Pro:
zentrale Lage in England; besser als der Ruf; Shopping; Nachtleben
Kontra:
kein Meer oder Fluß; Bausünden der Vergangenheit nicht immer übersehbar - aber es tut sich was
Empfehlung:
Ja
Die zweitgrößte Stadt Englands, Birmingham - obwohl eine Millionenmetropole - ist in Deutschland doch eine eher unbekannte Größe. Dies mag auch an ihrem grauen Image, das auch in Großbritannien nicht unbedingt das beste ist.
Statistische Daten
1998 habe ich in dieser Stadt, die mit den sie umgebenden Orten (der bekannteste dürfte wohl noch Wolverhampton sein) ca 2,600,000 Einwohner hat, ein halbes Jahr gelebt. Ich habe dort an der Aston University studiert. Ich kann mich noch sehr gut an das allgemeine Unverständnis in meinem Bekanntenkreis erinnern, wieso grade diese Stadt, die ist dreckig, reine Industriestadt, dort gibt es nichts, was man sehen kann. Mit zugegebenermaßen gemischten Gefühlen trat ich damals meine Reise an, hatte mich natürlich auch vorher ein wenig informiert, und wusste, dass gerade in Birmingham in den 70er Jahren viele Bausünden begangen worden sind, die man heute natürlich auch im Stadtbild noch sieht, aber ich wusste auch, dass das mit der dreckigen Industriestadt so ganz nicht mehr stimmt, ganz im Gegenteil muss man sagen, dass Birmingham damals 1998 eine Arbeitslosenquote hatte, die exakt im Landesdurchschnitt von ca. 7 % (damals) lag.
Zum Vergleich: Liverpool konnte satte um die 20 % aufbieten. Dies liegt auch daran, dass vor allem in der Stadt Birmingham der Dienstleistungssektor den industriellen längst abgelöst hat, für die gesamte Stadtgrafschaft gilt dies allerdings nicht, vor allem die westlicher gelegenen Städte leiden unter dem Wegbrechen ganzer Industriezweige. (Montanindustrie, also Stahl und ähnliches)
The City
Tja, mein erster Eindruck, als ich einen Stadtbummel machte, war der, dass mir das Zentrum kleiner vorkam, als das von beispielsweise Köln. Es machte auf mich von der Größe her eher den Eindruck, als wäre ich in einer Stadt mit so ca. 500,000 Einwohnern, (Birmingham selbst hat so an die 1 Million ohne die Vorstädte, also durchaus mit Köln vergleichbar). Der zweite Eindruck war gar nicht so übel: zwar kleiner als erwartet, aber dafür sehr belebt (das kleiner als erwartet gilt nur für den Stadtkern, ansonsten ist die Stadt ziemlich riesig und für den Neuankömmling dank zusätzlichem Linksverkehr total verwirrend. Ich war mit dem Auto da und habe mich grade zu Beginn sehr oft verfahren. Der dritte Endruck: wo sind denn die ganzen Bausünden? Die gibt es natürlich noch überall, und da Birmingham im 2. Weltkrieg auch Ziel von Luftangriffen der deutschen Luftwaffe wurde, wurde hier viel historische Bausubstanz zerstört, ähnlich wie in der Nachbarstadt Coventry. Doch Birmingham ist eine Stadt im Wandel, dort gibt es viele neue, erst in den letzten 10 Jahren entstandene oder komplett restaurierte Gebäude. Das Rathaus zum Beispiel und der ihn umgebende Platz wurden im viktorianischen Stil aufgebaut..
Außerdem wurde Birmingham zu einem wichtigen Tagungsort aufgewertet. Der EU-Gipfel von 1998 fand im ziemlich neuen und modernen ICC (International Congress Centre) statt. . Interessant dürfte sein, dass Birmingham zu den Fördergebieten der EU gehört, mit anderen Worten, keiner in Deutschland weiß, was da entsteht, ein sehr modernes Stadtzentrum, finanziert zum Teil von EU-Geldern, also auch mit deutschen Geldern.
Die Einkaufsmöglichkeiten lassen eigentlich keine Wünsche offen, wie man auch nicht anders erwarten konnte, hier gibt es im Prinzip alles, natürlich ein paar Nummern kleiner als in London, aber mit London kann sich eh keine andere Stadt Englands messen, es wird wohl auch gar keine erst versuchen. Und natürlich gibt es jede Menge Museen, Bildergalerien, das Black County Museum verdient besondere Erwähnung, dies ist eine Art Freilichtmuseum, hier kann man vor Ort sehen, wie vor 100 Jahren die Arbeitswelt aussah.
Verkehrstechnisch gesehen liegt Birmingham optimal, es sind etwa 2 Stunden bis nach London und Manchester, es gibt auch zahlreiche Autobahnen in alle Richtungen, einen internationalen Flughafen, und logischerweise ist auch der Bahnhof ein Knotenpunkt im zentralen England (man nennt die Gegend auch allgemein Central England)
Nightlife
Von einer Millionenmetropole erwartet man natürlich ein gutes Nachtleben, und hier bietet Birmingham eigentlich alles, was das Herz begehrt, wer hier ein halbes Jahr wohnt, wird spätestens nach einem Monat froh darüber sein, denn langweilig wird es nie. Es gibt Pubs, Clubs (die Engländer würden zu einer guten Diskothek niemals Disco sagen, das ist eher ein Schimpfwort), ich würde mal sagen, es ist wirklich für jeden was dabei, besonders schick ist die Gegend um die Kanäle herum - Birmingham verfügt von der Kilometerzahl über mehr Kanäle als Venedig, allerdings, ähm , naja, gut, mag statistisch richtig sein, so richtig ins Auge fallen sie ausser an einer Stelle im Stadtzentrum nicht, diese Stelle, die an die Innenstadt grenzt, wurde auch in den letzten 10 Jahren komplett neu aufgebaut, was natürlich vor allem Abends auch richtig schön aussieht, Ausgehviertel am Wasser, Brum (wie die Einheimischen ihre Stadt nennen) hat nämlich keinen Fluss, da ist man über jedes bisschen Wasserlage froh, hier und an der angrenzenden Broad Street findet man auch zahlreiche Clubs.
Das typische Nachtleben damals, 1998 sah dann so aus, zuerst in den Pub oder ähnliche Stätten, und anschließend nach 11 Uhr (Last Orders, dann gibt?s kein Bier mehr, und die Pubs müssen schließen, sollte hier eigentlich die Vergangenheitsform wählen, denn dieses komische Gesetz gibt es nicht mehr) geht es in die Clubs, die bis 2 Uhr Alkohol ausschenken dürfen und dann schließen (dieses Schließen verzögert sich aber mitunter auf bis zu 4 Uhr ), über das Bier möchte ich mal lieber keinen Kommentar loswerden, das gehört ja auch nicht hierher. Ja, und es gibt natürlich auch hier, wie in jeder Grossstadt, Gegenden, die man Abends besser meidet, hier sollte man sich vor Ort informieren, allgemein sind grade in diesem Jahr vermehrt Rassenunruhen zu vermelden, ich habe davon damals nichts mitbekommen, aber man muss auch sagen, dass England was das anbetrifft, nicht das gelobte Land ist, der Grund, warum es so selten Unruhen gibt, liegt oft einfach darin, dass ganze Stadtteile nur von bestimmten Gruppen bewohnt werden, am extremsten ist das sicher in Bradford (liegt bei Leeds in Nordengland), dort hat es ja vor allem diese Unruhen gegeben, aber theoretisch können sie überall ausbrechen, wo viele verschiedene Nationalitäten mit einander aber nicht zusammen leben. Aber das ist natürlich ein ganz anderes Thema, ich will es hier nur der Vollständigkeit halber nicht unerwähnt lassen.
Birmingham & Fussball
Unbedingt sollte man auch mal einen Abstecher zum Premierleague-Club Aston Villa, neben Birmingham City der zweite und erfolgreichere Verein aus der Stadt, machen (besiegte 1982 sogar im Landesmeister-Cup-Endspiel Bayern München). Das Stadion VIlla Park bietet etwa 40,000 Zuschauern Platz, aber die machen Stimmung für 70,000, man muss Fußball in England einfach mal erlebt haben. Sowohl Aston VIlla als auch Birmingham City spielen derzeit (2004) in der Premierleague. Die beiden Fangruppen sind nicht unbedingt miteinander befreundet, so dass es schon mal an Spieltagen zu Ausschreitungen kommen kann.
Neben diesen beiden gibt es auch noch zahlreiche Vereiner aus den umliegenden Nachbarstädten.. Die bekanntesten dürften WBA (West Bromwich Albion) und die Wolves (Wolverhampton Wanderers) sein. Auch das Verhältnis dieser beiden Vereine ist durch eine starke Rivalität geprägt.
Die Einwohner
Irgendwelche fremdenfeindlichen Töne sind mir überhaupt nicht begegnet. Dabei ist dies ja oft ein heikles Thema grade zwischen Deutschen und Engländer, hinzu kommt ja hier noch, dass grade das Gebiet der West Midlands von deutschen Angriffen betroffen war. Auch mein Auto hatte keine Spuren davon tragen müssen. Insgesamt kann man die Menschen hier als sehr natürlich bezeichnen, die Arroganz der Haupstadt trifft man hier nicht. Stattdessen wird man überall (naja, fast) freundlich aufgenommen, es ist sehr einfach, ins Gespräch zu kommen. Was den Dialekt anbetrifft, den sogenannten Brummi Accent (laut einer Umfrage der unerotischste in England), an den muss man sich natürlich gewöhnen, mit Schulenglisch hat das nicht so sehr viel gemein. Aber das gilt ja für viele Ecken des Vereinigten Königreichs.
Das Umland
Wenn man dann mal vom Stadtleben genug hat, gar kein Problem, Birmingham liegt sehr zentral, man kann fast sagen, in der Mitte Englands, Wales ist nicht weit, Stratford-upon-Avon, die Geburtstadt Shakespeare's ist gerade mal 40 KM entfernt, und in Warwick findet sich eines der schönsten und besterhaltenesten Schlösser überhaupt. Die Eintrittspreise sind aber wie fast überall in England ganz schön gepfeffert, der hohe Pfundkurs gibt der Kasse den Rest. Im Nordenwesten der Stadt schließlich findet man den Peak District, ein Naturschutzgebiet, das allerdings nicht direkt an den Stadtgrenzen anfängt, man muss ca. 50 KM fahren, um es zu erreichen, es erstreckt sich dann aber noch hoch bis nach Manchester/Sheffield, und hat zum Teil (zumindest scheint es so) unberührte Natur zu bieten, Hochmoorlandschaften und einsame Seen.
Fazit
Wer hier einige Zeit verbringt, muss nicht verzweifeln, hier tut sich einiges, und fällt einem doch mal die Decke auf den Kopf, so bieten sich dank der optimalen geographischen Lage fast alle Möglichkeiten, man kann einen Trip nach Wales machen, nach London, nachteilig habe ich empfunden, dass Birmingham auch die Stadt ist, die mit am weitesten vom Meer entfernt ist, das gibt einem nicht unbedingt das Gefühl, auf einer Insel zu sein. Aber die vielfältigen Möglichkeiten, die man hier im kulturellen Bereich hat, wiegen diesen "Nachteil" zumindest teilweise wieder auf (auch wenns ja irgendwie mit Meer doch schöner wäre...).
http://www.virtualbrum.co.uk/
http://www.birmingham.gov.uk/
http://www.birminghamuk.com/
http://www.birmingham.org.uk/ weiterlesen schließen
Bewerten / Kommentar schreiben