Pro:
spannend, sensibel, kulturell besonders interessant
Kontra:
Hauptteil etwas zu kurz
Empfehlung:
Nein
Von Drachenknochen und anderen Heilmitteln
Amy Tan wurde 1952 als Tochter chinesischer Einwanderer in Amerika geboren, wo sie noch heute lebt. Bisher hat sie in Deutschland vier Bücher veröffentlicht: Ihre ersten beiden Bücher: „Töchter des Himmels“ (verfilmt) und „Die Frau des Feuergottes“ waren in Deutschland Bestseller und sind insgesamt in über 20 Sprachen übersetzt worden. „Die hundert verborgenen Sinne“ erschien 1996 in Deutschland, wurde leider nicht so berühmt, wäre es aber meiner Meinung nach Wert gewesen.
2001 erschien nun bei Goldmann (z. Zt. nur gebunden erhältlich) ihr Roman „Das Tuschezeichen“, über den ich hier berichten möchte.
Doch zuvor ein paar allgemeine Worte. Bislang haben mich alle Bücher von Amy Tan auf eine ganz besondere Weise berührt und fasziniert. Immer gleiches Thema ihrer Bücher ist der kulturelle Konflikt eines Lebens in Amerika mit zugleich chinesischen Wurzeln, exemplarisch zumeist an der Mutter/Tocher-Konstellation erklärt und beschrieben. Dabei soll nun nicht der Eindruck entstehen, dass ihre Bücher immer gleich und damit langweilig wären. Ganz im Gegenteil: Ich für meinen Teil kann gar nicht satt werden an ihren chinesischen Lebensbeschreibungen, die zumeist das Leben von in China geborenen und später ausgewanderten Chinesinnen beschreiben, mitunter aber auch noch Generationen weiter in die Vergangenheit driften.
Doch nun zum Inhalt und Aufbau des Tuschezeichens:
Ruth Young, die eine chinesische Mutter und einen amerikanischen Vater hat (der Vater ist jedoch schon in ihrer frühsten Jugend verstorben) lebt mit ihrem Freund Art und dessen zwei Töchtern in San Francisco. Sie ist in Amerika aufgewachsen und niemals in China gewesen. Eine gescheiterte Beziehung hat sie bereits hinter sich. Mit Art scheint es besser zu laufen, 10 Jahre ist sie schon mit ihm zusammen.
Ruths Mutter erkrankt an Alzheimer und neben all den Problemen der Versorgung und Betreuung der Mutter, denen sie sich nun stellen muss, kommt es auch zu einer Rückschau ihrer Vergangenheit. Sie erlebt Kindheit und Jugend unter einer schwierigen abergläubischen Mutter, deren Denken und Fühlen chinesisch geprägt war, noch ein zweites Mal. Ruth wird im Rückblick deutlich, wie oft sie die Erwachsene spielen musste, die übersetzte und der depressiven und überbehütenden Mutter den Rücken stärkte und es dabei schwer hatte, eine ganz normale amerikanische Kindheit und Jugend zu erleben.
All das hat auch Auswirkungen auf ihre Beziehungen gehabt. Mittlerweile Mitte 30 hat sie selbst keine eigenen Kinder und in der akuten Krise stellt sie fest, dass auch die Beziehung zu Art nicht wirklich ist, wie sie sein sollte.
Lange schon hat sie eine Art Tagebuch ihrer Mutter, dass sie jedoch bisher nicht übersetzt hat, weil sie die chinesischen Schriftzeichen nicht mühelos selbst übersetzen kann. Sie findet aber einen Übersetzer und erfährt Dinge über ihre Mutter, die ihr vieles begreiflich machen.
Das ist der erste Teil des Buches. Der zweite Teil ist dann das Tagebuch der Mutter und beschreibt, wie sie in China als uneheliche Tochter einer tragischen Person aufwächst, die sich als ihr Kindermädchen ausgeben muss, damit niemand gebrandmarkt wird. Schon die Geschichte dieser Mutter ist traurig, aber auch das Leben von Ruths Mutter selbst ist durch viele heftige Geschehnisse als tragisch zu bezeichnen. Da ist der Selbstmord der leiblichen Mutter zu nennen, die weitere Jugend im Waisenhaus. Schließlich endlich die große Liebe, die schon nach wenigen Jahren in den Kriegswirren mit Japan wieder ein Ende findet. Die Flucht nach Peking, schließlich nach Hongkong und die Übersiedlung nach Amerika.
Im dritten Teil des Buches sind wir dann wieder bei Ruth, der die Erkenntnisse über das Leben ihrer Mutter und deren Geschichte (also ihrer eigenen Wurzeln) dazu verhilft, dass sie ein viel besseres Verständnis bekommt. Nicht nur ihrer Mutter gegenüber sondern sie versteht auch viel mehr von sich selbst. Endlich kann sie einen Teil ihrer Gefühle zeigen, die zuvor verborgen waren und erkennen, dass ihre Beziehung nur das sein kann, was sie selbst daraus machen möchte.
Meine Meinung:
Es ist etwas schwierig den Inhalt dieses Buches hier in ein paar wenigen Sätzen wiederzugeben. Das Buch hat immerhin über 400 Seiten und ungefähr die Hälfte davon sind der chinesischen Erzählung gewidmet. Für mich hätte dieser Teil noch weitaus länger sein können. Sobald Amy Tan damit beginnt ihre chinesischen Geschichten zu erzählen, versinkt man regelrecht darin, ich kannte dieses Gefühl schon aus ihren anderen Büchern. Eine Erzählkunst, die auf wunderbar sensible Weise das Leben einzelner Menschen schildert, die sie uns dadurch ausgesprochen nahe bringt.
Daneben erfahren wir viel über chinesische Religion, Lebensauffassung, Geschichte, Familienzusammenhänge, Aberglauben usw. usw. – eine so gänzlich von unserer westlichen abweichende Welt, dass man wie im Märchen versinkt – allerdings oft ein sehr grausames Märchen.
Der andere Teil des Buches, der in Amerika und in der Neuzeit spielt, zeichnet sich besonders dadurch aus, dass er so absolut echt und glaubwürdig ist. Viel Gefühl, sensibel vorgetragen, viele Identifikationsmöglichkeiten. Ich habe vor allem am Ende des Buches schon einige Tränen aus den Seiten wischen müssen.
Daneben aber arbeitet Amy Tan auch mit einer guten Portion Humor. Vor allem zu Beginn des Buches habe ich viel und herzhaft laut gelacht, weil ihre Personen und deren Konflikte so echt und realistisch sind, dass ich darin häufig meine eigenen kleineren und größeren Schwächen entdeckt habe.
Fazit:
Ihr habt es sicherlich schon herausgelesen aus meinen Worten: Ich möchte dieses Buch jedem gern empfehlen, aber eigentlich gleichzeitig auch alle anderen Bücher von Amy Tan (über die ich bestimmt auch noch mal detaillierter berichten werde). Sie ist eine ganz besondere Schriftstellerin und die Art von Büchern bekommt man nicht so häufig zu lesen. Ich hatte
4 Jahre auf dieses neue Buch gewartet. Es hat sich gelohnt.
Das Buch ist wie oben schon erwähnt zur Zeit als gebundenes Buch vom Goldmann-Verlag, ISBN-Nr. 3-442-30455-5, zu bekommen. Es kostete dort letztes Jahr um die 45,00 DM. Buchclub-Mitglieder können das Buch in der eigenen Club-Aufmachung schon etwas günstiger bekommen.
Übrigens hat die Goldmann-Ausgabe, wie ich finde, ein ganz besonders schönen und ansprechenden Einband. weiterlesen schließen
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