Pro:
Auf mehreren Ebenen interessant, Suhrkamp - Ausgabe ist gut kommentiert
Kontra:
"Dänische Fassung" kaum zu kaufen
Empfehlung:
Ja
Für die Uni musste ich dieses Mal u.a. Brechts "Leben des Galilei" lesen. Ich bin kein großer Fan von Brecht, darum hielt sich meine Begeisterung zuerst in engen Grenzen. Trotzdem - oder gerade deswegen? - möchte ich hier nun meine Leseerfahrungen mitteilen...
-----STORY:-----
Galileo Galilei (1564-1642) arbeitet als Lehrer der Mathematik an der Universität in Padua. Er hält das kopernikanische Weltsystem (die Erde dreht sich um die Sonne) für das richtige und bringt das auch seinem Schüler Andrea - dem Sohn seiner Haushälterin Frau Sarti - bei. Irgendwann gelingt Galilei der Durchbruch und er kann beweisen, dass Kopernikus recht hatte und die Sonne sich eben nicht um die Erde dreht, sondern umgekehrt.
Doch Galilei hat eines nicht bedacht: Den Widerstand der Kirche. Die steht nämlich weiterhin dazu, dass die Erde der Mittelpunkt der Welt ist und lässt sich auch von Beweisen, die das Gegenteil zeigen, nicht von dieser Meinung abbringen. Also bekommt Galilei Probleme mit der Inquisition und wird gezwungen, seine Lehren zu wiederrufen, was er, zum Schrecken seiner Schüler, auch tut...
-----BERTOLT BRECHT:-----
Eugen Bertholt Friedrich Brecht wurde 1898 in Augsburg geboren. Nach seinem Abitur im Ersten Weltkrieg studiert er in München Naturwissenschaften und Medizin, nimmt Beides aber nicht sonderlich ernst, da er lieber literarisch arbeiten möchte. 1922 wird sein erstes Stück ("Trommeln in der Nacht") uraufgeführt. Später ist er u.a. als Dramaturg im Deutschen Theater, Berlin, tätig und gründet sein "Berliner Ensemble". Brecht stirbt am 14. August 1956 an den Folgen eines Herzinfarktes.
Weitere Werke: "Die Dreigroschenoper", "Der gute Mensch von Sezuan", "Mutter Courage und ihre Kinder", seine Keuner-Geschichten u.v.a.
-----ZAHLEN, DATEN, FAKTEN:-----
Titel: Leben des Galilei
Autor: Bertolt Brecht
Verlag: Suhrkamp BasisBibliothek
Erschienen: 1998
Seiten: 133
-----KOMMENTAR:-----
Ein Stück über das Leben Galileo Galileis von Brecht - da muss doch mehr dahinter stecken. Natürlich ist die Person des Galilei schon allein sehr interessant, aber Brecht legt mehr in den Stoff und darum ist er auf den verschiedensten Ebenen interessant. Mir persönlich war Galileo Galilei zwar als Person bekannt, aber schon bei seinen Lebensdaten hätte ich mich um mehrere Jahrhunderte vertan. Da belehrt einen Brechts Stück schon - besonders, wenn man die oben angeführte Ausgabe liest, da diese am Rand schon zahlreiche Kommentare enthält. So erzählt Brecht natürlich nicht Galileis Leben Eins zu Eins nach: Verschiedenes wurde weggelassen oder auch verändert.
Ein legitimes Mittel bei historischen Romanen oder Dramen - hier haben wir es mit Letzterem zu tun - in denen die Autoren den jeweiligen Stoff benutzen, um eine aktuelle Situation darzustellen. Was aber will Brecht anhand der Galilei-Figur darstellen? Um das zu erklären, muss man kurz in geschichtliche und literaturwissenschaftliche Gefilde ausweichen: Die Fassung des "Leben des Galilei", die man normalerweise im Handel zu kaufen bekommt, ist die Fassung von 1955/1956 - die deutsche Fassung. In dieser Zeit hatten die USA die Wasserstoffbombe, Russland bekam sie auch und in den USA brach Hysterie wegen angeblicher kommunistischer Spitzel aus. All das verarbeitet Brecht im "Leben des Galilei", indem er hier eine klare Kritik an der Rolle des Wissenschaftlers in der Gesellschaft aufstellt (ähnlich wie Dürrenmatt bei seinen "Physikern"). Dafür eignet sich Galileo Galilei natürlich perfekt - der Mann, der das kopernikanische Weltbild gegen die Kirche verteidigen möchte und eine neue Physik begründet. Dabei muss man das kopernikanische Weltbild natürlich als irgendeine herausragende Erfindung lesen und die Kirche ist als eine Obrigkeit (eine Staatsregierung) zu deuten. Galilei kämpft für die Anerkennung seiner Forschung, er glaubt an die Wahrheit und die Vernunft und wird am Ende von der Obrigkeit doch vereinnahmt, mundtot gemacht. Und so ist Galileis Selbstanklage nach seinem Widerrufen auf Druck der Inquisition auch sehr interessant, in der er auf die Rolle des Wissenschaftlers in der Wissenschaft und der Gesellschaft eingeht.
Allerdings hat Brecht auch 2 frühere Fassungen des Dramas geschrieben. Während die amerikanische Fassung sich kaum von der deutschen unterscheidet, ist die erste Fassung, die dänische (1938/1939) für mich persönlich noch interessanter als die deutsche. An den Jahreszahlen des Erscheinens kann man schon fast erkennen, was hier die Motive Brechts sind: Er kritisiert sehr stark das NS-Regime, das Fehlen der Meinungsfreiheit in Deutschland und - nicht als Hauptmotiv - die Wissenschaftler in Deutschland, die sich vom Hitler-Deutschland vereinnahmen ließen. So ist hier die Handlung zwar die selbe, wie in den späteren Fassungen, aber hier und da sind einige Passagen geändert, erweitert oder gestrichen worden. Außerdem ist es hier so, dass Galilei seine Lehren widerruft, um dann, quasi als Untergrundkämpfer, heimlich weiter zu forschen und zu publizieren. Hier ist die Aufforderung deutlich: Widersetzt euch Hitler! Arbeitet heimlich, aber tut etwas!
Da mich persönlich diese Fassung mehr interessiert und fesselt, finde ich es schade, dass man zumeist nur die deutsche Fassung kaufen kann - zumindest in den überall erhältlichen und wegen des kleinen Preises beliebten Ausgaben. Wer nun nicht gleich auf ein sehr teures Brecht-Handbuch oder eine komplette Brechtausgabe zurückgreifen möchte, der sollte einfach mal in der Buchhandlung gezielt nach der dänischen Fassung fragen.
-----FAZIT:-----
Ein sehr interessantes und lesenswertes Werk Brechts, das zum Glück nicht so sehr von seinem marxistischen Denken geprägt ist, wie zum Beispiel "Der gute Mensch von Sezuan". Sehr lesenswert!!! weiterlesen schließen
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