Suzanne Vega Solitude Standing. CD Testbericht

Suzanne Vegas 2. Album (1987) enthält den Megahit "Luka" sowie den erfolgreich gecoverten Song "Tom's Diner". Eine Instrumental-Reprise von "Tom's Diner" schließt das Album ab, so dass diese Alltagsszene einen Rahmen für den Rest der Stücke bildet. Tatsächlich war die Coverversion so erfolgreich, dass nur sie auf das Best-of-Album genommen wurde.

Die SONGS
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1) Tom's Diner
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Es sind Alltagsbeobachtungen, die das lyrische Ich an einem Werktag in Tom's Diner macht. Eine Frau mit Strumpfhosen, ein Liebespaar, sie liest die Zeitung - über einen unbekannten Schauspieler. Im Hintergrund beginnen die Kirchenglocken zu läuten, und die Sängerin denkt an den Partner, den sie vermisst.

Das Lied klingt mit der eingängigen Melodie aus, die dann DNA zu einem Partyhit machen sollte.

2) Luka
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... die Hitsingle, erzählt eigentlich eine traurige Story, über Gewalt in der Nachbarschaft oder in einer Hausgemeinschaft. Der Ich-Erzähler oder Ich-Erzählerin, der/die ständig verprügelt wird, will aber nicht, dass man nach dem Grund fragt, in der Hoffnung, dass, wenn er/sie stillhält, er /sie nicht mehr geschlagen wird: "just don't ask me how I am". Das Lied entstand 1984 - wie alle Stücke wohl in New York City.


3) Ironbound / Fancy Poultry
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Eine Abschiedsszene in einem portugiesischen Viertel der Großstadt. Hier findet gerade der Geflügelmarkt statt: "breasts and thighs and hearts/backs are cheap/and wings are nearly/free" - so geht der Schlussrefrain. Sie denkt an Freiheit und Kinder, die hier aufwachsen könnten, doch da sind die Gitter der Stadt: Balken, Pfeiler, Gleise, Drähte des Ironbound-Markts. Ein Song voll Wehmut und gebrochener Hoffnung.


4) In the eye
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Ganz anders hingegen der energische, vorwärtsdrängende Rhythmus dieses Songs. Ein Lied der Konfrontation. "Wenn du mich jetzt töten würdest, würde ich dir hier ins Auge sehen und mich dir ins Gedächtnis brennen - bis du mich wie eine Narbe tragen müsstest." Ein geradezu todesmutiges Lied über den Widerstandskampf, vielleicht den einer Frau.


5) Night vision
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... ist wieder ein ruhigeres Stück (man bemerke den Rhythmus eines Kontrastprogramms), allerdings mit dem Aufruf, auch die dunkle, die Nacht-Seite des Lebens wahrzunehmen; dort herrscht statt Liebenswürdigkeit die Furcht. SIE hat ihn verlassen, dennoch rollt ER sich im Schlaf in blinden Vertrauen und Vergessen zusammen. Die Erzählerin würde IHN gerne beschützen und im Licht halten, doch sie kann ihn nur NACHT-SICHT lehren.-Dieses Lied wurde von Paul Eluards Gedicht "Juan Gris" inspiriert.


6) Solitude Standing
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...weist wieder einen drängenden Rhythmus auf - wie geschaffen für eine Hitsingle - wurde das Stück aber nicht, denn die erzählte Geschichte ist zu komplex, und es gibt keinen laufend wiederholten, eingängigen Refrain wie in "Luka". Was hier als Refrain dient, ist ein symbolisches Bild: "And she turns to me with her hand extended/Her palm is split with a flower with a flame."

Diese Handfläche berührt die Hand der Erzählerin. SIE ist Solitude, eine schwarze geheimnisvolle Silhouette im Nachmittagslicht, und ihre Berührung überträgt Furcht, die Angst vor der Einsamkeit. Die Einsamkeit ist die der Künstlerin, die vor einem Publikum auftritt, obwohl sie lieber ein Teil davon wäre. Solitude ist also eine Personifikation eines Gefühls. Ein schönes Bild, aber man braucht lange, bis man es intuitiv begreift.


7) Calypso
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Die Nymphe erzählt von ihrem Garten auf einer Insel. Hier hielt sie den gestrandeten Griechenhelden Odysseus sieben Jahre fest, sieben von zehn, die er Homer zufolge auf Irrfahrten verbrachte. Doch es ist ein Abschiedslied, denn nach einer letzten Liebesnacht segelt nun der Held von dannen. "I let him go." Und obwohl sie weiß, dass eine einsame Zeit auf sie wartet, bittet sie ihn nicht umzukehren. Ein Lied der zufriedenen Entsagung einer Liebhaberin. Vielleicht weiß sie, dass seine rechtmäßige Gattin auf ihn wartet.

Das Lied entstand 1978, ist also eines der ersten Stücke überhaupt, das Vega schrieb. Der Rhythmus ist der der Wellen am Strand, hypnotisch, immer gleich, zeitentrückt.


8) Language
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Die Sprache ist eine Barriere in den Köpfen zweier Liebender, deshalb schweigen sie. Die Erzählerin wäre am liebsten zeit- und ortlos, "out of context, and out of all consequences". Doch so zieht der Gedanke an eine Tat die Schuld in die Sprache ein. Und so entsteht das Misstrauen gegenüber der unvermögenden Sprache, die nicht ausdrücken kann, was gemeint ist. Die Chance des Gefühls ist die Sprach- und Wortlosigkeit.


9) Gypsy
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Eine wunderschöne Ballade über die Begegnung mit einem "Zigeuner", einem Streuner. Das Lied charakterisiert seine Erscheinung und seine Wirkung: Eulenspiegel, Narr, Geschichtenerzähler, Bezauberer der Damenwelt. Der Refrain ist eine Liebeserklärung: "Oh, hold me like a baby...". Das Stück stammt ebenfalls aus dem Jahr 1978.


10) Wooden Horse (Caspar Hauser's Song):
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Das Holzpferdchen ist das einzige Ding, das Caspar Hauser, so wird hier erzählt, bei sich hatte, als er aufgefunden wurde, ohne Sprache, ohne Namen. Doch das weiße Pferdchen erwachte einmal zum Leben, singt er - vielleicht erinnert er an seine fürstliche Abkunft, an den Reiter, seinen Vater? Caspar schwebt zwischen Lebenshoffnung und Todesfurcht (er wurde im Wald ausgesetzt), doch was einmal Holz war, kann auch zum Leben erwachen...-ein sehr anrührender Song, vorgetragen mit zarter Stimme.


11) Tom's Diner (Reprise)
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Ein Instrumentalstück, das den einführenden Song abwandelt.

Unterm Strich
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Anders als ihr nächstes, geflopptes Album "Days of open hand" ist "Solitude Standing" von Profis produziert worden, die eben mehr auf Kommerzialität geachtet haben. Die Songs und Melodien sind eingängig, aber nicht zu sehr. Das typische Suzanne-Vega-Feeling des 1. Albums blieb erhalten, doch die Instrumentierung wurde stark modernisiert. So hören wir hier verstärkt E-Gitarre und –Bässe sowie Synthi und Orgel. Daneben bilden die unvermeidlichen Begleiter akustische Gitarre und Piano die Basis für Vegas einzigartige Stimme.

Nach einer starken, eindrucksvollen ersten Seite dominieren gefühlvolle und nachdenkliche Stücke die zweite Seite. Emotionen, Symbole und Metaphern herrschen dann vor. Auf der ersten Seite also vor allem die Welt des Außen und des Verstandes, auf der zweiten Seite ergänzt durch die Emotion, das Innen.

Dennoch hinterlässt das Album nicht den klaren Eindruck des Debütalbums. Das mag auch an der überbordenden Instrumentierung liegen, die vieles zudeckt, was sonst nüchtern und unverfälscht dahergekommen wäre. Dafür war dann die Platte ziemlich erfolgreich.

Michael Matzer © 2011ff

Info: 1987, A&M records, Nr. 395136-2