Pro:
schauspierische Leistung der beiden Hauptdarsteller, Ausgangssituation der Story
Kontra:
dummes Mischmasch zwischen Psychothriller und Mystery-SF, unglaubwürdige, platte Auflösungen
Empfehlung:
Nein
Die Story:
Telly Paretta ist in psychiatrischer Behandlung, weil vor gut einem Jahr ihr neunjähriger Sohn Sam bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen ist. Doch plötzlich sind die Videos ihres Sohnes gelöscht, die Fotoalben leer. Telly beschuldigt ihren Mann, alle Erinnerungen an den Sohn auslöschen zu wollen. Doch da eröffnen ihr Mann und ihr Psychiater ihr Unglaubliches: Beide behaupten, Sam habe nie existiert, sie habe sich das Kind nur eingebildet. Und Videos und Fotos habe es nie gegeben.
Als sogar Tellys Freundin nichts von Sam weiß, beginnt Telly, ernsthaft an ihrem Verstand zu zweifeln. Doch dann trifft sie Ash, einen Alkoholiker, der sich in der Nähe des Kinderspielplatzes rumtreibt, auf dem früher Sam mit Ashs Tochter Lauren gespielt hat. Auch Ash behauptet, nichts von Sam oder Lauren zu wissen. Doch Telly sucht ihn zu Hause auf, entdeckt unter den Tapeten Zeichnungen von Lauren und zwingt Ash, den Namen seiner Tochter laut zu sagen. Ash hat inzwischen die Polizei alarmiert, die Telly abholt. Doch jetzt erinnert er sich wirklich. Er flüchtet mit Telly. Bald werden die beiden von Polizei und NSA verfolgt.
Telly will auch ihren Mann Jim von Sams Existenz überzeugen, doch Jim scheint inzwischen nicht nur Sam, sondern auch Telly vergessen zu haben.
Eine Polizistin beginnt, Tellys Geschichte zu glauben und trifft bei ihren Nachforschungen auf einen Mann, der durch Schüsse nicht zu verletzen ist. Kurz darauf bringt der Fremde sie vor Tellys Augen um, und zwar auf eine eindeutig außerirdische Weise.
Telly und Ash verfolgen die Spur ihrer Kinder weiter, und schließlich stellt Telly den Fremden. Doch sie hat keine Chance gegen seine übermenschlichen Kräfte. Er versucht, ihr die erste Erinnerung an Sam zu entziehen. Kann Telly sich wehren?
Wenn ihr etwa bei zwei Drittel meiner Zusammenfassung höchst irritiert wart, dann geht es euch genauso, wie es mir beim Ansehen des Films erging. Denn er beginnt als überaus spannender Psychothriller, der zwar Verschwörungstheorien oder Ähnliches nahe legt, aber immer auf dem Boden der Realität bleibt. Man schwankt zwischen der Vermutung, dass Telly wirklich verrückt ist, und der, dass irgendjemand etwas vertuschen will oder gar die Kinder entführt hat und deshalb ihre Erinnerung an sie auslöschen will.
Etwa nach der Hälfte des Films kommt die erste Szene, die in diesem Kontext irgendwie merkwürdig erscheint: Nach einem Unfall ist das „Opfer“ nicht nur verschwunden, sondern scheint auch völlig unverletzt zu sein.
Nach einer Stunde, sprich: zwei Dritteln des Films, wird aus dem Psychothriller dann aber plötzlich ohne weitere Vorwarnung als diese eine vorherige unrealistische Szene ein SF-Mystery-Thriller! Plötzlich ist Tellys Gegner ein Außerirdischer, der übermenschliche Kräfte hat und offenbar nur ein Experiment durchführt.
Das ist ein eindeutiger Kunstfehler des Films – zunächst ein realistisches Setting aufzubauen und dem Zuschauer vorzugaukeln, es geben psychische und/oder kriminelle Erklärungen für das Geschehen, und dann als „Deus ex machina“ plötzlich einen Außerirdischen aus dem Hut zu zaubern, der für all das verantwortlich ist, ist mehr als billig! Als Zuschauer fühle ich mich da einfach betrogen. Man kann ja so eine Geschichte erzählen, aber dann muss man schon in der Exposition des Films solche „Regeln“ für die Welt des Films etablieren, und sei es auch noch so subtil. Doch das bleibt hier völlig aus.
Und was mich persönlich mindestens ebenso stört: Aus welchem Grund der Außerirdische dieses Experiment überhaupt gestartet hat, was er sich davon verspricht, und wie er es geschafft hat, die Erinnerungen aller Leute in Tellys Umfeld zu verändern, das alles bleibt völlig offen.
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Achtung: SPOILER:
Was meint ihr, wie könnte man so eine hahnebüchene Geschichte am Ende noch toppen? Durch einen völlig abstrusen Schluss. Und genau das passiert hier auch. Was könnte der unglaubwürdigste Schluss für so eine Geschichte sein?
Telly erinnert sich an Sam, und sie findet ihn zwar nicht zu Hause, sondern auf dem Spielplatz, wo er mit Lauren spielt und sich offenbar an nichts Ungewöhnliches erinnert. Aber nicht nur er hat keine Erinnerung an all das, was Telly durchgemacht hat – auch Ash, der ja schließlich dabei war, kennt sie nicht mehr. Er ist kein Alkoholiker und stellt sich ihr brav vor.
*seufz* Telly hat sich erinnert, und – puff – alles ist gar nicht geschehen. Nur Telly erinnert sich noch ... Meine Interpretation: Spätestens jetzt ist sie dann wohl wirklich durchgeknallt!
SPOILER Ende.
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Was den Film wenigstens noch einen Tick rausreißt, sind die hervorragenden Hauptdarsteller (leider kann man die Nebendarsteller nicht entsprechend loben):
Julianne Moore spielt Telly. Ihr kennt sie vielleicht als Clarice Starling aus „Hannibal“ oder als Lila Crane im „Psycho“-Remake von 1998. Eigentlich eine gute Schauspielerin, die auch schon oft in guten Filmen zu sehen war. Auch hier spielt sie einfach hervorragend und zieht einen mindestens zu Beginn völlig in den Bann der Geschichte – bevor Drehbuch und Regie sie im Stich lassen und die Story ins Absurde abdriftet.
Ebenso begeistert war ich von der schauspielerischen Leistung von Dominic West als Ash. Ich kenne ihn nur aus relativ wenig großen Rollen in großen Filmen, am bekanntesten ist wohl seine Rolle in Mona Lisas Lächeln mit Julia Roberts. In „Die Vergessenen“ ist er wirklich über sich hinausgewachsen. Aber was nützt es, wenn der Film schlecht ist?
Der Film ist in Deutschland ab 12 Jahren freigegeben. Ich bin nicht ganz sicher, ob das okay ist, denn Mord und Gewalt kommen durchaus auf recht brutale Art vor. Andererseits gehört die Gewaltdarstellung des Films allerdings auch in die Kategorie „völlig absurd“, insofern können das vermutlich auch 12jährige schon entsprechend einordnen.
Die DVD-Ausstattung:
Der Film liegt auf der DVD in englischer Originalaudiofassung und in deutscher Synchronfassung vor.
Untertitel gibt es für Englisch, Deutsch und Türkisch, außerdem eine weitere Untertitelfassung des Audiokommentars, die man separat einschalten kann. Wenn man die übrigen englischsprachigen zusätzlichen Filminfos untertitelt haben möchte, muss man dagegen die (normalen) deutschen Untertitel einschalten.
„Zusätzliche Filminfos“:
„Kommentar Regisseur Joseph Ruben und Drehbuchautor Gerald Di Pego“:
Der Audiokommentar liefert einige wichtige Hinweise, wie manches gemeint war, auch wenn ich selbst beim Anschauen des Audiokommentars dem nicht immer zuschauen kann. Für mich ist er daher vor allem insofern informativ, als er mir zeigt, wie leicht Autor und Regisseur ihre Geschichte so gut kennen können, dass sie dem Zuschauer die wichtigsten Erläuterungen vorenthalten und die wichtigsten späteren Ereignisse nicht andeuten. Fachlich daher letztlich doch hochinteressant, wenn auch als Negativbeispiel.
„Erinnerungen (Filmdokumentation)“:
Diese Dokumentation über die Entstehung des Films. Es ist nicht weiter erstaunlich, dass sich alle hier interviewten Beteiligten sich absolut begeistert über den Film äußern. Was mich aber sehr gewundert hat, ist, dass Drehbuchautor und Regisseur über die von mir oben kritisierten logischen Fehler und Lücken reden, aber ganz offensichtlich der Meinung sind, diese Probleme gelöst zu haben. Doch was sie da an Hintergrund erzählen, kommt so im Film leider überhaupt nicht rüber.
Genauso erstaunlich ist, was hier über die Entstehung des Drehbuchs und das schnelle Anspringen aller übrigen Beteiligten darauf gesagt wird. Eigentlich sind amerikanische Produktionsfirmen für mehr Perfektionismus bekannt, und bei einem Film wie diesem bin ich dann auch wieder froh, dass normalerweise für amerikanische Filme Drehbücher unzählige Male umgeschrieben werden, bis alles sitzt (auch wenn man damit gelegentlich zur anderen Seite überschlägt und Ideen kaputt-perfektioniert).
Im späteren Teil des Features geht es dann um die Special Effects, was natürlich für Fans interessant ist, zumal auch ein wenig erklärt wird, wie man sie gemacht hat, aber da es in anderen Filmen wesentlich spektakulärere Special Effects gibt, kann man natürlich zu anderen Filmen auch spektakulärere Effekte erklären als zu diesem.
„Making Of – Die Vergessenen“:
Die Infos des Making Ofs ergänzen das vorherige Feature, teilweise überschneiden sie sich auch. Man erfährt insbesondere mehr über die Figuren und darüber, was die Schauspieler in ihre Rollen hineininterpretieren. Natürlich sieht man auch einige Bilder vom Dreh, allerdings ebenso häufig leider nur fertige Szenen aus dem Film.
Ansonsten finde ich das Making Of eigentlich weniger interessant als die vorherige Filmdokumentation, denn neben viel Lobhudelei für die Story, die Idee dahinter und die Schauspieler steckt nicht viel drin.
Spätestens an der Stelle als Julianne Moore explizit das Ende des Films lobt und als sehr befriedigend bezeichnet, sitze ich dann nur noch fassungslos vor diese Making Of und frage mich, ob die Schauspieler von einem ganz anderen Film reden als dem, den ich gesehen habe.
„Entfallene Szenen“:
Hier sind drei alternative Szenen enthalten, die man einzeln oder komplett abspielen kann.
„Alternatives Ende“: Ja, warum hat man bloß nicht dieses Ende genommen? Natürlich ist es nicht sonderlich attraktiv, weil fast alles im Dialog erklärt wird, aber wenigstens erklärt dieses Ende, was geschieht und füllt ein paar Lücken, während das Ende, das man schließlich genommen hat, nichts erklärt und das ganze Geschehen des Films zu einer Farce macht. Mit Sicherheit war die Entscheidung, die man für das Ende des Films getroffen hat, die schlechteste, die man treffen konnte!
„,Fragen Sie meinen Mann nach mir’“: Eine sehr kurze Szene, die ich gerne im Film gehabt hätte, weil sie einen Hauch von Mystery und gleichzeitig die Andeutung einer Erklärung oder zumindest eine Deutungsmöglichkeit in den Film gebracht hätte.
„Der Kuss“: Diese Szene finde ich nicht attraktiv, hier finde ich es richtig, dass man sie rausgeschnitten hat.
„Trailer“:
„Die Vergessenen“: Der Trailer ist wesentlich spannender als der Film. Außerdem klingt hier eine Spur von Mystery an – allerdings in Szenenausschnitten, die später im Zusammenhang des Films gar keine Assoziationen zu Mystery mehr wecken. Sie wirken also im Schnitt des Trailers, dieser Schnitt stellt aber quasi eine Fälschung des Films dar. Im Film kommt diese Wirkung dann nicht mehr zustande.
„Gothika“/„The Missing“: Beide Trailer sind so spannend, dass ich mir die Filme sofort besorgen würde – wenn ich sie nicht ausgerechnet im Zusammenhang mit diesem Film serviert bekäme, bei dem der Trailer so viel verspricht, was der Film hinterher nicht hält. Ein Fall, wo zumindest für mich das Crossmarketing trotz gut ausgewählter Trailer (mit derselben Zielgruppe wie der Film auf der DVD) nicht funktioniert.
Fazit:
Der Film baut auf einer wirklich überaus interessanten Idee auf. Aber wenn es ein Psychothriller sein sollte, ist das Abdriften ins Mysterygenre im letzten Drittel des Films mitsamt der platten Auflösung unmöglich. Wenn es dagegen ein Mysterythriller sein sollte, hätte man das in den ersten zwei Dritteln des Films irgendwie setzen müssen, und zwar durch mehr als unheimliche Musik und eine Figur, die sich später als Alien herausstellt, hier aber durch nichts als solcher zu erkennen war. Da hilft auch eine ordentliche DVD-Ausstattung nicht mehr, um die Bewertung rauszureißen! weiterlesen schließen
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