Pro:
gut trinkbar, leicht bis kräftig im Geschmack, sehr günstigtig
Kontra:
hält nicht unbedingt, was er verspricht, kurzer Abgang
Empfehlung:
Ja
Hallo Freunde des guten Weins,
wieder einmal bin ich unterwegs in geistreicher Mission: Die Entdeckung eines wirklich guten Weines aus dem Segment eines Discounters. Die Herausforderung darin ist, dass der Wein (egal ob rot, rosé oder weiß) so günstig wie nur möglich ist….
===Fragliche Strategien===
Nachdem sich die Medien gegen die immer größer werdende Billigweinauswahl der Supermärkte richteten, wandelten sich die Inhalte der Reihen immens. Rebensäfte á la Pennerglück in der handlichen 2-Liter-Flasche gaben ihren Platz frei, Tetra-Packs verschwanden in die unterste Schiene. Eine kleine Markenlandschaft - teils in ominös geformten Flaschen mit gut durchdachten Namen - zog in die nun frei gewordenen Regale ein. Bekannte Winzernamen wie Rothschild, Gallo oder Robert Weil waren nun gut leserlich platziert. Den Riesling gab es nun ebenso trocken zu kaufen wie den Cabernet, den Merlot oder Spätburgunder. Die Qualitätsstufen lesen sich wie Bestseller: vom deutschen Eiswein, über französische Bordeaux bis hin zum DOCG – Cava aus Spanien. Mit Erfolg. Die Rechnung der Supermärkte geht auf: Die Kunden kaufen ein. Klar, denn das toll formulierte Angebot klingt nicht nur fantastisch, es ist auch mörderisch günstig. Wesentlich preiswerter als direkt beim Weinhändler, geschweige vom Winzer. Und das direkt vor der Haustür, immer und immer wieder zum Mitnehmen. Wer kann dazu schon nein sagen?
Dieses Prinzip wissen natürlich Aldi und Co zu schätzen. Hier setzt man weniger auf Markennamen, hier muss der Preis stimmen. Das dubiose an der Nummer ist, dass man hier zwar eine geringere Auswahl an Sorten und Richtungen vorfindet, die Qualität fast ausschließlich im hochwertigen Bereich ist. Einen Tafelwein findet sich hier ebenso wenig wie die Tetrapak-Kollegen vom Mitbewerber „EDEKA“, dem übersüßten „Balaton“ der ungarischen Urlaubsregion oder dem missglückten Roten unserer französischen Nachbarn. Der Begriff „Gut und Günstig“ wäre hier am Besten angebracht. Was läuft hier falsch?
Offenbar fragt sich niemand, wie ein beispielhaftes Anbaugebiet namens Mosel einen reinen Eiswein in solchen Mengen produzieren kann, dass ein Aldi, ein REWE und ein Sondermarktpostenmarkt ihre Großlager damit füllen können? Auch im Piemont ist die Rebsorte Barolo sehr begehrt, was ihn teuer und sehr hochwertig werden lässt. Doch auch hier müssen die Winzer irgendwie zaubern und zusätzliche Reben kreieren, damit der gigantische Bedarf unserer Einkaufsstätten erfüllt werden kann. Geht das überhaupt? Oder wird da nachgeholfen und das ein oder andere Gesetz umgangen?
Man weiß es nicht und so schnell wird sich hier wohl auch keine Antwort finden lassen. Bleibt uns also nur, die internen Wein-Gangways der Discounter abzulaufen, um dem einen oder anderen Angebot zuzusprechen.
Heute soll der zweitgrößte Discounter Deutschlands sein Können beweisen. Auch „Lidl“ bietet seinen konsumfreudigen Kunden ein kleines aber gut klingendes Weinsortiment an. Neben einem dezenten Standard-Angebot weilen im Kern des Ladens tatsächlich nette Tröpfchen, welche in Form von Sonderangeboten an den Mann gebracht werden. Hier trifft der „Amarone“ (€ 14,00) auf den „Barolo“ (€ 10,00), der „Shiraz“ (€ 6,00) auf den „Tempranillo-Merlot“ (€ 8,00). Schön dumm, wer hier nicht mal ein kleines Vermögen investiert und diese Weine für den gemütlichen Abend am Kamin mit nach Hause nimmt.
Doch ich möchte wissen, was ist dran am „Ein-Euro-Neunundachtzig-Tempranillo“, den „Lidl“ derzeit im Angebot hat? Kann ein so günstiger Traubensaft zumindest die Mindesterwartungen erfüllen oder ist es ein untrinkbares Zeug? Ist die Weinbeschreibung des Herstellers überhaupt treffend?
===Punkt für Punkt==
Erwartungsvolle Menschen werden laut dem Rückenlabel zum Kaufen animiert. Natürlich, denn welcher Hersteller würde seinem Produkt – egal wie teuer oder günstig es sein möge – keinen Negativstempel aufdrücken, auch wenn dies so manches Mal besser wäre. Dem Kunden somit wesentliche Mengen an Geld und ärgerlichen Fehlkäufen ersparen könnte. So verfasst Vertriebsmarke „Vineris“ einen recht vielversprechenden Text auf dem Rückenlabel, welcher sich auf einen charaktervollen, kräftigen, fruchtigen Rotwein stützt. Auch wenn sich die dreisprachige Version im ersten Ansatz mehr als positiv zum überlegenden Käufer rüberkommt, doch mal ehrlich drüber nachgedacht: Sagt es hier überhaupt etwas über den Wein aus? Kommt uns das nun etwa spanisch vor?
Na ja, so manches Mal hat dieser Spruch sogar etwas Übertragendes an sich, denn dieser rote Rebensaft hier stammt tatsächlich aus Spanien, nämlich aus der kastilischen Provinz namens La Mancha. Wer kennt nicht den irren Eselsreiter Don Quichote, der hier im La Mancha gegen die wahnsinnig bösen Windmühlen ankämpfte? Der Held hier schlechthin. Er gilt sozusagen als Wappentier der Region.
Der wahre Hersteller, die Bodegas Mezquiriz, setzt auf die wohl wichtigste und bekannteste Traube des Landes: dem Tempranillo. Eine Rebsorte, die durch ihre Kraft und äußerliche Fülle recht wohlige, säurebetonte Rote von sich gibt. Daher sind alle reinen Tempranilloweine mit dieser Eigenschaft beschaffen. Ohne Wenn und Aber. Lediglich die Verbindung (Verschnitt) mit anderen Rebsorten (Merlot, Garnacha) schafft leichtere, tanninärmere Kompositionen. Für mich allerdings ist der Tempranillo eine recht tolle, Rebsorte, die auch im Alleingang absolut ihren spanischen Mann steht.
Dieser Tempranillo hier setzt erste, typische Akzente. Ist der künstliche Pfropfen rausgepopelt und der erste Schluck im Glas, erkennt selbst der bekennende Laie sofort, dass es sich hier um keine leichte Angelegenheit handeln dürfte. Kräfte, dunkelrote Farbnuancen schwimmen im Glas, dank der vorhandenen Säure balancieren niedliche kleine Bläschen die ein oder andere Sekunde lang am Flüssigkeitsrand, auf der Suche der korrekten Lage, um dann nach und nach am richtigen Fleck vor sich hin zu platzen. Keine Eigenschaften, die nun einen hervorragenden Wein vorhersagen, aber immerhin, es sind erste Vorherbestimmungen, die man im Vorwege treffen kann.
Etwas vermisse ich die (hoffentlich noch kommenden) Aromen für Nase, denn einen wahren Tempranillo zeichnen sich deutliche Noten von Kirschen, würzigen Kräutern oder zumindest ein paar dunklen Beeren nach, die sich im Geschmack später widerspiegeln sollten. Doch hier muss ich meinen Riechkolben erst tief ins Glas stechen, damit ich die vermissten Aromen deutlich vernehmen kann. Gut, sie sind vorhanden, wenn auch nicht so deutlich wie erhofft, aber immerhin.
Das Schwenken des Glases bringt auch die klassischen „Kirchenfenster“ am Glasinneren erwartungsgemäß zum Vorschein. Der recht flotte Verlauf gen unten bestätigt, dass die wenigen vorhandenen Extrakte sowie der geringe Restzuckergehalt einen Wein hervorbringen, dessen Farbe nur einen schweren, voluminösen Wein vortäuschen dürfte. Aber wir werden sehen, was die Geschmacksprobe ergibt.
===Kirsche ahoi===
Tatsächlich. Dunkle Beeren, reife Kirschen, einen Hauch pfeffrige Würze – meine Geschmacksnerven richten zumindest diese Erkenntnis an mein Haupthirn weiter. Die etwas zu kräftigen Tannine dagegen bevölkern meinen Mund wie nichts Gutes, lassen den Gaumen unwirsch werden. Ganz klar: Der Wein ist trocken. Ich bin ein wenig überrascht, dass die geschmacklichen Aromen sich recht vielfältig im Mund entfalten, sogar im Abgang (beim Herunterschlucken) recht lang verbleiben. Wären da nicht die nervigen Tannine. Offenbar braucht der Wein eine gute Begleitung.
Ich versuche es mit etwas Gebratenem. Lammchops in einer aromatischen Rosmarinsauce mit klassischen Bohnen, dazu krosse Röstkartoffeln stellen die Herausforderung dar. Im normalen Fall bietet das Gericht die perfekte Grundlage für einen Tempranillo-Wein. Die Kraft des Lammfleischs bietet dem Spanier wunderbares Kontra, die würzige Sauce sowieso und die krossen Erdäpfel bringen das Ensemble zusammen. Wird es unserem Probanden gelingen hier mitzuhalten?
So richtig mag der günstige Lidl-Rote nicht dagegenhalten wollen, es mag ihm einfach nicht gelingen. Das Lamm reißt die Aromen des Weines einfach mit sich, wie die Niagarafälle ein einsam dahin schwimmendes Bambusboot. Weggefegt sind all die Kirschen und dunklen Beeren, von Würze keine Spur. Dank der kräftigen, im Alleingang doch störenden Tannine verspürt man zumindest noch einen geringen Teil des Getrunkenen. Der kräftige Rosmarin gibt dem Tempranillo den Rest, selbst die Kartoffeln haben ein leichtes Spiel mit ihm. Lediglich die Bohnen verlieren das Spiel. 3:1 für das Gericht.
Bei der Käsevariation sieht die Sache schon anders aus. Der Emmentaler versteht sich bestens mit dem Eins-Neunzig-Angebot, auch der Brie hat keine Probleme. Beim Chili-Frischkäse kommen nun endlich die vielfachen Bitterstoffe zum Einsatz. In diesem Fall helfen sie die Kombination aus leichter Schärfe und fruchtiger Einheit harmonisch zu verbinden. Überraschend fand ich die doch gelungene Harmonie mit der etwas…ähm… geruchsintensiveren Käse - Fraktion. So kommt der Tempranillo wunderbar mit dem reifen Munster zurecht, selbst dem Harzer Roller kann man nicht vorwerfen, dass er mit keinem Wein harmonieren würde. Lediglich der Roquefort möchte seine Kraft nicht abgeben und bleibt als Sieger im Rennen.
Ein Wein nur für Käse? Hmm… recht armselig, oder? Warum nicht einmal etwas dazu knabbern? Die Kartoffelchips (normal) gehen sowas von unter, 1:0 für unseren Probanden. Ebenso sind es die Salzstangen und Ernussflips die chancenlos das Siegertreppchen verlassen müssen. Heftig eklig wird die Sache bei den gesalzenen Erdnüssen. Dies Kombo ergibt wohl die Geschmacksexplosion des Jahres, sofern man einen Scherzartikelladen betreibt. Auch die Rocher sind keine sonderlichen Weinexperten.
Etwas besser sieht dagegen die Schokolade aus. Während die Vollmilchversion chancenlos unter das Fahrwasser gerät, verbinden sich die Nussprobanden mit dem Wein recht harmonisch. Auch die Halbbittervariante spielt ein gemeinsames Spiel mit den Tanninen des Tempranillos. Das ist schon eher selten. Natürlich sind all die süßen Proben hier keine ideale Lösung, aber wer heute mal nur seinen Rotwein zum DVD-Abend genießen möchte, der darf beruhigt zum empfohlenen Knabberkram greifen.
===Also
Lidls Ein-Euro-Neunzig-Tempranillo aus dem spanischen Don-Quichote-Exil La Mancha ist keine allzu schlechte Sache. Sicherlich bietet dieses D.O.-Exemplar keinen Grund sich über ein absolut gelungenes Schnäppchen zu ereifern, aber immerhin ist der kräftige Schluck sein Geld wert. Vom Hersteller als charaktervoll bezeichnet, kann der spanische Rote hier in Farbe und Tanninbeschaffenheit punkten. Wer es gut trocken und bitterstoffreich mag, wird recht zufrieden sein mit diesem Wein.
Die Geschmacksnuancen von Kirschen, reifen Beeren und würzigen Kräutern sind vorhanden, von einem langanhaltenden Abgang kann hier allerdings kaum die Rede sein. Störend sind meiner Ansicht nach die kräftigen Bitterstoffe des Weines, die ihm in der Kombination mit Käse und Schokolade allerdings hilfreich zur Seite stehen. Einem Lamm gegenüber muss sich der Spanier geschlagen geben. C´est la vie mon cherry!
Nun denn, was will uns das Ergebnis sagen? Dass ich ein wenig über die doch vorhandene Qualität dieses Billigweines überrascht bin! Unglaublicherweise muss ich dem guten Stück hier knappe, aber freundliche vier Sterne geben, was ihn als absoluten Sieger aller meiner bis dato abgecheckten Discounter-Weine macht. Herzlichen Glückwunsch! Womit wieder ein kleines Stück Ehre wiederhergestellt wäre, dass in einem günstigen Angebot nicht unbedingt etwas Negatives stecken muss. Discounter Lidl hat (einmal abgesehen von den vorher erwähnten, ungeklärten Fragen) offenbar ein gutes Gespür für ein vernünftiges Preis-Leistungs-Verhältnis. Prima, weiter so. Hier können sich andere Discounter eine Scheibe abschneiden.
===Grundinfos===
Rebsorte: Tempranillo
Herkunft: Spanien/ La Mancha
Jahrgang: 2009
Geschmacksrichtung: trocken
Qualitätsstufe: D.O.
Alkoholgehalt: 12,5% Vol.
Preis: € 1,89
Discounter: Lidl
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