Das Böse in uns (Taschenbuch) / Cody McFadyen Testbericht

ab 11,22
Auf yopi.de gelistet seit 05/2010
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Summe aller Bewertungen
  • Handlung:  sehr spannend
  • Niveau:  durchschnittlich
  • Unterhaltungswert:  hoch
  • Spannung:  gering
  • Humor:  durchschnittlich
  • Stil:  ausschmückend

Erfahrungsbericht von mima007

Katholiken, obacht! Beichten mit Todesfolge

3
  • Niveau:  anspruchslos
  • Unterhaltungswert:  hoch
  • Spannung:  hoch
  • Humor:  durchschnittlich
  • Stil:  durchschnittlich
  • Zielgruppe:  Männer

Pro:

spannend, unterhaltsam, sinnlich, emotional, wendungsreich, kompetent übersetzt

Kontra:

Druckfehler & Zweifelsfälle, nix für zarte Gemüter

Empfehlung:

Ja

„Ich habe dich schon lange im Visier und beobachte dich, während du diese Zeilen liest. Ich kenne dein kleines Geheimnis. Es lastet wie ein dunkler Schatten auf deiner Seele – Keine Angst. Ich werde dich davon erlösen!“ (Verlagsinfo) Diesmal muss FBI-Agentin den Fall einer ermordeten transsexuellen Tochter eines Kongressabgeordneten aufklären. Ist Lisa Reid wirklich die Nr. 143 eines Serienmörders? Und wer steht als nächstes auf dessen Liste?

Der Autor
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Cody McFadyen, geboren 1968, unternahm als junger Mann mehrere Weltreisen und arbeitete danach in den unterschiedlichsten Branchen. Der Autor ist verheiratet, Vater einer Tochter und lebt mit seiner Familie in Kalifornien.

„Die Blutlinie“ war sein erster Roman. Weitere Romane mit der Protagonistin Smoky Barrett:
2) Der Todeskünstler
3) Das Böse in uns
4) Ausgelöscht

Handlung
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FBI-Agentin Smoky Barrett, einsfünfzig groß und mit zernarbtem Gesicht und Körper, fragt sich, was sie hier in Alexandria bei Washington, D.C., eigentlich soll. Ihre Basis ist eigentlich Los Angeles. Aber der FBI-Direktor Rathbun hat sie, ihr Team und den zugehörigen Assistant Director Jones angefordert. Offenbar hat er von Smokys besonderer Fähigkeit zur Empathie mit den Tätern gehört. Sie war oft genug in den Medien.

Eine junge Frau ist ermordet worden, im Flugzeug, in zehntausend Metern Höhe, doch ihren bedauerlichen Zustand bemerkte man erst nach der Landung. Rathbun erklärt Smoky, was es mit Lisa Reid auf sich hat. Erstens ist sie die Tochter des texanischen Kongressabgeordneten Dillon Reid, der als guter Freudn des Präsidenten bald selbst für das höchste Amt kandidieren dürfte. Zweitens ist Lisa keine Frau, sondern ein Transsexueller, der als Dexter Reid getauft und aufgezogen wurde. Drittens darf das Geheimnis, dass die Eltern ihren Sohn / ihre Tochter weiterhin liebten, obwohl sie ihn / sie offiziell enterbten, niemals an die Öffentlichkeit gelangen. Die Wähler würden dies nicht akzeptieren. Transsexuell zu sein offenbar in Texas schlimmer als schwul oder lesbisch zu sein.

Weitere Überraschungen fördert die Obduktion zutage. Lisa wurde erst mit Chloralhydrat bewusstlos gemacht, dann mit einem spitzen Gegenstand ins Herz gestochen. Das hätte jedem anderen Mörder genügt, doch dieser hinterließ ein Andenken in der tiefen Wunde: ein silbernes Kreuz mit zwei eingravierten Zeichen – einen Totenkopf mit gekreuzten Knochen sowie eine Zahl: 143. Smoky mutmasst, dass es sich um Opfer Nr. 143 des Täters handeln könnte. Was bedeutet, dass sie so schnell wie möglich verhindern muss, dass Nr. 144 auf der Liste zum nächsten Opfer wird.

Als sich ihr Team umsieht, stößt es auf eine Botschaft des Killers in Lisas Tagebuch: „Was sammle ich? Das ist die Frage, und diese Frage ist der Schlüssel. Beantworte sie schnell, oder es werden noch mehr Menschen sterben.“ Es bleibt also Smoky & Co. nur wenig Zeit bis zum nächsten Mord.

Der scheint im kalifornischen Simi Valley, einem Vorort von L.A., passiert zu sein. Aber das Kreuz in der rechten Seite der jungen Frau trägt die Nummer 142. Rosemary Sonnenfeld starb vor Lisa Reid. Aber warum und wozu? Was verbindet die beiden so weit auseinander gestorbenen Opfer? Rosemary war wie Lisa eine Ex-Prostituierte und ebenfals ein Ex-Junkie, doch außerdem war sie seit fast fünf Jahren clean, disziliniert und ein wahres Vorbild für ihre ebenfalls gefallenen Brüder und Schwestern. Findet jedenfalls Vater Yates von der katholischen Kirche, der Rosemary nach ihrem Zusammenbruch aus der Gosse holte.

Weil jede Andeutung von sexuellem Missbrauch fehlt, kommt Smoky der Gedanke, dass die beiden Opfer in einem religiösen Kontext entweder verdammt wurden oder erlöst. Aber wegen was und wofür, ist die Frage. Sie ist selbst Katholikin und kennt sich mit dem Katechismus aus, auch wenn sie nicht mehr an einen rauschebärtigen Gott glaubt, weil der ihr ihre Familie (Matt und Alexa) raubte. Erlösung – von Sünden. Doch diese Sünden müssen unverzeihlich gewesen sein, also Todsünden, so dass es dafür keine Vergebung geben konnte. Erst der Tod brachte Erlösung, mit einem Stich in die rechte Seite wie bei Jesus am Kreuz – und das Kreuz findet sich jedesmal in der Wunde.

Wenn es sich so verhalten sollte, dann ist auch Smoky selbst eine Kandidatin. Denn sie hat eine Sünde begangen, von der niemand wissen darf…

Mein Eindruck
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Der Autor ist einer jener neuen Riege von Schriftstellern, die die Macht des Internet ernstnehmen und sie in ihrer Handlung berücksichtigen. Smokys Team stößt auf Video-Clips, die der Mörder von seinen Opfern gemacht hat. Es sind über fünfzig Clips, wie sie hätte erwarten sollen, und die Opfer geben jedesmal das schlimmste Geheimnis zu, das sie je gebeichtet haben. Der Mörder, von dem nur seine Hände zu sehen sind, die einen Rosenkranz beten, salbadert selbstgerecht, wie wichtig die Wahrheit sei, um ins Königreich Gottes gelangen zu können. Wohlgemerkt: die vollständige, rücksichtslos offenbarte Warheit.

Wie sich herausstellt, sind alles katholische Mädchen und Frauen, denn nur diese konnten eine Beichte ablegen. Bei einem Pfarrer, wie Smoky messerscharf kombiniert. Und wo gibt es solche Pfarrer in L.A.? Rosemary Sonnenfeld ging zu Pfarrer Yates. Als Smoky diesen Seelsorger besucht und kennenlernt, erlennt sie wieder Willen, dass sie hier die Möglichkeit hat, mit sich selbst ins Reine zu kommen. Denn nur dann kann sie die Liebe annehmen, die ihr Tommy, ihr Lover, kürzlich gestanden hat.

Erst die erschütternde Erfahrung, selbst die Beichte abzulegen, bringt Smoky die Erleuchtung: Der Mörder – er nennt sich selbst den „Prediger“ – muss Zugang zu diesen Beichten gehabt haben. Er hat sie live abgehört, per Wanze. Als sie dies Pfarrer Yates eröffnet, ist dieser nicht nur unangenehm berührt, sondern regelrecht verzweifelt. Denn die Beichte ist ein geheiligtes Privileg der katholischen Kirche. Würde es entwertet werden, so könnte der Papst einpacken und nach Hause gehen, wie Smoky es in Gedanken ausdrückt. Wie ernst die Kirchenleitung dieser Gefahr nimmt, drückt sich darin aus, dass sich der Kardinal von L.A. höchstpersönlich dazu herablässt, Smoky und ihrem Team zu helfen. Auch der Präsident verfolgt Smokys Fortschritte, und im Internet herrscht Aufruhr. Es ist keine Zeit zu verlieren: Der Prediger hat angekündigt, als nächstes ein Kind zu töten.

In mehr oder weniger kurzen Rückblenden erfahren wir von den Sünden der Opfer. Diese Vignetten sind im Präsens geschrieben, im Unterschied zum Präteritum des restlichen Textes. Durch dieses Tempus erfolgt eine Vergegenwärtigung, die das erzählte Geschehen uns ganz direkt erleben lässt. Mal sind es sexuelle Erlebnisse aus der Kindheit, mal Tötungsdelikte. Jedesmal geht das Erlebte dem Leser an die Nieren. Aber nur einem amerikanischen Leser mit seinen strengeren moralischen Maßstäben dürften die Tabubrüche schrecklich, unverzeihlich vorkommen. Doch der Pfarrer hat jedesmal bei der Beichte dem reuigen Sünder die Absolution erteilt. Also kann die Sünde nicht gar so groß sein.

Höchste Zeit für die dramatische Zuspitzung und den Showdown! Natürlich gibt es dabei eine böse Überraschung, selbst wenn der Prediger gefunden werden will. Bloß gut, dass Smoky und ihre engste Freundin Callie dem Opfer des Predigers helfen können: weibliche Solidarität. Auch Smoky braucht Hilfe: Sie hat ein zweites Geheimnis zu gestehen. Es bleibt also spannend bis zum Schluss, bis zum Epilog.

Die Übersetzung
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Mal abgesehen von allfälligen Flüchtigkeitsfehlern wie etwa falschen Kasusendungen findet sich kaum ein Fehler oder Zweifelsfall, was für die Qualität bürgt. Allerdings findet sich auf den Seiten 192 und 193 der Begriff „Luddit“, der vielleicht nicht jedem Leser geläufig ist. Er bedeutet soviel wie Maschinenstürmer oder Technikfeind. Merkwürdig, dass er in keinster Weise erklärt wird.

Was eine „High-End-Kamera“ (S. 265) ist, weiß jeder junge Leser, der Denglisch beherrscht. Ältere Leser hätten wahrscheinlich das deutsche Wort Hochleistungskamera bevorzugt. Das weiß man wenigstens, was es bedeutet.

Unterm Strich
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Ich habe das Buch in nur drei Tagen gelesen, aber es geht sicherlich auch schneller. Durch die sehr einfache Sprache, die kurzen Sätze und den übersichtlichen Aufbau mit den fein säuberlich abgretrennten Rückblenden lässt sich das Buch leicht verstehen und flott lesen. Die Vignetten mit den Rückblenden sind als kleine, unmittelbar erlebte Porträts von „Sündern“ besonders bewegend und bleiben in Erinnerung, so etwa das zehnjährige Mädchen, das für sein Leben gern süße, kleine Kätzchen umbringt. Merke: Dieses Garn ist nicht für zartbesaitete gemüter gedacht. Aber dafür bleibt es spannend bis zur letzten Seite.

Was mir nicht so toll schmeckte, war die thematische Beschränkung auf katholische, noch dazu durchweg weibliche Opfer (mit der Ausnahme von Dexter / Lisa Reid). Aber ich schätze, für amerikanische Leser, die ja besonders im Osten vor allem Protestanten sind (die sogenannten WASPs), stellt die katholische Kirche eine Region der mystischen Riten, der man nicht ganz trauen darf: unsicheres Territorium.

Umso erstaunlicher ist daher die Offenbarung, dass auch Smoky eine Katholikin ist. Sie ist zwar vom Glauben abgefallen, wie so viele, die Schreckliches erlebt und erlitten haben, aber sie hat das Privileg, die Beichte ablegen zu dürfen, die es ja sonst nirgendwo gibt. Dadurch hat sie die Hoffnung, nicht nur ihre umschattete Seele entlasten zu können, sondern auch noch für ihre Reue Vergebung zu erhalten. Doch diese einzigartige Institution ist nun durch das Abhören gefährdet, was die 2000 Jahre katholische Kirche unversehens mit der modernen Technik des Internet und von YouTube konfrontiert – ein Existenzkampf, der im Netz ebenso ausgetragen wird wie in der Kirche selbst.

Der Autor fragt den Leser: Können Begriffe und Werte wie Wahrheit, Sünde und Gerechtigkeit weiterbestehen, wenn Menschen deren Umsetzung in die igenen Hände nehmen, wie es der Prediger tut und wie es auch Kirby in ihrer Selbstjustiz tut. Der Autor stellt die Frage nach der Rolle des Internet als Organ der Justizbeeinflussung. Stellen sich die „User“ auf die Seite des Predigers, der absolute Wahrhaftigkeit verlangt, oder verurteilen sie seine Methoden? Auf diese Wesie wird dem Internet die Rolle eines Justizforums zugewiesen, und ich frage mich, ob die Community der User dieser Aufgabe gewachsen ist.

Die Ähnlichkeit zum „Schweigen der Lämmer“ ist unübersehbar, nur dass „Hannibal der Kannibale“ noch die Psychiatercouch benötigte, um den Menschen ihre Geheimnisse zu entlocken, und dass seine Jägerin nicht eine Vollwaise ist, sondern eine Frau, die schon alles durchlitten hat und die sich nun ihre eigene Familie aufbaut. Der Kampf zwischen Smoky und dem Prediger ist selbst dann nicht entschieden, als er gefangen wird – denn auch er hat ein Geheimnis zu beichten, das den Leser auf seine Seite ziehen könnte. Aber dieses Geheimnis soll hier nicht verraten werden.

Der deutsche Titel ist mal wieder irreführend. Denn das Geheimnis, das jeder verbirgt, muss keineswegs automatisch „böse“ sein.

Fazit: drei von fünf YOPI-Sternen.

Michael Matzer © 2010ff

Info: The darker side, 2008; Bastei-Lübbe, 2010, Köln; 445 Seiten, aus dem US-Englischen von Axel Merz; Preis: 9,99 EU; ISBN 978-3-404-16421-9

59 Bewertungen, 16 Kommentare

  • cleo1

    21.07.2010, 13:50 Uhr von cleo1
    Bewertung: sehr hilfreich

    Sehr informativ und schön geschrieben. Einen schönen sonnigen Mittwoch und Danke für Deine Gegenlesungen. LG cleo1

  • Tweety30

    19.07.2010, 19:15 Uhr von Tweety30
    Bewertung: besonders wertvoll

    BW und liebe MontagsGrüße!

  • topfmops

    19.07.2010, 18:48 Uhr von topfmops
    Bewertung: sehr hilfreich

    Und wiederum bereichern sich einige Leserlinge an Deiner Arbeit und Deinem Wissen, ohne Dir den Dir zustehenden Lohn, sprich Bewertungen, zu zahlen.

  • Michaela2015

    19.07.2010, 12:09 Uhr von Michaela2015
    Bewertung: sehr hilfreich

    viele grüssle aus Österreich, würde mich über Gegenlesung sehr freuen! Danke, lg Michi

  • KatzeMaus

    19.07.2010, 11:01 Uhr von KatzeMaus
    Bewertung: sehr hilfreich

    liebe grüße aus bayern....

  • Iris1979

    19.07.2010, 09:35 Uhr von Iris1979
    Bewertung: sehr hilfreich

    Super Bericht. LG Iris

  • XXLALF

    19.07.2010, 09:07 Uhr von XXLALF
    Bewertung: besonders wertvoll

    liebe grüße und einen guten wochenstart

  • darras76

    19.07.2010, 01:53 Uhr von darras76
    Bewertung: besonders wertvoll

    Ich weiß ja warum ich nie beichten gehe ,-)

  • morla

    19.07.2010, 01:24 Uhr von morla
    Bewertung: sehr hilfreich

    lg. ^^^^^^^^^^^^^petra

  • kruegerchristine

    18.07.2010, 23:28 Uhr von kruegerchristine
    Bewertung: besonders wertvoll

    Gut das es das Böse nicht wirklich gibt! Finde SF-Kritiken von die besser, denn die spielen wenigstens in der reallen Welt. Aber trotzdem BW --- was sonst? LG Günter :-)

  • Hot_Rider

    18.07.2010, 18:53 Uhr von Hot_Rider
    Bewertung: sehr hilfreich

    Gegenlesungen würden uns freuen ! LG und einen tollen Sonntag noch !

  • tina08

    18.07.2010, 18:39 Uhr von tina08
    Bewertung: sehr hilfreich

    Viele Grüße .... Tina

  • kurtmahr2001

    18.07.2010, 18:25 Uhr von kurtmahr2001
    Bewertung: besonders wertvoll

    Wie immer, ein super toller Bericht

  • catmum68

    18.07.2010, 17:38 Uhr von catmum68
    Bewertung: sehr hilfreich

    sehr hilfreicher Bericht, LG

  • Humpen77

    18.07.2010, 17:10 Uhr von Humpen77
    Bewertung: sehr hilfreich

    Sehr schöner Bericht!

  • sigrid9979

    18.07.2010, 16:49 Uhr von sigrid9979
    Bewertung: sehr hilfreich

    SCHÖNER BERICHT.....LG SIGI