Pro:
Die Veröffentlichung der Lebensgeschichte trägt dazu bei, dass viele Menschen über das Thema Beschneidung etwas zu lesen bekommen.
Kontra:
Die Art, wie die Geschichte erzählt wird, gefiel mir nicht besonders gut.
Empfehlung:
Nein
Authentische Lebensgeschichten wurden in den letzten Jahren bereits zu den verschiedensten Themen erzählt, niedergeschrieben und in Büchern veröffentlicht. Als Leser solcher Geschichten möchte man erfahren, welche Erfahrungen Betroffene gemacht haben, um vielleicht das eine oder andere besser verstehen zu können und einfach, um mehr über diese Themen zu erfahren - und dies möglichst in unterhaltsamer Form. Das Thema von Waris Dirie ist die Beschneidung von Frauen, die leider immer noch in vielen afrikanischen Ländern praktiziert wird. Wie Waris Diries Roman „Wüstenblume“ auf mich gewirkt hat, möchte ich im Folgenden beschreiben.
Die Autorin
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Waris Dirie wurde Mitte der sechziger Jahre geboren. Zwar habe ich irgendwo gelesen, dass es im Jahre 1965 gewesen sein soll, doch wenn ich ihren eigenen Worten in ihrem Buch Glauben schenken darf, so ist der Autorin das genaue Jahr selbst nicht bekannt, da sich die Nomaden in Somalia die Geburtsdaten damals nicht gemerkt haben. Heute lebt Waris Dirie mit ihrem Mann und ihren Kindern in New York.
Sie ist Sonderbotschafterin der UNO und setzt sich gegen die Beschneidung von Frauen in afrikanischen Ländern ein. Im ZDF-Magazin „Mona Lisa“ erhielt Waris Dirie den Titel „Frau des Jahres“. Im Jahre 1999 ging auch der deutsche Afrika-Preis an sie, also an jene Somalierin, die die ersten Abschnitte ihrer Lebensgeschichte in dem Buch „Wüstenblume“ erzählt und an sie, die in frühester Kindheit durch eine Beschneidung Opfer der Genital-Verstümmelung geworden ist.
Die Geschichte grob zusammengefasst
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Waris Dirie kommt als Kind somalischer Nomaden-Eltern in der Wüste auf die Welt und wird mit fünf Jahren gemäß der Tradition beschnitten. Im Pubertäts-Alter von 14 Jahren bekommt die recht rebellische Waris von ihrem Vater einen über 60 Jahre alten Bräutigam vorgesetzt, mit dem sie in Kürze verheiratet werden soll. Sie läuft fort, lebt zunächst bei einer ihrer Schwestern in Mogadischu und wird schließlich von einem (entfernten?) Onkel als Hausmädchen mit nach London genommen, um für ihn, denr Botschafter, vier Jahre lang zu arbeiten. Innerhalb dieser vier Jahre wird sie von einem Modefotografen entdeckt, der sehr an ihr als Model interessiert ist und an den sie sich schließlich wendet, als der Onkel zurück nach Somalia reist, Waris selbst aber in London bleiben möchte. Ihre Laufbahn als Model und später als Top-Model nimmt ihren Lauf und Waris reist beruflich durch die Länder, in denen Mode gemacht wird.
Leseprobe
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„Mitten in diesem Schlamassel ging ich eines Abends hinunter ins Schwimmbad. Meine Freundin Marilyn, eine Schwarze, die in London geboren war, arbeitete dort als Bademeisterin. Als ich das erste Mal dort gewesen war, hatte ich mich nur einfach an den Rand gesetzt und auf das Becken geschaut, weil ich Wasser so gerne mag. Schließlich fragte mich Marilyn eines Abends, warum ich nie ins Wasser steigen würde, und ich erzählte ihr, ich könne nicht schwimmen. ‚Das kann ich dir doch beibringen', meinte sie.
‚Gut.' Ich ging zur tiefen Seite des Beckens, holte tief Luft und sprang hinein. Da sie ja Bademeisterin war, so stellte ich mir vor, würde sie mich retten. Aber statt dessen schwamm ich wie ein Fisch unter Wasser die ganze Strecke bis zum anderen Ende des Beckens.
Breit grinsend tauchte ich auf. ‚Ich hab's geschafft! Ich kann's kaum glauben, aber ich hab's geschafft!' Marilyn war jedoch ziemlich sauer. ‚Wieso hast du behauptet, du könntest nicht schwimmen?'
‚Ich bin noch nie in meinem Leben geschwommen!' Wir wurden enge Freundinnen.“
Mein Eindruck von dem Buch
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Ich halte es für gut und bestimmt auch wirkungsvoll, dass eine Frau, die bereits eine recht außergewöhnliche Lebensgeschichte hinter sich hat, anderen davon erzählt, indem sie ein Buch darüber schreibt. Im Mittelpunkt des Buches steht immer wieder die Beschneidung, die ihr, Waris Dirie, als Kleinkind angetan wurde sowie deren Folgen, die sie jahrelang tagtäglich zu spüren bekam. So manchen Europäern und/oder Nichtbetroffenen mag nicht klar sein, was eine Beschneidung bzw. Genitalverstümmelung bei Frauen wirklich bedeutet und von daher ist es gut, von Waris Dirie zu erfahren, wie sie diese Tradition und deren Umsetzung in die Praxis erlebt hat. Die Idee ist gut, aber die Art, wie sie ihre Geschichte beschreibt, gefällt mir weniger:
Nach dem Lesen des Buches hatte ich irgendwie das Gefühl, enttäuscht zu sein. Der Schreibstil eines großen Teil des Buches ist der, wie er in der Leseprobe zu ersehen ist: recht neutral. Es kommen jedoch auch Begriffe wie „Scheiße“, „pinkeln“ oder „verdammt“ hinzu, die größtenteils einfach nicht passend sind und mich aus dem Lesefluss herausgeworfen haben.
Insgesamt kommt mir die Geschichte nicht wirklich spannend erzählt vor, sondern wie eine Art Nacherzählung eines Schülers, der seine Geschichte für den Lehrer aufschreiben sollte. Mag sein, dass mein Urteil hier etwas hart ausfällt, doch mir fehlte einfach mehr Wärme in der Art, wie sie schreibt, etwas mehr Gefühl. Die Lebensgeschichte an sich wirkt auf mich eher zerstückelt und teilweise abgehackt, als dass sie ein rundes Bild ergibt. Auch wenn es eine authentische Geschichte ist, erhebe ich den Anspruch, dass die Autorin sich mehr Mühe hätte geben müssen, das Buch von der Art her lesenswerter zu machen.
Zwischen den Seiten 149 und 150 in der Mitte des Taschenbuches bekommen wir als Leser vier Seiten lang Schwarz-Weiß-Fotos von Waris Dirie zu sehen, die in meinen Augen zusammengesucht wirken, als hätte man zur Zeit der Bucherscheinung nur eine Auswahl unter sehr wenigen Fotos. Auf der vierten Fotoseite bekommen wir die Autorin als hochschwangeres Model zu sehen und das gleich in dreifacher Form. Von ihrem Mann hingegen sind es zwei weniger gelungene Schnappschüsse und unter anderem ist schließlich das Titelbild des Buches „Wüstenblume“ zu sehen, das sie selbst darstellt und das ein Model-Foto für die Zeitschrift „Marie Claire“ ist. Nun, das wichtigste an dem Buch sind vielleicht auch nicht unbedingt die Fotos, das gebe ich zu.
Mich wundert es nicht, dass Betty Mahmoody (Autorin von „Nicht ohne meine Tochter“) auf der Rückseite des Taschenbuches zitiert wird und behauptet, sie fände „Wüstenblume“ so unwiderstehlich, dass sie das Buch nicht mehr aus der Hand legen konnte. Nach dem Lesen von „Nicht ohne meine Tochter“ hatte ich auch ein etwas hohles Gefühl, nachdem ich das Buch zuende gelesen hatte. Ich war nicht richtig zufrieden.
Fazit
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Die weibliche Beschneidung ist eine tiefverwurzelte traditionelle Praktik und stellt ohne Frage eine Verstümmelung und Erniedrigung von Frauen dar. Da sich nicht jedermann/-frau auf dieser Welt mit dem Thema auseinandersetzt (oder auseinandersetzen muss), finde ich es gut, dass das Thema von einer betroffenen Frau aufgegriffen wird. Der Schreibstil von „Wüstenblume“ gefiel mir persönlich leider nicht. Die Vermarktung ihrer Geschichte war sicherlich auch ein Aspekt, der mit dazu beigetragen hat, dass ihre Geschichte wirklich veröffentlicht wurde, und diese Kehrseite ihres Romans sollte man nicht ganz außer Acht lassen.
Ich rechne es Frau Dirie hoch an, dass sie sich als UN-Sonderbeauftragte sehr dafür einsetzt, dass die Beschneidungen von Frauen in Afrika weniger werden oder möglichst ganz abgeschafft werden und würde ihr dafür fünf Bewertungssternchen mit einer Extra-Auszeichnung verleihen. Ihrem Buch „Wüstenblume“ hingegen vergebe ich eine sehr viel schlechtere Bewertung, und zwar dafür, dass sie das Buch schrieb und dafür, dass sie auf diese Weise mehr Menschen erreicht hat, als wenn sie hier und dort ausschließlich Vorträge über das Thema halten und viele Kampagnen veranstalten würde. Die Masse wird durch ein solches Buch sicherlich eher erreicht.
Taschenbuch: 8,95 EUR (Preis bei Amazon im Juni 2004)
ISBN: 3548365914
© kroetenfieber
(Ich veröffentliche meine Berichte auch in anderen Foren unter dem gleichen Namen.) weiterlesen schließen
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