Pro:
Der vielleicht bisher beste Teil der Serie, unzählige Verbindungen zu Kings anderen Büchern, durchweg spannend
Kontra:
Die deutsche Übersetzung der schon gewohnten Begriffe
Empfehlung:
Ja
Eine Einleitung (wenn’s beliebt)
Vor nunmehr weit über 30 Jahren saß ein angehender Buchautor mit Namen Stephen Edwin King vor seiner Schreibmaschine und hämmerte eine Story in die Tasten, die ihn sein ganzes schriftstellerisches Leben lang begleiten sollte.
Im Abstand von meist mehreren Jahren (zwischendurch lieferte er regelmäßig seine weltbekannten Bestseller ab) erschienen die einzelnen Bände - die im Stil einer weitreichenden mystischen Suche angelegt wurden, und die verschiedenste Genres beinhalteten – in den Buchhandlungen.
Ausgehend von einer Anfangs eher geradlinigen Abenteuergeschichte, die noch nicht so richtig wusste was sie eigentlich will, entwickelten sich die späteren Publikationen im Laufe der Zeit zu einem atemberaubenden Mix aus Science Fiction, Fantasie, Mittelalter- und Wild-West-Epos, wie es ihn so ganz sicher bisher noch nicht gegeben hat.
Dementsprechend ist der eigentliche Kern um den es in den bis dato fünf erschienenen Romanen letztendlich geht, viel zu universell um ihn in eine einzige Sparte zu stecken. Der springende Punkt ist sozusagen losgelöst von Raum und Zeit.
Wenn sich der Leser auf den Weg machen sollte (und der beginnt zweifelsohne am Anfang mit dem ersten Teil von „Schwarz“) beginnt für ihn vielleicht selbst unter Umständen eine Suche nach dem Ursprung und nach dem Sinn, der hinter dem Großen und dem Kleinen stecken mag. Dies hat King gewissermaßen anhand der Geschichte um den sagenhaften dunklen Turm versinnbildlicht, den er als eine Kraft darstellt, die ganze Welten bisher im Gleichgewicht gehalten hat.
Doch dieses Gefüge wurde (und wird) von Mächten gestört, die anfangs noch relativ unbekannt sind, im Laufe der Handlung aber immer mehr ans Tageslicht gezerrt werden, und die es letzten Endes zu bekämpfen gilt, um die Balance, das Weltgefüge wieder herzustellen. Da bei einem Scheitern letztendlich unweigerlich alle Welten zerbrechen würden.
Der einzige Ort an dem das Gleichgewicht wiederhergestellt werden kann ist der dunkle Turm selbst. Davon ist jedenfalls Roland der Held dieser monumentalen Saga überzeugt, nachdem er schon ein halbes Leben voller Entbehrungen und Gefahren sich dieser einen Sache verschrieben hat und diese über alles stellt.
In den bisher erschienenen Geschichten „Schwarz“, „Drei“, „tot“ und „Glas“ wird diese Reise als eine komplex angelegte, sagenhafte Erzählung wiedergegeben, in der Kings Talent zu schreiben recht unorthodox, aber mit einer – wie ich meine - regelrecht in den Bann ziehenden Leidenschaft umgesetzt wurde.
Stephen King stellt die bisherigen Ereignisse in diesem nun vorliegenden Fünften Teil „Wolfsmond“ wie bei den schon vorangegangenen in einer knappen Zusammenfassung vor. Zugleich warnt er aber davor es nicht eher zu lesen, bevor man sich die Vorgänger zu Eigen gemacht hat.
Dem kann ich mich wirklich nur anschließen. Denn die bisherige Erzählung strotzt nur so von Rückblenden, eine unüberschaubare Anzahl von (mehr oder weniger wichtiger) Protagonisten, vielen Zeitsprüngen, unterschiedlichsten Handlungsorten, ausführlichen Nebenhandlungssträngen und, und, und…
In Wolfsmond beginnt im Grunde die Suche von Roland und seinen nach und nach zu ihm gestoßenen Weggefährten wohl erst so richtig ernsthaft (in „Glas“ wurde ja der größte Teil darauf verwendet in Rolands Vergangenheit zu blicken.)
Den Reisenden um den Revolvermann stellen sich aber erst noch mehrere harte Bewährungsproben in den Weg, die erst noch in Angriff genommen und überwunden werden müssen, bevor sie sich wieder ihrer eigentlichen Aufgabe zuwenden können – die Suche nach dem DUNKLEN TURM.
Wolfsmond / Handlung (Die Welt hat sich weitergedreht)
Nachdem sich die Gruppe um den Revolvermann Roland – Eddie, seine Frau Susannah, Jake und Oy zum Ende von „Glas“ sich mit dem in tausend Masken auftretenden alten Widersacher Marten/Maerlin (oder vielleicht doch ein gewisser Randall Flagg) auseinandergesetzt haben, folgen sie weiterhin der Spur des Balkens, der sie auf direktem Weg zum DUNKLEN TURM bringen soll. Diese Schicksalsgemeinschaft (Ka-Tet) kommt auf ihrem Weg – wobei sie Mitt-Welt schon lange hinter sich gelassen haben – an einen beschaulich scheinenden kleinen Flecken namens Calla Bryn Sturgis vorbei.
Dieses Dorf wird seit Generationen immer wieder von schrecklichen bewaffneten Reitern heimgesucht, die von den Einheimischen voller Angst nur die Wölfe genannt werden. Diese Furcht und Schrecken verbreitenden Kreaturen verschleppen jeweils immer einen der Zwillinge des Ortes, die noch im Kindesalter sind, wobei Zwillinge beim Nachwuchs in der Calla die Regel und nicht die Ausnahme sind.
Doch diese bedauernswerten Geschöpfe werden nach einigen Wochen ihres Aufenthaltes in Donnerhall - dem düsteren Aufenthaltsort der Wölfe - ihres Verstandes beraubt und als Idioten zurückgeschickt. Das kurze Leben, das diesen Wesen dann noch beschieden ist, besteht dann nur noch aus Schmerzen und Stumpfsinn.
Tian, einer der Farmer der gleich zwei Zwillingspärchen großzieht, will nicht, dass sie so enden wie seine Schwester, die aus dem dunklen Reich mit dem Verstand eines Einjährigen zurückgeschickt wurde. Er findet Unterstützung beim Geistlichen des Ortes Pater Callahan, der vor langer Zeit unter mysteriösen Umständen, in dieses Land und diese Welt gekommen ist.
Nachdem auch die meisten Zweifler von Calla Bryn Sturgis überzeugt worden sind, dass es doch besser wäre zu kämpfen, als dabei wegzuschauen, während die Wölfe ihre Kinder holen kommen, nimmt Callahan Verbindung mit Roland und seinen Revolvermännern auf, die für die Einwohner die Kastanien aus dem Feuer holen sollen.
Er bietet ihnen einen Handel an, den sie unmöglich ausschlagen können. Denn unter den Brettern seiner Kirche hat der Geistliche etwas verborgen, das die Revolvermänner unbedingt haben wollen, auch wenn es sehr gefährlich ist in seine Nähe zu kommen.
Challahan erzählt dem Ka-Tet Stück für Stück seine Erlebnisse, nachdem er von Jerusalems Lot (Brennen muss Salem) geflüchtet ist, und sich danach beinahe vom Teufel Alkohol zerstören ließ. Er berichtet wie er schließlich unter Verwendung dieser diabolischen Kugel, die nun in seiner Kirche ruht, in diese Welt geworfen wurde.
Der Revolvermann schart seine Vertrauten um sich, und zusammen machen sie sich an die umfangreichen Vorbereitungen, um auf den Angriff der Wölfe aus Donnerhall vorbereitet zu sein, der nun nicht mehr lange auf sich warten lässt.
Doch auch Susannah die von einem weiteren Alter Ego heimgesucht wird, und das nachdem sie sich von gleich zweien befreit zu sein glaubte, muss einen Kampf austragen, der alles andere als einfach ist. In ihr wächst nämlich etwas heran, dass definitiv nicht Eddis Baby ist, und einen unheilvollen Schatten auf die Gefährten zu werfen beginnt. Dennoch gehen die Kampfvorbereitungen unvermindert weiter…
Die Kritik (alles 19 (?)
Stephen Kings fünfte Etappe, des auf sieben Teile angelegten Turm-Zyklus ist von Akira Kurosawas „Die sieben Samurai“ inspiriert. Das heißt im Groben und Ganzen für die Story, dass hier ein übermächtiges Ausbeuterheer am Werk ist, das eine hilflose Dorfgemeinschaft in regelmäßigen Abständen heimsucht. Diese Ansiedlung will sich aber nicht mehr länger drangsalieren lassen, und heuert deswegen eine schlagkräftige Leibgarde zu ihrer Verteidigung an.
In diesen allumfassenden Plot von Wolfsmond werden die vielen schon aus den vorhergehenden Büchern bekannten Handlungsstränge eingebettet und weiterverfolgt. Wie gehabt geht der Autor auch in unzähligen Querverweisen auf seine anderen Romane ein, sodass ein Wechselspiel zwischen Kings fast gesamtem Werk unvermeidlich ist.
Auch wird immer mal wieder Bezug zu den DUNKLEN TURM Büchern 1 bis 4 genommen, um dem Leser den Zusammenhang sehr schnell wieder ins Gedächtnis zu gerufen, auch wenn die Lektüre der Vorgänger schon eine Weile her sein sollten. Ein willkommener Widererkennungswert dürfte dem treuen King Leser deshalb ebenso garantiert sein, wie das eine oder andere viel versprechende Aha-Erlebnis, das den Eingeweihten eine noch intensivere Leseerkenntnis mit auf den Weg gibt. (Hier versucht leider die deutsche Übersetzung ihr Möglichstes um das zu verhindern, doch dazu etwas später mehr.)
So bekam Pater Challahan, der schon im Roman „Brennen muss Salem“ sich vom Meister des Horrors heraufbeschworenem Bösen stellen musste, in Wolfsmond eine nicht unwesentliche Rolle zugesprochen, die sicher – so meine Vermutung, auch in Bezug auf die Finalen Bände - noch einiges versprechen wird. Ob dem Gottesmann insgesamt im Buch etwas zu viel Raum zugestanden wurde, um seine durchaus nicht uninteressante Geschichte zu erzählen, darüber lässt sich sicherlich streiten. Ganz am Ende des fünften Teiles ist er aber zumindest für eine dicke Überraschung gut, die King ganz knapp an einer Selbstkarikatur vorbei einbaute, die aber fraglos für den nötigen Cliffhängereffekt zu „Susannah“ dem nächsten und vorletzten Teil der Saga sorgen wird.
Sehr schön fand ich auch, dass der anfänglich verschlossene und wortkarge Heldencharakter Roland Deschain sich in Wolfsmond wieder ein Stück von seiner Unnahbarkeit verabschiedet hat. Allerdings ohne allzu viel von seinem Heldenmythos der ihn nach wie vor umgibt einzubüßen. Nachdem schon in „Glas“ ein weitgreifender Einblick auf seine Jugend- und Liebesjahre gestattet wurde, wirkt er hier noch einmal ein wenig menschlicher, oder auch sympathischer wenn sich bei ihm sogar gesundheitliche Probleme andeuten. Dennoch bleibt er dem ungeachtet meist „der harte Hund“ der sein Ziel ohne Rücksicht auf sich selber und andere verfolgt.
Auch einige eklige Szenen einzubauen hat sich King nicht nehmen lassen. Als sich zum Beispiel bei Susannah wieder einmal eine andere Person aus ihrem Unterbewusstsein regt, die die Kontrolle über sie übernehmen will, und die dann zu einem Streifzug der besonderen Art aufbricht, könnte das einem den Appetit für eine Weile schon gründlich verleiten. Weitere genau beschriebene Horrorelemente wechseln sich aber mit teils wundervollen, beinahe poetischen Passagen ab, wenn der Autor unter anderem die Schönheit der Rose beschreibt, die ein wichtiges Verbindungsglied zum Turm zu sein scheint, oder wenn er den starken Zusammenhalt seiner ungewöhnlichen Reisetruppe (auch wenn es für den Außenstehenden ganz und gar nicht danach aussieht: Alles samt und sonders Revolvermänner) immer wieder von neuem beschwört.
Ein weiteres Hauptaugenmerk hat King besonders auf Zahlenmystik gelegt. Als die Revolvermänner sich gegen die Wölfe im (leider ein wenig kurzen) Showdown entgegenstellen sind sie natürlich 7 an der Zahl wie ja schon die Helden in Kurosawas Original und natürlich auch in John Sturges Neuverfilmung „Die glorreichen Sieben“. Eine mächtige Zahl, wie der Autor nicht ohne Augenzwinkern bemerkt. Auch wurden einige ziemlich populäre zeitgenössische Figuren in die Story eingebaut, die mit Sicherheit nicht nur auf ausnahmslosen Beifall der Fans treffen werden. Doch dieses Stilmittel hat King ja schon von je her immer mal wieder benutzt und ich finde, dass gerade solche unerwarteten Gastauftritte die Story durchaus lebendig und realitätsnah erscheinen lassen.
Aber vor allem die Ziffer 19 wird immer wieder wie ein Springteufel aus dem Hut gezogen, und ihr einen so wichtigen Einfluss zugestanden, sodass sie immer wieder, auch im unterschiedlichsten Zusammenhang zitiert wird. Hierzu sei nur noch kurz angemerkt, dass in Kings eigenem Leben die Zahl eine nicht unerhebliche Bedeutung hat. Am 19 Juni 1999 erlitt der Autor seinen schweren Unfall, der ihn um ein Haar das Leben kostete. Andauernd stoßen aber auch seine Helden immer wieder auf diese ominöse, geheimnisvolle Zahl. Ihre wahre Bedeutung für die Geschichte und das ganze Ausmaß ihrer Symbolik, wird aber wohl erst in den nächsten beiden Folgen ersichtlich werden.
Auch erfährt man Stück für Stück ganz allgemein ein wenig mehr, was den geheimnisvollen DUNKLEN TURM eigentlich ausmacht. Wie er immer stärker aus dem Lot gebracht wurde, und damit schließlich das Gefüge der (Parallel)Welten die er bisher im Gleichgewicht gehalten hat durcheinander wirbelt. King lässt natürlich bei diesem - wie bei den schon vorangegangenen Büchern so viel Spielraum, um des Rätsels Lösung (wie viele Fans wohl hoffen – die große Offenbarung) immer nur anzudeuten und dem Mysterium allenfalls mit Kinderschritten die Geheimnisse abzuzwacken. Immerhin stehen noch zwei ganze Bücher aus, bis das ganze Werk zu einem - hoffentlich würdigen - Abschluss gebracht wird.
Noch ein paar Worte zu der Umsetzung von Wulf Bergner, der ja auch die Übersetzung der von King neu bearbeiteten Turm Teile 1 bis 4 vornahm. Bei der deutschen Sprachübersetzung von „Wolfsmond“ gibt es einige Ungereimtheiten, die sicher vor allem alteingesessenen Fans die der Reihe teils über viele Jahre die treue gehalten haben, doch etwas sauer aufstoßen wird. Denn diese Leser haben sich natürlich an die markanten Begriffe und Sätze gewöhnt, die den Romanen bisher zu Eigen waren. Und jetzt kommt dieser Übersetzer daher, und muss auch noch seine eigene Auslegung dieser eigentlich feststehenden Formulierungen mit einbringen.
Der Verlag stellt sich da natürlich schützend vor Herrn Bergner, mit dem Hinweis, dass ja King selbst einige Veränderungen an den Turm-Folgen vorgenommen-, und der Übersetzer ja die gesamte Saga bei der Neuauflage sowieso neu definiert hat.
Dass damit Neueinsteiger weniger Probleme haben dürften ist natürlich schon klar, aber der treue Liebhaber der Folgen wird halt ein ums andere Mal ins stutzen kommen, wenn sich eingebürgerte Wortbedeutungen, wie etwa zum Beispiel der Ort „Donnerhall“ zu „Donnerschlag“, das Brettspiel „Schloss“ zu „Kastell“, oder der eigentlich unumstößliche Leitsatz „die Erde hat sich weitergedreht“ zu einem „die Erde hat sich weiterbewegt verändern - und das wie schon angedeutet nicht unbedingt zum Besseren.
Das Resümee (und sage meinen Dank)
Stephen King hat mit diesem fünften Teil des Turm-Zyklus mit Sicherheit gezeigt, dass die Luft aus seinem Engagiertesten schriftstellerischen Werken noch lange nicht raus ist. Ganz im Gegenteil. So wie es nach dem mehr als erstaunlichen Epilog von Wolfsmond ausschaut, fängt die ohnehin schon episch angelegte Geschichte erst richtig an, seine uferlosen Dimensionen abzustecken und richtiggehend spannend zu werden. Für mich zumindest so viel versprechend, dass ich dem nächsten Teil mit Ungeduld entgegenfiebere.
Aber auch wohl den Meisten, die sich bislang in die phantastischen Welten von Roland und seinen Revolvermännern entführen ließen, dürften die Lektüre dieses weiteren Meilensteins, das den Leser sicher dem Turm ein gutes Stück näher bringen wird, insgesamt äußerst positiv aufgenommen haben.
© winterspiegel für Ciao & Yopi
Stephen King
Wolfsmond (Der dunkle Turm 5)
Roman
Wilhelm Heyne Verlag
939 Seiten
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