Pro:
Beeindruckend wenn man den Sinn dahinter versteht der für jeden anders sein kann.
Kontra:
Obwohl unter Denkmalschutz stehend, ist die Zukunft dieses Mauerabschnittes ungewiss.Die wenigsten Bilder haben die letzten Jahre überlebt
Empfehlung:
Ja
Bericht über einen Besuch bei der East Side Gallery in Berlin....
....eine der wenigen Outdoor Gallerien in Deutschland....ergreifend, national und einzigartig.
Ein kurzer Bericht über das was mich bei meinem letzten Besuch in Berlin am meisten berührt hat.
Die East Side Gallery
Auf der Suche nach dem weltbekannten Stück bemalter Ost-Berliner Mauer muß man Paradoxes ertragen können. Den ganz banalen Widersinn etwa, dass eine so häufig besuchte Touristen-Attraktion buchstäblich im Regen stehen gelassen wird, jedem Wind und Wetter, den Schmierern und Mauerspechten (wie es bei uns heißt) schutzlos ausgeliefert. Oder die Absurditäten städtischen Denkmalschutzes: man hindert die Mauer- Künstler daran, die abblätternden Farben ihrer Bilder aufzufrischen, die Kunstwerke zu erhalten und zu erneuern, kommt aber selbst der gesetzlichen Verplichtung zu Schutz und Konservierung kaum ernsthaft nach.
Will man zu noch tiefere liegenden Widersprüchen der East Side Gallery vordringen braucht man ein wenig Zeit
Zeit für ihre Geschichte. Zeit für das, was nach fast fünfzehn Jahren von dem Gemeinschaftskunstwerk noch erhalten ist. Eine durchaus zwiespältige Übung! Denn von Süden nach Norden abgeschritten ist die längste Freiluft-Gallerie der Welt für den unvorbereiteten Besucher knapp 1000 Meter lang erst einmal eine einzige Enttäuschung. Von einer Handvoll restaurierter Bilder abgesehen läuft man einer von Graffitis und I-Was-Here-Dekoration übersäten Wand entlang, an der oft nur noch spärliche Farbstrukturen, wenige grafische Linien und das eine oder andere entzifferbare Wort, die lebendig-leuchtende Realität der Nach-Neunundachziger-Zeit erahnen lassen.
, mag da ein Kunstfreund (wie ich) mit Katalog in der Hand kopfschüttelnd denken, bevor er halbwegs versöhnt die aufwendig restaurierten letzten 330 Meter entdeckt. Und vielleicht denkt er noch: Wo sind den eigentlich die verschwundenen Bilder geblieben? Wie kann sowas passieren?
Rückblendewem das zu langweilig ist hier aufhören *g*, ich schreibe bewußt einen Rückblick weil er einfach zur Geschichte dieser Mauer gehört, auch wenn es vielleicht etwas weit hergeholt ist.
9.November 1989: Die Grenzen werden geöffnet! Noch immer gibt es zwei deutsche Staaten, doch der Antikapitalistische Schutzwall ( wenn ich das so nennen darf) zwischen Deutschland und Deutschland- die vielfach gesicherte Grenze, der Todesstreifen, die Mauer- existiert nicht mehr. Während noch immer Ostberliner - jetzt ohne Maschinenpistole- aufpassen das niemand die DDR klaut *g*, wird das 3,60 Meter hohe, 43 km lange Betonmonument stückweise und ganz schnell zu privatem oder gewerblich verschacherten Andenken von Mauerspechten weggeklopft.
Nicht so die reichlich einen Kilometer lange Grenzwand zwischen Friedrichshain/Ost und Kreuzberg/West, einige Meter vom östlichen Spreeufer entfernt. Hier, auf der Sechsfachspur einer schnurgeraden Ausfallstraße zum Flughafen Schönefeld, hatten Honni & Co. ihre Protokollstrecke. Die Mauer dort war makellos gepflegt und nicht einmal auf der westlichen, durch die Spree abgeschirmten Seite von unbefugter Hand beschmiert.
1,3 Beton-Kilometer, die geradezu nach Plakaten und Graffities schrieen. Und nach der Handvoll Macher und Künstler, die einer verückten Idee Taten folgen ließen : Christine MacLean, Schottin, ehemals Kulturattachee des inzwischen aufgelösten Britischen Generalkonsulates in Ostberlin, beantragt bei der Noch-Immer-DDR-Regierung die Erlaubniss The Wall von internationaler Künstlerhand bemalen lassen zu dürfen- und sie erhält, auf welchen verschlungenen Wegen auch immer, diese Erlaubnis!
Und dann fingen sie an. Nach und nach, von März bis September 1990, als noch kaum jemand ernsthaft von Wiedervereinigung sprach, legten 118 Künstler aus Ost und West, von diesseits und jenseits der großen Teiche dieser Welt, Hand an das balt bunte, anarische Gemäldekonglomerat. Die Farben sind denkbar schlecht, der Maluntergrund sowieso. Und überhaupt, wenn je ein Künstler widrige Umstände für seine Malerei gesucht hat- hier konnte er sie finden : hinter der Mauer patroulliert die Grenzpolizei, vor der Mauer stinken und lärmen die Verbrennungsmotoren.
Geld gibt es für die anstrengende Arbeit (die es für die Künstler auf jeden Fall war) schon überhaupt nicht, dafür einen dubiosen Vertrag,der- wem auch immer- die Vermarktungsrechte an diesem einzigartigen Kunstwerk auf fünf Jahre überschreibt.
Dennoch - während der kürzeren oder längeren Schaffenszeit, die die Künstler aus 24 Nationen hier verbringen, entsteht viel mehr ein Kunst konsumierender Zuschauer jemals in den Bildern entdecken wird. Denn ihr Medium ist nicht nur die schlechte Farbe, sondern mehr noch der Enthusiasmus einer weltverändernden Neuzeit. Ein Enthusiasmus, so stark, dass einige Künstler auf eigene Rechnung um die halbe Welt reisten, nur um an dem Gemeinschaftswerk teilnehemn zu können. Die längste Open-Air-Gemäldesammlung der Welt, inzwischen im Mittelpunkt der internationalen Medien-Öffentlichkeit unter dem Namen East Side Gallery bekannt, wird unversehens zu einem Symbol größter Zukunftshoffnungen- wie auch die Stadt Berlin selbst, die für eine gewisse Zeit zur Hauptstadt der Welt geworden ist.
Die East Side Gallery ist ein Bilderbuch und jedes ihrer Bilder erzählt gleich zwei Geschichten. Eine sichtbare, mehr oder weniger verständliche Geschichte, die das Auge wahrnehmen und einfühlende Sinn begreifen kann. Und eine unsichtbare Geschichte, deren Held und Erzähler zugleich jeder einzelne Künstler ist.
Vielen Dank erstmal an alle die bis hier durchgehalten haben mit lesen und hoffe ich auch weiter lesen werden.
Vier Mauer-Maler-Geschichten
Ich habe hier vier meiner für mich am interressantesten Künstler ausgesucht und möchte ein wenig über sie berichten.
Günther Schaefer
Viele Episoden in Günther Schaefers Leben lassen sich ohne Willkür und Übertreibung wie die Kapitel einer großen Grenz-Geschichte erzählen. Als der 1954 geborene Maler und Fotograf acht Jahre alt ist, wachsen in dem kleinen Ort Birkenfeld, nah an der Grenze zwischenThüringen und Franken gelegen, über Nacht Grenzanlagen aus dem Boden und zerschneiden sein Dorf und das bauerliche Anwesen der Familie in zwei ungleiche Teile. Während der Großvater,Vater und Enkel Günther im kapitalistischen Westen an einer Existens basteln, bleiben die neun Großtanten im lieblichen Thüringen für sehr lange Zeit unerreichbar - was den Großvater kurzerhand zum Fluchthelfer werden lässt. Als Günther Schaefer, nach Kunststudium, künstlerischer Arbeit in Frankfurt/Main und nach acht Jahren New York vom Fall der Mauer hört, braucht er gerade einmal zwei Tage, um in die Hauptstadt der weltweiten Veränderung zu reisen. Er gehörte zu den allerersten und initiativen East Side Gallery-Künstlern, und sein Bild, eine provokative Montage von bundesdeutschem Schwarz-Rot-Gold und der israelischen Flagge, bewegte damals (wie heute) die politischen Gemüter.
Gabriel Heimler
Der Mauerspringer, das Bild des in Paris geborenen Malers deutsch-ungarischer Herkunft Gabriel Heimler, erzählt eine ganz andere Geschichte als die, die man gewöhnlich darauf zu erkennen glaubt. Heimler, dessen jüdische Vorfahren zuerst in Deutschland , später in Budapest verfolgt wurden, war- und ist noch- einer, der Grenzen schätzt und respektiert, obwohl und gerade weil er oft genug über sie hinweg von Land zu Land gegangen ist und überall das Beste jeder Kultur aufzunehmen versucht hat. Er war, der Liebe wegen, in Vor-Wende-Zeiten wiederholt in Ost-Berlin, kannte und schätzte die Menschen dort und ließ sich auch von Funktionären darin nicht beirren. Gabriel Heimler der die Grenzen und Unterschiede mag, das zwanghafte Aus- und Weggrenzen durch eine Mauer aber verurteilt und über jeden erhaben ist. Lässt ihn- gegen den Strom der Zeit- von West nach Ost springen.
Kani Alavi
Sein erstes Mauererlebnis war Staunen: Eine Mauer mitten durch Berlin? Der gebürtige Perser war nach Deutschland gekommen, um Kunst zu studieren. Er sagt heute das er gar nicht wußte wo er gelandet war. Ost-Berlin? West-Berlin? Die Mauer selbst belehrte den jungen Maler ebenso gründlich über den Status Quo der Stadt, wie sie das seit 1961 bei jedem halbwegs sensiblen Berlin-Bewohner unablässig getan hatte. Erst da wurde ihm klar das in seinem eigenem Land auch Mauern waren. Nicht draußen, sonderm im Kopf.
Ich stelle mir da so vor: Wenn man im Iran als Atheist lebt, rennt man jeden Tag gegen die Mauern des Mullah-Regimes.
Als Kani Alavi von dem internationalen Kunstprojekt hörte, wollte er dabei sein. Was als Freiheitsausdruck begann und bestenfalls ein begeisterndes halbes Jahr dauern sollte, wuchs bei Alavi unversehens zum Lebenswerk heran: Heute ist der Maler Vorsitzender der Künstler-Initiative East Side Gallery. Nicht zuletz seinem Behördendschungel- verdankt die Gallerie ihre öffentliche Präsenz- vom Bezirk Friedrichshain/Kreuzberg bis hin zum fernen Sitz der UNO in New York.
Thierry Noir
Was für die allermeisten East Side- Künstler in Novum und eine auch technische Herausforderung war-das bemalen einiger zehn Quadratmeter Betonmonument- gehörte für Noir längst zum täglichen Brot. 1958 in Lyon geboren, ist er 1982 mit 23 Jahren auch dorthin gezogen, wo David Bowie und Iggy Pop Gruppen wie DAF und Fehlfarben hart an die Mauern der bürgerlichen Kultur klopften. Noirs erster Berliner Wohnsitz, das besetzte legendäre Georg von Rauch-Haus, stand keine 10 Meter entfernt- ein düsterer Wachturm gerade vis-a-vis inbegriffen. Im April 1984 hielt er es jedoch nicht mehr aus und mußte etwas tun. Viele Nächte und fünf Kilometer lang, bewaffnet mit Leiter, Farbe und Pinsel, legten der Franzose und weitere Mitstreiter wie Christophe Bouchet und Kiddy Cidny Hand an das Eigentum der DDR: Zwei Ideen, zwei Farben- mischen und das Bild war schon fertig. Wer an der Mauer malte mußte so schnell wie möglich malen, wollte er nicht von gelegentlich durch Geheimtüren springende Grenzposten nach drüben eingeladen werden!
Berlin- die East Side Galley. Denkmal einer Aufbruchzeit und Monument der Widersprüche: Genehmigt und entstanden unter dem Schutz der Noch-DDR, als der überwiedende Teil der Mauer schon Gnadenlos weggeklopft wurde. Dokument staatlicher Repression und doch bis heute nur deshalb erhalten, weil 118 Künstler den Stahlbeton kreativ verwandeln. Viel besuchtes Welt-Kultur-Erbe und permanent vernachlässigtes Behördenstiefkind zugleich- etwas, das so schön paradoxist, muss eigentlich erhalten bleiben.
Mich hat dieser Besuch der East Side Gallery mehr als zum Nachdenken angeregt.
Infos zur Gallerie
Die Künstler und ihre Websites:
Kani Alvi: www.kanialvi.com
Thierry Noir: www.galerie-noir.de
Günther Schaefer: www.berliner-mauer-kunst.net
Künstlerinitiative East Side Gallery e.V: www.eastsidegallery.com
Die Restaurierung der Gallerie benötigt weiterhin Spenden. Wer helfen möchte, kann sich auch direkt an Kani Alavi wenden. Tel. : 0172/3918726
Ich bedanke mich bei allen die durchgehalten haben und diesen Bericht gelesen haben. Für konstruktive Kritik steht euch mein Gästebuch jeder Zeit zur Verfügung...Grüsse Mieze^^ weiterlesen schließen
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