Pro:
6 Gute Songs, schönes Coverdesign
Kontra:
4 miese Songs, insgesamt wie immer nur 10 Stücke auf dem gesamten Album
Empfehlung:
Ja
Grönemeyer ... dieser Name stand für mich lange Jahre als synonym für eine Stimme, die nicht singen kann, die Töne mehr gequält als Melodiös erzeugt. Für einen Mann, mit dem ich nicht so viel anfangen kann, was auch für seine Musik gilt. Eigentlich war mir Grönemeyer als Person ziemlich schnuppe. Genauso seine Musik. Bis vor kurzem. Aber so weit, das mich Grönemeyer interessiert ist es noch lange nicht. Darum geht es jedoch in keinster Weise. Es geht um sein Album „4630 Bochum“.
Auf den ersten Blick erscheint es wie ein seltsam anmutendes „Best of“ mit einem Schuss „schlechtst of“ und einer Prise „Wo sind die restlichen Tracks abgeblieben?“. Doch es ist ein gewöhnliches und sehr frühes Album. Das bedeutet jedoch nicht, das man auf seinen neueren Alben mehr Tracks findet. Gold findet man schließlich auch nicht an jeder Straßenecke. 10 scheint für Grönemeyers Alben von zentraler Bedeutung zu sein. Oder er ist einfach nur faul. Ich weiß es nicht.
Das Cover ist sehr schön gemacht, passend zu Bochum eine schwarze Kohletafel, und der Titel mit Kreide darauf geschrieben. Sitzt, passt, wackelt und hat Luft. Das ist Stil. Nicht überladen, nicht zu karg. Schön!
Die Auswahl der Songs ist aus heutiger Sicht recht interessant. Man findet Grönemeyersche Evergreens wie „Männer“ und „Flugzeuge im Bauch“, aber auch eher unspektakuläre Stücke. Was dabei eher heraussticht und was in der Versenkung verschwindet (oder zumindest sollte) soll nun etwas näher beleuchtet werden.
1 – Bochum – 3:50
Gleich der erste Song spricht mich richtig an. Komisch, das kenne ich sonst von keinem Grönemeyer-Album. Der Anfang muss sich zwar erst ein wenig entwickeln, das Klavier wird erst noch warm, die Drums setzen später ein, die Synth-Effekte genauso, aber schließlich entwickelt sich das Ganze und spätestens beim leider ein wenig kurzen Refrain wird mir unmissverständlich klar, das ich den Song mehr als nur mag. Warum? Tja ... er passt zu einer Bahnfahrt von Düsseldorf in Richtung Osten. Einmal quer durch den Pott. Was haben wir da schönes auf der Karte? Bochum, Dortmund, Essen, etc., und jede dieser Städte erscheint mir vor meinem geistigen Auge, wenn ich den Song höre. Dunkler Abend. Industrie und Kohle, Flutlichtanlagen und eine Sehnsucht nach diesem Gefühl, das mich genau dann packt, wenn ich aus dem Fenster des Zugs blicke. Der Track erzeugt ein Ziehen in meiner Magengegend, obwohl er an einer Stelle ein wenig zynisch auf meine Heimatstadt Düsseldorf herabblickt. Aber im Pott sind wir ja alle gleich!
„Hier, wo das Herz noch zählt, nicht das große Geld. Wer wohnt schon in Düsseldorf?“
Der einzige Minuspunkt dieses Songs liegt für mich ganz klar im Zwischenspiel des Saxophons verborgen. Es mag zwar in den Ohren einiger Leute passen, für mich macht es jedoch den Song kaputt. Die herrlich schwermetallisch-Kohlestaubverdichtete Stimmung wird zerstört, und das lässt mich trotz des guten Textes und der herrlichen Musik einen Punkt abziehen.
9/10
2 – Männer – 4:00
Der Grönemeyersche Klassiker schlechthin. Jeder kennt dieses Lied, jeder kennt den Text, fast jeder kann mitsingen wenn es im Radio oder irgendwo auf einer Party läuft. Warum? Weil der Text einfach wahr ist. Natürlich, zynisch überspitzt, aber das ist eben der Humor des Lebens. Die Musik passt zum offensiven Text, treibt, erscheint aber nicht zu schnell oder gar unpassend. Synths und normales Keyboard, ein paar künstliche Drums und das war’s. Unkompliziert, klar, genau wie der Text. Zwar wird nicht wirklich gesungen, dies nur hier und da im Refrain, aber Sprechgesang ist auch eine Kunst, die beherrscht werden will.
„Wann ist ein Mann ein Mann?“
Ich hab an diesem Song eigentlich keinen negativen Punkt erkennen können. Seltsam klar artikuliert sich Grönemeyer, man versteht alles. Das muss man ihm wirklich zugute halten. Natürlich ist es ein Song, der mit Klischees arbeitet. Aber Musik ist oft ein einziges Klischee, und da dieser Song die Klischees von der ironisch-chamranten Seite nimmt, kann man das mehr als nur verzeihen.
10/10
3 – Flugzeuge im Bauch – 3:54
Ein Song, der schon oft gecovert wurde. Glücklicherweise meist mit spärlich besegnetem Erfolg, was aber auch an der Qualität der Interpreten lag. Man denke an den unglücklichen Versuch von Oli.P, einem jungen Mann, der sich mal das Gesicht richten lassen sollte.
Die Thematik des Songs ist mehr oder weniger simpel, der Text genauso. Die Message wird über simple Worte transportiert, gehen aber tief. Sie liebt jemand anders, er liebt sie immer noch, aber diese Liebe zerstört ihn schmerzlich von innen.
„Gib mir mein Herz zurück, Du brauchst meine Liebe nicht!“
Die komplette Instrumentierung mal wieder vom Keyboard, aber langsam, sanft, schwebend, leicht. Sie ist genau wie der Prozess der Trennung, der Abkapselung: bedächtig, nicht überhastet.
Das Zwischenspiel der Gitarre zu Beginn der zweiten Hälfte des Songs passt perfekt und klingt toll. Keine Frage, ein Song der sich seine Punkte verdient hat. Nur irgendwie kann ich nicht wirklich beschreiben, warum es nicht ganz zu den 10 reicht. Vielleicht der seltsame Beginn des Stücks. Vielleicht weil ich insgesamt momentan eher härtere Musik bevorzuge. Jedenfalls rein subjektive 9,999 Punkte ...
9,999/10
4 – Alkohol – 4:28
Tja, da ist es mal wieder, das leidige Thema Drogen. ABER! Grönemeyer packt es anders an. Er nimmt die Einstiegsdroge Nummer eins, den Alkohol. Er trennt klar die gesellschaftlichen und altersmäßigen Schichten.
„Die Nobelszene träumt vom Kokain und auf dem Schulklo riecht’s nach Gras, der Apotheker nimmt Valium und Speed ...“
Eins ist klar, Alkohol macht einen kaputt. Er schafft temporäre Linderung der Probleme durch das Vergessen, am nächsten Morgen schlägt einem die Realität jedoch wieder brutal ins Gesicht. Die Musikalische Untermalung seines erneuten mehr Sprech als Gesangs (kleines Wortspiel, tschuldigung) beschränkt sich auf Keyboard und Drums, ein Keyboard schlägt zwischendurch auch mal zu.
Insgesamt überzeugt mich der Song jetzt nicht wirklich. Der Text ist zwar schön und gut, aber nicht besonders lang und wird oft wiederholt. Die Musik selbst ist auch nicht herausragend. Insgesamt also ein wenig besser als Durchschnitt.
6/10
5 – Amerika – 3:27
Dieser Song ist mehr als nur genial! Jedenfalls empfinde ich das als anti-amerikanisch eingestellter Mensch so. Amerika spielt sich als Weltpolizei auf. Schön und gut. Amerika mischt ich in jeden Konflikt ein. Tja. Amerika führte kalten Krieg. Hmh.
„Kommst als Retter in jeder Not, zeigst der Welt Deinen Sherriffstern ...“
Überall heißt es, Amerika sei so toll. Ich weiß nicht, ob ich eine Nation bewundern soll, die sich auf verstaubte und sinnlose Gesetze und absolut dämliche Gesetze beruft. Strafe zahlen zu müssen, wenn ein Polizist einen Bikini an einem Strand zu freizügig findet, mit 20 Jahren ins Gefängnis zu kommen, wenn man in der Öffentlichkeit Bier trinkt, oder mit 13 Jahren einfach eine Pumpgun kaufen zu können ... Aber das ist halt Amerika.
„Lad Russland endlich zu dir ein, einigt, entrüstet euch, Amerika, oder schießt euch gemeinsam auf den Mond. Schlagt euch dort oben, der ist unbewohnt“
Die Musik ist mal wieder auf Keyboard und Drums beschränkt, passt aber sehr gut zum Text. Besonders der Beginn des Songs fasziniert mich. Ein wenig eintönig, treibend, aber schön elektronisch. Dieser Grundstoff kommt später im Song auch noch zum Einsatz. Wirklich schön!
10/10
6 – Für Dich da – 3:23
Oh Jeh, was ist das denn? Ich hatte mich gefragt, ob es auf einem Album von Grönemeyer wirklich so viele gute Songs geben kann. Tja, hier kommt die Antwort auf meine Frage. Dieser Song ist schlecht. Aber es ist nicht der Text, denn der ist richtig schön formuliert. Es sind die Musik und der Gesang. Die Musik ist irgendwie klimpernd tuffig, der Gesang dringt größtenteils seltsam gequetscht aus Herberts Mund, ganz besonders im Refrain, der auch noch absolut unmelodiös klingt.
„Wenn die Sonne zu regnen scheint werde ich schon bei dir sein ...“
Ich kann nicht viel über diesen Song sagen, außer das er mies ist. Er lädt einfach dazu ein, den nächsten Track der CD anzuwählen. Für den Text gibt’s noch 3 Punkte, das war’s aber auch schon!
3/10
7 – Jetzt oder nie – 4:57
Die Musik eher schleppend, die Stimme fast schon gelangweilt, deprimiert. Die Grundaussage wie der Titel: Jetzt! Nicht lange warten, sondern handeln! Streckenweise gesellschaftskritisch und schön formuliert.
„Wie eine träge Herde Kühe schauen wir kurz auf und grasen dann gemütlich weiter ...“
Die Musik einmal mehr bestehend aus Keyboard und Drums, also nichts aufsehenerregendes. Der Gesang ist ok, die Musik gut, nicht zu schnell und nicht zu lahm, ein gutes Gleichgewicht zwischen Melodie und Gesang, auch der Text hat was.
Für mich ergibt das solide 7 Punkte, da der Text zu Beginn ein wenig zu abstrakt ist, und die andauernd wiederkehrende Textzeile „Wascht ihr nur Eure Autos“ irgendwie nervt und nicht ganz passt.
7/10
8 – Fangfragen – 4:15
Na ja, na ja, locker flockig, aber ohne das gewisse Etwas. Der Text ruft eine gewisse Vertrautheit in mir wach, aber die Musik ist nicht so besonders gut getroffen, zum Text passt sie auch nicht wirklich. Es geht um das leidige Thema Eifersucht, aber unter dem richtigen Blickwinkel. Eifersucht hat immer einen einzigen Grund. Liebe.
„Ich sterb vor Eifersucht, ich lass nichts unversucht, Du bist mir dafür grund genug!“
Die Musik ist für die Thematik, die im Liedtext verarbeitet wird zu flapsig, zu verspielt. Zwar ist sie nicht wirklich „schlecht“, aber dennoch unpassend. Der Gesang ist durchschnittlich, hier und da aber ein wenig nervend, wenn er die Vokale auf seine typische Art überdehnt. Insgesamt reicht es nur für 4 Punkte.
4/10
9 – Erwischt – 4:00
Igitt ... Schon die Einleitung des Songs macht mir Angst vor mehr. „Niemehrniemehrniemehrniemehrniemehrniemehrniewieder“ Grönemeyer zeigt die unangenehmste Seite seiner Stimme. Absolut kehlig soll das Stück wohl wie ein kleiner Choral rüberkommen. Es nervt. Zum Glück ist es nur kurz!
Der Song an sich, der jetzt erst richtig beginnt, ist von der relativ ruhigen Sorte. Und langweilig, so richtig schön zum Einschlafen. Eigentlich schade, denn die Texte sind nicht so schlecht wie die Musik, auch der Gesang ist annehmbar. Und wenn’s einen erwischt, dann ist eh alles vorbei, da kann man auch über stimmliche Unklarheiten hinwegsehen.
„weck mich nicht auf, es ist so traumhaft mit dir, es hat mich wieder erwischt ...“
Insgesamt knapp unter Durchschnitt. Der Beginn ist mies, die Musik ist langweilig, der Gesang ganz ok, nur der Text reißt den Song ein wenig raus.
4/10
10 – Mambo – 2:45
Den Abschluss der CD bildet glücklicherweise ein richtig guter Song. Direkt der Anfang ist spritzig, hat Geschwindigkeit und der Gesang setzt auch fast sofort ein. Der Text zielt weniger auf Sehnsucht ab, mehr auf ein leidiges Problem, das jeder Autofahrer kennt.
„Ich finde keinen Parkplatz, ich komm zu spät zu dir, mein Schatz. Du sitzt bei Kaffee und Kuchen und ich muss weiter suchen ...“
Was ich auch lustig finde: Der Song wird von Steeldrums begleitet. Das gibt dem ganzen ein herrlich entspanntes Feeling, obwohl der Song von Such-Hektik geprägt ist. Genial!
10/10
Insgesamt war ich anfangs von dem Album überrascht, nach mehrmaligen Hören und Abwägen bin ich zu dem Schluss gekommen, das es eines seiner besseren ist. Zwar findet man nur 10 Tracks, aber er ist ja bei bisher jedem Album so sparsam geblieben, also ist das nur die Weiterführung eines bewährten Durchschnitts.
Ich hab auf dieser CD 6 Songs vorgefunden, die ich gut finde, und das will bei Grönemeyer schon was heißen. Der Rest spricht mich weit weniger an, aber ich habe bei Grönemeyer und meinem Empfinden für seine Musik schon öfters ein Gefälle bemerkt. Entweder ich finde einen Song richtig gut, oder ich finde ihn richtig schlecht.
Insgesamt kann ich nicht sagen, ob das Album etwas für Erst-Hörer ist, sofern es solche Menschen noch gibt. Mir hat es jedenfalls ganz gut gefallen, trotz der schlechteren Songs, weswegen ich 4 Sterne und eine Empfehlung vergebe. Den momentanen Preis von ca. 15 Euro für ein Grönemeyer-Album würde ich zwar in keinem Fall ausgeben, aber für Fans ist es sicher eine Überlegung wert.
Es gibt ja schließlich auch noch ebay. weiterlesen schließen
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