Herbstgeschichten Testberichte

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Pro & Kontra
Vorteile
- Der Wind lässt Drachen steigen und wirft Naturmaterial zum Basteln ab
- Alles...
Nachteile / Kritik
- Es wird langsam aber merklich kühler und auch schon wieder viel früher dunkel
- ...fiktiv.
Tests und Erfahrungsberichte
-
Alter!
5Pro:
Alles...
Kontra:
...fiktiv.
Empfehlung:
Nein
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Alter!
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Zwei Wochen zuvor.
Ein Telefongespräch zwischen einer Frau mit heller, unverbraucht klingender Stimme und einem in tiefer Tonlage sprechenden Mann:
Mann (drückt den Gesprächsannahmeknopf seines Funktelefons, hält das Gerät dann an sein Ohr und sieht gestresst aus): M-hm, ja?
Frau (mit zittriger Stimme): Ähm … bitte betrachten Sie dies nun nicht als … ähm … Kontinuierung eines scheinbar intrusiven oder … oder gar invasiven Benehmens -
Mann (unterbricht sie mit einem Hauch von Genervtheit): Hm, WAS? Wer ist da denn? Ich habe heute keine Lust, Ratespielchen zu veranstalten. Trude, bist Du das?
Frau (gehetzt): Sie kennen mich nicht! … Nicht wirklich. Und es tut auch nichts zur Sache, wer ich bin. Ich möchte Ihnen nur alles Gute zum Geburtstag wünschen. … also alles Gute zum Geburtstag!
Mann (betont nüchtern): Oh. Wie schön. Danke. (dann, nach einem kurzen Moment, wie ausgewechselt, ziemlich freundlich) Sagen Sie mir bitte trotzdem Ihren Namen.
Frau (sehr aufgeregt): Nein! Das hat keinen Zweck! Ich will die Sache mit diesem Anruf zu Ende bringen. Sie werden nie wieder von mir hören oder - (sie verkneift sich einen Zusatz)
Mann (mit sorgenträchtiger Stirnfalte): Oder WAS? … Etwa lesen? … Und was heißt „zu Ende bringen“? (er fasst sich an den Kopf und denkt nach)
Die Frau atmet mit erschrockenem Gesicht immer schneller.
Mann (mit verkrampfter Miene und ruhiger Stimme): Mach bitte nichts Unüberlegtes. … Hörst Du mich? … W., hörst Du-
Aus dem Hörer des Mannes ertönt ein lautes Summen.
Die Leitung wurde getrennt.
***
Ein dunkler später Abend. Das Wetter ist schlecht; kräftiger Schneeregen verunstaltet die Straßen und Gehwege.
In einem Café am Straßenrand sitzt eine Truppe Frauen um die 50, die anscheinend etwas feiern. Immer wieder hört man angeheitertes Gelächter.
Zwei Tische weiter sitzt ein älterer Herr. Vor ihm ruhen eine halb leer getrunkene Tasse Kaffee und die zerbröselten Überreste eines Stückes Pflaumenkuchen. Der Mann scheint von dem lauten Gejohle der Damen genervt zu sein. Mit säuerlicher Miene schaut er abwechselnd von ihnen zum Fenster und wieder zurück.
Frau Z. (bereits angeheitert): Hahaaaa! (grunzend) Und dann hat er doch tatsächlich gefordert, dass ich es das nächste Mal ankündigen solle, wenn ich ihn „in aller Öffentlichkeit“ bloß stellen möchte…
Allgemeines schrilles Damengelächter.
Frau D. (ebenfalls vom Alkohol gelockert): Oh, Elli, das hast Du ja soooo gut gemacht! Manche Männer brauchen ab und an mal ’nen ordentlichen Dämpfer, vor allem, wenn’s sich um Ehe-Männer handelt!
Wieder allgemeines Geschrille.
Ein tiefes Brummen vom Tisch hinten in der Ecke zaubert plötzlich Stille in das Café. Gesammelt blickt die lustige Damenrunde zum Herrn mit der halb leeren Kaffeetasse.
Es vergehen ein paar Augenblicke.
Und dann:
Frau Z. (zum Herrn gewandt): Oh, verzeihen Sie. Sind wir Ihnen zu laut?
Der Herr (übertrieben höflich): Ach was, lachen Sie nur weiter, meine Damen. Ich habe was am Ohr. Deshalb kommen mir Ihre hohen Töne wie die Schreie von Aasgeiern vor. Aber das ist ja nicht Ihre Schuld. (er lächelt überfreundlich) Machen Sie ruhig weiter, meine Damen!
Die Damen nehmen ihn anscheinend ernst und prosten ihm fröhlich zu.
Frau Z. (zur Bedienung rufend): Einen Schnaps für den Herrn! Auf meine Kosten!
Der Herr (lächelt zu Frau Z. und nickt): Danke sehr, das wäre aber doch nicht nötig gewesen…
Frau Z. (gönnerisch abwinkend, plötzlich sehr charmant und mit erstaunlich dunkel-angenehmer Stimme): Doch, doch, mein Guter. Sagen Sie, wollen Sie nicht an unseren Tisch kommen? Sie sind da hinten ja ganz alleine…
Der Herr (schüttelt den Kopf und trinkt den Schnaps, der gerade serviert wurde, in einem Zug aus): Nein nein, danke. Ich warte auf jemanden.
Geschmunzle in der Damenrunde. Nun schalten sich auch andere in das Gespräch zwischen dem Herrn und Frau Z. ein.
Frau v.d.L. (mit nüchterner Präzision): So? Warten Sie denn schon lange? Nicht dass man Sie wegen des schlechten Wetters versetzt…
Der Herr (nunmehr eher angestrengt höflich): Nein nein, gewiss nicht. Diejenige, auf die ich warte, wohnt ja direkt hier, in diesem Haus. (er deutet hinauf)
Erstauntes Stirnrunzeln und Getuschel in der Damenrunde.
Frau Z. (schaltet sich lauthals wieder ein): Ach was! Tatsächlich!? (unverblümt neugierig) Um wen handelt es sich denn? Sie müssen nämlich wissen, dass auch wir alle in diesem Häuserkomplex wohnen. Vielleicht gehört Ihre Verabredung ja sogar zu unserer Runde - wir warten nämlich auch noch auf ein paar Damen…
Der Herr (abwinkend, sich zur Bedienung wendend und viel sagend auf das Schnapsglas tippend): Nein, das bezweifle ich. Es handelt sich um eine andere Altersklasse.
Mildes Gelächle in der Damenrunde.
Frau v.d.L. (in einem katzigen, einschmeichlerischen Tonfall): Oooch … wir haben aber durchaus auch Damen Ihrer Altersklasse in unserer Runde…
Der Herr (nimmt seinen neuen Schnaps in Empfang, kippt ihn sogleich und antwortet dann ohne einen Anflug von Beschämtheit, vielmehr mit einem Lächeln): Bei meiner Verabredung handelt es sich um eine Frau, die gerade dem Teenageralter entstiegen ist.
Allgemeine Atemnot in der Damenrunde.
Frau v.d.L. (plötzlich sehr aufdringlich): Sagen Sie mal, kann es sein, dass man Sie schon mal im Fernsehen gesehen hat? Sie kommen mir irgendwie so bekannt vor-
Der Herr (blickt sie herausfordernd an, fährt ihr halb ins Wort): Und wenn es so wäre, würde es dann mein Vorhaben legitimieren, mich mit einer 20jährigen zu treffen?
Einige Damen schauen beschämt vor sich und fixieren ihre zumeist leer getrunkenen Gläser.
Frau Z. (ihrer Freundin beispringend): Nun reagieren Sie doch nicht so gereizt, Herr S. (Herr S. scheint nicht erstaunt, als er seinen Namen ertönen hört; einige Damen der Runde glotzen ihn auf einmal sehr interessiert an). Wir können doch auch nichts dafür, dass man Sie versetzt hat…
Herr S. (schaut auf seine Armbanduhr, die er überm Hemdsärmel trägt): Davon kann keine Rede sein. Noch ist sie absolut in der Zeit. Und überhaupt … (schaut lächelnd zu Frau Z.) … Ich habe ja keinen Termin mit ihr ausgemacht. Sie weiß nicht einmal, dass ich hier auf sie warte. Aber ich weiß, dass sie in etwa zehn Minuten um die Ecke beim Eingang biegen wird. Und dann werde ich sie abfangen.
Die Damen staunen ihn mit offenen Mündern an.
Frau v.d.L. (sich nun wieder schneidend einbringend): Sie wissen aber schon, dass dieses Haus über mehrere Eingänge verfügt? Unten ist noch eine Tiefgarage und ein weiterer Eingang…
Herr S. (sieht sie etwas irritiert an): Was? … Wirklich? (er blickt leicht hilflos um sich) Aber wenn ich jetzt da hingehe, dann könnte ich sie ja hier verpassen. … Oder ich wäre zu spät beim anderen Eingang… Meinen Sie wirklich, sie geht durch die Tiefgarage? Ich bin mir nicht einmal sicher, ob sie ein Auto hat… (dabei spricht er mehr zu sich selbst als zu einer der Frauen)
Frau v.d.L. (mit fremder, einschmeichelnder Stimme, den Tonfall der Neugierde klug eindämmend): Wenn Sie mir den Namen der Frau sagen, dann kann ich Ihnen das vielleicht genauer sagen… denn ich wohne genau hier drüber, überm Café…
Herr S. (nach einer kurzen Überlegung): W.K.
Frau v.d.L. (brüsk, mit einem Siegerlächeln): Wusst ich’s doch! … Dann bleiben Sie ruhig hier sitzen, mein Lieber. Die kommt auf jeden Fall hier vorn durch.
Herr S. (etwas irritiert von dem Wissen der Frau): Mhm … gut, danke. (zur Bedienung) Bringen Sie mir bitte einen Kaffee!
Frau v.d.L. (mit einem seltsamen Lächeln): Ja, werden Sie erstmal wieder vollkommen nüchtern. (leiser) Das werden Sie auch sein müssen, wenn Sie auf SIE treffen. Und überhaupt, Sie müssen genau darauf achten, dass Sie sie auch sehen. … Die wetzt immer so schnell hier am Café vorbei, dass man meinen könnte, sie wollte nicht gesehen werden…
Herr S. (verbrennt sich den Mund am heißen Kaffee und flucht kurz auf, dann schaut er zur wissenden Frau): Ah ja? Na, ich bin ja nicht blind. Ich werde sie schon sehen.
Frau v.d.L. (nicht ohne Sarkasmus): Na ja, an sich ist sie ja auch nicht zu übersehen… (Geschmunzel in der Runde) Aber dennoch: Sie sollten sich schon mal postieren, sonst entwischt sie Ihnen noch! (mit großen Augen und schmalem Mund) Ernsthaft. Die Kleine, hm na ja, egal … sie zischt jedenfalls in einem zum Fahrstuhl durch, wenn sie erst einmal dieses Haus betreten hat.
Herr S. (nachdem er den heißen Kaffee in einem Zug entleert hat): Hm… Vielleicht wäre das tatsächlich eine gute Idee.
Er rupft eine Zehn-Euro-Note aus seiner Hosentasche und legt sie auf den Tisch. Dann setzt er seinen Hut auf, den er bis jetzt auf dem Stuhl neben sich liegen hatte und zieht seinen Mantel an.
Als er an den Damen vorbeikommt, zieht er höflich den Hut und wünscht allen einen vergnüglichen Abend. Beim Austritt aus dem Lokal und Eintritt in den Hausflur verzieht er den Mund und verdreht die Augen. Ein Stoßseufzer entfährt ihm.
Dann postiert er sich in den Hausflur, direkt neben den Fahrstuhl.
***
Einige Minuten sind vergangen.
Herr S. geht ein paar Schritte hin und her. Es scheint, als würden ihm die Füße schmerzen. Er fixiert die Treppenstufen und setzt sich schließlich darauf. Sofort steht er aber wieder auf und zischt: „Uh, ist das kalt.“
Im nächsten Moment ertönen Stimmen. Menschen betreten den Hauseingang. Man hört, wie sie sich die Stiefel abklopfen und auf die Kälte schimpfen.
Dann biegen sie um die Ecke.
Die eine Frau ist um die 50 Jahre alt und trägt einen Korb mit Einkäufen. Ihr halblanges, gelocktes Haar ist rot gefärbt.
Ihr folgt eine deutlich jüngere Frau um die 20 mit überschulterlangen, dunkelblonden Haaren, die in einem Pferdeschwanz zusammengebunden sind. Sie ist deutlich übergewichtig.
Die beiden diskutieren das Wetter und bemerken Herrn S. nicht.
Gerade als die Ältere sich anschickt, den Fahrstuhlknopf zu drücken, tritt Herr S. auf die Jüngere zu und spricht sie an.
Herr S. (sehr freundlich): Frau Z.?
Die Jüngere sieht kurz in sein Gesicht, erstarrt und schaut dann stumm zu Boden.
Die Ältere (schaltet sich ein): W., ich gehe schon mal hoch. Gib mir mal Deine Beutel.
Die Ältere nimmt der Jüngeren die beiden Einkaufstüten aus den Händen, drückt den Fahrstuhlknopf und steigt in das Gefährt. Während sich die Tür des Lifts langsam schließt, lächelt sie Herrn S. aufgeschlossen an.
Als sie fort ist, regiert für einen Moment lang absolute Stille die Szene.
W.K. steht blass und verkrampft vor Herrn S., der sie um einen Kopf überragt. Der Mann schaut freundlich zu ihr, während sie immer noch hilflos auf den Boden stiert.
Herr S. (freundlich): Darf ich Sie auf einen Kaffee einladen? Hier ist ja praktischerweise ein Café ins Haus installiert… (er grinst)
W.K. (verspannt aufblickend, aber nicht zu ihm, sondern in Richtung des Cafés): Ähm… na ja… als ich grade dran vorbeiging, saßen da Leute drin, die uns wahrscheinlich den ganzen Abend anstarren würden…
Herr S. (lacht laut auf): Hah! Da sagen Sie was! Ich sollte es besser wissen. Vorhin saß ich ja schon drin und wurde… nun ja … gut unterhalten. (er lacht kurz auf)
Zum ersten Mal blickt ihm die Frau nun in die Augen.
Ihr Blick ist scheu und tastend. Ihre Augen sind grün-blau. Sie ist völlig ungeschminkt. Ihr Natur belassenes Gesicht weist mehrere Leberflecke und Unregelmäßigkeiten auf.
W.K. (schwachstimmig): Mögen Sie Chinesisch?
Herr S. (verblüfft): Ähm… Aber ja!
W.K. (lächelt ein wenig, schaut dann aber wieder keusch an seinen Augen vorbei): Schön! Dann lassen Sie uns ein paar Schritte gehen. … Da hinten ist ein chinesisches Restaurant. … Ich lade Sie ein…
Scheinbar unverbunden bewegt sie sich in Richtung des Ausgangs, bleibt dann aber stehen und blickt sich um.
Ihr Handeln erscheint unsicher. Sie hat offenbar selten Kontakt zu anderen Menschen.
Herr S. setzt sich in Bewegung und streckt die Hand in ihre Richtung aus.
Mit verwirrtem Gesichtsausdruck steht W.K. einen Augenblick lang im Hausflur und sieht nunmehr vollkommen ratlos aus.
Schließlich hakt sich Herr S. einfach bei ihr ein und zieht sie mit sich.
W.K. löst sich nicht, sondern lässt sich wortlos mitnehmen. Draußen angekommen sieht sich Herr S. in der Dunkelheit um.
Herr S.: Und nun? Wohin müssen wir? Na, immerhin hat es aufgehört, Matschschnee zu pissen… (er grunzt)
W.K. (kann sich den Anflug eines Lächelns nicht verkneifen und deutet nach links): Da hinten. Bis zur Kreuzung müssen wir.
Herr S. (freudig erstaunt): Och, ist ja nicht weit. Dann los.
Er stolziert mit großen Schritten los.
Sie hat Mühe, mitzuhalten und keucht bereits nach wenigen Metern.
Herr S. (grinst böse, während er sein Tempo nicht verringert): Mädchen, Mädchen, Du gehst wie eine 80jährige…
Sie zuckt zusammen, errötet und schaut wiederum nach unten.
Er bemerkt ihre Verschämtheit und will scherzen.
Herr S.: Ist ja eigentlich ganz gut so. Muss ich mir neben Dir nicht völlig deplatziert vorkommen…
Sie wirkt darauf hin noch verschämter und nestelt mit der freien Hand an ihrer Jacke herum.
Er räuspert sich und blickt zum nahe gelegenen Restaurant.
Herr S.: Meine Güte, Du hast es ja gut! Im Haus ein Café. Keine fünfzig Schritte weiter ein China-Restaurant. Was gibt’s denn noch alles?
W.K. (ernst): Eine deutsche Kneipe, keine 10 Schritte weiter. Einen Döner-Schuppen, etwa 20 Schritte weiter. In die andere Richtung müssen Sie etwa 30 Schritte investieren, dann kommen Sie zu einem guten Italiener. Wir sind gut mit Essen ausgestattet. (mit etwas härterer Stimme) Ich sehe nicht ohne Grund so aus.
Er prüft nicht nach, was sie damit meint, sondern deutet mit einem lächelnden Kopfnicken zur anderen Straßenseite.
Herr S.: Ah jaa, daa! Das ist sicher die Kneipe! Da können wir nach dem Essen auch noch hin!
Sie bleibt stumm und geht scheinbar emotionslos die Treppe zum Chinesen hinauf.
Er folgt dicht hinter ihr.
Sie steuert einen etwas separierten Tisch links vom Eingang an. Der Tisch ist relativ klein, nur mit zwei Stühlen ausgestattet.
Als sie sich der Jacke entledigen will, stellt er sich hinter sie. Sie hält einen Moment lang inne, fährt dann mit dem Entkleiden fort und wird dann von seinen Händen unterstützt.
Während Herr S. zum Kleiderständer stolziert, postiert sie sich vor ihrem Stuhl, setzt sich aber noch nicht. Erst als er zum Tisch zurückkehrt und sich niederlässt, findet auch sie Platz.
Eine Chinesin mit Kurzhaarfrisur in einem schwarz-weißen Kostüm betritt den Raum. Sie verteilt zwei Speisekarten auf dem Tisch und lächelt die beiden Gäste freundlich an.
Chinesin (in gebrochenem Deutsch): Darf ich Getränke bringen?
Herr S. (schaut freundlich zur Chinesin): Ja, ich hätte gern ein Wasser.
Die Chinesin nickt und notiert. Dann schaut sie erwartungsvoll zu W.K.
W.K. (zögernd): Ähm… eine … ach, ich möchte auch ein Wasser. Danke!
Die Chinesin notiert und geht lächelnd fort.
Herr S. (schaut W.K. einen Moment lang eindringlich an, fragt dann lächelnd) Wie geht es Dir? Ich hoffe, es stört Dich nicht, dass ich zwischendurch einfach schon mal aufs „Du“ übergeschwungen bin. Aber irgendwie sehe ich keinen Grund, warum wir die Zeit mit förmlicher Distanz verschwenden sollten.
W.K. (schüttelt den Kopf und liest angestrengt in der Karte, schaut ihn dabei nicht an): Nein, stört mich nicht. (sie will nichts hinzufügen, aber er sieht sie fragend an) Ach so: Mir geht es gut. Danke der Nachfrage. (scheinbar beiläufig) Und Ihnen?
Herr S. (setzt eine Brille auf und studiert ebenfalls die Speisekarte): Mir geht es sehr gut für mein Alter. (schon nach kurzer Zeit schließt er die Karte und setzt die Brille wieder ab) Bist Du Dir sicher, dass es Dir gut geht? … Und würdest Du mich bitte auch duzen?
W.K. (schließt die Karte, wenn auch eher zögernd, schaut ihn dann schüchtern an): Ja gut. Werde ich tun. … Und: Ja. Mir geht es sogar sehr gut. Ich kann nicht klagen.
Herr S. (gespielt hart): Du hast eine Kondition wie eine alte Oma!
W.K. (sichtlich getroffen): Aber das ist doch kein Indiz für mein Befinden!
Die Chinesin kommt mit den Getränken und serviert sie freudestrahlend. Dann wendet sie sich mit dem Notizblock Herr S. zu.
Chinesin: Hat Herr schon gewählt?
Herr S. (nickend): Ich möchte gerne die Ente mit Frühlingsgemüse und Reis. Dazu bitte süß-saure Sauce.
Die Chinesin scheint angetan und verneigt sich mehrfach. Im nächsten Moment sieht sie W.K. fragend an.
W.K. (mit einem flüchtigen Lächeln, mit gepresster Stimme): Das, was ich meistens nehme, bitte.
Chinesin: Huhnbrust auf Bohnengemüse mit süß-saure Sauce und Reis?
W.K. nickt und sieht sie freundlich an.
Die Chinesin strahlt, verneigt sich dankbar und geht.
Während W.K. einen Schluck Wasser trinkt, mustert Herr S. sie skeptisch. W.K. schaut daraufhin zu den asiatischen Bildern an den Wänden.
Herr S.: (so als ob er die Antwort schon wüsste) Wenn Du schon vorher wusstest, was Du haben willst, wozu hast Du so intensiv die Karte gelesen?
W.K.: (versucht lässig) Weil mir irgendetwas anderes besser gefallen könnte. Mein Geschmack ist flatterig, wechselt manchmal von einem Tag auf den anderen.
Herr S.: Und außerdem kann man sich hinter so einer großen Speisekarte auch gut verstecken, nicht wahr? (er grinst sie an)
Sie errötet.
Herr S. (nachdem er sie einige Minuten nur angesehen hat; ernster): Ist Dein Geschmack in allen Bereichen flatterig?
Die Chinesin kommt noch einmal zurück und zündet die Kerze auf dem Tisch an. Das Kerzenlicht scheint auf W.K.s errötete Wangen und akzentuiert sie.
Chinesin: Entschuldigung. Hab vergessen grad.
Die Chinesin verlässt den Raum wieder.
Herr S. (lächelnd): Ich habe meine Frage nicht vergessen. Senil bin ich noch nicht.
W.K. (stark errötet): Wie meinen… ähm… was soll diese Frage bezwecken? Es ist doch völlig egal, ob ich heute Hühnchenbrust und morgen Schweinesteak mag…
Herr S. (völlig unverblümt und unvermittelt, immer noch freundlich schauend): Was empfindest Du für mich? Oder soll ich lieber fragen: Was empfindest Du NOCH für mich?
W.K. fährt sich nervös mit der Hand durchs Gesicht und über den Haaransatz. Sie seufzt und schließt die Augen. Mit geschlossenen Augen und gequetschter Stimme antwortet sie.
W.K.: Sie fragen, als ob wir Ewigkeiten ein Paar gewesen wären und uns kürzlich getrennt hätten... Fakt ist doch, dass wir uns heute zum ersten Mal begegnen. Was soll man da schon groß empfinden, hm?
Herr S. (scherzhaft aufbrausend): Och nee, nun lass doch das scheiß Gesieze sein! Komm, sieh mich mal an… Zeig mir Deine Augen!
Sie öffnet ihre Augen. Sie glühen.
Dann schaut sie ihn unumwunden an.
W.K. (plötzlich unpassend hart): Bist Du hergekommen, um mich bloßzustellen?
Herr S. schüttelt den Kopf und schaut sie sanft an.
Herr S.: Nein! Ich war nur besorgt, dass Du Dir wegen mir was antust…
W.K. lacht höhnisch auf.
Es klingt böse und spottend.
Dann sieht sie ihn verachtend an.
W.K.: Was bildet ihr „Prominenten“ (sie spuckt es wie den Namen einer Krankheit aus) euch eigentlich ein, hm?
Herr S. schluckt hart und blickt sie entsetzt an.
Er braucht einen Augenblick, um neue Worte sammeln zu können.
Herr S. (etwas hilflos): Dann … dann sag mir, aus welchem Grund Du mich seinerzeit angerufen und etwas von „Ende“ geredet hast!
Sie verschränkt die Arme vor der Brust und sieht streng in die Kerzenflamme.
W.K. (erstaunlich klar und kalt): Ich meinte damit lediglich, dass ich die SACHE zu Ende bringen wollte. Ich wollte nicht MICH zu Ende bringen. DU hast den Scheiß fehlinterpretiert! (hart) Es tut mir leid, dass Du Dich wegen der Dummheiten eines spätpubertären Görs so beeinträchtigt fühlst!
Er grunzt auf, sieht sie enttäuscht an und trinkt sein Glas Wasser leer.
Einen Augenblick lang sieht sie wieder unsicher aus und sieht ihn fast flehend an.
Als er der Chinesin „Noch ein Glas Wasser!“ zuruft, findet sie zu ihrer Kampfstellung zurück und wirkt wieder rauer.
Herr S. (entwaffnet, fast traurig): Ich habe mich sehr über Deinen Anruf gefreut. Allein das mit dem „Ende“ hat mich beunruhigt.
W.K. (schnippisch): Gefreut, hm? Ja … hab ich gemerkt … Na, wie dem auch sei: Kein Grund zur Sorge. Ich lebe! (deutet unangebracht lässig auf sich) Siehst Du ja! Und ich lebe nicht zu knapp…
Die Chinesin kommt mit dem Essen.
Sie serviert Teller und Schälchen, verbeugt sich dreimal und wünscht einen guten Appetit.
Die Beiden fangen an zu essen, ohne noch ein weiteres Wort miteinander zu sprechen. W.K. scheint gezwungen langsam zu kauen, während Herr S. wild drauflos schlingt und laut schlingt.
Herr S. (genießerisch, zu sich selbst): Mhmmmm, köstlich…
Seine Ente ist in Kürze halbiert. Auch der Reis wird immer weniger. Zehn Minuten später sitzt der zufrieden aussehende Herr S. vor einem fast leeren Teller und schaut W.K. interessiert an.
Herr S. (milde): Mädchen … warum hasst Du Dich selbst so sehr?
W.K. (bleibt der Bissen im Halse stecken, schwer schluckend schaut sie ihn brüskiert an) HM?
Herr S.: Na, ich will ja gar nicht mal sagen, dass Du Dich NUR hasst. Aber Du hasst Dich schon ziemlich viel… Sonst würdest Du jetzt nicht wie ein Spatz auf Deinem Teller rumpicken und hättest vorhin nicht ständig diese dämlichen Tiraden losgelassen…
W.K. (isst schneller, es wirkt wie gezwungen): Na, wenn SIE meinen…
Herr S. (schließt die Augen und macht eine Unmutsmiene, öffnet sie dann wieder und atmet tief durch): Ich knoble nur die ganze Zeit schon, wie ICH in dieses Gefüge reinpasse... Eigentlich dürfest Du in Deinem Universum gar keinen Platz für jemand anderen übrig haben… Hmm.. (reibt sich mit den Händen über den Kopf) Und dann ausgerechnet ICH… in meinem Alter… mit meiner verbeulten Visage… (dann eher unvermittelt) Sag mal, hast Du eigentlich ein gutes Verhältnis zu Deinem Opa und zu Deinem Vater, hm?
Sie verschluckt sich.
Die Gabel legt sie nieder, wirft sie fast. Den Teller schiebt sie plakativ von sich fort und verschränkt die Arme vor der Brust.
W.K. (offen zornig): Sie stellen Fragen, die reichlich indiskret sind!
Herr S. (gelassen): Ah ja? (grinsend) Deine Briefe zeugten aber auch nicht gerade von Diskretion…
Ihre Wangen flammen. Sie verkrampft.
W.K. (wenig locker): Ich bereue sie ja auch schon…
Herr S. (nachdem er die Ellenbeugen auf dem Tisch und den Kopf auf die Handballen gelegt hat): Weil sie nicht mehr gültig sind? (provozierend) Die „Phase“ ist schon längst wieder vorbei, hm?
Sie schweigt.
Eine kurze Pause.
Dann:
Herr S. (ernst): Weißt Du eigentlich, wie unverantwortlich Du mit Worten umgehst?
Sie schaut zerknirscht aus.
W.K.: Es waren doch nur … Briefe. Briefe … mit schaumigen Sätzen…
Herr S.: Briefe, Sätze, Worte … – egal! Sie vermitteln GEFÜHLE! Das ist das Wichtige! Sie wirken authentisch, echt und greifbar! Ich dachte schon, Du gehst vor lauter … na ja: „Liebe“ (dabei zuckt er mit den Schultern) ins Wasser oder so! Und was sehe ich stattdessen? Ein grimmiges, selbstverachtendes Gör, das ihren Frust in sich hineinfrisst – im wahrsten Sinne des Wortes! (er deutet demonstrativ auf ihr Essen)
W.K. (schmeißt mit aller Kraft ihre Serviette auf den Teller und ruft trotzig): Pffh hah! Sie haben schneller als ich gegessen! (sie deutet ihrerseits auf seinen Teller) Die Spuren Ihres schnellen Schlingens sind ja sogar noch um Ihren Mund herum zu sehen!
Herr S. entfernt die Spuren seines Schlingens und lächelt ein wenig.
Herr S.: Das ist ja auch gar nicht der Punkt…
W.K. (ungeduldig trotzig): Ah nein? Und was ist dann der Punkt?
Herr S. (ernst): Dass Du nicht weißt, was Du willst.
W.K. (konvulsiv): Hahaaaaaa! Es ist lächerlich, dass ein alter, egozentrischer Mann mir solch einen Scheiß an den Kopf schmettert! Einer, der mich nicht kennt, mich noch nie gesehen hat! Sie wissen NICHTS! Sie haben keine Ahnung, ob ich weiß, was ich will – oder ob ich es nicht weiß! Sie wissen nicht einmal, ob ich wissen WILL, was ich will!
Herr S. (verschränkt die Arme vor der Brust, sieht etwas müde aus): Schön. Dann sag mir klipp und klar: Zu welchem Zweck hast Du den Brief geschrieben?
W.K. lehnt sich angespannt nach hinten zurück.
Dann, nach ein paar Augenblicken:
W.K. (resigniert, leiser): Weil ich wollte, dass Sie um Ihre Wirkung wissen…
Herr S. (streng): Nein, das glaube ich nicht.
W.K. (angespannt): Doch, doch. (trotzend) Ich werde ja wohl noch wissen, warum ich einen Brief schreibe!
Herr S. (zunehmend ärgerlicher): Eben nicht. Das versuche ich ja gerade, Dir klar zu machen. Du weißt NICHT, warum Du gewisse Dinge tust. Du denkst Dir einfach nichts dabei! NICHTS!
W.K. (genervt, aber beherrscht leise): Ich finde, dass Sie hier auf eine Art und Weise mit mir reden, die nicht passt. Ich habe Sie in dem Brief geehrt. Sie sollten mir danken.
Herr S. lacht spöttisch und grunzend auf.
Herr S.: Du hast darin übertrieben! Du hast nicht alles ernst gemeint. Ich bezweifle nicht, dass Du, während Du das schriebest, von einer gewissen ehrlichen Stimmung beherrscht wurdest. Aber Du hast die Worte dennoch bewusst übertrieben!
W.K. (wie ein Gör auf der Schulbank mit verkreuzten Armen): Ach ja? Und WIESO sollte ich das tun?
Herr S. schaut sie sehr sehr ernst an.
Herr S.: Weil DU zeigen wolltest, wie toll Du formulieren kannst. Weil DU Dich profilieren wolltest. Und weil DU Deine eigene innere Misere auf ein Blatt Papier umleiten wolltest. Dass so etwas aber Konsequenzen haben könnte, daran hast Du anscheinend nicht gedacht…
W.K. schüttelt den Kopf und winkt mit einer Hand ab.
W.K.: Äh-äh! Hören Sie mal: Ich habe das Blatt sehr wohl als Ventil erkannt. Aber ich war mir auch über eventuelle Konsequenzen bewusst. Ich WOLLTE die Konsequenzen sogar – DAMALS wollte ich sie so sehr...
Herr S. (nüchtern): Du sprichst von „damals“. Was „damals“ wahr war, ist heute schon gelogen, hm?
W.K. (schwächer): Nein… nicht gelogen… Aber… vergangen. Wie es die Vergangenheitsform schon anzeigt.
Er sieht lädiert aus.
Schweigen.
Dann, nach gut fünf Minuten:
Herr S. (dreht sich um, bestellt bei der Chinesin einen Pflaumenwein und schaut W.K. streng an): Du bist nichts anderes als ein egomanes Weibsbild, das zu faul ist, sein Leben auf die Reihe zu bekommen. Du benutzt andere Menschen, um Dich von Dir selbst abzulenken. Dir ging es in keiner Minute um MICH!
Die Chinesin wackelt mit einem Lächeln auf dem Gesicht und zwei Pflaumenweinen in den Händen zum Tisch. Sie serviert und verneigt sich. Dann tritt sie wieder ab. Bewundernd schaut W.K. ihr nach, während Herr S. sofort den Wein hinunter kippt.
Herr S. (versucht ruhiger zu werden): Es ist ja auch ganz klar, dass Du in Deinem Alter nicht wirklich etwas für einen Mann in meinem Alter empfinden kannst … Wie bitte soll das auch gehen? … Das würde ja schon als pervers gelten...
Gerade als W.K. ihren Pflaumenwein nehmen will, schnappt Herr S. ihn ihr weg und trinkt auch den.
Herr S.: Na ja, Du allein trägst nicht die Schuld. Was lass ich mich einlullen von ein paar schönen Worten, von augenscheinlicher Intelligenz und gefälschter Schönheit? Was bild ich mir ein, dass es sowas geben könnte? Und wieso mein ich, Du könntest Dir meinetwegen etwas antun? Hm? (er dreht sich noch mal zur Chinesin um und ruft) Noch einen!
Die Chinesin schaut zu Herrn S. und lächelt immer noch, aber das überzogene Strahlen ist aus ihrem Gesicht gewichen.
Herr S. schaut W.K. an und erwartet eine Antwort.
W.K. verschränkt jedoch nur abermals die Arme vor der Brust und schweigt.
Herr S. (ungeduldig): Ich will, dass Du es sagst!
W.K. (sieht ihn mit Abscheu an): Was? Dass Sie gerade versuchen, besoffen zu werden?
Herr S. (schlägt mit der Faust auf den Tisch; alles wackelt; die Kerze schwankt bedrohlich): NEIN! Sag, dass ich ein TROTTEL bin! Sag, dass Du nur SPIELEN wolltest! Sag, dass es nie hätte WAHR werden können!
W.K. wendet ihren Kopf ab und schaut zum Fenster ins schwarze Nichts hinaus.
Es vergehen einige Sekunden.
Sekunden, in denen er schnell atmend dasitzt und es scheinbar nicht fassen kann, dass sie einfach nur aus dem Fenster sieht.
Dann:
W.K. (leise): Nein. Das kann ich nicht.
Herr S. (atmet tief durch): Was heißt das? Traust Du Dich nicht, es auszusprechen?
Sie schüttelt den Kopf und sieht ihm dann direkt in die Augen.
W.K. (mit Stirnfalten und sehr beherrschter Stimme): Nein. Hören Sie: Sie sind KEIN Trottel, ich wollte NICHT nur spielen und es war durchaus EHRLICH gemeint.
Er blickt hart in ihre Augen.
Die Chinesin serviert ihm einen neuen Pflaumenwein und geht ohne ein Lächeln fort.
Er rührt das Glas nicht an.
Herr S. (herrisch): Dann sag es!
W.K. (kopfschüttelnd, krampfhaft beherrscht): Nein.
Er schlägt abermals donnernd auf den Tisch.
Die Kerze erlischt.
Herr S. (brüllend): SAG ES!!!
W.K. (sie blickt sich um, eine Zornesader wird sichtbar, sie presst hervor): Verdammte Scheiße, brüll hier nicht so rum! Was glaubst Du, wer Du bist?
Er springt auf und trommelt mit beiden Fäusten auf den Tisch.
Die Chinesin wirft ihm einen ängstlichen Blick zu. Er sieht es nicht.
Er starrt W.K. an.
W.K. lächelt die Chinesin kurz ermutigend an und wendet sich dann Herrn S. zu.
W.K. (kraftvoll, aber nicht allzu laut): Setz Dich sofort wieder hin, L.!
Er setzt sich und sieht sie verdutzt an.
L.: Du … Du …- irgendwie bist Du total krank. Aber wirklich total! Du kannst doch nicht immer und überall schwanken. Von Liebe auf Hass, von Liebe auf Gleichgültigkeit, von Schwäche auf Trotz, von Schwäche auf Kraft…
Sie schaut ihn ernst an.
W.K.: Ich kann es aber nun einmal nicht ändern. (sie holt tief Luft) Was willst Du denn hören? Dass ich Dich liebe? (etwas spöttisch) Was würden Dir solche Worte von einem wechselhaften Menschen wie mir denn bringen?
L. (gierig): Sag es! Dann sehen wir, was es mir bringt!
W.K. (zieht eine Augenbraue hoch): Ich soll so etwas Intimes einfach so sagen? Nur um Deiner Eitelkeit zu dienen? Du Gockel…
Er trinkt den Wein und lehnt sich zurück.
Dann schaut er sie an. Von oben bis unten, von links nach rechts. Sezierend.
Sie bleibt ruhig und gelassen, lehnt sich auch zurück und winkt die Chinesin herbei.
W.K.: (überlegen) Was tust Du da, L.? WOZU tust Du es? Es nützt nichts, wenn jemand in Deinem Alter solche Blicke wirft…
Die Chinesin kommt und erstickt L.s Ansatz zu sprechen im Keim.
W.K. bestellt ein Likör und lächelt die Chinesin an, die daraufhin abtritt.
Dann wendet sich W.K. wieder L. zu.
W.K. (von oben herab): Ja? Du wolltest etwas sagen, L.?
L. (grinst dämlich): Also ich muss schon sagen … So bescheuert Du auch bist - Du bist interessant… Ein Phänomen geradezu …
Die Chinesin serviert W.K. ihr Likör und geht schnell wieder.
W.K. prostet L. zu und trinkt es in einem Zug auf.
Dann fragt sie unverblümt:
W.K.: Brächtest Du es noch fertig, mir ein Kind zu machen?
L. (mit offenem Mund): Hm?
Ihre Züge verhärten sich, ihr Tonfall wird böser.
W.K.: DU wolltest das Gespräch doch in diese Richtung bringen. Nicht ich. Nun wunder Dich nicht, dass ich gereizt bin… (blickt ihn sezierend von oben bis unten an) Na ja, immerhin wäre ich ja nicht diejenige, die einen hoch bekommen müsste… Sonst hätten wir schlechte Karten…
L. (mit angeschlagener Miene, beschämt): Hör auf! Das ist NICHT die Richtung, in die ich wollte! Hör auf, mich zu beleidigen! Ich wollte über Deine GEFÜHLE sprechen, nicht über irgendwelche Gelüste!
Sie lacht auf, sehr höhnisch.
W.K.: Aber aber! Wieso sollte ein Mensch wie ICH denn den Unterschied kennen?
Er sieht sie düster an.
L.: Du gehörst in eine Anstalt.
W.K. (nickt): Ja. Sicher.
W.K. winkt zur Chinesin und ruft „Zahlen!“.
Nach einem Augenblick fügt sie hinzu: „Getrennt abrechnen!“.
W.K. (spöttisch): Auch wenn Du nicht so aussiehst – Du wirst gewiss genug Geld haben, um Deinen teuren Enten-Fraß selbst zu bezahlen, nicht wahr?
Mit offenem Mund starrt er sie an.
Er will etwas sagen, findet aber anscheinend keine Worte.
Sie steht auf und sagt im Weggehen: „Ich muss aufs Klo! Die Scheiße des Abends rausbefördern… Platz schaffen für Neues…“
Einen Moment lang sitzt er alleine da und sieht belämmert aus.
Als die Chinesin beide Rechnungen bringt, erhellt sich seine Miene. Er reicht ihr seine Kreditkarte und steht auf.
L. (zur Chinesin): Ich muss mich mal eben entleeren. (während er sich an ihr vorbei schiebt) Es war ein köstlicher Abend mit einem tollen Essen! (er lächelt)
Dann verschwindet er hinter derselben Tür wie W.
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© Eminencia / Divalein, 2006 weiterlesen schließenKommentare & Bewertungen
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anonym, 25.08.2008, 08:19 Uhr
Bewertung: sehr hilfreich
SH - Liebe Grüße Simone
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Wenn der Herbstwind weht...
Pro:
Der Wind lässt Drachen steigen und wirft Naturmaterial zum Basteln ab
Kontra:
Es wird langsam aber merklich kühler und auch schon wieder viel früher dunkel
Empfehlung:
Ja
...lassen wir die Drachen am Himmel tanzen
Jonas und Leon freuen sich schon seit Tagen auf das bevorstehende erste richtige Herbstwochenende. Der Vater hat nämlich vor längerer Zeit versprochen, einen Drachen mit ihnen zu bauen. Zwar könnten sie auch einen Drachen kaufen, aber die Aussicht, ihn mit dem Vater zusammen bauen zu können, ist doch schon etwas ganz Besonderes. Ein lang gegebenes Versprechen würde endlich in Erfüllung gehen. Zuvor gehen die beiden Jungen ins Bastelgeschäft und besorgen alles, was sie dazu noch benötigen.
Es soll ein Drachen werden, der nur einmal am Himmel zu sehen ist. Ein ganz lustiges Gesicht mit strahlenden Augen und eine Nase wie die eines Clowns soll er bekommen. Dazu brauchen sie Pergamentpapier in verschiedenen Farben, einen guten Kleber, ebenso eine Kordel für den Drachenschwanz und eine besonders lange Drachenschnur. Für den Schwanz benötigen sie kein extra Papier, dafür haben sie beim Stöbern noch ganz viele Reste in Mamas Bastelkiste gefunden. Den Ring, um die Drachenschnur aufzuwickeln, haben sie noch von dem Drachen übrig, der im Sommerurlaub am Nordseestrand so oft in die Luft geschickt worden war. Leider war dieser Drachen dann bei einem unglücklichen Sturzflug so stark beschädigt worden, dass er nicht mehr repariert werden konnte. Das Versprechen des Vaters, im Herbst selbst einen Drachen zu bauen, hatte sie über den Verlust hinweggetröstet.
Nun haben sie also alles beisammen und würden am liebsten gleich anfangen. Zum Glück überlegen aber doch noch einmal. Sie haben doch tatsächlich völlig vergessen, Holzleisten zu besorgen. Dabei ist das Drachenkreuz das Wichtigste am Drachen. Dazu müssen sie noch zum Schreiner laufen. Zu ihm gehen sie aber sehr gern. Dieser Schreiner ist nämlich ein ganz besonders liebenswerter Mensch. Schon oft waren die beiden Jungen bei ihm in seiner Werkstatt gewesen, um mit Holz zu werkeln. Dabei sind mittlerweile schon viele schöne Figuren entstanden. Unter der fachkundigen Anleitung des Schreiners haben die Jungen sogar schon ein Holzauto und eine Holzlokomotive gebaut. Herr Brettschneider, so heißt der Schreiner, freut sich sehr, als er seine beiden jungen Freunde die Tür hereinkommen sieht.
„Was verschafft mir die Ehre?", fragt er mit einem freundlichen Augenzwinkern, als er die beiden zur Tür hereinkommen sieht. Die Jungen erzählen dem Schreiner von ihrem Vorhaben, einen Drachen bauen zu wollen. „Nur noch die Hölzer für das Drachenkreuz brauchen wir", erklären sie fast gleichzeitig. Der Schreiner bekommt ganz glänzende Augen und bittet die Jungen, doch ein wenig zu bleiben. Er möchte ihnen eine Geschichte von früher erzählen. Da die Jungen den Geschichten des Schreiners gerne zuhören, weil sie immer lustig und auch spannend sind, nehmen sie seine Einladung gerne an und setzen sich zu ihm an die Werkbank.
Herr Brettschneider beginnt zu erzählen:
„Es war im Herbst des Jahres 1950. Mein Freund Heinrich und ich hatten uns einen Drachen gebaut und waren damit an einem richtig windigen Tag zum nahegelegenen Feld am Ausgang des Dorfes gelaufen. Im Dorf konnte und durfte man ja keinen Drachen steigen lassen. Auf dem Weg zum Feld trafen wir noch mehr Kinder, die auch alle mit einem selbstgebauten Drachen unterwegs waren. Heinrich und ich hatten aber mit Abstand den größten Drachen. Wir konnten uns beide hinter ihm verstecken, ohne uns klein machen zu müssen. Sogar einige Erwachsene schauten nach unserem Drachen, der auch ganz lustige Augen und eine besonders knubbelige Nase hatte. Wir hatten uns aber auch mächtig viel Arbeit gemacht. Fast zwei Tage hatten wir in hier in dieser Werkstatt, die damals noch meinem Vater gehörte, zugebracht. Ihr kennt ihn ja auch. Er schaut immer mal wieder vorbei und hilft beim Reparieren und Restaurieren alter Möbel. Besonders dann, wenn ich viele Aufträge habe und fast nicht fertig werde. Aber darüber wollte ich euch ja jetzt nichts erzählen.
Wie bereits gesagt, wehte an diesem Herbsttag mittlerweile kein normaler Wind mehr. Nein, es war regelrecht stürmisch. Man musste schon die Mütze festhalten, damit sie einem nicht vom Kopf flog. So schnell konnte keiner rennen, wenn die Mütze erst einmal in der Luft war. Das Dumme war, dass auch in der Nähe der große Fluss war. Dort durften wir übrigens nicht hingehen, weil es gefährliche Bombenlöcher aus dem letzten Weltkrieg ganz nahe am Ufer gab. Wenn also eine Mütze dort auf Tauchstation ging, konnte man sie getrost vergessen.
Es war wirklich ganz arg windig, sodass wir Mühe hatten, den Drachen festzuhalten. Weil er so groß war, war er natürlich auch etwas schwerer als normal. Heinrich und ich einigten uns, wer zuerst den Drachen steigen lassen darf und wer sich darum kümmert, dass der Drachen steigen kann. Heinrich musste den Drachen also gut festhalten und im richtigen Moment loslassen. Nach einigen missglückten Versuchen flog der Drachen endlich in die Luft. Der Wind spielte mit ihm und den anderen Drachen ein lustiges Spiel. Natürlich mussten wir sehr gut aufpassen, dass sich die verschiedenen Drachen nicht in die Quere kamen. Die Drachen tanzten und drehten zwischendurch auch einige Saltos. Das war immer ein Schreck und ein Geschrei, weil wir dachten, dass die Drachen nach solchen Kapriolen nicht wieder hochkämen. Und doch fingen sie sich meistens und stiegen wieder ganz ruhig auf. Weil wir natürlich eine besonders lange Drachenschnur besorgt hatten, entfernte sich unser Drachen immer weiter und fing auch immer wilder an zu tanzen. Mein Vater hatte uns noch gewarnt, dass der Drachen zu hoch fliegen kann und einen Absturz bestimmt nicht heil überstehen würde. Natürlich hatten wir nicht auf ihn gehört. Da geschah es auch schon. Der Drachen schlug plötzlich einen doppelten Salto und ging über in einen Sturzflug. Entsetzt schauten wir zum Himmel. Doch wie von Geisterhand gelenkt stieg der Drachen genauso plötzlich wieder empor, blieb lange Zeit in der Luft und tanzte wieder ganz gemütlich vor sich hin.
Ich wechselte mich endlich mit Heinrich ab. Ganz vorsichtig holte er den Drachen ein wenig näher heran. Denn wir waren doch etwas erschrocken, als er da so plötzlich abzustürzen drohte.
Einige Leute waren schon auf unseren tollen Drachen aufmerksam geworden und hatten sich am Feldrand niedergelassen, um diesem wunderschönen Schauspiel am Himmel zuzusehen. In der Zwischenzeit war aus dem anfänglich stürmischen Wind ein ganz heftiger Sturm geworden. Ein Kind lief schon schreiend hinter seiner Mütze her. Der Himmel sah auch immer bedrohlicher aus. Als Heinrich und ich an nichts Böses dachten, kam unvermittelt eine Windbö und riss heftig an Drachen und Schnur. Durch das lange Festhalten des Schnurrings hatte Heinrich auch schon ganz kalte und fast steife Hände bekommen. Als nun diese Windbö so plötzlich an unserem Drachen riss, erschrak er so sehr, dass er den Ring versehentlich losließ und der Drachen davonflog.
Wir waren beide dem Weinen nahe. Der schöne Drachen und die viele Arbeit. Das durfte doch einfach nicht wahr sein. Ob wir ihn je wiederfinden würden? Alle hatten Mitleid mit uns. Ganz betrübt schauten wir dem Drachen hinterher, der immer kleiner wurde. Gerade in dem Moment, als wir uns umdrehen wollten, um nach Hause zu gehen, sahen wir, dass der Drachen wie ein Stein vom Himmel fiel. Unser einziger Gedanke war: Wenn wir jetzt nur wüssten, an welcher Stelle der Drachen auf dem Boden landet, könnten wir doch dort hinlaufen und ihn einsammeln. Vielleicht hatten wir ja wirklich Glück und würden die Stelle finden.
Trotz des Sturmes machten wir uns auf den Weg, um den Drachen zu suchen. Es dauerte auch gar nicht so lange und wir fanden ihn tatsächlich. Jetzt waren wir froh, dass wir rotes Pergamentpapier zum Drachenbau benutzt hatten. So leuchtete uns der Drachen schon von weitem aus der Krone eines Baumes am Waldrand entgegen. Er hatte sich dort so verfangen, dass er hoch oben hängen geblieben war. Ganz angestrengt überlegten wir, wie wir den Drachen bloß wieder dort herunterholen könnten. Der Stamm des Baumes war so hoch und es gab nicht eine Stelle, an der man sich hätte festhalten können, um in die Höhe klettern zu können.
Doch plötzlich hatten wir einen Einfall und rannten los, bis wir vor der Schreinerei meines Vaters standen. Die Tür zur Schreinerei stand offen. Aber mein Vater war wohl gerade bei einem Kunden, denn er antwortete nicht auf unser Rufen. Deshalb nahmen wir, ohne zu fragen, die größte Säge und eine Axt. Damit liefen wir zum Waldrand zurück. Auf dem Weg dorthin trafen wir noch einige Freunde, denen wir erzählten, was passiert war. Natürlich wollten sie uns gerne helfen. Auf keinen Fall wollten wir ohne den schönen selbstgebauten Drachen nach Hause kommen. Weil wir nun doch so viele Jungen waren, hatten wir eine ganz verrückte Idee. Wir wollten eine Baumleiter machen. Dazu muss einer sich ganz dicht an den Baum stellen und die Hände falten. An dieser gefalteten Hand steigt der nächste hoch und stellt sich auf die Schultern des Untermanns. Aber wir mussten diesen Plan aufgeben. Schon der dritte Junge bekam Probleme, weil er keine Möglichkeit hatte, auf den zweiten Jungen aufzusteigen. Da fehlte die gefaltete Hand, die dieser selbst zum Festhalten am Baum brauchte.
Zum Glück hatten war ja die Säge und die Axt dabei. Heinrich nahm die Axt und schlug eine Kerbe in den Baum, damit ein Anfang gemacht war.
Ihr merkt bestimmt, was wir vorhatten?
Wir wechselten uns mit den anderen Jungen ab, sägten und hackten was das Zeug hielt. Wenn wir gewusst hätten, wie gefährlich so eine Aktion ist, wären wir bestimmt nicht auf diese Idee gekommen. Nach einer Stunde waren wir endlich so weit, dass wir dem Baum den entscheidenden Schlag versetzen konnten. Ganz schnell rannten wir in die entgegengesetzte Richtung. Das hatten wir auch schon ganz oft bei den Waldarbeitern beobachtet. Tatsächlich fiel der Baum in die gewünschte Richtung. Als er am Boden lag, liefen wir mit allen Jungen hin und begannen ganz vorsichtig, den Drachen aus den Ästen des Baumes zu befreien. Nach einer weiteren Stunde hatten wir den Drachen fast unversehrt aus den Ästen gelöst. Die Drachenschnur haben wir abschneiden müssen und am Schwanz fehlten einige Schleifen. Zum Glück waren aber nur ganz kleine Risse an den Augen des Drachens. Das konnten wir bestimmt mit einigen Resten von Pergamentpapier wieder kleben und in Ordnung bringen. Wie Siegestrophäen schleppten wir den Drachen und die Werkzeuge zur Schreinerei zurück. Mein Vater war inzwischen auch wieder da und schaute uns ziemlich streng entgegen. Kleinlaut erzählten wir ihm, was passiert war und wie wir es geschafft hatten, den Drachen doch noch wiederzubekommen. Er schimpfte schon ein wenig mit uns. Aber dann drückte er uns beide ganz feste und fragte uns, ob wir eigentlich wüssten, was wir für ein Glück gehabt hätten. Was er damit wohl gemeint hat?"
Als der Schreiner mit diesen Worten die Geschichte beendet, schauen Jonas und Leon ihn an und wissen nun nicht so recht, was er mit seinem letzten Satz nun wirklich gemeint hat. Sie sind so beeindruckt, dass sie fast nicht mehr an die Leisten für das Drachenkreuz denken, so viele Fragen haben sie zu der Erzählung des Schreiners. Als sie sich verabschieden, nicht ohne sich wieder mit ihm für einen weiteren Werknachmittag zu verabreden, muss er die Jungen sogar an den Grund ihres heutigen Besuches erinnern. Er gibt ihnen dann auch noch mehr und längere Leisten mit, als sie brauchen. Dabei lächelt er ganz verschmitzt. Was er sich dabei jetzt wohl gedacht hat?
antjeeule 10/2003 weiterlesen schließenKommentare & Bewertungen
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anonym, 09.02.2007, 10:26 Uhr
Bewertung: sehr hilfreich
sh :o)
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