Biege,Holger Wenn Der Abend Kommt/Circulus Testbericht

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Erfahrungsbericht von catmother

Nostalgischer „Ostbeat“ vom Feinsten

Pro:

richtig gute Texte für jede Stimmung

Kontra:

kein

Empfehlung:

Ja

Nun will ich endlich mal meinen ersten Musik-Beitrag leisten, wo ich doch sonst eher über Filme und Bücher berichte. Und über was könnte ich besser schreiben, als über Musik, die mir selbst irgendwie am Herzen liegt. Wieder entdeckt vor einigen Monaten, als mein Freund bei mir eine Reihe von Platten auf Kassetten überspielte – wie altmodisch, aber ich hatte ihm ein ganz modernes Radio mit CD-Player und Kassettendeck zum Geburtstag geschenkt und seitdem pausenlos alte Platten ausgräbt.

Beim Überspielen hörten wir dann diese hier und irgendwie hatte ich sofort wieder die Texte im Gedächtnis und konnte das eine oder andere Lied mitsingen. Nun will ich euch diesen Meilenstein in der Geschichte des DDR-Rock nahebringen.


** über den Sänger **
Holger Biege wurde 1952 in Greifswald (an der Ostsee) geboren. Er bekam seit seinem 9. Lebensjahr Klavierunterricht und komponiere bereits mit elf Jahren seine ersten Stücke. Wegen der offensichtlichen Begabung studierte dann Klavier und Gesang an der Musikhochschule Berlin.
Seine Stücke kann man zwischen Schlager und Chanson einordnen.

Die erste LP \"Wenn der Abend kommt\" mit den Hits \"Als der Regen nieder ging\" und \"Sagte mal ein Dichter“ erschien schon 1978, kurz darauf die zweite „Circulus“.


** Seine Musik **
Heute würde man Holger Biege als Liedermacher bezeichnen. Seine Musik zeichnet sich vor allem durch ruhige Arrangements und besinnliche Texte aus. Dazwischen gibt es immer mal wieder richtig rockige Stücke und Instrumentalsolos.
Alle Kompositionen und Arrangements wurden von Biege selbst geschaffen, und er schrieb auch gelegentlich Texte dazu. Später komponierte er dann auch für seinen Bruder Gerd Christian, der ebenfalls Sänger ist.

Die Texte auf dieser Platte sind alle von Ingeburg Branoner und Fred Gertz, bis auf das Rockerstein-Lied, zu dem Biege den Text selbst geschrieben hat.


** Circulus **
Die Lieder dieser Platte entstanden zu unterschiedlichen Zeiten; einige sind von ihrer Idee her schon mehrere Jahre alt gewesen, einige wurden damals vor Erscheinen der Platte 1979 geschrieben.


Cola-Wodka
Ein sehr rockiges Stück, das von einer Party erzählt, bei der wohl das beliebte Getränk in Strömen floß und beim Erzähler einen Filmriß verursachte. Selbst das Mädchen, das er abschleppte, war scheinbar nicht so der Erfolg.


Wie habe ich das Jahr verbracht
Hier besingt Biege das erste Jahr mit der neuen Liebsten. Es gab schlechte und gute Tage, es gab Liebe und Streit, aber er findet, „daß es ganz gut ging“, auch ohne Standesamt und Ring. Er kann nicht nur nicht verstehen, warum sie mit ihrer Liebe so spart. „Aber die Tage waren nie leer, waren nie ohne Sinn. Fiel mir auch manche Stunde mal schwer, kam ich doch drüber hin.“
Hauptinstrument ist hier das Klavier, die den Text melancholisch untermalt. Der Refrain wird dann stärker betont durch Flöte und Streicher und schwillt fast zu einer Symphonie an.


Kinderlied
Dieses Lied macht richtig Spaß. Hier meckert der Erwachsene über die Jahreszeiten: Im Winter ist es zu kalt, im Sommer zu warm, im Herbst fühlt er sich durch das Niesen des Nachbarn gestört. Der Kinderchor, der den Refrain singt, sieht das nicht so, denn Kinder können jeder Jahreszeit etwas abgewinnen.
Allerdings kommt dann der Haken, denn auch die Kinder monieren:
„Wenn sich Große unterhalten, kommen sie auf dies und das. Und wir stehen oft daneben, denn das macht uns keinen Spaß.“ „Seid doch stille, laßt uns reden. Ich erklär es euch nachher. Denn das intressiert doch jeden.“
„Du bist gut! Wir danken sehr!“
Hier herrscht eindeutig das Piano vor, denn der Refrain wird durch den Chor getragen, und eine weitere Instrumentierung ist nicht nötig.


Robinson
Biege erinnert sich an seine Kinderzeit und an die Träume über Abenteuer, die man eben als Kind so hatte. Die Tage waren so „weit“, eng die Stuben, und man hatte soviel Zeit. Heute geht der Alltag an die Substanz, man hetzt durch die Zeit.
Gern wäre er wieder einmal Robinson, auf einer Insel mitten im Meer, alles andere weit weg. Zu sich selbst zu finden, und sei es nur für eine kurze Zeit, davon träumt wohl jeder, auch heute noch.
Hier sind alle Instrumente zu finden, die man für eine gute, kräftige Orchestrierung braucht: Bläser, Streicher, Schlagzeug und natürlich das Piano.


Rockerstein & Co.
Im zweiten sehr rockigen Stück lädt er jemanden zu einem Konzert der Gruppe Rockerstein & Co. ein, ins Clubhaus der Stadt. Die Karten waren schwer zu bekommen, aber es hat sich offenbar gelohnt..
Das Lied ist vor allem mit Drums und einer E-Gitarre instrumentiert. Den Text versteht man leider nicht so gut und insgesamt ist es für mich das Stück der Platte, das mir am wenigsten gefällt. Aber ich stehe eben eher auf die ruhigen Sachen.


Circulus
... ist ein reines Instrumentalstück des Klavierspielers Biege. Es ist für drei Klaviere geschrieben und lebt von der Montage verschiedener Tongruppen. Anfangs werden die recht eintönigen Gruppen quasi vorgestellt, vermischen sich dann in einer strengen Symmetrie und werden gegen Ende hin aufgelöst. Es erinnert mich an nervt ein wenig, dauert aber gottseidank nicht lange.


Annabell
Annabell will mitten in der Nacht fort und der Sänger versucht sie zu überreden, noch zu bleiben. Schließlich ist sie ja gerade erst gekommen und er hätte sie schon längst nach Hause gebracht, wenn er gewollt hätte, daß sie geht.
Das Stück ist anfangs geradezu zärtlich arrangiert, wird aber dann sehr rockig und laut. Ein Schlaflied ist dann wohl eher nicht.


Zuweilen kommt es vor
Der Mann macht sich Gedanken darüber, daß die Liebste zuweilen völlig abwesend ist und an etwas anderes denkt, wenn sie mit ihm zusammen ist. Er hat Angst, sie könnte sich von ihm abwenden. Sie soll doch die kostbare Zeit nicht mit Gedanken an ein mögliches Ende vertrauern, das doch keiner von den beiden will.
Dieses Lied hat eindeutig etwas von einer Ballade, intensiv und kräftig, harmonisch und drängend. Einfach schön.


Es gehen die Tage
„Es gehen die Tage, und was wird bleiben? Manchmal wähn‘ ich mich schon im Kreis zu treiben.“ Soll heißen, man geht doch immer die gleichen Wege, wiederholt sich so oft in seinen Verhaltensweisen – aber man soll sich trotzdem nie willenlos treiben lassen, jeder Aufgabe immer wieder neu angehen. Außerdem sollte man sich stets Gedanken darüber machen, was man mit seinem Leben anfängt.
„Es gehen die Tage. Du stehst und siehst. Es bleibt vom Fluß doch nur, daß er fließt.“ Ist das nicht ein schöner Satz?


Septemberliebe
Die beiden lernten sich offenbar kennen, als es Herbst wurde. Und scheinbar ist er darüber froh, daß sie noch da ist, jetzt wo die Nächte kühler
Der Text strotzt nur so von wunderschönen Bildern über eine Zeit, die nur deshalb in Erinnerung bleibt, weil man ein besonderes Ereignis damit verbindet. Sonst würde man brennende Blätter und fallende Kastanien vielleicht garnicht wahrnehmen.
Das Stück wird von der Musik eines ganzen Orchesters getragen und vom Chor untermalt.


Nimm mich so
Dieses Lied hat mich immer am meisten beeindruckt. Hier zeigt ein Mann Gefühle, gibt zu, daß er es auch manchmal satt hat und gelegentlich einfach eine Auszeit braucht, um wieder zu sich selbst zu finden. Dafür bittet er um Verständnis. Auch dafür, daß er eher jemand ist, der über seine Probleme nicht sprechen kann.


Reichtum der Welt
Dieses Lied gehört neben „Sagte mal ein Dichter“ auf der Platte „Wenn der Abend kommt“ für mich zu den schönsten Stücken von Holger Biege. Es macht mich immer traurig, weil es so anklagend und mahnend ist und man doch weiß, daß der Appell vergebens bleibt.
Den Text möchte ich euch hiermit vorstellen.

Groß ist der Reichtum der Welt heute noch,
und unsre Erde bleibt unser Stern.
Wenn auch die Menschheit heut schon nach andern Sternen greift,
bleibt die Erde der eine Stern, wo alles wächst und reift.

Gibt es den Reichtum der Welt morgen noch,
oder ist vieles davon schon hin?
Die Luft, die uns erst leben läßt, hüllt den Erdball ein.
Soll für alle, die nach uns kommen sie schon vergiftet sein?

Gibt es den Reichtum der Welt morgen noch,
oder ist vieles davon schon hin?
Das Land und auch die Ozeane können sich nicht wehr‘n.
Ihre Schätze soll‘n Späteren auch so wie uns gehör‘n.

Gehört der Reichtum der Welt allen schon,
oder bleibt vielen nicht viel versagt?

Hätte es damals in der DDR schon eine grüne Partei gegeben, das wäre vielleicht ihre Hymne geworden. Ich finde es jedenfalls wunderschön.


** Daten **
Erschienen ist die Platte damals bei Amiga. Heutzutage gibt es noch eine Doppel-CD mit den beiden Platten „Circulus“ und „Wenn der Abend kommt“. Die kostet 9,90 € bei amazon.


** Meine Meinung **
Mit Biege als Liedermacher kann für meine Begriffe nur Herbert Grönemeyer in seinen früheren Jahren mithalten.
Klar ist das eher was für den Nostalgiker, der die Musik noch aus der DDR-Zeit kennt, aber vielleicht entdeckt ihn ja auch mal jemand anders neu.

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