Pro:
Leute beobachten, gegen chronische Leere im Geldbeutel, nette Kollegen und -ginnen
Kontra:
mitunter stressig durch Kundenandrang, neurotische Chefs und andauerndes *piep*ratter*piep*
Empfehlung:
Ja
"Warum stehen Studenten schon um halb sechs auf? - Weil um sechs der Supermarkt schließt." Es soll ja wirklich Leute geben, die dieses Klischee erfüllen - doch ich gehöre nicht zu denen. Wahrscheinlich habe ich das falsche Studium gewählt... Mit meinen Eltern habe ich ein Abkommen getroffen, ihnen während des Semesters auf der Tasche liegen zu dürfen, in den Ferien, soweit möglich, mein (trotz lieber Oma) chronisch leeres Portemonnaie aber selbst aufzufüllen.
Es gibt nicht viele Jobs, die man ohne jegliche Qualifikation ausüben kann bzw. darf, der der Kassiererin/ des Kassierers ist wohl der am weitesten verbreitete. Im allgemeinen läuft der Job auf 400 Euro Basis, besonders im Haupteinsatzgebiet Supermarktkasse, wo ich zur Zeit auch den größten Teil der vorlesungsfreien Zeit, langläufig auch Semesterferien genannt, verbringen darf. Im Jahr zuvor (resp. 2001) saß ich an der Eingangskasse von "Norddeutschlands größtem Freizeitpark". Prinzipiell ähneln sich die Aufgaben: Bestellung aufnehmen, Betrag nennen, Geld kassieren, möglichst passend rausgeben und bei allem, was zu tun ist: bitte recht freundlich!
Jeder hat klein angefangen, und so werde auch ich von vorne anfangen.
Am Anfang meiner Supermarktkassiererkarriere im vorletzten Sommer war ein Aushang "Aushilfskräfte für die Kasse gesucht". Der kam mir ganz recht, denn zum einem liegt der Supermarkt, im folgenden Kaufland genannt, relativ nah an meinem temporären Heim (Hotel Eltern), zum anderen hatte oben benannter Freizeitpark mangels Besucherandrang kurzfristig (ich verspürte ebenso kurzfristig die Lust jemanden zu erwürgen...) abgesagt.
Nach einem kurzen Vorstellungsgespräch mit einer meiner Vorgesetzten im Kassenbüro - der Marktleiter als eigentlich Zuständiger in Personalfragen saß in einem anderen Gespräch und konnte sich damit nicht um mich kümmern - leider, wie ich später feststellen musste, denn dieser Mensch ist mir ausgesprochen sympathisch geworden. (Vielleicht an dieser Stelle ein kleiner Hinweis auf das noch häufiger erscheinende Stilmittel der ironischen Distanz...)
Nachdem dann relativ schnell feststand, dass ich angestellt werde, ging es darum, die Formalitäten zu klären. Neben der anzugebenden Lohnsteuerkarte musste ich noch ein polizeiliches Führungszeugnis beantragen, die Gebühr wurde aber erstattet. Ein kurzer Lebenslauf mit Foto für die Personalakte war ebenso einzureichen.
Doch ich bekam auch etwas zurück: einen schicken Arbeitskittel inklusive Namensschild, den ich persönlich nicht einmal zum Putzen anziehen würde und ein rotes Halstuch, das vor allem im Winter um die Schultern zu legen ist. Eigentlich sollte das ganzjährig der Fall sein, aber im Sommer wollte uns die Direktion (das Kassenbüro) das nicht antun, wir durften es ins Revers stecken. Mangels Klimaanlage im Markt geraten wir nämlich auch so bei sommerlichen bis annähernd tropischen Außentemperaturen ins Schwitzen (und dürfen der Optik wegen dann noch nicht einmal den Kittel öffnen).
Außerdem bekam ich meine Bedienernummer und den Kassensatz, mit dem ich nun das erste Mal auf Kunden losgelassen werden durfte. Doch zunächst blieb dieser an einem sicheren Ort verwahrt und ich wurde einer älteren und erfahrenen Kollegin in den Nacken gesetzt, die mir die wichtigsten Kniffe beibrachte. In einem Großmarkt wie Kaufland sind, wie oben schon zwischen den Zeilen erkennbar, Disziplin und routinierte Freundlichkeit die großen Schlagwörter für die Kassiererschaft. Dies zeigt sich auch im Kassiervorgang.
Ein typischer Arbeitsablauf setzt sich dabei immer aus folgenden fünf - von mir kurz kommentierten - Teilbereichen zusammen:
>> 1. Bitte immer recht freundlich!
Der Kunde ist mit offenen Armen und Herzen zu begrüßen, das unabgängliche, aber dennoch freundliche "Guten Tag" sollte über die Augen direkt das Herz des Kunden rühren, Augen und Gebiss des Kassierers strahlen. Bevor der Kassiervorgang beginnt, sollte dem Kunden die Möglichkeit gegeben zu werden, alle Sachen aufs Band zu packen, damit es sich nicht im Auslaufraum staut. Das erhält die gute Laune auf allen Seiten, beim Kassierer, dem Kunden und der nachfolgenden Kundschaft.
>> 2. "Was guckst Du?"
Bevor der eigentliche Kassiervorgang beginnt, sind Wagen und Taschen des Kunden gründlich zu überprüfen. Dabei dürfen wir die Taschen aber noch nicht einmal bei begründetem Verdacht durchsuchen, unser Hauptaugenmerk liegt daher auf dem Wagen - befindet sich Ware (absichtlich wie unabsichtlich) auf der unteren Ablage oder im Einkaufswagen selbst? Auch Getränkekisten oder andere aus Gründen der Größe im Wagen verbliebene Wagen werden registriert und eingetippt.
>> 3. piep*Ratter*piep*Ratter
Sieht eigentlich ganz einfach aus, die Produkte über den Scanner zu ziehen (bzw. mit "Menge"- ntaste nur 12x1 statt 12 Milchtüten einzeln zu registrieren), der Artikelbezeichnung und Preis an den Drucker weiterleitet. Dennoch offenbaren sich einige Tücken. Obst und Gemüse besitzen eine dreistellige PLU-Nummer, die statt des elektronischen erfassten Scan-Codes manuell einzugeben ist. Und da es schneller geht, wenn man diese Nummer nicht erst nachschlagen muss, wozu an der Kasse Tafeln hängen, verfügt mein Gehirn über eine Nische, in der die PLU der gängigsten Obst- und Gemüsesorten abgespeichert sind. Dazu kommen noch Bier- und andere Getränkekisten, ebenfalls mit dreistelliger Nummer.
Aber auch herkömmliche Zahnpastatuben, Joghurtbecher, Knüppelsalami oder Brötchentüten zeigen sich manchmal recht widerspenstig, wenn es um die Erfassung des Codes geht. Entweder ist der Barcode an einer zu runden Stelle angebracht, zur Hälfte vom Deckel gestanzt, durch Abrieb unlesbar oder durch eine weitere Lasche verdeckt - ich könnte dann immer die Produktdesigner dieser Welt wegen Praxisferne verwünschen. In einem solchen Fall hilft übrigens nur die manuelle Eingabe des Barcodes, die unnötig Zeit in Anspruch nimmt. Ebenso verhält es sich, wenn das Produkt überhaupt nicht ausgezeichnet ist. Dann muss ich den Preisdienst rufen, das sind im Markt befindliche Mitarbeiter, die dann nach dem Preis laufen.
>> 4. Das liebe (Plastik-) Geld
Am Ende des Kassiervorgangs mit mehr oder weniger endlosem Gepiepe und Geratter steht ein doppeltes Rattern als akustisches Signal für das Drücken der "Summe"-ntaste. Der Kunde zahlt dann mit Bargeld, ich tippe den Betrag ein und nutze meist die Anzeige des Displays, um mir das Kopfrechnen zu ersparen, wie viel ich rauszugeben habe, um das möglich zu machen, springt freundlicherweise die Kasse auf, die ich ohne Schlüssel aus dem Kassenbüro sonst nicht manuell öffnen kann.
Nicht anders verhält es sich bei der EC-Kartenzahlung, abgesehen davon, dass ich noch eine Zettel in den Drucker pfriemeln muss, der dann vom Kunden unterschrieben wird. Die Herausgabe von Wechselgeld erübrigt sich dann logischerweise, da nur genau der Betrag vom Konto abgebucht wird, der sich als Warenwert im Wagen befindet.
>> 5. Dem lieben Kunden
Als Großmarkt versucht sich Kaufland ein wenig im "American Style" des Einkaufens. Für uns Kassierer bedeutet dies, dass der Kunde nicht nur König, sondern sogar Kaiser ist. Neben der überschwänglichen Begrüßung gehört dazu auch noch eine nicht weniger liebevolle Verabschiedung. Laut einer der regelmäßig auftretenden Mitarbeiterschulungen, die mich mitunter eher an eine Art von Gehirnwäsche erinnern, mal ganz abgesehen vom "Kundenbekenntnis" (Ja, Assoziationen sind durchaus berechtigt!), sollte unsere Verabschiedung folgendermaßen aussehen: "Danke für Ihren Einkauf, Sie waren zufrieden? -(Reaktion abwarten)- Dann wünsche ich Ihnen noch einen schönen Tag/ Feierabend/ Wochenende, auf Wiedersehen!" Noch optimaler ist es natürlich, wenn man durch EC-Kartenzahlung den Namen des Kunden herausgefunden hat und ihn in dieser Schlussklausel mindestens dreimal persönlich anspricht. Das unverbindliche Lächeln natürlich nicht zu vergessen!
Nachdem ich mir dieses Spiel dann mehrmals angeschaut hatte, wähnte ich mich in der Lage der Selbstanwendung, Motto: "learning by doing". Und dem war auch so. Ich steigerte mein Tempo viertelstündlich und merkte mir zunehmend die gängigsten PLU-Nummern, die auch bei längerem Nichtjobben in meinem Gedächtnis verweilen.
Auch bei meinen direkten Vorgesetzen, abgesehen vom Marktleiter, der sich meinen Namen nicht merken kann (ach, dafür die Namensschilder?), verweile ich im Gedächtnis. Denn als Aushilfe bin ich gern gesehen, zumal ich inzwischen die nötige Kassierkompetenz summa cum laude erworben habe. Wann immer ich einige Tage Zeit finde, mich für meine vier bis fünf Stunden an die Kasse zu setzen (4-5 Tage/ Woche), bin ich gerne gesehen. Auch wenn ich selbst die Sache eher pragmatisch sehe und mich hauptsächlich über den warmen Regen auf mein Konto freue. Mit inzwischen 6,37 Euro pro Stunde (mein Einstiegsgehalt lag bei glatten 6 Euro) kann ich eigentlich nicht klagen, auch wenn es andere Jobs gibt, die mehr einbringen.
Das einzige, woran ich mich partout nicht gewöhnen kann, ist die eingeforderte permanent aufgesetzte Freundlichkeit. Vielleicht fehlt mir dazu die nötige Unterwürfigkeit, ich verlasse mich da lieber auf meine Menschenkenntnis um zu erahnen, wie freundlich der Kunde gerne behandelt werden möchte. Die oben zitierte erwünschte Schlussfloskel benutze ich in der Ausführlichkeit eigentlich nur, wenn der Chef persönlich bei mir einkauft, was sehr selten vorkommt. Einen schönen Tag wünsche ich eigentlich jedem, das gilt aber auch umgekehrt, wenn ich in meinem Halleschen Supermarkt die Kundin bin. Außerdem spare ich mir das aufgesetzte Lächeln, was nicht heißt, dass ich ausschaue, als ob ich grad erst auf eine saure Zitrone gebissen hätte - nein! Ich habe von Natur aus ein sonniges Gemüt. Und genau das verleitet mich auch zu kleinen Schwätzchen mit der Kundschaft, wenn die es auch wünscht und der Kundenandrang selbiges zulässt. Denn bei vier Stunden Akkordarbeit an Samstagen oder um Feiertage herum vergeht selbst mir die gute Laune.
Doch es gibt immer noch genügend persönliche Highlights, die meinen Arbeitsalltag aufpeppen. Und damit meine ich nicht subjektiv ausgewählte Teile der männlichen Kundschaft von 20 bis 30 Jahren, nein, nicht nur, sondern vor allem so was wie...
>> "Buy British": Besonders in den Abendstunden und an Samstagen fallen sie ein, die im Nachbarort stationierten Männer der "British Army" mit ihren Familien. Meistens belagern dann zwei Familien zwei benachbarte Kassen und tauschen, während sie das Band mit *ähm*... eher wenig auswogener Nahrung voll packen (d.h., die Bandlänge reicht nicht aus), noch kurz den neuesten Gossip aus. Und nebenbei werden dann noch die nörgelnden Kinder diszipliniert: "Don’t even think about crying!" Und spätestens, wenn ich mir das Grinsen nicht mehr verkneifen kann, sind sie ganz erstaunt, dass ich so gut Englisch verstehe/ spreche.
>> das Ömchen: Bananen, Joghurt, etwas Brot und Streichkäse befinden sich meist im Einkaufwagen dieser älteren Dame. Mit der Entschuldigung, sich immer noch nicht an den Euro gewöhnt zu haben, schüttet sie sich ihr Kleingeld auf die Hand und fordert mich auf, nach Passendem zu suchen. Ein dankbares Lächeln ihrerseits ist die Folge, noch erfreuter darüber, wenn sie herausgefunden hat, dass man mit mir auch noch etwas "Platt schnacken" kann.
>> den Dummmacher: Ganz im Gegensatz dazu steht dieser Typus von Kunde, der deutlich seine Einstellung zeigt, dass ich ja nur eine dumme Kassiererin bin. Ob dieser Arroganz kriege ich regelmäßig einen zuviel! Und versuche deshalb im Kundengespräch (wenn möglich) meine humanistische Bildung raushängen zu lassen. Oder zumindest durch extreme Schnelligkeit zu glänzen, so dass er (denn fast ausschließlich sind es Männer) mit dem Einpacken nicht mehr nachkommt. Ich weiß, eigentlich gehört sich das nach Kundenbekenntnis nicht, aber ich muss mir ja bei aller Freundlichkeit nicht alles bieten lassen!
>> den Jüngling: Es ist kurz vorm Wochenende, Discozeit, man(n) muss vorsorgen. Sein Dilemma sieht man ihm deutlich an: Kauft er die Kondome jetzt bei einer Dame, die mindestens seine Mutter sein könnte oder bei einer annähernd Gleichaltrigen? Egal, wie er sich entscheidet, die Röte verschwindet wahrscheinlich erst fünf Minuten nach dem Bezahlen wieder.
>> die Touris: Eigentlich nichts besonders, vor allem durch die zahlreichen Campingplätze in der Umgebung bedingt. Und dennoch, wenn mir ein freundliches "Grüß Gott" entgegenschmettert, kann ich mir schon einmal die Antwort: "Wenn ich ihn sehe..." nicht verkneifen...
>> die Triebtäter-Lookalikes: Wenn Zeitschriften mit dem Cover nach unten aufs Band gelegt werden, weiß ich schon, welchen Titel diese haben. Vornehmlich Coupé- oder Praline-Leser Mitte Vierzig, die ausschauen, als würden sie immer noch bei Mutti wohnen, stehen dann vor mir und rollen die Zeitungen ganz schnell zusammen. Kommt dann noch ein Sechserträger Bier dazu, möchte ich mir lieber gar nicht erst vorstellen, wie der "schöne Abend" aussieht, den ich diesen Kunden wünsche...
Trotz aller Arroganz, mit der manche Kunden auftreten, ist der Job als Kassiererin so schlecht nun doch wieder nicht. Mit meinem Status als Aushilfe bin ich sehr zufrieden, längerfristig könnte ich mir diesen Job jedoch nicht vorstellen und bewundere meine Kolleginnen, die ihre 37,5 Stunden in der Woche abreißen. Die meisten von ihnen sind Russlanddeutsche, die ihren gelernten Beruf hier in Deutschland nicht ausüben können. Unter den Aushilfen, die wie ich nur für maximal 50 Stunden im Monat angestellt sind, befinden sich vor allem junge Mütter und Schüler (ab 16), die ihr Portemonnaie aufbessern wollen.
Kassierer werden eigentlich immer gesucht, da die Fluktuation besonders unter den Aushilfen recht hoch ist. Jedoch sollte man auch eine gewisse Stressresistenz mitbringen, um den Anforderungen bei immensem Kundenandrang gerecht zu werden und dennoch keine Fehler zu machen. Menschenkenntnis und eine gewisse Grundfreundlichkeit ist abgesehen von einem eintragsfreien polizeilichen Führungszeugnis ebenfalls von Vorteil. Der Job kann auch von Ungelernten schnell bewältigt werden, ist dafür aber auch nicht sonderlich anspruchsvoll. Ich trainiere meinen Geist durch meine Fremdsprachenkompetenz, spreche also mit englischsprachigen Kunden meist in ihrer Muttersprache, oder durch die ständige Wiederholung der PLU-Nummern. Neben den geistigen Schäden, von Obst und Gemüse dann nur noch in Nummern zu sprechen, kann es als mögliche Folge von erzwungener Fehlhaltung zu Rückenschmerzen kommen.
Insgesamt drei Sterne und eine Weiterempfehlung (aber andererseits ist mir mein Rücken wichtiger als das Geld) für einen Job, den jeder einmal gemacht haben sollte, um über ihn wirklich urteilen zu können.
"143 bitte Rückruf 12!" heißt übrigens so viel wie "Sannah, auf der Stelle ins Kassenbüro!" weiterlesen schließen
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