Wächter der Nacht (Taschenbuch) / Sergej Lukianenko Testberichte
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Pro & Kontra
Vorteile
- spannend
- Ganz sicher nicht kein wie üblich zusammengeschlamptes \"Buch zum Film\", sondern ein Fantasy-Thriller mit Ecken & Kanten ...
- spannend - mal ganz anders
Nachteile / Kritik
- hin und wieder verwirrend
- ... wenn auch keine grandiose Neuentdeckung, wie die Verlagswerbung tönt.
- nichts
Tests und Erfahrungsberichte
-
Wird dies wirklich der neue „Herr der Ringe\"?
29.09.2005, 02:43 Uhr von
Hindenbook
Das wär's 'dank' der neuen AGB für mich bei Yopi.de. Mit der Einstellung der 'Zahlungen' kann ich...3Pro:
Ganz sicher nicht kein wie üblich zusammengeschlamptes \"Buch zum Film\", sondern ein Fantasy-Thriller mit Ecken & Kanten ...
Kontra:
... wenn auch keine grandiose Neuentdeckung, wie die Verlagswerbung tönt.
Empfehlung:
Ja
Kurzkritik für Ungeduldige
Der uralte Kampf zwischen Gut und Böse findet dieses Mal in Moskau statt. Die Mächte des Dunkels formieren sich gegen die Mächte des Lichts – ein Aufmarsch, der den ahnungslosen Erdmenschen verborgen bleiben muss. Die offene Auseinandersetzung bleibt aus, denn zwischen den beiden Parteien herrscht ein Patt. Trotzdem wird intrigiert, denn wer die Oberhand gewinnt, wird den endgültigen Sieg davontragen, der über das Schicksal der Welt entscheidet … - Aus geschickt gesponnener Unterhaltungsliteratur entwickelte sich ein (russischer) Bestseller und wurde nun ein Film-Blockbuster. Zu verdanken ist dies weniger dem schriftstellerischen Talent des Verfassers als seinem Geschick den Nerv der Leserschaft zu treffen: Ein russischer Autor erzählt selbstbewusst eine spannungsreiche Fantasymär, die in einem realistischen Russland der Gegenwart spielt. Ob der Funke indes auch in Deutschland und dem Rest der Welt überspringt, wird sich zeigen müssen.
Inhalt
Die Welt ist nicht der Ort, den wir ahnungslosen Menschen kennen. Da gibt es das „Zwielicht", eine Sphäre oder fremde Dimension, die nur von den „Anderen" wahrgenommen und betreten werden kann. Dies sind gefährliche Wesen, die als Vampire, Werwölfe, Schwarzmagier oder Hexen bekannt sind, aber auch friedfertige Zauberer und Gestaltwandler, die im Frieden mit den Menschen leben.
Licht und Dunkel wetteifern seit Äonen um die Vormacht. Das Gleichgewicht muss unbedingt gewahrt bleiben, sonst gerät die Welt wie wir sie kennen aus den Angeln. Vor vielen Jahren war es schon einmal fast soweit. Die Mächte des Lichts und die Mächte der Dunkelheit bekriegten sich erbittert und hätten einander ausgelöscht, wäre nicht in letzter Sekunde ein Waffenstillstand zu Stande gekommen. Seither halten auserwählte „Lichte" als „Wächter der Nacht" von Sonnenuntergang bis –aufgang ein Auge auf die Dunklen, während diese folgerichtig einen eigenen Orden, „Wächter des Tages" genannt, die Aktivitäten der „Lichten" kontrollieren lassen.
Das System funktioniert, auch wenn es immer wieder und vor allem seitens der „Dunklen" zu Übergriffen kommt. Sorgen bereitet aktuell eine Prophezeiung, welche die Ankunft eines ganz besonderen „Anderen" ankündigt, der die Macht besitzen soll, sich über die alte Ordnung zu erheben. Unklar ist, ob sich dieser mysteriöse Messias - ein zwölfjähriger Junge mit Namen Jegor - auf die Seite der „Lichten" oder die der „Dunklen" schlagen wird.. Da als Ort seiner Ankunft Moskau in Russland gilt, formieren sich die „Wächter" beider Seiten ebendort. Zu denen, die den Auserwählten erwarten, gehört Anton Gorodetzki, ein Mensch, der erst spät als „Anderer" erkannt und in die Reihen der „Lichten" aufgenommen wurde. Zusammen mit seiner neuen Einsatzpartnerin, der in die Gestalt einer Eule gebannten Zauberfrau Olga, kommt er Jegor auf die Spur. Unter der Leitung des finsteren Magiers Sebulon setzen allerdings die „Dunklen" alles daran, der „Konkurrenz" zuvorzukommen. Verkompliziert wird die ohnehin delikate Situation durch das Auftauchen der jungen Svetlana Nasarowa, über deren Kopf ein Fluch in Gestalt eines riesigen Wirbelsturm kreist, der unbedingt „eingefangen" werden muss, bevor er außer Kontrolle gerät und Verderben über die Stadt bringt …
Handlung
Dies ist nur der Auftakt zu einem epischen Kampf zwischen Gut und Böse, der nicht kontinuierlich, sondern in drei Episoden erzählt wird, die wiederum Teil einer Buchtrilogie sind. Die Handlung schreitet unterbrochen durch zwei zeitliche Sprünge voran, was bei der Lektüre zunächst verwirrt: Wieso ist denn Olga, gerade noch zu einem ewigen Dasein als Eule verdammt, plötzlich wieder Mensch? Was in der Zeit zwischen zwei Großkapiteln bzw. „Geschichten" geschehen ist, fließt später in die Erzählung ein. Man wird auf diese Weise Zeuge eines Geschehens, das viel zu gewaltig scheint, um in seiner Gänze überschaut zu werden.
Zudem spiegelt es die Undurchsichtigkeit der Ereignisse wider. „Wächter der Nacht" unterscheidet sich von vielen allzu naiv gestrickten Fantasy-Storys durch eine geradezu komplexe Handlungsstruktur. Faktisch ist der Kampf zwischen „Lichten" und „Dunklen" nicht wie erwartet identisch mit dem Kampf zwischen „Gut" und „Böse". Die Grenzen sind fließend. Die Organisation der „Wächter der Nacht" schützt in erster Linie weder die Menschheit noch die „Anderen", sondern den Status Quo - den Waffenstillstand mit den „Dunklen". Dafür müssen immer wieder Kompromisse eingegangen werden, die den „Neuen" bei den „Wächtern der Nacht" aber auch manchen alten Kämpen über Sinn und Berechtigung ihres Tuns grübeln lassen. So ist es Bestandteil des Vertrags, dass die „Dunklen" Lizenzen erwerben und damit auf Menschenjagd gehen dürfen. Dies geschieht aus der Erkenntnis heraus, dass Vampire, Werwölfe etc. nicht aus reiner Bosheit morden, sondern das Töten von Menschen zu ihrer Natur gehört, gegen die sie nur teilweise ankommen. Die drei Geschichten in „Wächter der Nacht" (und hier vor allem die letzte: „Im eigenen Saft") erzählen von den Problemen, welche die der Vertrag in der alltäglichen Umsetzung mit sich bringt.
Lukianenkos weiteres Verdienst besteht in der Erschaffung eines in sich „logischen" Weltkonzepts, in dem die Realität, wie wir sie kennen, nicht nur von Menschen und „Anderen" bewohnt wird, sondern zusammen mit dem „Zwielicht" eine Einheit bildet. Ebenfalls eine ausgezeichnete Idee ist in diesem Zusammenhang der Zwang zur gütlichen Gemeinsamkeit: Menschen, „Lichte" und „Dunkle" sind aufeinander angewiesen, selbst wenn erstere von der Existenz des „Anderen" keine Ahnung haben. Man lebt auf einem einzigen Planeten und muss sich arrangieren. Was geschieht, wenn die Balance kippt, hat der große Krieg zwischen den „Lichten" und „Dunklen" bewiesen, der auch die Menschheit an den Rand des Untergangs brachte.
Folgerichtig ist sowohl bei den „Wächtern der Nacht" als auch bei ihren „Kollegen" von der Tageswache Dienst vor allem Dienst. Es gibt keinen Glamour, statt dessen viele Vorschriften. Argwöhnisch belauern sich die beiden Parteien. Es gibt kaum offene Streitigkeiten. Stattdessen schwärzt man einander lieber bei den Vorgesetzten an, lockt sich in Fallen, stellt immer wieder den Vertrag auf die Probe. Nicht einmal auf die eigenen Leute darf man sich verlassen, so muss Anton Gorodetzki, die Hauptfigur, mehr als einmal schmerzlich feststellen: Der von ihm verehrte Chef und Meistermagier Boris Ignatjewitsch opfert ohne zu zögern seine „Wächter", wenn es die Sache - der Vertrag - erforderlich macht.
Figuren
„Wächter der Nacht" ist auch die Geschichte dieses Anton Gorodetzki, der aus seinem üblichen Trott gerissen und von Ignatjewitsch in den Außendienst und damit an die Front versetzt wird. Bisher war Gorodetzki mit sich und den „Wächtern" im Reinen bzw. klammerte das Wissen um die moralischen Schwachstellen des Vertrags lieber aus. Das gelingt ihm nun nicht mehr, zumal zu seinen Freunden – verbotenerweise – ein junger Vampir, d. h. ein „Dunkler", gehört, der ihn immer wieder in Streitgespräche über seine „Arbeit" verwickelt und dabei in die Enge treibt. Dies zu verfolgen ist viel interessanter als die Beschreibungen magischer Schlachten, die heutzutage stets wie einem Fantasy-PC- Game entnommen wirken.
Auch Jegor und Svetlana Nasarowa machen aus ihren Zweifeln keinen Hehl. Sie wählen im Verlauf der Handlung ihre Seite und müssen zukünftig mit deren Gesetzen und Regeln fertig werden. Rebellen gegen das System werden von den „Wächtern der Nacht" rasch und gnadenlos im angeblichen Dienst der Sache ausgeschaltet. Boris Ignatjewitsch ist ein Meister der Argumentation, wenn man ihn auf die ethischen Probleme mit dem Vertrag anspricht. Die leugnet er nicht, erklärt sie jedoch zweitrangig angesichts möglicher Folgen. Er hat den schrecklichen Krieg gegen die „Dunklen" noch selbst erlebt und kennt eine Welt ohne Vertrag. Seine Schwierigkeit besteht darin genau dies den „Nachgeborenen" nicht nahe bringen zu können. Sie müssen ihm vertrauen, sich als „Wächter" wie Schachfiguren einsetzen lassen oder auf die Seite der „Dunklen" schlagen, um zukünftig als Feinde betrachtet zu werden.
Ambivalenz prägt jede Figur in „Wächter der Nacht". Das lässt die Linie zwischen Freund & Feind verschwimmen und die Szenerie sehr realistisch wirken. Hier gibt es die kindliche Eindeutigkeit vor allem der Fantasy US-amerikanischer Prägung nicht. Unbequeme Fragen werden gestellt aber nicht immer beantwortet. Die Figuren treffen wiederholt Entscheidungen, welche es schwer werden lassen die „Guten" zu lieben und die „Bösen" zu hassen. Anton Gorodetzki legt den Vertrag nicht nur oft eigenwillig aus, sondern biegt dessen Vorschriften in einem Maße, das sogar eindeutigen Mord „gestattet". Dies geschieht immer mit Billigung von Boris Ignatjewitsch, dem großen Strippenzieher im Hintergrund.
Die Schwierigkeiten der „Anderen" sind hausgemacht. Keine böse Macht von Außen bedroht sie. Sie machen sich selbst das Leben schwierig. „Dunkle" wie „Lichte" können sich einfach nicht zusammenraufen. Das lässt sie sehr „menschlich" wirken, was „Wächter der Nacht" ein solides psychologisches Fundament verschafft und neugierig macht, wie weit beide Seiten in ihrem Drang zur Vorherrschaft noch gehen werden. Ein Sprichwort der "Lichten" fasst die eigentümliche Situation in folgende Worte: "Trau einem Menschen zur Hälfte, einem Lichten zu einem Viertel und einem Dunklen überhaupt nicht." (S. 471)
Exkurs: Wie man einen Mythos bastelt
Verzweifelt suchen die Kinobetreiber dieser Welt eine Nachfolgeproduktion zum „Herrn der Ringe". Jedes Jahr zwischen 2001 und 2003 kam kurz vor Kassenschluss noch ein garantierter, sicher zu kalkulierender Blockbuster, der im Alleingang lahmende Besucherstatistiken und damit die Einnahmen in respektable Höhen trieb. Heuer sollen es die „Wächter der Nacht" richten. Mit viel Getöse werden die Werbetrommeln für den ersten Film einer Trilogie gerührt, der in Russland – hier entstand das Werk – zu den erfolgreichsten Produktionen aller Zeiten gehört. Wenn's klappt, der Exotenbonus sticht und vor allen den Zuschauern gefällt, was ihnen geboten bzw. angedient wird, könnte die Rechnung aufgehen. (Allerdings wohl auf einem niedrigeren Niveau: Das Filmbudget lag bei 4 Mio. Dollar; soviel kostete beim „Herrn der Ringe" wahrscheinlich die digitale Belebung eines einzigen Oliphanten …)
Die Buchvorlage zu „Wächter der Nacht" erschien bereits 1998. Erst jetzt und im Zuge besagter Werbung kommt eine Übersetzung in die Buchläden; ohne den Film müssten die deutschen Leser vermutlich weiterhin darauf verzichten, denn wie vor nicht allzu langer Zeit Japan ist auch Russland noch ein Entwicklungsland als Quelle populärer phantastischer Unterhaltung. „Wächter der Nacht" erzählt als Buch wie als Film nicht die Geschichte vom heroischen Kampf der Traktorenbrigade „Roter Stern Nowosibirsk" gegen von imperialistischen Zaubermeistern aus dem Westen gesteuerte Kartoffelkäfer- Dämonen, sondern bietet ideologiefreies Entertainment – immer noch ein Novum, an das man sich erst gewöhnen muss.
Dabei lässt sich ganz sicher nicht sagen, Sergej Lukianenko habe das Genre neu erfunden. Das Geschehen lässt sich auf den uralten Kampf zwischen den Mächten des Guten und des Bösen reduzieren. Reizvoll sind freilich die moralischen Ambivalenzen (s. o.) sowie das Ambiente der Handlung: Besagter Kampf spielt sich (ähnlich wie in den „Blade"- oder „Underworld"-Filmserien) nicht in einer zeitlich und örtlich unbestimmten, pseudo- mittelalterlichen Fantasywelt, sondern mitten im Hier und Jetzt, d. h. in der modernen Gegenwart ab. Die ist zudem in Moskau zu lokalisieren – einem Moskau wohlgemerkt, das nicht in westlicher Sicht als von Kommunisten Zombies bevölkerte Geisterstadt oder Russenmafia-Metropole herhalten muss, sondern von einem russischen Schriftsteller als russischer Schauplatz geschildert wird.
Der positive Eindruck, den die Geschichte als solche hinterlässt, wird in der deutschen Fassung leider durch die Übersetzung arg beeinträchtigt. Betont „jugendlich" soll der Roman sich lesen – ein Vorhaben, das eigentlich jedes Mal in die Hose geht und Saloppschwafel ("Ich sprintete zu einer Bude und knallte dem Verkäufer zwei Münzen hin.") produziert. Der Rezensent räumt freilich ein, dass womöglich ihn persönlich stört, was heutzutage der Lesermehrheit längst nicht mehr (störend) auffällt.
Autor
Sergej Lukianenko wurde 1968 in der zu diesem Zeitpunkt noch sowjetischen Unionsrepublik Kasachstan geboren. Er studierte in der ehemaligen Hauptstadt Alma-Ata (heute: Almaty) Medizin und war mehrere Jahre als Psychiater. Im „neuen Russland" nach dem Zusammenbruch der UdSSR begann Lukianenko zu schreiben. Den Durchbruch brachte ihm 1998 der erste Teil der phantastischen Trilogie um die „Wächter der Nacht", die eine Millionenauflage erlebte und in Russland sogar erfolgreicher als die Fantasy- Klassiker „Der Herr der Ringe" oder „Harry Potter" wurde. Lukianenko lebt heute als freier Schriftsteller in Moskau. Mit dem Drehbuchautor und Regisseur Timur Bekmambetov arbeitete er eng während der Dreharbeiten zum „Wächter der Nacht"-Film zusammen und zeigte sich Änderungsvorschlägen, welche die Geschichte „filmischer" gestalten sollten, durchaus aufgeschlossen.
Zum Filmstart wurde eine eigene „Wächter der Nacht"-Website ins Leben gerufen: http://www.waechter-der-nacht.de
Die „Wächter der Nacht"-Trilogie besteht aus den Bänden
Nochnoi Dozor (dt. „Wächter der Nacht")
Dnjevnoi Dozor (dt. „Wächter des Tages")
Sumerechnij Dozor (dt. „Wächter der Dämmerung")
und erscheint in Deutschland im Wilhelm Heyne Verlag.
Impressum
Originaltitel: Nochnoi Dozor (1998)
Übersetzung: Christiane Pöhlmann
Deutsche Erstausgabe: Oktober 2005 (Wilhelm Heyne Verlag/Paperback Nr. 53080)
527 S.
EUR 13,00
ISBN 3-453-53080-2
(Copyright 28.09.2005/Dr. Michael Drewniok)
Dieser Text erscheint auch auf anderen Websites meiner Wahl - er wird durch meinen Namen identifiziert und bleibt dadurch - hoffentlich - auch für Faker-Sheriffs als mein geistiges Eigentum erkennbar, mit dem ich AGB-konform umgehen darf wie es mir beliebt. M. D. weiterlesen schließenKommentare & Bewertungen
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