Am kürzeren Ende der Sonnenallee (Taschenbuch) / Thomas Brussig Testbericht

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ab 7,61
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Erfahrungsbericht von xtombrix

Ein Leben im Schatten der Mauer - war es wirklich so?

Pro:

unterhaltsam und leicht lesbar, ein Blick hinter die Mauer

Kontra:

nicht so gut wie der Film, zum Teil Erinnerungsverklärung und damit Gefahr der Verharmlosung der DDR

Empfehlung:

Ja

Den meisten dürfte der Film "Sonnenallee" von Leander Haußmann ein Begriff sein. Er war ein Kassenschlager, beleuchtet das Leben in Ostberlin auf seine eigene Art und lebt unter anderem von der Filmmusik (Puhdy, Nina Hagen). Prädikat: Sehr sehenswert, wenn auch teilweise an Erinnerungsverklärung leidend.

Dass es auch ein Buch zum Film gibt, wissen wahrscheinlich die wenigsten. Es stammt von Thomas Brussig und trägt den Titel "Am kürzeren Ende der Sonnenallee". Leider - und das sage ich mit Bedauern - leidet auch dieses Filmbuch an einer beklagenswerten Filmbuchkrankheit: Es kann gegen den Film nicht bestehen. Das hängt weniger mit den Ideen und der Schreibweise zusammen als vielmehr mit den Bildern im Kopf, die immer da sind, wenn man erst den Film gesehen hat. Wäre das Buch das Original, sähe es wohl anders aus. So aber fließt an allen Stellen das Drehbuch mit ein.

Worum geht es: Micha Kuppisch lebt gleich neben der Mauer in Ostberlin. Er sieht sich unter doppelte Aufsicht gestellt. Da sind zum einen die gaffenden Wessis (die man jedoch auch verulken kann), zum anderen aber die Staatsmacht in Gestalt des ABV (= Abschnittsbevollmächtiger = Volkspolizist, der für ein Gebiet zuständig ist), der Grenztruppen und der FDJ-Organisation. Diese "Organe" erscheinen jedoch fast immer lächerlich - ein Ärgernis, denn ihre Handlungen und Zumutungen waren in vielen Fällen alles andere als lächerlich. Von humoresken Einlagen über die Staatsmacht leben jedoch Buch und Film gleichermaßen.

Wie viele DDR-Bürger versteht es Micha, in Nischen auszuweichen. So lebt er mit seinen Freunden das Leben eines Jugendlichen wie überall: Er verbringt seine Freizeit mit der Clique (in der Disco und auf der Straße), hört Musik (am liebsten Verbotenes aus dem Westen) und verliebt sich. Sein Schwarm ist Miriam, die Unerreichbare - dass er sie am Ende doch bekommt, versteht sich fast von selbst. Dazwischen liegen verschiedene Anläufe, die unterhaltsam und auch skuril sind: ein Liebesbrief im Grenzstreifen, die Tanzschule, das Warten auf einen versprochenen Kuss. Daneben spielen der Onkel aus dem Westen und eine Stones-Platte eine große Rolle. Mehr will ich hier aber nicht verraten.

Letztlich will das Buch zeigen, dass Jugendliche immer und überall ihr Leben leben. Das ist durchaus gelungen - witzig, spritzig, ironisch. Als Geschichtsbuch will und kann es nicht gelesen werden. Wer die andere Seite der DDR erahnen will, der lese ergänzend "Die wunderbaren Jahre" von Rainer Kunze und "Die neuen Leiden des jungen W." von Ulrich Plenzdorf.

Das Buch ist erhältlich beim Fischer Taschenbuch Verlag und kostet 7,90 Euro.