Pro:
Einmalige Erfahrung, Horizonterweiterung
Kontra:
Enge Aneinanderreihung der Ausstellungsstücke und Kulissen
Empfehlung:
Ja
Dass ich zuerst vom Dialog im Dunkeln gehört habe, ist schon Jahre her. Immer hatte ich im Hinterkopf, einmal hineinzugehen, nie kam es dazu. Bis ich in diesem Herbst Besuch hatte und wir auf die Idee kamen, diese Ausstellung zu besuchen. Eine Ausstellung, in der es nichts zu sehen gibt. Der Dialog im Dunkeln ist ein Ausflug in die Welt der Blinden, die Sehenden oft so unvorstellbar erscheint. Hier ist es möglich, den Sehsinn einmal abzuschalten und sich völlig auf die anderen Sinne zu konzentrieren.
Der Leipziger „Dialog“ – eine weitere Ausstellung gibt es in Hamburg – ist in einer Messehalle auf dem Alten Messegelände untergebracht. Seitdem die Leipziger Messe nach der Wende auf dem Neuen Messegelände vor den Toren der Stadt untergebracht wurde, liegt die Alte Messe mit dem berühmten doppelten M über dem Haupteingang mehr oder weniger brach. Eine Messehalle wurde zum Supermarkt umgebaut, in einer trainiert ein Eishockeyverein. Und eine dient dem Dialog im Dunkeln als Ausstellungsfläche.
DIE AUSSTELLUNG
Wir öffnen eine dunkel beklebte Glastür und betreten ein nur schwach beleuchtetes Foyer, das mit dunklen Stellwänden von der eigentlich geräumigen Messehalle abgeteilt ist. Geradezu befindet sich ein Empfangstresen mit Kasse, links sind eine Sitzecke und die Garderobe. Eine Gruppe Leute bekommt gerade erste Instruktionen und verschwindet hinter einer Stellwand neben der Kasse. Ich melde mich am Tresen und bezahle dank Studentenausweis den ermäßigten Eintrittspreis von 6,50 € anstelle von 8,- €. Wir geben unsere Jacken an der Garderobe ab, die kostenlos ist und nehmen in der Sitzecke platz. Es ist sehr still, das Mädchen an der Garderobe und die beiden Angestellten an der Kasse geben kaum einen Ton von sich und auch die anderen Führungsteilnehmer sind sehr leise. Wir sprechen nur leise. Uns beschleicht ein unheimliches Gefühl: Was wird uns erwarten? In dem gedämpften Licht versuchen wir, in dem Faltblatt zu lesen, das uns an der Kasse ausgehändigt wurde. Ihm entnehmen wir, dass uns eine etwa 60minütige Führung erwartet, auf der wir von einem blinden oder sehbehinderten ‚Guide’ geführt werden. Am Ende wird der Besuch einer Bar stehen. Ein Satz fasst das kommende Erlebnis prägnant zusammen: „Die Vorzeichen sind gedreht: Die blinden Begleiter sind in der Dunkelheit sehend, während die im Alltag sehenden Besucher blind sind.“
Die Viertelstunde ist um, wir werden von einer (sehenden) Frau abgeholt und gehen zum Startpunkt des Parcours, der sich neben der Kasse befindet. Brillen müssen abgegeben werden, alles möglicherweise Leuchtende wie Handys oder Uhren mit Leuchtziffern muss abgeschaltet oder verborgen werden. Unsere Gruppe ist klein, nur vier Personen. Wir gehen hinter die erste Stellwand, wo die Taststöcke in zwei Größen hängen. Ich nehme mir einen großen, die kleinen scheinen mir für Kinder ausgelegt zu sein. Die sehende Frau bittet uns, in das Dunkel zu unserer Rechten zu gehen, wo sich unser Guide befinde. Ich stelle fest, dass ein kleiner Stock doch angebrachter ist und gehe noch mal zurück. Es ist ja viel bequemer, den Stock mit locker hängendem Arm zu halten, da braucht man nicht viele Zentimeter. Nun gehe ich den anderen hinterher, die ersten Meter in das Dunkel tasten wir uns an einem Geländer entlang. Nun ist nichts mehr zu sehen. Unser Guide ist eine junge Frau namens Nadine (Name geändert). Soviel lässt sich ihrer Stimme entnehmen. Wir sollen unsere Namen sagen und zögern etwas. Normalerweise würde ich jetzt mit den anderen in Blickkontakt gehen, um mich „abzusprechen“. Im Dunkeln habe ich keine Ahnung, ob jemand gerade ansetzt, etwas zu sagen. Die nonverbale Kommunikation ist extrem eingeschränkt. Ich sage meinen Namen als letzte.
Nadine sagt, sie werde jetzt eine Tür öffnen und geht ein paar Schritte. Ihre Stimme ist nun minimal weiter entfernt und sie bittet uns, auf sie zuzugehen. Wir stoßen auf eine Skulptur, die wir ertasten sollen. Wir kommen uns mit den Händen in die Quere, ich kann nicht erkennen, was es ist. Jemand anders weiß es: Eine Eule. Um uns herum sind Geräusche zu hören, die vom Band kommen. Vogelgezwitscher, das Plätschern eines Baches. Wir gehen 2-3 Schritte zur nächsten Skulptur, einem Eichhörnchen. Ich habe es an den Pfötchen erkannt. Wir gehen dann zu einer Brücke, die zwar nur ca. 2 Meter neben uns ist, die ich aber trotzdem nicht auf Anhieb finde, obwohl ich das Plätschern des Wassers und die anderen höre. Mich beschleicht leichte Unsicherheit, weil ich nicht weiß, wie groß die Brücke ist, wie sie aussieht, Nadine hat gesagt, dass sie wackelt, aber was habe ich mir darunter vorzustellen? Ich finde sie und gehe hinüber. Es ist eine winzige Brücke. So gehen wir weiter, einen Pfad entlang, der in einem Wald sein soll, von dem ich aber nichts mitbekomme. Wir gehen dicht beieinander, die kurzen Strecken, die Nadine uns Stück für Stück laufen lässt, lassen es nicht zu, dass wir uns verlieren. Wir schlagen uns mit den Stöcken gegenseitig an die Hacken; überhaupt habe ich das Gefühl, sehr unelegant damit umzugehen. Unser Stochern klingt sehr laut und ungelenk. Wir gehen in einen Zoo – die erste Hürde: Das Drehkreuz. Im Zoo ist nicht viel zu sehen, die Tiere (in Form von Stimmen vom Band) sind natürlich hinter Gittern. Auf einem Markt dürfen wir Früchte und Gemüse betasten. Ich hätte nicht gedacht, dass Kartoffeln so glatt sind... Insgesamt bin ich ziemlich schlecht. Ananas sind natürlich leicht, aber vieles ist so ähnlich, knollen- oder gurkenförmig. So gehen wir weiter, an Hausattrappen vorbei, an einem Briefkasten, einer Telefonzelle. Wir überqueren eine Straße, wobei wir uns am Straßenlärm orientieren müssen. Irgendwann sagt Nadine, jetzt sei nur noch die Baustelle zu hören, keine Autos mehr. Ich hätte das nie herausgefunden, vielleicht lag es aber auch nur an der Aufnahme der Geräusche. Wir passieren ein Fahrrad und ein Auto und kommen irgendwann zur Bar. Von innen sind Stimmen zu hören, mich beschleicht wieder eine leichte Unsicherheit. Nach einer Anfangs-Unsicherheit hatte ich mich eigentlich sehr sicher gefühlt. Wir waren jeweils dicht beieinander gelaufen, die Exponate waren mehr oder weniger nebeneinander aufgereiht. Meist hatten wir rechts oder links einen Zaun, ein Geländer oder eine Hauswand gehabt oder konnten uns an den ausgestellten Gegenständen selbst entlanghangeln, so dass wir auch ohne Taststock ausgekommen wären. Aber jetzt weiß ich nicht, was mich erwartet. Nadine hat gesagt, dass dort noch die vor uns gestartete Gruppe sitzen werde. Aber sind dort noch mehr Menschen? Ich weiß, dass der „Dialog“ auch Menüs im Dunkeln anbietet, das sogenannte Dinner in the Dark. Ist die Bar auch unabhängig von einer Führung betretbar? Sitzen hier vielleicht sogar Stammgäste, vielleicht Blinde? Wie groß ist der Raum, den wir betreten? Ich gehe durch die Tür, von geradezu, schräg rechts höre ich die Stimme der Barkeeperin, die uns auffordert, zu ihr herzukommen. So kann ich in etwa einschätzen, wie weit die Theke von der Tür entfernt ist. Auch von rechts kommen Stimmen, offenbar die Gruppe vor uns. Rechts und geradeaus habe ich nun eine Vorstellung von der Raumausdehnung. Aber was ist links? Ein Ballsaal? Eine Wand?
An der Theke erfahren wir das Angebot, moderate Preise. Ich werde als erste bedient, nehme eine Apfelschorle. Die Barkeeperin fordert mich auf, nach rechts zu Nadine zu gehen. Ich hoffe, dass Nadine etwas sagt und gehe mit laut klackerndem Taststock nach rechts. Niemand kümmert sich um mich, wo ist Nadine? Wie soll ich mich bemerkbar machen? Ich sage irgendetwas ganz leise und fühle mich plötzlich sehr allein. Die anderen kommen nicht nach und Nadine ist nicht da. Ich höre fremde Stimmen, kann aber nicht sagen, wie viele Leute sich da unterhalten und wie viele möglicherweise noch still dabeisitzen. Sitzen da Blinde, die vielleicht mitbekommen haben, wie ich in den Raum gegangen bin und verunsichert stehen blieb, vermutlich mitten im Weg? Ich taste mich etwas weiter, hoffe auf Nadine oder jemand aus meiner Gruppe, um nicht mehr allein zu sein. In Richtung des lauten Tisches finde ich ein Geländer, an dem ich mich festhalten kann. Das gibt mir Sicherheit, ich habe nun einen Halt. Kurz darauf kommt auch Nadine, sie erklärt mir, wie ich zu unserem Tisch komme. Ich ertaste Tisch und Bank und setze mich. Kurz darauf kommt auch die übrige Gruppe. Wir unterhalten uns mit Nadine, es kommt ein leicht bemühtes Gespräch zustande. Sie erzählt uns von sich und vom Dialog. Die Leipziger Ausstellung ist ein Ableger von der in Hamburg, der „Mutter-Ausstellung“. Diese beiden sind die einzigen festen Ausstellungen, ansonsten tourt der Dialog als Wanderausstellung durch die Lande.
Nach dem kurzen Bar-Aufenthalt verlassen wir die Ausstellung, wir sind wieder am Startpunkt und hängen unsere Taststöcke zurück. Das Foyer erscheint gar nicht mehr so dämmrig wie zu Beginn, aber die Augen gewöhnen sich schnell an die „Helligkeit“.
DANACH
Nach dem Besuch der Ausstellung bin ich zwiegespalten. Es war spannend, eine einmalige Erfahrung. Völlige Dunkelheit habe ich höchstens mal im Physikunterricht in der Schule erlebt, aber da bin ich brav an meinem Platz geblieben.
Im Dialog konnten wir uns bewegen, aber ich hätte mir die Ausstellung weitläufiger vorgestellt. Mir fehlte die Erfahrung, einfach mal 10 Meter völlig blind geradeaus zu gehen. Das Verlorenheitsgefühl, das mich in der Bar beschlichen hatte, hätte ich mir eigentlich schon vorher als Erfahrung gewünscht. Stattdessen waren wir immer im Gänsemarsch, dicht an dicht an Ausstellungsgegenständen und Kulissen entlanggetippelt, selbst für nur 5 Personen war wenig Platz. Ich denke, dass es eine ganz andere Erfahrung gewesen wäre, mal wirklich auf sich selbst gestellt zu sein, wie ich es in der Bar kurz erlebt hatte. Platz wäre in der Messehalle gewesen, der Parcours nahm nur einen geringen Teil des Raumes ein. Trotzdem mir dieser Aspekt – das Erfahren von Weite in der Dunkelheit – gefehlt hatte, war es ein phänomenales Erlebnis. Als Sehende stellt man sich die Blindheit oft einseitig als Verlust vor. Völlige Dunkelheit. Im Dialog konnte ich die Erfahrung machen, dass die Realität in der Dunkelheit nur anders wahrgenommen wird. Es ist noch alles da, nur betasten und hören wir es, anstatt es zu sehen. In dieser Situation habe ich die Erfahrung gemacht, wie verkümmert die anderen Sinne durch die Fokussierung auf den Sehsinn sind. Was man hier findet, ist im Untertitel der Ausstellung sehr treffend formuliert: Hier gibt es das Unsichtbare zu entdecken.
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Infos:
DIALOG IM DUNKELN
Die Entdeckung des Unsichtbaren
Adresse:
Alte Messe – Halle 14
Deutscher Platz 4
04103 Leipzig
Anfahrt mit dem Auto durch das Süd- oder das Westtor des Messegeländes, mit den Straßenbahnlinien 10 und 16 bis Haltestelle Deutsche Bücherei oder mit den Linien 2, 15, 70 und 74 bis zum Alten Messegelände. Man kann auch mit der S-Bahn bis zum Völkerschlachtdenkmal fahren.
http://www.dialog-im-dunkeln.ausstellungen-leipzig.de/4555.html
Da die Führungen in Gruppen von maximal acht Personen stattfinden, ist eine Reservierung nötig. Dazu ruft man an unter 0341-9628630, schickt ein Fax an 0341-9628631 oder eine E-Mail an dialog@kulturpunkt13.de.
Öffnungszeiten:
Dienstag-Freitag 9-17 Uhr
Samstag-Sonntag 11-19 Uhr
Die Führungen starten im 15-Minuten-Takt und dauern 50-60 Minuten.
Eintrittspreise:
Erwachsene – 8,- €
Erwachsene, ermäßigt – 6,50 €
Kinder/Jugendliche bis 18 Jahre – 5,00 €
Kinder/Jugendliche im Klassenverband – 4,00 €
Familienkarte (2 Erwachsene + 2 Kinder) – 22,- € weiterlesen schließen
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