liebe gestanden zu haben und mit dem Bekenntnis auf Gegenliebe gestoßen zu sein. Vier Jahre später stellt man Robbie vor die Wahl: Entweder den Rest seiner Haftstrafe verbüßen oder gegen die Deutschen ins Feld ziehen. Robbie wählt die Freiheit als Zwangsrekrut und trifft sich ein letztes Mal mit Cecilia, die inzwischen als Krankenschwester arbeitet und sich von ihrer Familie losgesagt hat. „Komm zurück“, flüstert Cecilia dem Geliebten ins Ohr, bevor der sich gen Frankreich einschiffen muss …

Regisseur Joe Wright hat aus Ian McEwans Buch einen Film gemacht, der uneingeschränktes Lob verdient. Kinogänger mit Faible für die leichte Muse wird die gut zwei Stunden lange Literaturverfilmung ggf. als allzu schwere Kost erscheinen, wer aber z. B. die Filme von James Ivory („Was vom Tage übrig blieb“) schätzt, wird auch „Abbitte“ als ein Stück großartiges Kino schätzen. Die Darsteller liefern durch die Bank brillante Leistungen ab, dass von den an „Abbitte“ beteiligten einzig Komponist Dario Marianelli einen Oscar in Empfang nehmen durfte, sagt wieder einmal mehr über die Gepflogenheiten der Jury der Academy of Motion Picture Arts ans Sciences aus als über die Qualität dessen, was sie bewertet – ich stimme James McAvoy zu, der im 30-minütigen, sehenswerten „Making of“ bekundet, seiner Meinung nach hätte es schon für die gut 5-minütige, ohne einen einzigen Schnitt gedrehte Szene am Strand von Dünkirchen einen Oscar geben müssen. Tatsächlich ist „Abbitte“ ein streckenweise geradezu betörend schön fotografierter Film; über die deutsche Altersfreigabe „ab 12“ darf man aber sicherlich geteilter Meinung sein: Einige Szenen im letzten Drittel des Films zeigen sehr drastisch und eindrücklich die Schrecken des Krieges – die „15“-Altersfreigabe der für den britischen Markt bestimmten Fassung erscheint mir persönlich angemessener.

A propos: Wer zuweilen im Ausland bestellt, weil sich auf diese Art hie und da ein Euro sparen lässt, darf auch im Fall von „Abbitte“ zuschlagen: „Atonement“ (Originaltitel) ist identisch mit der Blu-ray-Fassung für den deutschen Markt. Neben dem Hauptfilm werden rund 7 Minuten lang geschnittene Szenen präsentiert (wahlweise mit Kommentar des Regisseurs), außerdem gibt’s zwei Beiträge, die sich mit der Adaption des Romans für die Leinwand sowie der Entstehung des Films beschäftigen – Beides sollte man sich aber wirklich erst nach dem Film ansehen, da die Beiträge auch die überraschende Wendung zum Schluss des Films thematisieren. Den Audiokommentar des Regisseurs habe ich beim ersten Ansehen noch nicht zugeschaltet, beim Wiedersehen werde ich dies aber nachholen und freue mich bereits jetzt darauf. Bild und Ton der Blu-ray-Fassung sind m. E. mustergültig und verfehlen das Prädikat „Referenz“ nur knapp.

R e s ü m e e

Wuchtige Tragödie in einer gut geglückten Blu-ray-Fassung – „Abbitte“ ist intelligentes Kino für Kinogänger, die europäisches Erzählkino wie z. B. „Was vom Tage übrig blieb“ und „Der englische Patient“ lieben; die Umsetzung fürs Heimkino bietet vorbildliche Werte in punkto Bild und Ton; die Zusatzausstattung der Blu-ray verzichtet zugunsten wirklich gehaltvoller Beigaben auf jeglichen Werbeschnickschnack.