Pro:
Wunderschön und zauberhaft, ein Stück Geschichte
Kontra:
Mit 10 Euro ist man dabei
Empfehlung:
Ja
Wo der Tod noch ein Teil des Lebens ist ...
„Wahr sind nur die Erinnerungen, die wir in uns tragen!“
Ein Wochenende in Prag.
„Sie kommen doch mit nach Prag Herr M., oder?“
Magische Worte aus dem Munde meiner bezaubernden Kollegin, denen mein Verstand mittels einer positiven Antwort natürlich sofort Erwiderung zu leisten versucht, während mein Körper sich noch hektisch zwischen Schreibtisch und papierentleertem Gemeinschaftsdrucker um ein zeitnahes Füllen desselbigen bemüht.
Ein Wochenende in Prag.
„Ja, das jüdische Viertel und vor allem den jüdischen Friedhof will ich mir ansehen!“
Eine Portion aufgewärmtes Kantinenessen, 2 Gläser Vanilla Coke, mehrere Lacher über die Coke und 4 Kunden später schallen die Worte meiner Kollegin noch immer durch meinen Hinterkopf. Der jüdische Friedhof. Wollte ich auch schon immer mal besuchen. Den Golem sehen. Rabi Löw auf die Schulter klopfen.
Ein Wochenende in Prag.
„Ich bin gerade auf dem Weg zum jüdischen Friedhof!“
Entsetzen und kalter (teilweise aber auch warmer) Schweiß auf meiner Stirn. Ein Kopf, der mir sagt, dass es meine letzte Chance sein wird, den Friedhof zu sehen. Mein Kollege mit dem ich an diesem Vormittag bisher unterwegs war hat nichts dagegen, dass ich von seiner Seite rasch auf die Seite der Kollegin wechsle und in entgegengesetzter Richtung weitermarschiere. Und so geschieht es. Und der Herr sah, dass es gut war!
Den Eingang des Friedhofs zu finden gestaltet sich vom Schwierigkeitsgrad her durchwachsen. „Eingang“ ist hier eine abschüssige Einfahrt, die leicht übersehen werden kann, da nur auf einem kleinen, bronzenen Schild „Jüdischer Friedhof“ geschrieben steht. Auf unserem Trip sind wir anfangs jedoch eiskalt an diesem Schild, dem Eingang und der riesigen Schlange dort vorbeigestiefelt, um schließlich einmal komplett um das jüdische Viertel herum zu laufen. Auf halbem Wege konnte ich mit einem tschechischen Türsteher in gebrochenem Englisch eruieren, dass wir den Eingang nach einer weiteren halben Umkreisung des Viertels finden würden. Ein Hoffnungsschimmer am Prager Horizont!
Als sich die Schlange am Eingang und natürlich an der angeschlossenen Kasse lichtete, wurden wir des für Prager Verhältnisse doch recht hohen Preises für den Eintritt gewahr. 300 Tschechische Kronen kostet es, den legendären Friedhof und die angeschlossenen vier Synagogen zu besuchen. Doch was soll’s, wofür ist man schließlich in Prag? Mit den lustigen Scheinen und Münzen, die noch in unseren Geldbörsen steckten, hätten wir außer Landes sowieso nicht mehr viel machen können. Wir kamen, sahen und zahlten ... und traten ein ...
... und spürten sofort, dass dieser Friedhof etwas ganz besonderes ist!
Durch ein altes, metallenes Gitter sieht man direkt auf grasbewachsene Hügel, aus denen kräftige Bäume wachsen. Grabsteine stehen, liegen und fallen chaotisch zwischen Blumen, Bäumen und dichten, unregelmäßig wachsenden Grasbüscheln. Stein verwittert, Moos bewächst und auf eine absolut natürliche und friedliche Art und Weise findet hier der Tod den Einklang mit dem Leben. Seit Jahrhunderten!
Bemerkenswerte Informationen zu diesem wundervollen Ort finden sich in einer Informationsbroschüre, die in mehreren Sprachen kurz hinter dem Eingang ausliegt. So existiert der Friedhof schon seit 1439 unverändert(!). Da im jüdischen Glauben Gräber nicht ausgehoben werden dürfen, liegen hier sage und schreibe 12 Schichten solcher Gräber aufeinander. Somit ist es also nicht verwunderlich, dass so mancher Grabstein heute nur noch zu einem kleinen Zipfel aus dem Boden schaut, während direkt daneben ein Grabmal mit sicher über einem Meter Höhe noch recht „neuwertig“ daherkommt. Neuwertig natürlich nur mit einem kleinen Augenzwinkern, da die letzte Bestattung im 18ten Jahrhundert auf diesem Friedhof vorgenommen wurde. Während sich über mehrere Jahrhunderte Leben und Geschichte Prags entwickelten, fanden schätzungsweise mehr als 100.000 Juden auf diesem beschaulichen Platz ihre letzte Ruhe. Unter ihnen auch wahre Berühmtheiten wie z.B. Rabbi Jehuda Liwa ben Bezal’el (Rabbi Löw, verstorben 1609), dessen Lebensgeschichte zur Legende wurde, als er den Golem, Hüter und Beschützer des jüdischen Viertels und aller Juden in Prag, heraufbeschwor. Das Grab des Rabbis ist eines der 9 großen Grabmale, und viele Menschen besuchen es, um kleine Papierschnitzelchen in seine Gruft fallen zu lassen, auf denen Sie ihre Herzenswünsche notiert haben. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Angesichts eines solch beeindruckenden Ortes vielleicht aber auch nie.
Als Tourist/Besucher des Friedhofs hat man natürlich dem eingezäunten Weg zu folgen. Dieser führt zwar nicht wirklich mitten durch die Grablandschaft, lässt aber dafür den Blick auf die schönsten Winkel frei. Grabsteine in vielen verschiedenen Formen und Größen, keiner wie der andere. Auf jedem dieser Grabmale sind ein paar Sätze, oft sogar in Versform eingraviert, die das Leben des Verstorbenen beschreiben. Ich stelle es mir wirklich sehr aufregend vor, die Sprache so gut zu beherrschen, dass die Inschriften lesbar werden. Aber auch ohne die Sprachkenntnis kann man den Grabsteinen durch Symbole und Zeichen einiges an Informationen entnehmen, z.B. über Beruf, Werdegang und Eigenheiten des Menschen, der zur letzten Ruhe gebettet wurde. Ein Symbol, das ich selbst entdecken durfte, war das zweier segnender Hände. Das Grab eines Mitglieds einer Priesterfamilie.
Wichtig erscheint mir im Zusammenhang mit der Erwähnung all dieser wunderschönen Einzelheiten noch die Tatsache, dass das Knipsen von Fotos und drehen von kleinen Homevideos aus Rücksicht auf die Verstorbenen verboten ist. Tatsächlich habe ich selbst keine Bilder gemacht, doch werde ich in dieser Hinsicht meine Begleitung um Kopien ihrer Bilder bitten ... sie war in Sachen Bildaufnahme ein wenig skrupelloser als ich, was dem Personal rund um den Friedhof jedoch auch nicht aufgefallen ist.
Sollte man keine Bilder gemacht haben ist jedoch noch nicht alles verloren, denn:
Auch für Souvenir-Jäger ist dieser Ort eine nette Anlaufstelle, da man nach dem Besuch des Friedhofs eine Seitenstraße begehen kann, die von kleinen Händlern mit kleinen Ständen bevölkert wird. Zwischen viel Tand und überflüssigem Kram findet man hier so manchen hübschen Anhänger mit dem Golem, Schwerter in Miniatur, Rüstungen, Ritter, Schmiedekunst, alles was das Herz begehrt. Zum Teil sogar zu relativ günstigen Preisen. Ein kühles Bier für nur einen Euro sucht man hier jedoch vergebens. Dafür kann man aber auch das Kafka-Haus beehren ... dort gibt es dann sogar echtes „Tschechisches Droschkenkutscher-Gulasch“ für nur 169 Kronen. Ein geiziger Gourmand, wer da nicht zuschlägt!
Ich war von diesem Friedhofsbesuch tief berührt. Christliche Friedhöfe – ob nun zeitgenössisch oder historisch, städtisch oder kirchlich - üben auf mich oft nur wenig Faszination aus. Selbst im Tode steht der Versuch, allem und jedem eine bestimmte Form aufzuzwingen. Wege wie mit dem Lineal gezogen, abgesteckte Grabstätten, überzogene Bouquets voll mit grellen, schreienden Blumen und Farben und dennoch über allem der Hauch des Verwesens. Der jüdische Friedhof hat mir jedoch das genaue Gegenteil gezeigt. Der Tod offenbarte sich mir genau so, wie ich ihn auch selbst verstehe. Als ein Teil des Lebens. Natur in ihrer einfachsten Form. Leben, das aus dem Tode erwächst. Ein ewiger Kreislauf.
Fazit: Der Besuch dieses Friedhofs ist meiner Ansicht nach ein absolutes Muss, wenn man in Prag weilt. Sicher gibt es viele Sehenswürdigkeiten, die in Büchern, Reiseführern und sonstigen Medien stärker hervorgehoben werden. Doch manchmal sind es die kleinen Dinge, die große Faszination ausüben. Und für einen kleinen Abstecher in die angeschlossenen Synagogen reicht die Eintrittskarte ja schließlich auch noch aus. Wenn man denn genug Zeit mitgebracht hat, um sich alles in Ruhe anzusehen ... weiterlesen schließen
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