Pro:
Göttlich, genial, trashig
Kontra:
nix
Empfehlung:
Ja
Mal wieder so ganz zufällig bin ich auf ein Kleinkunstjuwel im schier undurchdringlichen Berliner Kulturleben gestoßen.
Ich las vor einigen Wochen, dass die Teufelsberger (http://www.teufelsberger.de) ein neues Programm haben. Es solle sich um ein Trash Musical rund um eine DSDS Verarschung handeln. Und es soll sich um die bisher aufwendigste Produktion handeln, da man sich bisher auf Theater beschränkt hatte und nun sogar mit eigenen Songs aufwarten kann. Das hörte sich schon mal witzig an. Ausschlaggebend für meinen Wunsch, das Stück zu sehen, war letztendlich jedoch die Mitwirkung von Biggy van Blond.
Denn die Gute wird von mir aufgrund ihrer Leistung als DJane im "Klub International" (siehe Bericht) verehrt.
Leider liegt das BKA Theater (http://www.bka-theater.de) am Mehringdam etwas abseits meiner Wohngegend, so dass der Vorsatz, das Theater zu besuchen, auch ins Abseits geriet.
Doch dann sahen wir vor einigen Tagen im BKA Luftschloss (http://www.bka-theater.de) ein Werbeplakat für besagtes Programm namens "Edith Schröder Superstar". Aufgrund des riesigen Erfolges war es in das größere Theater am Schlossplatz verlegt worden.
Flugs waren die Karten gekauft und letzten Samstag war es dann so weit:
Gespannt und voller Vorfreude auf das (bisher unbekannte) Luftschloss und das Programm trafen wir uns kurz vor 19:00 auf dem Schlossplatz gegenüber dem "Alten Museum" mit Lustgarten.
Das Theater:
Beim Luftschloss handelt es sich um eine Art Zirkuszelt als eigentlichen Aufführungsort. Drumherum kamen Anbauten in Wagen- Container- und Zeltform für Foyer, Küche, Garderobe und Toiletten. Alles wirkt sehr einfach und gestückelt. Trotzdem hat das Luftschloss seinen eigenen Charme und wir hatten auch gar nicht so viel Zeit, uns genauer umzusehen.
Denn kurz nach 19:00 begann der Einlass und das Gedränge war schon stark. Schließlich gibt es freie Platzwahl innerhalb der gekauften Kategorie.
Der Aufführungssaal erinnert etwas an Zirkus. In der Manege ist vorne die schlichte Bühne, davor ein paar Tische mit Plätzen und dann folgen die einfachen Sitzreihen.
Ich empfehle Tischwahl, da hat man doch ein wenig mehr Beinfreiheit als in den sehr beengt wirkenden Reihen.
Bei den Tischen empfehle ich wiederum einen Platz auf der Galerie, die sich etwas erhöht um die "Manege" zieht. Von den Tischen hat man einen schönen, leicht seitlichen Blick übers Publikum direkt auf die Bühne. Außerdem gerät man nicht in Gefahr, ein Regal oder eine Kasse in der Deli Abteilung bei Karstadt Hermannplatz spielen zu müssen. Hinter besagten Tischen befinden sich nochmals treppenförmig angeordnete Sitzplätze.
Die Karte bietet eine erstaunlich große Auswahl an Getränken und einige Speisen. Schon lustig ist es anzusehen, wenn die Besucher in den Stuhlreihen ihr Bier auf dem Schoß balancieren müssen.
Beiderseits neben der Bühne befinden sich Bars, an denen man in Selbstbedienung Getränke ordern kann. Mit etwas Ausdauer und Geduld wird man aber auch bedient. Bei unserem Besuch wirkte die Bedienung allerdings sehr gestresst und überfordert.
Das Stück
Edith Schröder (Ades Zabel) ist Sozialhilfeempfängerin in den späten Fünfzigern, die in dem mit Taubenkot bedeckten und bis auf ihre Wohnung im 4. Stock unter dem Dach entmieteten Hinterhaus in der Nogatstraße in Neukölln auf ihre Rente wartet. Ihren Mann Hotte hat sie bei einem tragischen Unfall Sylvester 2000 verloren. Seit dem sind ihr nur die Freundinnen Kneipenwirtin Jutta Hartmann (Bob Schneider) und Leggings Boutique Biggy (Biggy van Blond) geblieben.
Als Jutta, deren Laden auch nicht mehr so gut läuft, nun den "Deckel" von Edith kassieren will und dabei feststellt, wie lethargisch die Freundin geworden ist, kommt ihr die rettende Idee. Edith soll sich beim Casting zur 10. (Gott bewahre uns in Wirklichkeit davor!!!) Staffel von DSDS bewerben.
Als Manager und Stilberater fungieren dabei Jutta und Biggy.
Natürlich ist das Casting ein Desaster. Peter Polen (Stefan Kuschner) und Shanana Fraser (Biggy van Blond) sind entsetzt und gelangweilt zu gleich. Die Quoten sind im Keller, man ätzt sich gegenseitig an und dann auch noch diese dilettantische Hausfrau. Ganz anders Petra M. Stein (Bob Schneider), die sich sofort in Edith verliebt und innerhalb der Jury Edith bis in die Endrunde durchboxt – natürlich nur gegen entsprechende Gegenleistungen wie die "Doppelte Orchidee" durch Edith.
Es kommt wie es kommen soll. Edith wird Superstar und vegetiert doch nur bei Auftritten in Reno Schuhmärkten in Marzahn vor sich hin. Das reicht Pieter Polen jedoch nicht, er braucht Schlagzeilen! Und was wäre da besser als eine Schwangerschaft? Das haben ja auch Verona, Madonna und Sarah schon erfolgreich vorgemacht. Da es schnell gehen muß, spendet der uneigennützige Pieter natürlich schon mal sein eigenes Sperma.
Edith jedoch ist ganz und gar nicht begeistert und es kommt zum Eklat mit grandiosem Finale!
Nummer 5 im Ensemble ist Lars Schwuchow, der mehr oder weniger bekleidet als Tänzer eine gute Figur macht und seine selbige zeigt. Aber er war auch an der Gestaltung des Stücks maßgeblich beteiligt, da er für die Choreographie der gesamten Tanzszenen verantwortlich ist. Die Musik stammt von Anne Farnbacher und Frank Nörenberg, die sich schon für die Songs aus "Mutti der Film" verantwortlich zeichneten, während sich Biggy van Blond die genialen Texte schrieb.
Last but not least vervollständigt Gert Thumser das Team, der mit Anne Farnbacher und Frank Nörenberg während der Vorstellung die Technik bedient.
Meinung
Ich wusste nicht so genau, was mich eigentlich erwarten würde. Bisher hatte ich noch keine Vorstellung der Teufelsberger gesehen und optisch war mir nur Biggy bekannt.
Was ich dann jedoch vorgesetzt bekam, ließ mir öfter die Tränen vor Lachen in die Augen schießen und gleichzeitig nach Luft schnappen! Es war einfach eine kleine Sensation.
Neben dem wirklich trashigen Äußeren der Figuren und Dekos sind die Charaktere selbst so liebevoll und punktgenau gezeichnet, dass man sich die drei Neuköllner Freundinnen als wirkliches Trio infernale vorstellen kann.
Neben einigen zotigen Witzchen und allerlei Situationskomik, findet man in dem Stück auch jede Menge Alltagsbezug und Gesellschaftskritik. Dabei wird nicht der Finger gehoben, sondern auf Einsicht beim Lachen gesetzt. Das führt dazu, dass der ein oder andere Lacher schon mal im Hals stecken bleiben will, wenn einem der reale Hintergrund dazu klar wird.
Das heißt allerdings nicht, dass es sich hier um schwierigen Stoff oder eine langweilige Inszenierung handelt. Ganz im Gegenteil: Die Teufelsberger legen großen Wert auf beste Unterhaltung durch überzogenen Trash, direkte Anspielungen und einer gekonnten Inszenierung.
Das alles geschieht mit bescheidensten Mitteln und zeigt, dass Theater weder langweilig sein noch am Tropf von Berlins Kultursenator hängen muß.
Der überragende Erfolg, weswegen man das Stück auch ins größere Luftschloss verlegte gibt den Machern wohl mehr als Recht.
Die schauspielerische Leistung der Herren ist allerdings durchwachsen. Ich hätte insbesondere von Biggy deutlich mehr Pepp erwartet. Sie kam etwas hölzern und gehemmt rüber. Ades und Bob wirkten dagegen sehr routiniert aber eben doch nicht wirklich talentiert. Das alles gehört aber vermutlich zu diesem Charme einer Laienspielgruppe, der man auch mal Textaussetzer und kleinere Zwiegespräche mit dem Publikum verzeiht. Denn selbiges liebt seine Lokal"Superstars".
Die Musik ist sehr eingängig und man sollte ruhig seine Ohren offen halten. Auch in den Texten (dafür mein Kompliment an Biggy) findet man den ein oder anderen Bezug zur Wirklichkeit. Wichtiger hingegen sind die scheinbar sinnlosesten Textzeilen, die mit einem leidenschaftlichen Pathos und einer herrlich ausgefeilten Choreografie vorgetragen werden, dass man glaubt, sich in einem surrealistischen Bild von Dali zu befinden. BRAVO
Fazit:
Das Hausfrauenmusical „Edith Schröder Superstar“ provoziert mit Sozialkritik, erotischen Tanzeinlagen und Minderheitenwitzen echte Lachsalven beim Publikum. Aber Achtung! Auch Unvorhersehbare Überraschungen und die Einbeziehung völlig harmloser Unbeteiligter steht auf dem Spielplan!
Meine Empfehlung: Wer mal wieder richtig lachen und eine gute Inszenierung erleben will, der kommt ums Luftschloss nicht herum – HINGEHEN!
Die nächsten Vorstellungen beginnen am 30. März 2004
Eintritt (Euro):
Kategorie A: 21,-
Kategorie B: 15,-
Kategorie C: 9,-
BKA-Luftschloß
Schloßplatz | Berlin-Mitte http://www.bka-theater.de weiterlesen schließen
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