Die Zahlen der Toten (Taschenbuch) / Linda Castillo Testbericht

Die Empfehlung eines Bekannten war es, die mich dereinst zum hier vorzustellenden Buch führte. Die Thematik klang interessant, der Preis war in Ordnung - also wurde das Werk gekauft. Allerdings hatte es zunächst den Weg aller seiner Leidensgenossen in unserem Haushalt zurück zu legen und musste sich im Stapel an meinem Bett von ganz unten nach ganz oben vorarbeiten. Das ist inzwischen geschehen, der Roman entsprechend gelesen, so dass nun hier darüber auch geschrieben werden kann.

Der Kauf

Der im Jahre 2010 im Fischer-Taschenbuchverlag erschienene Roman (ich besitze die 7. Auflage aus dem September 2011) mit 432 Seiten und einem noch soeben Reise tauglichen Gewicht von knapp 400 Gramm wurde bei meinem Stamm-Buchhändler im Internet, bei buecher.de, gesucht, gefunden und bestellt. Die brochierte Ausgabe kostete hier 8,95 Euro - zu meinem eigenen Erstaunen musste ich feststellen, dass das Taschenbuch mit einem Preis von 9,99 Euro um Einiges teurer ist. Zusätzliche Versandkosten waren nicht zu zahlen, die Lieferung erfolgte per DHL nur wenige Tage nach der Bestellung.

Das Aussehen

Das Cover des Buches mit den Maßen 19 mal 12,5 Zentimeter nennt den Titel des Buches und den Namen der Autorin. Unterlegt ist das mit einer Zeichnung eines Feldes, eines einsamen Gehöfts und eines blau-rot gefärbten Himmels. Auf der Rückseite gibt es eine kurze Inhaltsangabe sowie die zusammengefasste WDR-Kritik: "Einfach ein atemberaubendes Krimidebüt!"

Die Autorin

Linda Castillo, geboren 1960 in Dayton/Ohio, arbeitete viele Jahre als Finanzmanagerin, bevor sie sich der Schriftstellerei zuwandte. Sie hat in den letzten zehn Jahren über zwanzig, teilweise mit Preisen ausgezeichnete Romane des Romantic-Suspense-Genres veröffentlicht "Sworn to Silence" (deutsch: "Die Zahlen der Toten") ist ihr erster Thriller, der auch ins Deutsche übersetzt wurde. - Linda Castillo lebt mit ihrem Mann in Texas.

Der Inhalt (Innenseite des Buches)

Kate Burkholder ist die erste weibliche Polizeichefin von Painters Mill, Ohio, wo Amische und "Engländer" eigentlich friedlich miteinander leben. Bis jetzt. Denn jetzt scheint der, den sie vor 16 Jahren den Schlächter nannten, wieder da zu sein. Er tötete damals auf bestialische weise mehrere junge Frauen. Doch handelt es sich bei dem Täter jetzt wirklich um ein und dieselbe Person? Wenn sie den Mörder finden will, muss sie ein Geheimnis lüften, das sie seit Jahren in ihrem Innersten bewahrt. Doch dann könnte sie alles verlieren, was sie liebt: Ihre Familie, ihren Job und ihren Glauben an Recht und Gesetz.

Leseprobe (1. Kapitel)

Das Blaulicht auf dem Dach des Streifenwagens flackerte über die kahlen Winterbäume. Officer T. J. Banks hielt auf dem Seitenstreifen. Er schaltete den Suchscheinwerfer ein und leuchtete den Rand des Feldes ab, wo Getreidehalme in der Kälte zitterten. Etwa zwanzig Meter entfernt standen sechs Jersey-Rinder im Wassergraben und käuten in aller Ruhe wieder.
"Blöde Viecher", murmelte er. Genau wie Hühner gehörten Rinder bestimmt mit zu den dümmsten Tieren der Welt.
Er aktivierte das Funksprechgerät. "Zentrale, siebenundvierzig hier."
"Was gibt's, T. J.?", fragte Mona, die nachts in der Telefonzentrale arbeitete.
"Ich hab hier 'nen 10-54. Stutz' verdammte Kühe sind wieder mal ausgebrochen."
"Das ist das zweite Mal in einer Woche."
"Und immer in meiner Schicht."
"Was willst du machen? Er hat kein Telefon."
Der Blick auf die Uhr im Armaturenbrett verriet ihm, dass es fast zwei war. "Also, ich bleib bestimmt nicht hier draußen in der Scheißkälte und passe auf die dämlichen Viecher auf."
"Vielleicht solltest du sie einfach erschießen."
"Bring mich nicht in Versuchung." Er blickte sich um und seufzte. Um diese Uhrzeit stellten Tiere auf der Straße ein großes Unfallrisiko dar. Es brauchte nur einer zu schnell um die Kurve kommen und schon war's passiert. Er dachte an den ganzen Papierkram, den ein Unfall nach sich zog, und schüttelte den Kopf. "Ich stell ein paar Warnleuchten auf, fahr zu Stutz und hol seinen amischen Arsch aus dem Bett."
"Melde dich, wenn du Hilfe brauchst." Sie kicherte.
Er zerrte den Reißverschluss seiner Jacke bis hoch zum Kinn, nahm die Taschenlampe aus der Vertiefung neben dem Sitz und verließ den Streifenwagen. Es war so kalt, dass ihm die Nasenhaare gefroren. Beim Gehen knirschten seine Stiefel im Schnee und sein Atem formte weiße Wölkchen in der Luft. Die Nachtschicht war ihm fast so verhasst wie der Winter.

Meine Meinung

Von einem "atemberaubenden Krimidebüt" sprach der WDR in seiner Kritik - und lag damit ganz offensichtlich daneben, denn dieser Roman ist alles andere als das Erstlingswerk der amerikanischen Autorin, deren frühere Werke lediglich den deutschen Markt nicht erreichten. Weil aber Linda Castillo schon eine ganze Reihe von Romanen veröffentlichte, muss es auch nicht verwundern, dass das vorliegende Werk rein handwerklich-sprachlich als gelungen zu bezeichnen ist. Geschrieben ist es vorwiegend aus Sicht der Protagonisten in der ersten Person, was den Leser sicher besondere Sympathie mit der Heldin verspüren und ihn in die Handlungen hineinziehen soll. Das aber gelingt nur zum Teil, weil Kate Burkholder aus einer uns fremden Welt stammt, denn sie wurde einst als Amische geboren und verließ als Heranwachsende diese Glaubensgemeinschaft. Das allein indes ist schon interessant genug, denn die Autorin gewährt uns des von ihr selbst gewählten Hintergrunds der Heldin wegen einen Blick in eine Welt, die wir alle nicht kennen. Und der Blickwinkel scheint authentisch zu sein, scheint das Leben und Denken der Amisch People gut wieder zu geben. Dennoch oder vielleicht auch gerade deswegen gelang es nicht, mich komplett in die Handlung hinein zu ziehen - ich habe sie definitiv von außen betrachtet und verfolgt.

Die Glaubensgemeinschaft der Amischen spielt eine große Rolle im ersten Roman mit Kate Burkholder als Protagonisten, dem übrigens inzwischen weitere Bände folgten. Aber das ist nicht die Haupt-Thematik, vor allem nicht im letzten Drittel des Werkes, in dem sich die Suche nach dem Schlächter immer mehr zuspitzt. Die eigenen Probleme des weiblichen Polizeichefs werden dem Leser schonend, aber auch sehr deutlich nahe gebracht - und natürlich hat er Verständnis dafür. Dass Kate Burkholder aber auch eine gute Polizistin ist, die sich zudem einer Reihe von Widerständen zu erwehren hat, das muss sie erst noch beweisen. Durch akribibische Arbeit und fremde Hilfe allerdings kommt sie der Lösung des Rätsels ebenso nahe wie einem Mann, der sich bald als einziger echter Verbündeter erweist - natürlich muss es hier auch einen "human touch" geben. Das Finale ist rasant, die Lösung überraschend - insofern also sind alle Kriterien für einen guten Thriller erfüllt. Und mit dieser Note, nämlich gut, würde ich das Werk auch beurteilen. Irgendetwas aber fehlt dem Roman noch - vielleicht die Irrungen und Wendungen, die so oft einen sehr guten Thriller ausmachen, vielleicht auch die falschen Spuren, die hier völlig fehlen, oder auch die versteckten und erst spät entdeckten Verschwörungen im Hintergrund. Gut, solide - dieses Urteil passt meiner Meinung schon. Und positiv daran ist, dass die Autorin sich selbst noch Steigerungspotential vorbehalten hat, immerhin werden ja weitere Kate-Burkholder-Fälle folgen. Und ich bin durchaus gewillt, der Polizeichefin von Painters Mill bei der Aufklärung ihres nächsten Falles zu folgen.

Der Roman selbst ist übrigens in den Epilog und 37 Kapiten eingeteilt, wobei ein neues Kapitel nahezu auch immer eine Zäsur in der Handlung bedeutet, manchmal auch einen Wechsel des Blickwinkels. Auf jeden Fall eignet sich ein Kapitel-Ende bestens, um eine Lesepause einzulegen. Genau das habe ich mehrfach getan, denn trotz einer ansprechenden Story fehlte mir bei der Lektüre die Atemlosigkeit, die sich beim Lesen anderer Thriller schon oft einstellte. Und so ist das Buch bestens geeignet, wenn im Grunde genommen nur wenig Zeit da ist, denn Pausen sind in diesem Falle gut möglich.