Pro:
einige gute Handlungsansätze, Grishams Mut, etwas anderes zu probieren
Kontra:
gute Handlungsansätze verlaufen häufig im Staub von Arkansas, zu viele Längen
Empfehlung:
Nein
Es gibt Autoren, die bringt man immer mit bestimmten Richtungen in Verbindungen. John Grisham ist so ein Fall. Der Amerikaner gehört zu den meistgelesenen zeitgenössischen Schriftstellern. Und wenn man mal so eine Umfrage starten würde, dann käme wohl (fast) immer die Antwort: der hat doch was mit Rechtsanwälten und Richtern zu tun. Genau! Denn bekannt wurde Grisham mit seinen juristischen Thrillern wie Die Firma (verfilmt mit Tom Cruise), Die Akte (in der Filmversion mit Julia Roberts) oder Der Regenmacher (wurde mit Matt Damon auf die Leinwand gebracht). Einmal Jura, immer Jura? So war auch meine Meinung. Zumal die Titel immer schon irgendwie (wenn man mal den Regenmacher außen vor läßt) mit dem juristischen Bereich zusammen hingen. Da stellt sich nun die Frage: Wie schaut es bei Die Farm aus?
SCHAUPLATZ UND ZEIT DER GESCHICHTE:
Der Titel nimmt schon DEN Schauplatz an sich vorweg: Die meiste Handlung spielt sich auf der Farm ab, der Farm der Chandlers, in Black Oak, Arkansas. Man spürt förmlich, die Hitze, den Staub, der in der Luft liegt und im Sonnenlicht flimmert, wenn gerade der Chandler Pickup in den Hof gefahren kommt. Ein wenig erinnert mich der Ort an Serien wie Die Waltons und Unsere kleine Farm. Mit dem Unterschied, dass diese Fernsehgeschichten doch in einer anderen Zeit statt finden. Die Farm handelt im September und Oktober 1952.
DIE HAUPTFIGUREN:
Da bin ich dieses Mal in Schwierigkeiten. Entweder fasse ich diesen Punkt ganz eng und habe nur eine Hauptfigur. Oder ich nehme ihn relativ weit und muss schon einiges vorweg erzählen. Ich entscheide mich für die zweite Version, allerdings etwas abgespeckt, damit ich nicht zuviel vom Inhalt hier schon vorweg nehme:
LUKE CHANDLER:
Er ist sieben und die absolute Hauptperson der Geschichte. Denn aus Lukes Perspektive erlebt man die Geschehnisse auf der Farm. Er ist recht clever, aber irgendwie (so finde ich) auch nicht wirklich ungewöhnlich für einen kleinen Jungen seines Alters. Luke ist sieben, hat keine Geschwister, wächst mit Eltern und Großeltern in Black Oak auf. Niemals hat er außerhalb der Stadt geschlafen. Genau wie die meisten anderen Kinder der Gegend muss er seiner Familie bei der Baumwollernte helfen. Ein ruhiges, gemächliches Leben, das dann doch durch Zwischenfälle aufgewühlt wird.
PAPPY CHANDLER:
Auch wenn man vom Namen her vermuten könnte, dass es sich um den Vater von Luke handelt, so ist Pappy doch tatsächlich Lukes Opa. Er ist der Kopf der Familie, trifft die Entscheidungen. Und oft habe ich den Eindruck, dass er wirklich eher eine Vaterfigur für Luke ist als der eigentliche Vater.
HANK SPRUILL:
Er ist eine Art Gastarbeiter bei den Chandlers. Gemeinsam mit seiner Familie kommt Hank aus den Bergen. Er ist ein grober Typ, ein Raufbold, der auch Luke einschüchtert und herum kommandiert. Seine Art bringt ihn in Schwierigkeiten.
COWBOY:
Mal wieder ein Name, der in die Irre führt. Denn Cowboy ist kein solider Amerikaner, sondern ein Mexikaner und in gewisser Weise das Pendant zu Hank, ein harter Junge, vor dem Luke mehr als Respekt hat und der seine Ansichten durchsetzt – wenn es sein muss, mit Gewalt.
DIE HANDLUNG UND MEINE MEINUNG:
Sie muss ich in diesem Fall mal mit meiner Sichtweise verknüpfen. Würde ich das nicht tun, gäbe es zu viele Dopplungen. Also los: Es beginnt alles ganz gemächlich. Mit den Augen von Luke lernt man die Farm kennen, Lukes Eltern und Großeltern, den Lebensmittelladen von Black Oak samt seinen Besitzern. An sich könnte diese Beschreibung einer ruhige, positiv gemeint idyllischen, negativ gesagt langweiligen Ausgangssituation einfach nur ein etwas anderer Start in einen Grisham sein. Doch für mich wirkt dieser Auftakt lang und langweilig. Er zieht sich hin, ohne dass sich viel tut.
SUCHE NACH ERNTEHELFERN:
Die ersten Ereignisse sind die, dass die Chandlers nach Erntehelfern für die Baumwollernte suchen: Pappy und Luke warten am Straßenrand, sprechen mit vorbeikommenden Leuten aus den Bergen, die sich auf den Farmen von Black Oak und Umgebung in den nächsten Wochen etwas Geld verdienen wollen. Die Spruills halten an, ein Ehepaar mit einer hübschen Tochter, Tally, in die sich Luke sofort ein wenig verguckt, die aber zehn Jahre älter als er ist. Außerdem haben die Spruill noch vier Söhne: Hank, den eben schon erwähnten Ältesten, Trot, einen behinderten Jungen und zwei weitere, die nie eine besondere Rolle spielen.
Außer den Spruills kommen noch zehn mexikanische Erntehelfer, unter ihnen Juan, der Anführer und Cowboy, der zunächst zurückhaltend ist, dann aber für Ärger sorgt.
Aus dieser Grundkonstellation mit drei ganz unterschiedlichen Gruppen (der Farmers-Familie, den Leuten aus den Bergen und den Mexikanern) hätte man unter Umständen eine ganz interessante Geschichte spinnen können. Doch sie bleibt weiter sehr durchwachsen: Aller ernten gemeinsam, man erfährt zwar durch Luke von Spannungen. Doch die kommen nicht weiter zum Tragen.
HANK SORGT FÜR ÄRGER
Die erste Aufregung findet erst statt, als alle am Wochenende in Black Oak sind. Mit einem Freund schaut sich Luke einen Kampf an. Ein Mann aus dem Ort prügelt einen aus den Bergen zusammen. Hank mischt sich ein, kämpft gegen den Einheimischen, dieser erhält Unterstützung von zwei Brüdern. Dennoch schafft Hank es, sich gegen alle drei Gegner zu erwehren, besiegt sie, schlägt sie aber weiter, als sie schon am Boden liegen. Daraufhin stirbt eines seiner Opfer. Erneut hat Grisham einen Punkt geschaffen, an dem die Handlung jetzt wirklich spannend weiter gehen könnte, vielleicht auch in diesem Fall vor Gericht und mit ganz interessanten Hintergründen, die im Laufe eines Prozesses zum Vorschein kommen könnten. Aber auch dazu kommt es nicht. Nach einer kurzen Spannung (Luke ist sehr unsicher, ob er seiner Familie über den Vorfall berichten soll), kommt die Polizei auf die Farm, es gelingt den Chandlers jedoch, den Polizisten zu überzeugen, Hank vorerst auf freiem Fuß zu lassen. Denn sie befürchten, dass sonst die gesamte Familie Spruill abreisen würde.
BASEBALL:
Ein Motiv, das Grisham immer wieder einflechtet, ist Baseball. DER amerikanische Sport sowie Anspielungen auf Baseball-Partien mögen für eine US-Leserschaft Identifikation und Erinnerungen bringen. Gut, ich kenne grob die Baseball-Regeln, da ich selber Verwandte in Amerika habe. Doch obwohl ich sportinteressiert bin, langweilt es mich doch, wie Grisham diesen Aspekt immer und immer wieder auswalzt.
TALLY:
Es ist schon erstaunlich, das der siebenjährige Luke sich in Tally verguckt hat. Sie flirtet auch annähernd mit ihm, läßt ihn zuschauen, während sie im Fluß badet. Außerdem verteidigt sie ihn gegen Hank und kauft Farbe, mit der das Haus der Chandlers angestrichen werden soll. Denn Hank hatte sich über das alte, unangestrichene Chandler-Haus lustig gemacht. Doch dann erwischt Luke sie mit Cowboy zwischen den Baumwollstauden ...
Der Tally-Handlungsstrang ist sicher eine gute Idee, vielleicht die, die Grisham noch am besten von der Gewichtung her in seine Geschichte einwebt.
DIE LATCHERS:
Die Chandlers sind relativ arm. Ihnen gehört zwar etwas Land, aber für den Baumwollanbau müssen sie Geld aufnehmen, das sie erst nach einer erfolgreichen Ernte komplett zurück zahlen können. Die Latchers sind noch ärmer. Sie bauen zwar auch Baumwolle an, aber ihr Land ist an einer Stelle gelegen, die schnell unter Wasser steht. Die Latchers haben noch weniger Geld, dafür wesentlich mehr Kinder. Und dann bekommt noch eine der Töchter ein Kind. Der (uneheliche) Vater, so sagt sie, ist ein Chandler: Lukes Onkel Ricky, der für den Jungen wie ein großer Bruder und Freund ist, weiß jedoch nichts von seinem Glück. Denn er kämpft im Koreakrieg. Auch dieser Aspekt der gesamten Handlung ist nicht übel, trägt aber nicht die gesamte Geschichte.
COWBOY:
Er wirkt beängstigend und macht diesem Anschein auch alle Ehre. Cowboy gerät mit Hank aneinander und bedroht Luke. Einmal mehr hätte Grisham auch hier der Sache mehr Würze geben können. Denn in der gesamt en Handlung spielt Cowboy dann doch eine eher kleine Rolle, hätte er ein größeres Gewicht erhalten, wäre die Geschichte möglicherweise interessanter geworden.
DIE ERNTE:
Als Motiv finde ich sie schon an sich recht langweilig. Leider hat ihr Grisham dennoch viel, viel Platz eingeräumt. Spannend wird sie jedoch erst gegen Ende: Unwetter und Überschwemmungen bedrohen die Baumwolle der Chandlers und schließlich sogar ihren Hof und damit ihre Existenz. Das, was hier so kurz gefaßt schon fast dramatisch klingt, ist von Grisham für meinen Geschmack ebenfalls recht schlicht beschrieben. Eine weitere vergebene Chance, finde ich.
DIE PERSPEKTIVE:
Man hat es mit einem Ich-Erzähler (Luke) zu tun. Obwohl er sieben ist, würde ich die Geschichte dennoch nicht als Kinderbuch verstehen. Dafür ist die Handlung einfach zu langweilig. Die Sätze sind einigermaßen im Stile eines so kleinen Jungen: Meist eher kurz und einfach gehalten. Grundsätzlich ist die Idee so einer Hauptfigur nicht schlecht. Aber die Spannung und Anspannungen, die ein siebenjähriger spürt, kommen hier nur selten zum Tragen.
DIE AUSGABE:
Erst jetzt blicke ich auf die Angaben zu Originaltitel, ISBN-Nr., etc. Und da fällt mir auf, dass ich nochmals ein klein wenig ausholen muss: Ich hatte ja vorhin den Streit von Hank und Luke um das (nicht angestrichene) Haus erwähnt. Im Erbe von Trot versucht Luke nach der Abreise der Spruills das Haus zuende zu streichen. Entsprechend erschien die Geschichte erstmals mit dem Originaltitel : The Painted House (Das angestrichene Haus). Die deutsche Version (Die Farm) ist somit nicht ganz das selbe, aber dennoch recht nah dran und treffend. Interessant ist: Erstmals wurde das Painted House als Serie in der Zeitschrift Oxford American abgedruckt, dann 2001 von Doubleday.
Die Deutsche Übersetzung stammt von Anette Grube und ist eine (Bertelsmann-)Club
Ungelürzte Ausgabe RM Buch- und Medien Vertrieb GmbH, www.derclub.de ; Buch-Nr. 000621 (in meiner Ausgabe ist keine ISBN-Nr. vorhanden).
(deutsche Lizenz: Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG München)
PREIS:
Das Taschenbuch (erschieben inzwischen bei Heyne) habe ich für 9,95 Euro gesehen. Bei mir handelt es sich um die gebundene Bertelsmann-Ausgabe, die ich bei Ebay für 1,99 Euro erstanden habe. Der Vorbesitzer hat das Buch dankenswerter Weise sehr gut behandelt, so dass ich es fast wie neu erhalten konnte.
FAZIT:
Von allen Grishams, die ich bisher gelesen habe, ist dieser der schlechteste. Ich finde es sehr löblich, dass er aus seinem üblichen Schema ausbrechen will. Doch ich würde ihm fast zurufen wollen: Schuster, bleib bei Deinen Leisten. Denn sein Ausflug in eine andere Welt weist für mich zu viele Schwächen auf. Schon der Ort an sich wirkt staubig, die Handlung kommt aber noch verstaubter rüber: Zu viel Zeit vergeht damit, dass Baumwolle geflückt wird oder dass Luke Baseball-Spiele im Radio hört. Es gibt zwar einige gute Gedanken, getragen durch die Raufbolde Hank und Cowboy oder durch das uneheliche Kind von Lukes Onkel Ricky. Doch die scheinen nur am Rande eine Rolle zu spielen, eine zu kleine. Weil zuletzt die Handlung wenigstens etwas an Fahrt gewinnt, vergebe ich noch zwei Sterne, eine Empfehlung möchte ich in diesem Fall aber eher nicht aussprechen. weiterlesen schließen
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