Pro:
Story, dichte Sprache, Charaktere, keine Kirchlichen Aspekte
Kontra:
Mit Religion hat\'s dann doch irgendwie zu tun, das Buch hat nur 175 Seiten
Empfehlung:
Ja
"Unser täglich Siechtum gib uns heute ..."
Die kleine Cecilie ist krank. Sie liegt den ganzen Tag in ihrem Bett in ihrem Kinderzimmer und hört nur, was im Haus alles vor sich geht. Normalerweise ist das nicht wirklich berauschend, doch jetzt ist Heiligabend. Sie riecht die Geschäftigkeit ihrer Mutter in der Küche, verfolgt durch die Geräusche alles, was passiert und freut sich schon auf die Bescherung und die Skier, den Schlitten und die Schlittschuhe, die sie bestimmt geschenkt bekommt und natürlich auch ausprobieren will. Wenn sie wieder gesund ist. Sie hat sich fest vorgenommen, Weihnachten zu genießen, trotz der Tatsache, dass sie durch ihre körperliche Schwäche an ihr Bett gefesselt ist. Sie will wieder genesen und weiß, dass sie das auch schafft. In der Nacht erscheint ihr dann Ariel, ein Engel. Zuerst glaubt sie nicht, dass er wirklich ein Engel ist, da sie nicht wirklich weiß, ob sie überhaupt an so etwas wie Engel und den Himmel und Gott glaubt. Doch nach und nach kommen sich Ariel, der kleine Engel und Cecilie durch lange und für beide sehr interessante und ergiebige Gespräche näher, denn sie haben eine Abmachung – Ariel will wissen, wie es ist, ein Mensch zu sein mit Sinnen, Gefühlen und einer Seele, Cecilie will wissen, wie es ist, ein Engel zu sein, schon ewig zu leben und nicht zu sterben, nah bei Gott und im Himmel zu sein.
Zwischen den beiden entsteht auf diese Art und Weise eine enge, vertrauliche Freundschaft, die in seltenen Momenten nur durch ein einziges Thema durchbrochen wird: Cecilies Krankheit und ihren anscheinend unausweichlichen Tod ...
„Wir sehen jetzt durch einen Spiegel,
in einem dunklen Wort;
dann aber von Angesicht zu Angesicht.
Jetzt erkenne ich stückweise;
dann aber werde ich erkennen
gleichwie ich erkannt bin.“
[erster Brief des Paulus an die Korinther, 13. Kapitel, Vers 12]
Jostein Gaarder erzählt in diesem Buch die Geschichte eines Mädchens, das stirbt. Dieser Fatalismus in einer Geschichte, die dem Leser die Besonderheiten des Lebens, seine unendlichen Möglichkeiten und die Bedeutung dessen innerhalb der Schöpfung näher zu bringen gedenkt, hat mich von der ersten Seite an fasziniert!
Gaarder erzählt Cecilies Geschichte in sehr aussagekräftigen Bildern und bedient sich eines sehr großen Schatzes an Metaphorik, wodurch sich in meinem Kopf ständig scharfe Bilder des Geschehens bildeten.
Die Geschichte erzählt aus der Sicht von Cecilie. Jede Seite ist voll von Bildern und Gerüchen, Gefühlen und Geschmäckern, dass die Sinne verrückt spielen. Gaarder benutzt Synästhesien am laufenden Band, die so fremd und im Grunde doch so vertraut sind, dass man sofort versteht, wie eigentümlich und doch normal manche Dinge sind. Auf der Stelle versteht man, was Cecilie sagen will, man kann sehen was sie sieht, riechen was sie riecht. Durch die dichten Satzkonstrukte zaubert der Autor das ganze Geschehen wie ein inneres Theaterstück in den Kopf, direkt ins Hirn.
Cecilie und Ariel haben wie schon erwähnt einen Deal. Ariel existiert zwar schon seit Anbeginn der Zeit, als Engel weiß er jedoch nicht, wie es ist, Gefühle zu haben, Sinne zu benutzen und zu erfahren, dazuzulernen und ein Gehirn zu benutzen. Er wünscht sich, wie die meisten anderen Engel auch, mehr darüber zu erfahren und vielleicht sogar zu verstehen. Cecilie dagegen kann sich nicht vorstellen wie es ist, ein Engel zu sein, ein so festes und dennoch geisterhaftes Wesen, das überall ist und nirgendwo, das schon immer existiert und auch immer existieren wird, dass Gott gesehen hat, den Himmel und Adam und Eva. Sie weiß und versteht nicht, wie es ist, absolut gar nichts zu fühlen.
Daher stellen sie sich gegenseitig Fragen und reden, um so vom jeweils anderen Hinweise zu bekommen, Antworten zu bekommen und vielleicht sogar zu verstehen.
Diese Dialoge zwischen Cecilie und Ariel sind unglaublich schön zu lesen. Mit einer beinahe grenzenlosen Unbefangenheit gehen die Beiden an ihre Themen, kennen so gut wie kein Tabu und sind absolut offen und ehrlich zueinander.
Neben den bereits angesprochenen Synästhesien beleben auch die vielen bildhaften Vergleiche die Dialoge. Wie sich Schnee anfühlt? Er kitzelt wie starke Pfefferminze; man will die Hand zurückziehen und bekommt doch eine Gänsehaut.
Zwar hat „Durch einen Spiegel, in einem dunklen Wort“ nur knapp 175 Seiten, doch sind diese Seiten äußerst gehaltvoll! Jostein Gaarder nähert sich dem Thema Tod auf ganz besondere Weise. Durch die kindliche Betrachtungsweise der Welt, die sowohl Cecilie als auch Ariel an den tag legen, sieht man nach dem Lesen des Buches sicher einiges mit anderen Augen, nimmt manche Dinge anders wahr, denkt über gewisse Dinge einfach anders.
Was mich jedoch am meisten beeindruckt hat ist die Tatsache, dass das Buch zwar von einem Engel erzählt, der ein sterbenskrankes Mädchen in seinen letzten Tagen besucht; jegliches kirchliche fehlt jedoch, keine Spur von Akquisition für die Kirche ist vorhanden, kein Versuch, Gott wirklich zu erklären. Und ich vermisse es auch nicht. Ich will es auch gar nicht vermissen oder gar haben. Ohne diese Aspekte und die einfache Betrachtung der Schöpfung durch Ariel und Cecilie wird man als Leser – egal ob nun Kind oder Erwachsener – einfach Schritt für Schritt neu an das herangeführt, was wir Leben nennen, was wir unsere Welt und ihr Drumherum nennen. Und auf diese Weise ergibt die Geschichte am Ende auch ein abgerundetes Bild ohne scharfe Ecken und Kanten, an denen man Anstoß finden kann.
Genau wie Ariel es sagt, ist das Buch wie das Leben eines Menschen. Ein kurzer Augenblick, das Aufflackern eines Sterns in einem gewaltigen Feuer. Dem Feuer des Lebens.
Sehr schön sind auch die Nebenfiguren in diesem Buch gestaltet. Sie sind zwar präsent, jedoch spielen sie bis auf eine kleine Ausnahme keine allzu große Rolle. Cecilies Eltern, von ihrer Krankheit schwer ergriffen und bemüht freundlich und liebevoll, agieren so, wie man es wahrscheinlich erwarten würde. Ihr kleiner Bruder und ihr Großvater kommen nur sehr selten vor. Nur ihre Großmutter ist neben dem Engel und dem kranken Mädchen wichtig. Sie versteht Cecilie auf eine besondere Art, sie weiß meist am Besten, wie mit ihr umzugehen ist. Sie erzählt Cecilie Geschichten aus der Zeit der Wikinger, von Göttern und Fabelwesen, sie verschwört sich mit ihr, bastelt am Schlitten und schreibt auf, was Cecilie ihr diktiert, wenn sie zu schwach ist, um in ihr Tagebuch zu schreiben. Cecilies Großmutter hat etwas in sich, was die meisten Erwachsenen verloren haben, wie Ariel sehr früh erkennt.
„Du hast versprochen, vom Himmel zu erzählen.“ - „Der Himmel kann warten Cecilie!“
Was kommt nach dem Tod? Ist die Seele wirklich unsterblich? Ist etwas ewig? Und wenn ja, heißt das nicht, dass alles etwas göttliches in sich trägt? Wie kann Gott allwissend sein? Ist er überhaupt allwissend? Und warum gibt es keine 3 Geschlechter?
„Durch einen Spiegel, in einem dunklen Wort“ ist ein Buch, das so manche Frage beantwortet, teils durch Wissen, teils durch Phantasie, dafür aber auch so manche Frage aufwirft. Ich finde, genau diese gut durchdachte Mischung macht den Zauber des Buches aus. Man hat als Leser Raum, selbst Fragen zu stellen und mitzudenken.
Über das Leben, das Universum und den ganzen Rest ...
Im Handel sollte man das Taschenbuch für ca. 7 bis 9 Euro erstehen können. Ich selbst habe bei Amazon.de 7,50 Euro bezahlt, was mir das Buch auch wert war. Viel mehr sollte es jedoch nicht sein, denn auch 175 großartige Seiten sind eben nicht mehr als 175 Seiten. Dennoch ist es das Buch wert, gelesen zu werden. Frische Ideen und Betrachtungsweisen sind etwas für jeden.
Schließlich ist nicht mal der Herrgott selbst allmächtig ... weiterlesen schließen
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