Blaue Augen (gebundene Ausgabe) / Joanne Harris Testbericht

ab 14,74
Auf yopi.de gelistet seit 03/2011
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Summe aller Bewertungen
  • Handlung:  spannend
  • Niveau:  anspruchsvoll
  • Unterhaltungswert:  hoch
  • Spannung:  hoch
  • Humor:  wenig humorvoll
  • Stil:  sehr ausschmückend

Erfahrungsbericht von sendorra

Wahrheit oder Pflicht

Pro:

intensives, verworrenes, packendes Leseerlebnis

Kontra:

Für einige wahrscheinlich zu verworren.

Empfehlung:

Ja

Die wunderbare Joanne Harris, aus deren Feder solch zauberhafte Geschichten wie "Chocolat" oder "Fünf Viertel einer Orange" flossen, hat ein neues Buch vollendet. Seit Freitag ist nun die deutsche Übersetzung zu haben, welche ich mit Haut und Haar – oder besser: mit Wort und Satz – verschlungen hab.

=== Die Geschichte ===

"Nennt mich B.B. Das machen alle. Niemand außer der Polizei und den Bankangestellten benutzt meinen richtigen Namen. Ich bin zweiundvierzig und eins fünfundsiebzig, habe graubraune Haare, blaue Augen und mein ganzes bisheriges Leben in Malbry verbracht." (Seite 25)

B.B. betreibt eine Internetseite, auf der die Nutzer die Möglichkeit haben, Blogs zu schreiben, öffentlich, wie privat. Boesebuben.com ist eine Web-Community, wie es viele gibt. Die Mitglieder lesen die öffentlich geposteten Texte der anderen, kommentieren die Beiträge und kommunizieren über private Nachrichten. Die Blogs handeln (wie die URL schon verrät) von bösen Buben, egal welchen Geschlechts. B.B. schreibt unter seinem Nickname "blauauge" selbst ein Blog auf seiner Seite. Er schreibt – natürlich – über seine bösen Taten. Und die Mitglieder seiner Community laben sich an seinen mehr oder weniger morbiden Geschichten und Geständnissen, regen sich auf oder spekulieren über den Wahrheitsgehalt. Sicher vor den Augen seines Publikums führt er aber auch ein privates Online-Tagebuch. Und durchwühlt hinterrücks und geheim die privaten Einträge seiner User.
Die Einträge enthüllen nach und nach, wer hinter Blauauge steckt. Sie beleuchten eine lang vergessene Vergangenheit, verborgene Familiendramen, miefigen Kleinstadttratsch und wahre Tragödien. All das führt zu einer anderen Bloggerin auf bosebuben.com. Realität und Wahrheit scheinen sich in allen geposteten Geschichten zu verweben. Was ist wahr? Was pure Fiktion? Wer ist wer?
"Wir betrachten unser Leben immer als Drehbuch, in dem wir die Helden sind. Aber was ist mit den Statisten? Was ist mit der Zweitbesetzung? Für jede Hauptrolle gibt es eine Menge Überflüssiger, die sich im Hintergrund herumdrücken, die nie im Scheinwerferlicht stehen, nie eine Dialogzeile sprechen, die es bisweilen nicht einmal bis in die letzte Schnittfassung schaffen und ihr Leben als Einzelbilder am Boden des Schneideraums beenden. Wen interessiert es schon, wenn ein Statist ins Gras beißt? Wem gehören diese Lebensgeschichten?" (Seite 401)

=== Meine Kritik ===

Der Kniff, den Leser in einen Blog-Beitrag stolpern zu lassen, fand ich sehr gelungen. Ich fühlte mich sofort gefesselt. Schon nach dem ersten "Eintrag" wollte ich mehr. Wollte wissen, wie es weiter geht. Wollte erfahren, wer sich hinter den Usernamen der Kommentatoren versteckt und was sie als nächstes posten. Blauauge, der nach seinen eigenen Angaben mörderische Blogger, hat mich mit seinen kleinen Ticks und Unzulänglichkeiten fasziniert. Mit der Beschreibung seiner Taten. Doch kurz darauf schreibt er, dass er doch kein Mörder ist.
Alles nur erfunden? Alles nur Wunschvorstellung? Schon schnell stellte sich mir die Frage, was denn nun wahr ist, was erfunden, wo Realität und Fiktion zusammenlaufen. Wer ist dieser Betreiber der Internet-Community boesebuben.com wirklich? Was ist überhaupt wirklich? Was kann man glauben in der großen weiten Welt des Netzes? Wer ist die Bloggerin, die sich Albertine nennt? Welche Rolle spielt das kleine blinde Mädchen Emily White und warum werden alle Kommentare von JennyTricks gelöscht?
Es fällt mir schwer den Inhalt zusammenzufassen. Schnell hätte ich zuviel verraten. Die Story hinter den Blog-Einträgen ist verworren, vielschichtig, kommt nur nach und nach zu Tage – wenn überhaupt.
Der Leser erfährt nur das, was der Protagonist und die Userin namens Albertine in ihrem elektronischen Tagebuch festhalten. Lauter Geschichten in einer Geschichte. Immer wieder abgewandelt. Immer ein wenig anders beleuchtet, so dass die Frage nach der Wahrheit immer lauter wird. Die Einträge, die nicht öffentlich sind, vermitteln dem Leser dabei immer wieder das Gefühl, doch zu wissen, was da passiert, passiert ist, passieren wird. Doch das Ganze hat mehr als nur einen doppelten Boden.

Die Themen, die dieses Buch anschneidet, sind grausam. Der Überbegriff "Kindesmisshandlung" bietet sich an, doch ist er zu oberflächlich, zu abgegriffen. Es geht um Mütter, die zu ehrgeizig, zu fordernd sind, die zu hohe Ansprüche stellen und auf verschiedenste Arten grausam agieren. Es geht um Kontrollsucht, den Drang besonders zu sein, zu gefallen, sich anzupassen. Es geht um Menschen mit Schwächen und um Menschen mit speziellen Begabungen. Und ganz besonders geht es um Schuld und darum, dass so Vieles im Leben nur Schein ist.
Womit wir beim das Buch beherrschenden Medium des Internets wären. Die meisten, die sich im Netz tummeln, meinen, sie wären anonym. Versteckt hinter ihrem flirrenden Bildschirm. Erzählen Dinge, die sie sonst nie erzählen würden. Wahre, Unwahre. Harris spielt wunderbar mit den Mechanismen der Internets. Und ganz im Sinne des schwer einzuschätzenden Mediums ist das Ende offen - zumindest in meinen Augen. Vielleicht ist es das aber auch nicht. Denn: "Nichts ist je zu Ende."
Ich habe die 491 Seiten verschlungen. Habe mich gefragt, was das soll, wo das Ganze hinführt. Hab mich zwischendurch veräppelt gefühlt und auf’s Glatteis geführt. Harris entwirft in diesem Buch ein spannendes Psychogeflecht. Fragt danach, wozu Menschen fähig sind und warum. Das hat mich sehr fasziniert. Die Auflösung, wenn es denn eine ist, macht Sinn. Wenn es keine ist, auch.
Der Verlag sagt, es wäre ein Thriller. Das ist durchaus berechtigt. Wohler fühle ich mich allerdings mit der Einordnung als Drama. Falls Morde geschehen, dann sind sie eigentlich nicht das, was zählt. Die Bedeutung liegt in den Motiven und in dem, was sie auslöste. Im Menschlichen, im Zwischenmenschlichen.

=== Fakten ===

Meine gebundene Ausgabe ist am 11. März 2011 erschienen, hat 491 Seiten, einen Schutzumschlag und kostet 19,99 Euro. Andere Ausgaben gibt es noch nicht. Der Originaltitel lautet „Blueeyed Boy“.
Uta Rupprecht hat den Originaltext mit Verstand geschickt übersetzt.

ISBN-10: 3471350535
ISBN-13: 978-3471350539

68 Bewertungen, 21 Kommentare

  • campino

    15.09.2012, 00:25 Uhr von campino
    Bewertung: sehr hilfreich

    . . . lg andrea . . .

  • retilein

    20.05.2011, 01:39 Uhr von retilein
    Bewertung: sehr hilfreich

    ein schöner Bericht und lg

  • ThomasKu

    18.05.2011, 17:51 Uhr von ThomasKu
    Bewertung: sehr hilfreich

    Guter Bericht! Würde mich über Gegenlesungen freuen!

  • hexi5

    18.04.2011, 19:41 Uhr von hexi5
    Bewertung: sehr hilfreich

    Wünsch dir einen guten Start in die neue Woche

  • anonym

    13.04.2011, 13:49 Uhr von anonym
    Bewertung: besonders wertvoll

    Zu viele Seiten... irgendwie. Glaub ich. Ach, ich bin verwirrt.

  • yeppton

    12.04.2011, 14:00 Uhr von yeppton
    Bewertung: sehr hilfreich

    Sauber gemacht, schoen von dir zu lesen, Lg Markus

  • goat

    25.03.2011, 10:07 Uhr von goat
    Bewertung: sehr hilfreich

    Es freut mich, dass es Dir gefallen hat. Ich bin leider nicht ganz so warm geworden mit dem Buch. Für mich blieben einfach zu viele Fragen offen.

  • cleo1

    25.03.2011, 08:28 Uhr von cleo1
    Bewertung: sehr hilfreich

    Schöner Bericht. LG cleo1

  • anonym

    21.03.2011, 20:43 Uhr von anonym
    Bewertung: sehr hilfreich

    Toller Bericht.LG Quacky

  • catmum68

    19.03.2011, 19:59 Uhr von catmum68
    Bewertung: sehr hilfreich

    sehr hilfreicher Bericht, LG

  • anonym

    17.03.2011, 20:24 Uhr von anonym
    Bewertung: sehr hilfreich

    Liebe Grüße Edith und Claus

  • morla

    16.03.2011, 23:12 Uhr von morla
    Bewertung: sehr hilfreich

    lg. ^^^^^^^^^^^^^petra

  • XXLALF

    16.03.2011, 22:43 Uhr von XXLALF
    Bewertung: besonders wertvoll

    und ganz liebe grüße

  • michiprimel

    16.03.2011, 20:49 Uhr von michiprimel
    Bewertung: besonders wertvoll

    nee ich glaube das ist nicht mein Ding. L.G.

  • Solaija

    16.03.2011, 20:31 Uhr von Solaija
    Bewertung: sehr hilfreich

    Sehr guter Bericht! lG, Solaija

  • Clarinetta2

    16.03.2011, 20:21 Uhr von Clarinetta2
    Bewertung: sehr hilfreich

    ein interessanter lesetipp

  • Miraculix1967

    16.03.2011, 19:42 Uhr von Miraculix1967
    Bewertung: sehr hilfreich

    Sehr schöner Bericht! Schönen Abend und LG aus dem gallischen Dorf Miraculix1967

  • austin77

    16.03.2011, 19:23 Uhr von austin77
    Bewertung: sehr hilfreich

    toller Bericht, würd mich über deine Gegenlesung freuen. lg

  • sigrid9979

    16.03.2011, 17:41 Uhr von sigrid9979
    Bewertung: sehr hilfreich

    Ich wünsche dir einen schönen Tag.....

  • Lale

    16.03.2011, 16:44 Uhr von Lale
    Bewertung: sehr hilfreich

    ...... Grüßle ......

  • katjafranke

    16.03.2011, 16:36 Uhr von katjafranke
    Bewertung: sehr hilfreich

    Einen lieben Gruß, KATJA