Wir Kinder vom Bahnhof Zoo (Taschenbuch) / Christiane F. Testbericht

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ab 7,49
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Summe aller Bewertungen
  • Handlung:  spannend
  • Niveau:  anspruchsvoll
  • Unterhaltungswert:  durchschnittlich
  • Spannung:  hoch
  • Humor:  wenig humorvoll
  • Stil:  durchschnittlich

Erfahrungsbericht von campimo

Dieses Schicksal erleiden immer wieder 1000e von Kindern

Pro:

s.u.

Kontra:

s.u.

Empfehlung:

Ja

Das Buch von Christiane F. war zu meiner Kind- und Teenagerzeit sehr populär, womit auch deutlich wird, wie das Buch über 25 Auflagen erreichen konnte. In meinem Umfeld gab es niemanden, der es nicht kannte. Dieses Werk war nahezu ein Brennpunkt. Jeder wollte es lesen, aber viele durften noch nicht, wegen der Eltern bzw. des Alters. Unter den Erwachsenen (Lehrern und Eltern wurde heiß diskutiert, ob das Buch guten oder schlechten Einfluß auf Jugendliche und Kinder ausübt). Zum ersten mal las ich Christiane F. mit 12 Jahren, von der Mutter eines Klassenkameraden ausgeliehen. Als ich so ca. 18 war habe ich es mir dann selbst gekauft und mindestens 10 mal gelesen.

Das Buch „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ ist die Drogen - Autobiographie von Christiane, die anstelle eines Nachnamens das Pseudonym F. angibt. Bei Erscheinen der Erstauflage war die ehemals Heroinsüchtige 24 Jahre alt, hatte aber bereits so viel erlebt / durchgemacht, wie andere Menschen mit 40 Jahren noch nicht. Damals unterstellten einige Schandmäuler, Christiane hätte durch die Bewältigung ihrer Sucht viel Geld gemacht. Doch sie war noch nicht darüber hinweg, sondern hatte noch mehrere Rückfälle, wie Jahre später aus den Medien zu entnehmen war.

Die Autobiographie beschreibt Christianes Leben in Berlin, eingangs in dem zu Neukölln gehörenden Bezirksteil Gropiusstadt. In diesem Hochhaus-Ghetto lebte sie mit ihren Eltern und später mit der geschiedenen Mutter und einer Schwester, die recht bald zu ihrem Vater zog. Da die Mutter sehr viel Zeit und Kraft für einen schlechten Job verwendet, hat sie keinen Sinn für die Kindeserziehung.

Angefangen hat alles in der neuen Schule, der Gesamtschule, wo Christiane infolge der Nachlässigkeit ihrer Eltern die ersten zwei Wochen versäumte und daher Probleme hatte, sich in dem für sie komplizierten System der Gesamtschule zurechtzufinden. In ihrer Jahrgangsstufe war Kessy, ein besonders beliebtes Mädchen, deren Freundschaft Christiane sich sehr wünschte. Durch Kessy kam Christiane in eine Clique, die in einem Jugendfreizeitheim Drogen nahm. Um dazugehören zu können rauchte sie – als 12jährige - Haschisch, obwohl sie damals eigentlich nicht kiffen wollte. Mit den gleichen Leuten begann sie mit Trips und allen möglichen Medikamenten. Kurz nach ihrem 13. Geburtstag begann sie die Diskotheke „Sound“ zu besuchen - wissend daß dort auch die Drogenszene ist - , wo sie neue Bekanntschaften machte, unter anderem einen Fixer. Nach und nach lernte sie mehrere Fixer kennen, erlebte wie von Zeit zu Zeit jemand aus ihrer neuen Clique auf Heroin umstieg und bemerkte auch daß aus der alten Clique von Jugendfreizeitheim einige mit Heroin begonnen hatten. Christiane fing mit 13 an Heroin zu nehmen.

Ihre Mutter bemerkte die Sucht erst lange Zeit später, als Christiane das Badezimmer auffallend lange besetzt hielt, da sie nach dem Fixen umgekippt war und Blut verspritzt war. Auf das Drängen der Mutter macht Christiane zu Hause einen körperlichen Entzug, bei dem sie durch Medikamente versuchten, die Entzugserscheinungen etwas abzumildern. Mutter und Tochter dachten damals, die Sucht wäre vorbei, wenn die körperlichen Entzugserscheinungen durchgestanden sind. Als Christiane das erste mal wieder die Wohnung verließ, fuhr sie sofort zur Drogenszene und spritzte sich wieder Heroin. Diese Art des Entzugs hat Christiane mindestens sechs mal wiederholt, bevor ihr die Worte Therapie und psychische Abhängigkeit ein Begriff wurden.

Mitte der 70er Jahre stellte der Staat wenig Geld für Drogentherapien bereit und die Krankenkassen bezahlten keine Drogen-Thrapien. Die staatlichen Therapieplätze reichten nicht für alle Drogenabhängigen, so daß Christiane keinen Therapieplatz bekam. Um trotzdem eine Therapie machen zu können meldetet sie sich bei „Narkonon“ an und ist dabei auf die Sekte Scientology hereingefallen, wovon sie und ihre Mutter damals noch nichts gehört hatten. Dort ist sie immer wieder weggelaufen und hat Heroin genommen und wieder entzogen, bis ihre Eltern sich weigerten diesen Platz weiter zu bezahlen. Aus Verzweiflung hat Christiane sich einige Zeit später sogar in die Karl-Bonhöfer-Nervenklinik einweisen lassen, was in Berlin eine (immer noch) sehr verrufene Nervenheilanstalt ist. Nach vielen Monaten und einigen Ausbruchsversuchen hatte sie es geschafft, zu fliehen und landete wieder direkt auf der Drogenszene. Zu ihrer Mutter bekam sie erst wieder Kontakt, als diese sie nach einer Festnahme bei einer Drogenrazzia aus dem Gefängnis abholen mußte. Christiane, die inzwischen schon 15 Jahre alt war wurde von ihrer Mutter zu Verwandten in der Nähe von Hamburg gebracht. Christianes Mutter hatte die Hoffnung, die Isolierung von der Berliner Drogenszene könnten zu einem endgültigen Entzug führen. Diese Hoffnung wurde erfüllt, Christiane ließ sich auf ihr neues soziales Umfeld ein, ging wieder zur Schule und bekam einen Hauptschulabschluß. Das Buch endet damit, daß Christiane clean ist, bzw. mit der neuen Clique kifft und einer Hilfsarbeit nachgeht. Also geschafft, hoffentlich bleibt sie clean, kann man als Leser denken. Wie o.g. stand aber Jahre nach Erscheinen des Buchs in der Presse, Christiane sei wieder rückfällig geworden.

Das Buch enthält einige Fotos von Christianes Freunden und Stellungnahmen von Christianes Mutter, dem Pfarrer aus dem Jugendfreizeitheim, einem Psychologen und Drogenberater der Caritas, dem Kriminaloberrat und Leiter der Rauschfift-Inspektion der Berliner Polizei.

Das Buch ist unglaublich spannend und fesselnd. Es zieht den Leser – jeden Alters – völlig in seinen Bann. Es ist aus Christianes Perspektive, als Ich-Erzählerin, in einer naiven kindlichen Sprache, geprägt von Begriffen eines Jugendjargons aus ihrer sozialen Herkunft. So wird das sexuelle Vorspiel z.B. als Fummeln betitelt, Heroin nur H (gesrochen Eytsch) genannt, Entzug heißt Turkey, die psychische Abhängigkeit als Schußgeil bezeichnet, Schoten sind witzige oder besonders freche Sprüche u.s.w.

Ich finde es bewundernswert, wie Christiane es über sich gebracht hat, all das zu veröffentlichen. Sie hat sich selbst eingestanden, immer mehr von den Dingen getan zu haben, die sie nie tun wollte, immer mehr Stolz und letztendlich die Achtung vor sich selbst verloren zu haben, und das auch noch aufs genaueste preisgegeben.

Wie bereits oben kurz erwähnt wurde zu meiner Zeit heiß diskutiert, ob „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ für Jugendliche abschreckend und somit pädagogisch wertvoll oder anregend und dementspechend ein unerwünschter Einfluß ist. Meiner Meinung nach kann das Buch animierend auf Kinder und Jugendliche wirken. Dabei denke ich an Heranwachsende, die selbst aus zerrütteten Verhältnissen kommen und sich daher sehr leicht, sehr stark mit Christiane identifizieren können. Christiane sagt so viel über ihre Wünsche, Gücksgefühle, welche Leute sie bewundert, wie beschissen sie die normalen Leute findet...daß man sich in diese Lebensart positiv hineindenken kann. Ich habe auch andere Bücher über Drogenabhängigkeit gelesen, die ich eher abschreckend fand, weil sie z.B. aus der Perspektive von Angehörigen der Drogensüchtigen geschrieben wurden. Zum Thema Abschreckung oder Animation denke ich, die Biographie von Christiane sollte im Unterricht – auszugsweise – im Zusammenhang mit anderen Büchern, Filmen und Artikeln verwendet werden, so daß eine sinnvolle Unterrichtseinheit entsteht.

Das Buch hat einen weitern Aspekt, über den man diskutieren / nachdenken sollte und zwar den Nebenschauplatz: die Gesellschaft. Der Staat hatte damals kaum Geld für Problemfälle aller Art bereitgestellt. Daher hatten die meisten heroinabhängigen Kinder keine Gelegenheit, eine Therapie zu machen. Seit einigen Jahren kürzt der Staat wieder mehr und mehr die Gelder für den sozialen Bereich, was man in Berlin sehen und spüren kann. In Berlin sind an vielen Ecken Drogensüchtige zu sehen, es gibt sehr viele Straßenkinder ... und parallel dazu arbeitslose Sozialarbeiter, die früher für die Betreuung der erstgenannten zuständig waren. Meiner Meinung nach sind Problemfälle in dieser Art ein großer Aufgabenbereich, für den wir (Bürger) die Politik / den Staat benötigen, der jedoch verantwortungslos handelt oder versagt. Zu kritisieren ist auch die Schulbehörde, da Christiane die Realschule in der Nähe von Hamburg trotz guter Leistungen nicht besuchen durfte, sondern wegen ihrer Drogenvergangenheit auf die Hauptschule verwiesen wurde. Damit befand sie sich in einer verwalteten Perspektivlosigkeit, da sie ihre Leistungen nicht für den eigenen Werdegang einsetzen konnte. Nach der Schule fand sie keinen Ausbildungsplatz und mußte einen Hilfsjob annehmen.

Noch einige wissenswerten Angaben zum Buch: Das Entstehen des Buches wurde von der Redaktion der Zeitschrift „Stern“ angeregt und gefördert. Einige Mitarbeiter des „Stern“ suchten auf einer Gerichtsverhandlung den Kontakt zu Christiane, weil sie ein Interview für ihren Bericht zur Situation von Jugendlichen wollten. Das für zwei Stunden geplante Interview wurde ausgeweitet zu einer zweimonatigen Zusammenarbeit, in der Christiane ihre Geschichte erzählt, die auf Tonband aufgenommen wurde. Die Reporter Kai Hermann, Horst Rieck und Prof. Dr. med Dr. phil Horst-Eberhard Richter schrieben aus diesen Tonbandprotokollen die Drogengeschichte von Christiane nieder. Das Projekt wurde von den überlebenden aus Christianes Clique, den Eltern und einigen Kontaktpersonen unterstützt, indem sie Fotos und Stellungnahmen hinzufügten.

Daten zum Buch: Christiane F., Kai Hermann, Horst Rieck und Prof. Dr. med Dr. phil Horst-Eberhard Richter.: Wir Kinder vom Bahnhof Zoo. Hg.: Henry Nannen. Gruner und Jahr Verlag. Hamburg. 1987. 25.Auflage. ISBN: 3-570-02391-5, Preis (heute) 9,90 € (Ich habe bei wap.booxtra.de nachgeschaut).

Fazit: „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ ist ein sehr ergreifendes Buch, aber keine leichte Kost, also zur Unterhaltung in der Freizeit weniger geeignet, als für Personen die sich ernsthalft mit dem Problemfeld Drogen auseinandersetzen wollen. Ich empfehle das Buch uneingeschränkt an Erwachsene und nicht unbedingt an Jugendliche und Kinder. Wie o.g. denke ich, daß es sinnvoll wäre dieses Buch in einer Unterrichstseinheit oder in einem Seminar zu verwenden. Auf den Preis bezogen würde ich empfehlen, einmal bei Ebay (was Yopi immer anbietet) zu suchen, denn Bücher sind dort oft unheimlich preiswert zu haben.

54 Bewertungen, 3 Kommentare

  • anonym

    09.10.2006, 12:49 Uhr von anonym
    Bewertung: sehr hilfreich

    sh :o)

  • Lebkuchen87

    02.03.2006, 21:14 Uhr von Lebkuchen87
    Bewertung: sehr hilfreich

    sehr ausführlich, gerne Gegenlesung erwünscht! ;)

  • try_or_die87

    01.01.2006, 17:30 Uhr von try_or_die87
    Bewertung: sehr hilfreich

    das buch ist klasse.LG