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Erfahrungsbericht von LeaofRafiki

Sapphistry

Pro:

ein wunderbares Buch für lesbische, bi- u. auch heterosexuelle Frauen

Kontra:

manhcmal nicht im Handel, z.Zt. aber scheinbar wieder

Empfehlung:

Nein

Sapphistry lautet der Originaltitel eines Buches, das ich als eines der besten je erschienen der Bücher zur weiblichen Sexualität bezeichnen möchte, auch wenn es einen Untertitel hat, demzufolge es nicht für jederfrau geeignet oder lesbar scheint: \"The Book of Lesbian Sexuality\".
Gegen Ende meines Berichts zu sexuellem Mißbrauch schrieb ich: \"Auch nicht-Lesben oder nicht-bisexuellen Frauen empfehle ich dieses Buch, da es von einer Frau für Frauen geschrieben wurde, mit einer einzigartigen Einfühlsamkeit, ohne patriarchalen Hintergrund, daher bestens geeignet, sich mal wirklich auf sich selbst als Frau zu besinnen\" und so möchte ich dieses Buch nun näher vorstellen.

Verfaßt wurde es bereits vor mehr als zwanzig Jahren von der Lesbe Pat Califia, 1981 vom Frauenbuchverlag Orlanda unter dem Titel \"Sapphistrie. Das Buch der lesbischen Sexualität\" in Deutschland veröffentlicht und erreichte 5. Auflagen. Die letzte erschien 1998 unter dem Titel \"Wie Frauen es tun\", was ich persönlich für einen bescheuerten Titel halte..., zumal auch das Titelbild einer typischen 70iger/80iger Jahre Zeichnung in Pink gegen ein Foto zweier unbekleideter Frauen beim Liebesspiel ausgetauscht wurde, aber vielleicht war dies ja der letzte Versuch, das Buch vor dem Aussterben zu retten. Zwanzig Jahre ist eine lange Zeit und leider hat der Orlanda Verlag es mittlerweile aus dem Programm genommen.
Sollten nun allerdings viele Anfragen kommen, gibt es vielleicht doch noch mal eine Neuauflage..

Was nun macht dieses Buch so besonders? Bücher zur weiblichen Sexualität gibt es ja zuhauf.

Da ist zuerst einmal die Autorin.
Pat Califia ist eine streitbare Lesbe, die nicht nur in der (lesbischen) Frauenszene, sondern darüber hinaus auch in der S/-Szene sehr aktiv ist, aber wider Erwarten eine so große Toleranz an den Tag legt, daß sich manch einer und eine eine Scheibe abschneiden könnte. Wer von den älteren Leserinnen sich noch an die Flügelkämpfe und Schlachten zwischen Frauenhausfrauen und Bewegungslesben Ende der 70iger/Anfang der 80iger Jahre erinnert, weiß vielleicht, was ich meine. Obwohl Pat Califia also selber für sich eine bestimmte, innerhalb der lesbischen Szene anfangs ebenfalls tabuisierte Sexualität lebt, brach sie mit Sapphistry eine Lanze für alle Frauen, die sich auf die mühevolle Suche nach ihrer eigenen sexuellen Ausrichtung und Ausformung machten.
\"Sapphistrie erörtert nicht nur das breite Spektrum möglichen Sexualverhaltens zwischen Frauen, sondern tut das auf wertungsfreie und realistische Art und Weise. Pat Califia weiß um das Bedürfnis nach Kommunikation, nach Verständnis und Anteilnahme zwischen Frauen. Sie weiß auch um die unterschiedlichen Neigungen von Lesbierinnen und daß jede selbstgewählte Art sexueller Betätigung in Ordnung ist. (..) Unserer Sexualität ist ein wesentlicher Bestandteil von uns selbst. (..) Also lest, Schwestern, und lernt euch selbst kennen. Wissen macht uns stärker, macht uns fähig, gute Entscheidungen zu treffen, und macht uns sicherer in unseren Gefühlen.\" (Phyllis Lyon im Vorwort zu Sapphistrie, S.16/17)
Ersetzt frau in dieser Passage das Wörtchen \"zwischen\" durch \"von\", \"Lesbierinnen\" durch \"Frauen\" und überliest die typisch amerikanische Anrede \"Schwestern\", so beinhaltet wird deutlicher, was ich meine.
Pat Califia räumt andererseits auf erfrischende Art mit dem auf, was sie den \"pro-lesbischen Mythos\" nennt, nämlich der \"Annahme, zwei Frauen verstünden es am besten, sich gegenseitig zu befriedigen\" eben weil sie beide Frauen sind. Auch keine Lesbe ist gefeit vor Gottweißwelchen Problemen mit ihrer Kommunikation und Sexualität in der Partnerschaft, denn \"es ist schwer, Frauenverachtung auf breiter Basis zu bekämpfen, wenn sie in uns selbst fortlebt. Wir können unserer verinnerlichter Ablehnung entgegentreten und den Schaden wiedergutmachen, den uns eine körperscheue und körperfeindliche Gesellschaft zugefügt hat\" (S.23), daher zieht sie es vor, \"so umfassend wie möglich zu informieren, und ich möchte euch bitten, ausgiebig von diesen Informationen Gebrauch zu machen, um eure eigenen Entscheidungen zu treffen. Meine Erfahrung sagt mir, daß jemand, der/die in mir Schuldgefühle hervorzurufen versucht, weil ich diesen oder jenen Weg zum Vergnügen gewählt habe, irgendeine Kontrolle über mein Leben anstrebt. Das würde ich gern seltener sehen. Ich finde, es sollte uns allen mehr Spielraum für sexuelle Varianten und mehr Freiheit für Experimente mit unseren Phantasien gelassen werden. \" (S. 22)

Folglich beginnt Pat Califia ihr Buch mit dem

ersten Kapitel \"DIE EROTISCHE PHANTASIE\"
und betont, daß gerade die Quellen für erotische Phantasien, \"Dinge, die wir sehen, wenn wir ohne anzuklopfen eine Tür öffnen, Flüstergespräche am Nebentisch, Geschichten, die wir lesen, Bilder die wir sehen\" nicht beschnitten und gesäubert werden dürfen, denn dann sind auch die erotischen Wünsche verkrampft und zensiert (vgl. S.25), weil ein Großteil der Sexualität bzw. Erotik vom Herz UND vom Kopf ausgeht...
Die folgende Sammlung erotischer Phantasien von Frauen zitiere ich nicht (bis auf eine: \"Zwischen hunderten von Katzen oder auf Pelzen und Seidenstoffen Liebe zu machen\"...), kann aber sagen, daß sie allesamt so herzerfrischend \"normal\", einfach und sinnenfreudig sind, daß sie einen guten Katalog für \"wie liebe ich mich und einen Körper\" abgeben könnten.
Behutsam ermutigt sie alle Frauen, sich ihre Phantasien bewußt zu machen und weist zugleich konsequent sie auf den Unterschied zwischen sexuelle Phantasien und realem Erleben hin. \"Wenn wir in unserem eigenen Privatfilm Regie führen, haben wir uns selbst als Dramagestalt fest in der Hand. In der Intimität unserer Gedankenwelt können wir z.B. die Vorstellung genießen\", die im realen Erleben abschrecken oder abstoßen würde.
\"Es kann dir sehr zu schaffen machen, wenn deine originellste und mächtigste Phantasie Anlaß zu Spannungen und Unbehagen gibt. Durch den Versuch, eine beunruhigende Phantasie zu unterdrücken, wirst du sie nicht los. Also tu genau das Gegenteil. Umarme sie. Laß die Phantasie ihren Lauf nehmen und so wild und ausgefallen wie nur möglich werden. Schmück sie aus, nimm ihr die Zügel ab und schwelg in ihr. (..) Vertrau dir. Du wirst am besten wissen, ob du eine Phantasie ihrer selbst willen genießt, oder ob sie etwas darstellt, was du bei passender Gelegenheit vielleicht ausprobieren möchtest.\" (S.42)


Das zweite Kapitel ist der \"SELBSTLIEBE\" gewidmet.
\"Eine der ersten Entdeckungen aus den frühen Jahren der Frauenbewegung war, daß es so etwas wie eine schöne Frau nicht gibt.\" (S.71) Damit ist nun nicht gemeint, daß jede, erst recht jede frauenbewegte Frau häßlich sei, was ja manche Zeitgenossen durch Begriffe wie \"Blaustrümpfe\" oder \"Lila-Latzhosen-Fraktion\" zu verstärken suchten, sondern daß JEDE Frau für sich SCHÖN ist. Sie muß es - d.h. sich - nur entdecken...
Dazu gehört(e) auch die Selbstuntersuchung. Sowohl vor dem Spiegel, als auch mit Taschenlampe und Specula innerlich. Über mehrere Seiten hinweg gibt Pat Califia Tips zu eben diesem Thema, sowie einen Fragenkatalog, der so humorvoll ist, daß das Lachen eventuelle Peinlichkeiten übertönt. \"Wie sind deine Genitalien proportioniert? Eher barock, modern- dänisch, romantisch, sozialistisch-realistisch oder kubistisch?\" (S.78)
Im selben Kapitel räumt sie auch auf mit alten Mythen wie Masturbation sei schädlich, erläutert diverse Masturbationstechniken und den sexuellen Reaktionszyklus nach Masters & Johnson.


Im dritten Kapitel mit der Überschrift \"PARTNERINNEN\"
beschreibt sie sexuelle Techniken und Hilfsmittel, das zu lesen ich jedem empfehlen würde, eben nicht nur (lesbischen) Frauen, sondern auch heterosexuellen Männern, so sie sich denn in einen Frauchenbuchladen gewagt hätten, um dieses Buch zu kaufen, angesichts der Befürchtung, von Doppelaxt-schwingenden Frauen hinausgejagt oder gar schlimmer k.......t zu werden.
Viel Raum ist der Penetration und Dildos gewidmet, da dies speziell in lesbischen Kreisen immer wieder zu scharfen Diskussionen geführt hat, schließlich wollten sich (die meisten) Lesben doch von der männlich-beherrschten Form der Penetrationssexualität absetzen. Pat Califia gibt auch hier grünes Licht für die, die es wollen und schreibt: \"Einen Dildo zu benutzen, rückt die Märchen über sie ins rechte Licht. Schließlich ist es nur ein Stück Plastik. Welche symbolische Bedeutung es auch immer haben mag - sie wurde ihm von unserer Kultur beigemessen.\" (S.121)
A propos Kultur, hier noch ein biestiges Zitat:
\"Manche Lesben, die Vaginalstimulation in ihre sexuelles Spektrum einbeziehen, machen die Erfahrung, daß sie über Geschlechtswandel phantasieren. Solche Phantasien können leicht zu unnötigen Schuldgefühlen und Ängsten führen. In der herrschenden Kultur ist das Geschlecht ein geschlossenes Kästchen. Frauen werden definiert über die Merkmale, die sie nicht mit Männern gemeinsam haben. Dadurch entstehen unterdrückte Möglichkeiten, riesige Brachlandflächen vol potentieller Erfahrung, die zu erschließen wir uns alle sehnen.
Warum sollte jemand immer einem Geschlecht angehören müssen oder gemäß der in dieser Kultur gültigen Definition von Weiblichkeit Frau sein? Ich kann nichts Schlimmes daran finden, wenn du in deiner Phantasie ein Wesen von einem anderen Stern, ein Hermaphrodit, ein Schwuler, eine Boa, eine Jungfrau oder sonst irgend etwas bist, was dir gerade einfällt.\" (S.123)

Ihre Ausführungen über Monogamie, Polygamie und sexuelle Abstinenz sind genauso herzerfrischend... Aber immer geprägt von einer ungeheuren Empathie und Wärme, besonders deutlich auch in den Unterkapiteln zu Rollenverhalten und Partnerinnen finden.


Das vierte Kapitel ist der \"KOMMUNIKATION\" gewidmet.
Es beinhaltet vier verschiedene Übungen, die einzelne, Paare oder Gruppen als Kommunikationstraining anwenden können. Eine Übungssequenz gilt den sexuellen Ausdrücken,
eine andere besteht aus einem Sensibilitätsschaubild, in dem die persönliche Empfindlichkeit im Genitalbereich mit Farben im wahrsten Sinne des Wortes ausgemalt wird, die dritte der persönlichen Sexualgeschichte und die letzte allgemeinen Grundregeln der Kommunikation:
- sprich aus eigener Erfahrung
- höre zu und antworte, ohne ein Urteil über die Erfahrungen der/der anderen abzugeben
- respektiere Vertraulichkeit und
- halte dich an einen Kommunikationsablauf, der im besten Fall in vier Phasen abläuft (Klare Aussprache - Empfang der Botschaft - Bestätigung des Empfangs - Angemessene Antwort)
- fühle dich frei, über alles zu reden.


Im folgenden, fünften Kapitel, geht es um \"HÄUFIGE SEXUELLE PROBLEME\"
Die beruhen nicht immer auf einem wie auch immer geartetem Versagen oder einer Erkrankung,
sondern können auch einfach Ausdruck einer Belastungs- oder Stresssituation sein, in der der Körper (und die Seele) auf anderes denn auf Sex aus ist.
Die von Pat Califia in diesem Kapitel behandelten Probleme reichen von Orgasmusproblemen über Konflikte über Techniken, Unterschiedliche Bedürfnisse nach Sex, Probleme mit der Lubrikation, Kitzligkeit, bis hin zu Schmerzen oder Drogen, un schließen mit Tips zur Suche und dem Erhalt von professioneller Hilfe ab.


Das sechste Kapitel rankt sich um \"JUGEND, ALTER UND SEX\"
und ist äußerst provokant, da sie sowohl Kindern als auch Alten das Recht auf Sexualität zugesteht, auch wenn es recht harmlos beginnt:
\"Wir leben in einer Gesellschaft, die uns nach Geschlecht, sexueller Orientierung, Schicht und Alter trennt. Man hat separate (und größtenteils künstliche Sphären) für Kleinkinder, Kinder im Schulalter, Heranwachsende, jungeErwachsene, Menschen mittleren Alters und alte Leute geschaffen. Innerhalb jeder dieser groben Kategorien wird weitere Gruppenbildung vorangetrieben. Die meisten von uns haben selten enge Beziehungen zu Menschen, die bedeutend älter oder jünger sind als wir selbst. Jungen Leuten, Erwachsenen und älteren Menschen werden unterschiedliche Fähigkeiten, Bedürfnisse und Rechte zugesprochen. Sowohl jungen als auch älteren Menschen wird in der Regel der Status wirtschaftlicher Abhängigkeit zugewiesen, was sie in hohem Maße gesellschaftlicher Kontrolle ausliefert. Ein Großteil dieser gesellschaftlichen Kontrolle richtet sich auf die Sexualität.\" (S. 185)

Was nun Kinder angeht, so vertritt sie die Auffassung, daß die allgemeine Annahme, Kinder seien
asexuell, falsch ist. \"Sexuelle Neugierde, erotische Phantasien, Masturbation oder Doktorspiele dürften bei Kindern kaum vorkommen, wenn sie wirklich asexuell wären. Was wir bei Kindern Unschuld nennen, ist in Wahrheit Unwissenheit und Unerfahrenheit\" (S.186) Daraus leitet sie sowohl das Recht eines jeden Kindes ab, sich in seinem Körper lust- und liebevoll zu entdecken, als auch das Kinder präzise Antworten in für sie verständlicher Form bekommen, wenn sie Fragen über geschlechtliche Dinge stellen. \"Diese Art der Sexualerziehung kann nur ein/e Erwachsene/r gewährleisten, der/die über menschliche Sexualität gut Bescheid weiß und frei darüber reden kann. (..) In einer sexuell befreiten Welt hätten alle Kinder Zugang zu Informationen über das volle Spektrum menschlichen Sexualverhaltens.\" (S.188)

Am anderen Ende der Lebensseite stehen die Alten. Nach einer kurzen Schilderung des Klimakteriums und der damit einhergehenden körperlichen (also hormonell bedingten) Veränderungen geht sie auf die Stellung der alten Frau in der momentanen Gesellschaft ein und kritisiert diese auf\'s schärfste. \"In der Heterogesellschaft gelten ältere Frauen als sexuell neutral und prüde. Sexuelle Themen werden selten vor alten Leuten angeschnitten in der Annahme, es würde sie beleidigen. Dieses \"höfliche\" Schweigen hält ältere Frauen davon ab, sich als sexuelle Wesen zu betrachten. Die Furcht, sich lächerlich zu machen oder von anderen verurteilt zu werden, hindert viele alte Frauen daran, Sexualpartnerinnen zu finden, erotisches Material zu erwerben und zu lesen, Sexspielzeug zu kaufen, sich selbst zu befriedigen oder über sexuelle Probleme und Sorgen zu sprechen. Zum Glück hat dieser Mythos in der lesbischen Gesellschaft weniger Gültigkeit als anderswo.\" (S.199) - Wobei die Betonung auf \"weniger\" liegt, denn vorhanden ist er aufgrund der Grundsozialisierung von Frauen eben doch. Wenn auch die \"weißhaarige Lesbe ein Sexsymbol\" ist. \"Sie gilt als sexuell erfahren, sexbejahend und sehr attraktiv. Das negative stereotype Image von Frauen wirkt sich jedoch auch auf Lesben aus. Z. B. Mag die Frau, die sich nichts dabei denkt, eine 50-jährige Lesbe anzumachen, Hemmungen haben, mit ihrer 50-jährigen Mutter über Masturbation zu reden, und wäre schockiert, wenn sich ihre Oma eine/n Liebhaber/in nähme.\" (ebd.)
Dem schließt sich ein Plädoyer an die Lesbenbewegung an, neue Sozialeinrichtungen zur Erziehung von Kindern und kollektiv verwaltete Heime für ältere Lesben zu gestalten.
Tja, das war der Traum von vor zwanzig Jahren, aber was ist davon verwirklicht worden???



Kapitel sieben ist in seiner Offenheit einzigartig. \"BEHINDERTE LESBEN\"
\"Der Gedanke, daß sich behinderte Menschen mit Sexualität beschäftigen, ist für die meisten körperlich gesunden Menschen neu, ja schockierend. Die Unvorstellbarkeit von Sex in Verbindung mit Behindertsein sitzt so tief, daß viele Ärzte Patienten mit Herzbeschwerden oder hohem Blutdruck routinemäßig von sexuelleraktivität abraten. Dieser Rat wird manchmal eher aus moralischen als aus medizinischen Gründen erteilt. Das Bedürfnis nach sexuellerZuwendung und Entfaltung ist eigentlich in fast jedem Menschen existent, ungeachtet seiner physischen, geistigen oder emotionalen Fähigkeiten. Bei einer toleranten und experimentierfreudigen Einstellung zur Sexualität dürfte es in der Regel immer möglich sein, diesem Bedürfnis auf irgendeine Weise zu entsprechen.\" (S.203)
Auch wenn Pat Califia wieder und wieder die Vorzüge der lesbischen Gemeinschaft hervorhebt, die meiner Erfahrung nach nicht immer und unbedingt die bessere der verschiedensten Welten ist, so stimme ich ihr doch in der Tendenz zu. Auf der allgemeinen Aufbruchstimmung (ich sag nur \"Frauen Power\") fußend, sind, ebenso wie in schwulen Zusammenhängen, Ansätze entstanden, die später in die heterosexuellen Welten Einzug hielten. Zum Thema Sex und Behinderung jedenfalls kann ich diese Vorreiterrolle nur bestätigen.
Jede Behinderung geht i.d.R. mit Ausgleichsmitteln, also Körperersatzstücken, Gehstützen, Rollstühlen und anderen Hilfsvorrichtungen einher, die in den seltensten Fällen nach ästhetischen sondern zumeist nach funktionalen Aspekten entwickelt und den betreffenden Menschen an- resp. verpaßt wurden. Diese schränken das Körperbild sehr ein, bzw. lassen es (noch mehr) ins Negative abgleiten. \"Lesbische Erotika enthalten zunehmend Bilder von behinderten Frauen mit ihren Stöcken und Rollstühlen\" (S.207), ein Trend, der sich in den vergangenen zwanzig Jahren weiterentwickelt hat bis hin zu Ausstellungen brustamputierter Krebspatientinnen, aber leider immer noch nicht die allgemeine Auffassung \"von sexuell anziehenden Körpertypen\" in dem Maße erweitert hat, wie Pat Califia es vermutet hatte.

Im Unterkapitel zu sexuellen Techniken erörtert Pat Califia einige Behinderungen und gibt hilfreiche Tips zum Umgang mit der jeweiligen Erkrankung/Behinderung:
Asthma, Blindheit und Taubheit, Diabetes, Bluthochdruck und Herzbeschwerden, Infantile Enzephalopathie (spastische Lähmungen), Kinderlähmung, Multiple Sklerose, Muskeldystrophie (Muskelschwund), Rheuma, Spina Bifida sowie Rückenmarksschädigungen (partielle Lähmungen bis hin zu Querschnittlähmungen) und damit einhergehender Katheterisierung oder Anus Präter.

\"Viele behinderte Frauen - auch Lesben - sind in Institutionen eingeschlossen. Die meisten dieser Einrichtungen unterbinden Selbstbefriedigung (..)Behinderten Frauen Sexualität zu verweigern, dient keinem guten Zweck. Es ist auch keine Lösung, behinderten Frauen zu sagen, sie seien sexuell noch brauchbar, weil sie passive Partnerinnen bei heterosexuellem Verkehr sein können. (..) Erotische Materialien sollten für behinderte Frauen in Anstalten erhältlich sein. Es gibt Rehabilitationsprogramme, um behinderten Frauen beizubringen, ohne Hilfe zu essen, sich selbst anzukleiden oder zu lesen. Diese Programme sollten Anleitungen darüber einschließen, wie man einen Vibrator gebraucht oder sich anderer Masturbationstechniken bedient und wie man mit eineR PartnerIN Sex hat. (..) Erziehungsprogramme für behinderte Kinder sollten ausführliches Material über Sexualität einschließen, das auf ihre körperlichen und emotionalen Bedürfnisse zugeschnitten ist.\" (S.219-220; herv. LeaofRafiki)

Auch wenn dies vielleicht einigen als nichts besonderes vorkommen mag, so möchte ich doch noch einmal (ich weiß, ich wiederhole mich...) auf den Zeitpunkt zu dem dieses Buch geschrieben wurde, hinweisen! Klare und deutliche Tips und Handlungsanweisungen zu veröffentlichen, die es behinderten Frauen ermöglich(t)en, ihre Sexualität auszuleben, war vor mehr als zwanzig Jahren eine ungeheure Provokation und ein heftiger Tabubrauch. Allein schon dafür verdient Pat Califia meinen hohen Respekt.


A propos Tabubrüche... Kapitel acht behandelt \"VARIATIONEN\"
Pat Califia schreibt:\"Die in diesem Kapitel besprochenen Arten von Sexualität sind noch verpönter als Feld-Wald-und-Wiesen-Lesbianismus. Diese Mißbilligung besteht sowohl innerhalb als auch außerhalb der lesbischen Gemeinschaft. (..) Aber wir sollten und hüten, Allgemeinurteile über den Wert der sexuellen Praktiken einer anderen Lesbe abzugeben, besonders wenn es um ein Verhalten geht, das wir nicht verstehen oder nie ausprobiert haben.\" (S.223-224)
Aus Gründen des Jugendschutzes werde ich nun aber den Inhalt der folgenden 50 Seiten nicht weiter beschreiben, geschweige denn zitieren...

Abgeschlossen wird dieses Kapitel mit einem Exkurs zur Transsexualität, sowohl aus medizinischer wie auch aus psychologischer - und feministischer Sicht. Pat Califia bezieht auch hier einen klaren Standpunkt, der ihr innerhalb der lesbisch-feministischen Gemeinschaft nicht nur Freundinnen beschert hat. Gehören Mann-zu-Frau-Transsexuelle in eine lesbisch-feministische Gemeinschaft?
\"Es ist schwer zu sehen, wie ein Versuch, Transsexuelle aus der Frauenbewegung oder lesbischen Gemeinschaft auszusperren, Aussicht auf Erfolg haben kann. Schließlich ist die Bezeichnung \"feministisch\" nicht urheberrechtlich geschützt. Es gibt sogar Männer, die sich so bezeichnen, und es gibt homosexuellenfeindliche Heterofrauen, die sich als Feministinnen definieren. Wollen wir etwa genetische Zulassungstests als Vorbedingung für die Zulassung zu einem reinen Frauenfest einführen? Wenn wir so etwas nicht tun wollen, dann sind die einzigen Transsexuellen, gegen die jemand etwas haben könnte, diejenigen, die sich zu erkennen geben oder erwischen lassen. Sie werden dann wegen ihrer Offenheit ausgeschlossen, nicht wegen ihrer Transsexualität.
Das Problem der Transsexualität ist eng verbunden mit der feministischen Forderung nach Selbstbestimmung über unsere Körper. Da sich Feministinnen für die Freigabe der Abtreibung, für Empfängnisverhütung und für die Rechte von homosexuellen Männern und Frauen einsetzen, warum können Feministinnen nicht für die freie Wahl des Geschlechts eintreten?\" (S.284)


Kapitel neun behandelt \"DURCH SEX ÜBERTRAGBARE KRANKHEITEN\"
einschließlich unerwünschter Haustiere (Parasiten) wie Kopf- und Filzläuse, Krätzmilben, Spulwürmer, Pilz- und Trichomonadeninfektionen, unspezifische Scheideninfektionen, Hepatitis, Herpes, Tripper (Gonorrhoe), Syphilis (Lues), Feigwarzen u.v.m, sowie aber auch diversen nicht ansteckenden Erkrankungen, ihren Symptomen und Behandlungsmöglichkeiten auf sowohl schulmedizinische wie auch naturkundliche Weise.


Kapitel 10, das ab der 5. Auflage angefügt wurde, behandelt das Thema \"LESBEN UND AIDS\" und ist die Broschüre \"Wer lutscht schon gerne ein Dental dam? Informationen für Frauen, die Sex mit Frauen haben\", herausgegeben von der Deutschen Aids-Hilfe e.V. 1997

Im Anhang befindet sich noch ein Adressverzeichnis von Lesbenberatungsstellen und anderen Organisationen sowie Bezugsquellen für Safer-Sex-Packs für Frauen.


PUHHHHHHHHHH!
Wer bis hierhin durchgehalten hat, ist wirklich gut!

Es ist normalerweise nicht meine Art, soooo viel zu zitieren, aber da das Buch nicht mehr im Handel ist, schien es mir doch vertretbar. Denn so konnte ich wenigstens die wichtigesten Informationen aus dem Buch weitergeben...
Wer gut Englisch kann, dem empfehle ich, mal bei www.abebooks.de zu schauen, dort werden noch etliche Exemplare angeboten. Auch bei www.booklooker.de war jedenfalls Mitte April noch ein Exemplar vorhanden. Das letzte (?) Deutsche Exemplar hatte ich mir an Land gezogen, nachdem ich mein altes pinkfarbenes vor Jahren verschenkt hatte, nachdem ich mich aus dem Bereich Sexualberatung/Sexualtherapie zurückgezogen hatte...

Hier die bibliographischen Angaben:
Auf Englisch: Sapphistry. The Book of Lesbian Sexuality. Naiad Press 1980, die ISBN 094148324X gilt für die Ausgabe 1988

Auf Deutsch: \"Sapphistrie. Das Buch der lesbischen Liebe\" oder \"Wie Frauen es tun\", Orlanda Verlag, ISBN 3929823535


© LeaofRafiki, 12.06.2002

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ACHTUNG FAKERSCHUTZ: Ich poste meine Berichte lieber selber und unter gleichem Nick bei regelmäßig bei Ciao, häufig bei Dooyoo seltener bei Ecomments und Griasdi, so gut wie gar nicht mehr bei Hitwin, ab und an doch wieder bei Yopi und neuerdings bei myopinion24 *grins*

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