Pro:
weit verbreitet – "Word" ist die wohl gängigste Textverarbeitung
Kontra:
"Word" ist ein einziger Wust von überwiegend überflüssigen Funktionen. Bei der Nutzung stellt sich zeitweise die Anmutung ein, man habe kein Programm installiert, sondern sich einen Trojaner zugezogen. "Word" ist ein einziger Verstoß
Empfehlung:
Ja
”In the beginning was the Word, and the Word was with God, and the Word was God. The same was in the beginning with God. All things were made by Him” (John 1:1-3).
Im Anfang war bekanntlich das Wort. Im Unterschied dazu ist „Word“ nicht im Anfang und weder bei Gott noch Gott selbst: „Word“ ist ja auch nicht „the Word“, sondern einfach nur „Word“ und meines Erachtens eine der großen Geißeln des ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts.
Wäre „Word“ ein Bewerber, dann wäre „Word“ ein hoffnungslos überqualifizierter Fachidiot, der sich dafür bewirbt, auf dem Parkplatz von Wal-Mart die Einkaufswagen zusammenzuschieben. Wäre „Word“ ein Werkzeug, dann wäre es vielleicht eines jener Taschenmesser, die das Prinzip des patentierten und äußerst patenten Schweizer Offiziersmessers aufs Abscheulichste pervertiert haben: wie manches jener mit einer absurden Zahl von komplett überflüssigen Funktionen befrachteten und nur noch wenig handlichen Taschenwerkzeuge bietet auch „Word“ inzwischen einen ungeheuerlichen Wildwuchs von Funktionen, dabei aber nur noch wenig Funktionalität.
„Word“ ist multifunktional, vermutlich multioptional, wahrscheinlich auch multitaskingfähig und wie nahezu alles, was die Vorsilbe „multi“ trägt, zu nichts wirklich zu gebrauchen: „Word“ ist die Software gewordene Nemesis eines jeden Menschen, der ein Handy verlangt, mit dem man in erster Linie telefonieren kann, der einen Videorecorder sucht, mit dem sich zuvor auf Kassetten aufgenommene Inhalte wiedergeben lassen (und mit dem sich zur Not auch Inhalte aufzeichnen lassen, ohne dass man dafür ein Praktikum im Werk des Herstellers absolviert haben muss) und der, höchster Gipfel der Multifunktionalität, an seinem Videorecorder vielleicht gern noch eine im Dunkeln gut ablesbare Uhr hätte.
Dabei ist das Widerwärtige an „Word“ nicht einmal die Zahl an Möglichkeiten, die „Word“ dem Anwender tatsächlich oder vermeintlich bietet, sondern die Impertinenz, mit der „Word“ sich seiner Möglichkeiten brüstet: „Wussten Sie schon … ?“ fragt „Word“ einen beim Erststart, noch bevor man das erste Wort eigenen Text hat schreiben können, und macht sich erbötig, einem allerhand spitzfindige Tipps zu geben. Gewisse Schlüsselwörter interpretiert „Word“ dahingehend, man wolle „anscheinend einen Brief schreiben“ und hetzt einem ein neckisches Kunstwesen namens Karl Klammer auf den Hals, das einem dann mit einer Reihe von Fragen ins Wort bzw. Word fällt.
Erfahrene „Word“-Nutzer, die diesen Spießrutenlauf bereits mit Erfolg absolviert haben, werden nun einwenden, diese ganzen ungewünschten Funktionen könne man doch schließlich deaktivieren. Gewiss. Man kann. Mit ein bisschen Glück und viel Erfahrung kann man das. Mit Ergonomie oder Benutzerfreundlichkeit hat das freilich für mich ebenso wenig zu tun wie die für Microsoft-Produkte typische „Hilfe“-Funktion, die vor allem der Erkenntnis dient, wie wahr doch das Wort des Murphy’schen Untergesetzes ist, dem zufolge es keine Antworten, sondern nur Querverweise gibt.
Sich mit der „Hilfe“-Funktion einlassen heißt das Reich des Wahnsinns betreten, in dem sich hinter jeder vermeintlichen Antwort eine neue Frage auftut, die wiederum mit einer Antwort beschieden wird, hinter der eine neue Frage lauert:
Die Hilfsfunktion von „Word“ stammt geradewegs aus dem „Haus, das Verrückte macht“ aus „Asterix erobert Rom“, erstellt von den Angehörigen der Redaktion, die für jenes gefälschte Ungarisch-Englische Phrasenbuch aus einem Monty-Python-Sketch verantwortlich ist, in dem aus einer Frage nach dem Weg zum Bahnhof ein eindeutig zweideutiges Angebot wird.
Die „Hilfe“-Funktion von „Word“ nutzen, wenn man ein Problem mit „Word“ hat?
Genauso gut kann man das Orakel von Delphi befragen.
Ich kann gar nicht sagen, was mich an „Word“ am meisten stört.
Sind es die umstandskrämerischen, kryptischen Meldungen der Marke „Änderungen jetzt speichern?“ (Ich möchte meinen Text speichern, nicht „Änderungen“ – oder habe ich’s hier etwa mit einer „Änderungsverarbeitung“ zu tun!?) oder „Änderungen wurden in der normal.DOT gespeichert“? Ist es die unliebsame Angewohnheit von „Word“, wann immer mein Rechner oder auch „nur“ das Programm aus mir unerfindlichen Gründen eine kleine, von mir nicht genehmigte Auszeit nimmt, die gerade bearbeitete Datei in einer schreibgeschützten Version abzuspeichern?
Oder sind es die 1000 kleinen, besserwisserischen Bevormundungen, die ich mir tagtäglich von „Word“ gefallen lassen muss? Da werden wie von Geisterhand Wörter geändert, die vermeintlich der Korrektur bedürfen, da werden Änderungsvorschläge gemacht (sehr erheitert hat mich erst kürzlich die Frage danach, ob ich das Wörtchen „subliminal“ nicht vielleicht in „sublimanal“ korrigieren wolle – letzteres nämlich „kennt“ die Software anscheinend) und überhaupt erscheint „Word“ mir mit jeder neuen Version ein bisschen mehr wie ein gefährliches Virus, das sich ergonomischen Erwägungen wie Einflüsterungen des gesunden Menschenverstandes gegenüber zunehmend resistenter zeigt: Kaum habe ich mich an eine Version von „Word“ und die ihr eigenen, typischen Widersprüchlichkeiten gewöhnt, wartet auch schon eine neue Version mit neuem Irrwitz auf.
Am meisten nervt „Word“ mich aber womöglich in jenen Momenten, in denen das Programm so tut, als sei es eine Layoutsoftware.
Wer je mit einer vernünftigen Layoutsoftware gearbeitet hat, weiß, wo die Unterschiede liegen. Microsoft-typisch wird da munter abgekupfert – und was kommt dabei heraus? Da werden Begrifflichkeiten verwendet, die der geneigte Nutzer möglicherweise vom Umgang mit einem Layoutprogramm wie zum Beispiel „Quark Xpress“ kennt – aber natürlich verbergen sich bei „Word“ dahinter Funktionen, die bestenfalls eine vage Ähnlichkeit mit denen des Programms haben, das da Pate gestanden hat (das „Verknüpfen“ von Textkästen ist nur eine der Funktionen, die ich an „Word“ besonders verabscheuen gelernt habe).
„Ist dies schon Tollheit, hat es doch Methode“, möchte man mit den Worten des Polonius aus „Hamlet“ sagen, denn „Word“ ist natürlich nicht nur das Resultat zufälligen Herumpröbelns selbstverliebter Programmierer, die von Ergonomie nichts wissen und nichts wissen wollen, sondern, wie so vieles aus dem Hause Microsoft, eine zumindest marketingtechnisch durchaus gelungene Schiebung – an Perfidie allenfalls noch von Zahnärzten zu übertreffen, die den Kindern ihrer Freunde und Bekannten Dauerlutscher schenken und heimlich die Zahnbürste klauen.
„Word“ – ein Textverarbeitungsprogramm? Vor allem ist „Word“ sicherlich eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme:
„Word“ ist in meinen Augen nicht so sehr eine Software, die entwickelt wurde, damit man Texte schreiben kann, sondern vielmehr wurde „Word“ wohl mit dem Ziel entwickelt (und vor allem weiterentwickelt), Schulungen zu verkaufen. In dieser Hinsicht ähneln die Praktiken von Microsoft meines Erachtens stark denen der so genannten Strukturvertriebe, bei denen das meiste Geld auch nicht mit Produkten, sondern allerhand Brimborium rund um die Produkte herum gemacht wird.
Und was steht am Ende all meiner Überlegungen?
„Word“ ist für mich ein einziges "Worst Case Scenario". Ich persönlich meide „Word“ inzwischen, wo immer es irgend geht, schreibe einen großen Teil meiner Texte in schlichte „txt“-Files (die unzureichende Rechtschreibprüfung, die „Word“ mir bietet, kann ich ebenso gut entbehren wie den Großteil der anderen „Extras“) und überlege zwischendurch, ob ich mir beizeiten für die Gelegenheiten, in denen leidige Kompatibilitätsfragen keine Rolle spielen, nicht doch ein gescheites, benutzerfreundliches Grafik- oder Layoutprogramm zulegen sollte, das mir nebenbei noch das überschaubare Maß an Funktionen bietet, das ich von einer vernünftigen Textverarbeitung erwarte. weiterlesen schließen
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