Mit Hunden sprechen (Taschenbuch) / Jan Fennell Testbericht

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Erfahrungsbericht von coranick

Es geht auch anders...

Pro:

-

Kontra:

-

Empfehlung:

Ja

\"Wie, mit Hunden spechen? Man soll den Hund doch nicht vermenschlichen, heisst es immer,oder was?\" Das waren meine ersten Gedanken, als ich beim Rundgang durch die \"Animal 2001\" in Stuttgart dieses Buch in die Hände bekam. Ich legte es dann auch recht schnell wieder weg und wandte mich anderen Dingen zu.

Einige Wochen später -wir hatten Weihnachtsfeier in unserem Hundeverein- sprach mich ein Vereinskamerad mit den Worten \"Das wäre doch was für deine beiden Spinner\" auf dieses Buch an. Diesen Wink mit dem Zaunpfahl verstand ich dann auch sofort, denn in der Tat sind Cora und Nick stets zu ausgefallenen Spässen aufgelegt, um es mal vorsichtig zu formulieren. Und das verwundert auch nicht weiter: Die Cora, eine undefinierbare graue Mischung aus Vestgötaspets oder Jämthund und Pinscher (so genau weiss das keiner), hatte noch das \"Glück\", ins Tierheim abgeschoben zu werden, nachdem sie ihre ersten beiden Lebensjahre im Keller zugebracht hatte, von Essensresten fett genährt und von den Kindern des Vorbesitzers als Fussball missbraucht worden war. Erziehung und Sozialisierung mit Artgenossen gleich Null und auf kleine Kinder war sie nicht wirklich gut zu sprechen. Auch sonst hat(te) sie jede Menge anderer Macken, wen wundert\'s. Der Nick -ein wunderschöner Appenzeller-Mischling mit vermutlich einem Schuss Beagle- war höchstwahrscheinlich als Welpe ein Weihnachtsgeschenk. Und da der Appenzeller von Natur aus ein sehr temperamentvoller, höchst wachsamer und auch eigensinnig-dickköpfiger Charakter ist, teilte er das Schicksal vieler lebender Weihnachtsgeschenke: Zur Urlaubszeit wurde er einfach ausgesetzt -Hundeerziehung könnte ja in Arbeit ausarten- und hatte panische Angst vor Männern mit Bart und tiefer Stimme. Erziehung siehe Cora. Die Narben an seinem Körper sprachen Bände... Glücklicherweise wurde er von einer Mitarbeiterin des Tierheims gefunden und dorthin mitgenommen.
Mittlerweile ist der Nick seit viereinhalb Jahren und die Cora seit drei Jahren in unserer Familie.Beide haben sich prächtig entwickelt und sind die treuesten Freunde die sich ein Mensch nur wünschen kann. Wieviel Geduld, Zeit und Liebe dahinter stecken kann nur der ermessen, der sich selbst schon einmal einer solchen verstossenen Kreatur angenommen hat.

Solche Hunde brauchen vor allem Verständnis und dies führt mich zurück zum Buch von Jan Fennell: Mit Hunden sprechen. Sprechen kann man nur wenn man zuvor versteht. Es geht hier nicht darum ,dass man wie in Grimms Märchen eine Art akustischer Hundesprache erlernen könne, nein. Die Autorin beschreibt anhand von Beispielen aus ihrer eigenen Erfahrung das Verhalten von Hunden in bestimmten Situationen und zeigt Alternativen zur konventionellen Hundeerziehung auf. Dabei liest sich das Buch durchaus wie ein Roman, obwohl es in vierundzwanzig Kapitel eingeteilt ist, von denen jedes ein abgeschlossenes Thema zum Inhalt hat und auch einzeln für sich gelesen sinnvoll ist.

So beginnt das Buch mit einem Vorwort von Monty Roberts, dem berühmten \"Pferdeflüsterer\". Das zeigt, welch grosse Anerkennung Jan Fennell mit ihrer Arbeit in Fachkreisen gefunden hat, denn ein Monty Roberts schreibt nicht für jeden Hobbyautor ein Vorwort, dessen bin ich mir sicher. Dieses Vorwort charakterisiert das Wesentliche des Buches sehr treffend und ich darf daher zitieren:

\"Als ich zum ersten Mal mit der Arbeit von Jan Fennell in Berührung kam, wurde mir ganz warm ums Herz. Ich hatte das Glück, Jan in England persönlich zu treffen, und was sie mir berichtete, erinnerte mich stark an meine eigenen früheren Erfahrungen. Wie ich empfindet auch Jan die Art, wie der Mensch ein Tier, das er als seinen Freund bezeichnet, manchmal misshandelt, als großes Unrecht. Leidenschaftlich vertritt auch sie die Überzeugung, daß Gewalt in unserer Beziehung zu Tieren nichts verloren hat, und träumt von einer Welt, in der alle Spezies in Frieden miteinander leben.\"

Überzeugend und absolut glaubwürdig berichtet Jan Fennell in der Einführung über ihre eigenen Fehler, die sie in der Beziehung zu ihrer Hündin Purdey gemacht hat und die in einer Tragödie für Mensch und Tier endete. Sie schreibt:
\" Noch als ich sie einschläfern ließ,kam es mir vor, als hätte ich sie im Stich gelassen. Ich habe fast zwanzig Jahre gebraucht, um mir meinen Verdacht zu bestätigen. Heute weiß ich, daß Purdeys Verhalten allein von meiner Unfähigkeit, diesen Hund zu verstehen, hervorgerufen wurde. Ich war nicht in der Lage gewesen, mit ihr zu kommunizieren, ihr zu zeigen, was ich tatsächlich von ihr erwartete. Kurz gesagt: Sie war ein Hund, ein Mitglied der Kaniden, nicht der menschlichen Rasse, trotzdem habe ich ihr gegenüber die menschliche Sprache benutzt.\"

Und genau dieses ist die zentrale Botschaft, die sich als ein roter Faden durch das ganze Buch zieht. Schon beim Blick auf das Inhaltsverzeichnis wird jeder, aber auch wirklich jeder Hundehalter sich und seinen Hund zumindest teilweise erkennen und daher gebe ich dieses Inhaltverzeichnis auch hier in voller Länge wieder:

Vorwort von Monty Roberts

Einführung

1 Die verlorene Sprache

2 Ein Leben mit Hunden

3 Zuhören und lernen

4 Die Führung übernehmen

5 Der erste Test

6 Amichien Bonding: Die Führung im Rudel etablieren

7 Jedem sein eigenes Leben: Trennungsängste überwinden

8 Böse und launisch: Vom Umgang mit nervöser Aggression

9 Frieden schaffen: Bissige Hunde

10 Die Bodyguards: Überbeschützende Hunde

11 Das Auf-und-ab-Spiel: Hunde die hochspringen

12 Gedächtnislücken: Hunde, die ohne Leine wegspringen

13 Hund gegen Hund: Konfrontationen zwischen Artgenossen entschärfen

14 Das Unerwartete erwarten: Angst vor Geräuschen

15 Junge Hunde, alte Tricks: Welpen ihr Zuhause zeigen

16 Kleine Kobolde: Vom Umgang nit Problem-Welpen

17 Das Territorium markieren: Wenn Hunde ins Haus machen

18 Stellenangebot: Probleme mit der Rangordnung in einem erweiterten Rudel

19 Der Biss in die fütternde Hand: Schwierige Esser

20 Habe Hund,kann nicht verreisen: Chaos im Auto

21 Pfotenkauen und den eigenen Schwanz jagen: Wie man nervliche Wracks rettet

22 Der Jo-Jo-Effekt: Die Probleme von Hunden aus dem Tierheim lösen

23 Spielzeug statt Beute: Die Macht des Spiels

24 \"Wie haben Sie das bloß geschafft,Lady?\"

Dank
Bildnachweis

Der zweite rote Faden, der sich durch dieses Buch zieht, nimmt seinen Anfang in der Überschrift des vierten Kapitels: \"Die Führung übernehmen\". Die Regeln, nach denen sich ein Tier richtet sind ihm von der Wildnis vorgegeben worden und demzufolge betrachtet sich der Hund als Rudelführer, der für das Wohlergehen des Rudels verantwortlich ist. Dementsprechend richtet er sein Verhalten aus, was fast zwangsläufig zu den oben beschriebenen Problemen führt. Die Autorin befindet sich mit ihrer grundsätzlichen Erkenntnis dieser Problematik in bester Gesellschaft: Namhafte Verhaltensforscher, allen voran Eberhard Trumler und Erik Zimen beschrieben in ihren Werken ausführlich und eindringlich die unbedingte Notwendigkeit einer genauen Rangordnung im Rudel als Voraussetzung für die Überlebensfähigkeit desselben in der Natur. Im gemischten Rudel Mensch-Hund muss der Mensch die Führung übernehmen, sonst tut es der Hund. Dass dies völlig ohne körperliche oder psychische Gewaltanwendung möglich ist zeigt Jan Fennell sehr anschaulich in der Beschreibung ihrer Arbeit mit ihren eigenen Hunden.
Dabei ist die Übersetzung aus dem Englischen als sehr gelungen und einfühlsam zu bezeichnen, der Übersetzerin Henriette Zeltner gebührt hier besondere Anerkennung.

Die Lektüre dieses Buches verursachte zunächst einmal eine gewisse Nachdenklichkeit und in der Folge auch grundsätzliche Diskussionen in unserer Familie über Hundeerziehung im Allgemeinen und den Zustand unserer beiden Banditen im Besonderen. Einigkeit bestand darüber, dass Jan Fennell mit ihren Ausführungen in verschiedenen Punkten den Nagel auf den Kopf getroffen, sprich mehr oder weniger latent vorhandene Probleme genau beschrieben hatte. Meinungsverschiedenheiten ergaben sich bezüglich der Lösungsvorschläge, die sie anbietet. Dazu möchte ich unseren Nick als Paradebeispiel anführen:

Der Nick ist vom Aussehen her zu neunzig Prozent und vom Charakter zu hundert Prozent ein Appenzeller Sennenhund. Wer diese Rasse kennt weiss, dass diese Hunde von ihrem ursprünglichen Zuchtziel her eine einzige Aufgabe zu erfüllen hatten: Haus, Hof und Vieh zu bewachen, Eindringlinge lautstark zu melden und diese bei Abwesenheit des Hausherrn zu vertreiben, notfalls mit Gewalt. Aus diesem Grund sind es äusserst selbstständig denkende und handelnde Hunde, denn sie hatten diese Aufgabe oft tagelang völlig auf sich allein gestellt zu erfüllen. Auch hat der Appenzeller eine geradezu verblüffende Auffassungsgabe und daher fackelt er nicht lange wenn er eine Bedrohung zu erkennen glaubt. Es leuchtet ohne weiteres ein, dass es einem solchen Hund nicht gerade leicht fällt, der Rangniedrigste im Rudel zu sein. Die Tierheime sind voll von Appenzellern und deren Mischlingen. Auch der Nick macht einen Mords-Zinnober, wenn Besuch kommt, ja sogar wenn ein Familienmitglied nach relativ kurzer Abwesenheit die Wohnung betritt. Und nachts läuft er Patrouille, kein Einbrecher hätte auch nur den Hauch einer Chance. Darüber hinaus zeigt er meiner Frau gegenüber einen deutlichen Beschützerinstinkt. Ich betrachtete dieses Verhalten als angeboren bzw. vererbt, und beschränkte aus diesem Grund meine Bemühungen darauf, seine diesbezüglichen Aktivitäten so eben in Grenzen zu halten.

Jan Fennell ist anderer Meinung. Lese ich Kapitel zehn aufmerksam,so erfahre ich auch warum: Cora ist kastriert und taugt somit nicht als Alpha-Hündin, weil zur Fortpflanzung ungeeignet. Daher hat der Nick sich eben meine Frau zu diesem Zwecke auserkoren, weil er sich als Alpha-Rüden betrachtet. Und ER entscheidet auch, wer wann kommen und gehen darf. Nicht weil er Appenzeller, sondern CHEF ist.
Diese Art der Erklärung für das Verhalten eines Hundes war mir noch nie in den Sinn gekommen und ich hielt sie doch für ziemlich abwegig. Ich hätte mir nie träumen lassen, mal einen derart tierischen Nebenbuhler zu kriegen... Als Lösung dieses Problems wird angeboten, den Hund nach jeder Trennung, und sei sie auch noch so kurz, zu ignorieren. Wenigstens fünf Minuten lang. Ihn weder anschauen, ansprechen und schon gar nicht anfassen. Erst wenn alles wieder seinen normalen Gang nimmt, den Hund heranrufen und ihn dafür belohnen. Dadurch würde der Hund die Rudelführerschaft des Menschen begreifen und akzeptieren. Im Buch wird dies natürlich weit ausführlicher und einleuchtender beschrieben als ich es hier vermag, und im Gegensatz zu mir war meine Frau sofort Feuer und Flamme.

Zu verlieren hatten wir ja eigentlich nichts, das hatte ich eingesehen und es sprach somit auch nichts dagegen, die Methoden der Jan Fennell auf unsere Hunde anzuwenden, zumal auch ich ganz entschieden das Prinzip der Gewaltlosigkeit im Umgang mit Hunden vertrete. Sie predigt in ihrem Buch aber immer wieder eines: Konsequenz von der ersten Sekunde an ist unbedingte Voraussetzung dafür, dass sich überhaupt etwas ändert. Das lernt man zwar in jeder Hundeschule und ist insoweit auch nichts neues, es erhält aber im Zusammenhang mit ihrer Methode eine völlig neue Qualität. Bereits nach wenigen Tagen stellten sich erste Erfolge ein, statt maschinengewehrartiger Bell-Salven gibt der Nick nur noch ein, zwei müde Kläffer von sich, wenn einer von uns nach Hause kommt. Und wir können uns schlafen legen, ohne dass der Hund eifersüchtig rumknurrt.
Auch das Auto-Problem mit Cora scheinen wir langsam aber sicher in den Griff zu kriegen.

Man darf aber dieses Buch nicht als Kochrezeptesammlung ansehen, das eine Reihe Zaubersprüche enthält. So nach dem Motto: \"Jetzt lese ich dieses Buch und alle Probleme sind weg\". Das kann kein Buch leisten, und da hätte man die Autorin auch gründlich missverstanden. Und sicher gibt es auch Verhaltensstörungen bei Hunden, die ihre Ursache in versteckten Krankheiten, z.B. Tumore, Stoffwechselstörungen oder anderes haben. Wenn der Tierarzt aber organische Ursachen ausschliessen kann, bietet die Methode von Jan Fennell eine mehr als nur nachdenkenswerte Alternative zur konventionellen Hunderziehung. Der Hund sendet unablässig Signale an uns aus, er \"redet\" ständig zu uns. Wir müssen ihn nur verstehen wollen.

Das Buch ist erschienen im Ullstein Verlag ISBN 3-550-07156-6, 2.Auflage 2002 als Hardcover mit farbigem Umschlag. Enthalten sind acht Seiten mit Farbfotografien, die die Autorin mit ihren Hunden zeigen.
Erhältlich ist es zum Preis von 19,90 EUR im Buchhandel.

Es ist später Abend, ich sitze noch vor dem PC und schreibe an diesem Bericht. Meine Frau hat sich schon schlafengelegt. Auch der Nick schnarcht im Badezimmer, er ist müde vom Agility. Ich höre leise Schritte und sehe eine graue Hundeschnauze hinter dem Türrahmen hervorlugen. Cora kommt ganz vorsichtig auf mich zu, jeden Blickkontakt vermeidend und setzt sich neben meinen Stuhl, ihr Gesicht von mir abgewandt.Dann lehnt sie sich mit ihrem Oberkörper an mein rechtes Bein. Ich beachte sie nicht. Nach wenigen Minuten beginnt sie ganz leicht mit der Schwanzspitze zu wedeln. \"He,du, hast du nicht gemerkt, dass ich da bin?\" Ich antworte nicht. Das Schwanzwedeln wird heftiger. \"Sag mal, bist du blind??\". Ich ignoriere sie weiter. Nun wendet sie sich mir zu, legt ihre rechte Vorderpfote auf mein Knie und stellt ihre Ohren auf, die ansonsten nicht wissen ob sie stehen oder kippen sollen. Aus ihren grossen rehbraunen Kulleraugen schaut sie mich an und ihre Oberlippe hebt sich ganz leicht, während sie mit ihrer Pfote vorsichtig auf meinem Knie scharrt. \"Haaallloo, duhuu. Ich weiss genau, dass da neben dir noch was von der Knoblauchwurst liegt...\" Ich seufze tief, und dankbar für diesen späten Leckerbissen leckt Cora meine Hand. Es ist noch ein weiter Weg...

19 Bewertungen, 3 Kommentare

  • rsdcberlin

    20.06.2002, 23:05 Uhr von rsdcberlin
    Bewertung: sehr hilfreich

    Sehr interessanter und ausführlicher Bericht. Gruß Rolf

  • Mesalina

    10.06.2002, 19:15 Uhr von Mesalina
    Bewertung: sehr hilfreich

    Wow, toller Bericht! Ich glaube, das Buch muss ich auch mal lesen, damit ich mal etwas mehr über unseren "Kampfhamster" ;) weiß.... CU Mesalina

  • Alusru

    10.06.2002, 12:54 Uhr von Alusru
    Bewertung: sehr hilfreich

    Ein wunderschöner Beitrag und sicher ein tolles Buch. Man merkt das du Hunde liebst und eines weis ich sicher, bei dir möchte man gerne Hund sein, lieben Gruß auch an deine "Zwei", Uschi.