Pro:
sehr imposant, tolle Wattwanderungen
Kontra:
sehr überlaufen
Empfehlung:
Ja
Wer den Nordwesten Frankreichs bereist, wird am Mont Saint-Michel nicht ungesehen vorbeikommen. Die "Pyramide im Meer", wie Victor Hugo sie einst nannte, liegt am äüßersten Rand der Normandie direkt an der Grenze zur Bretagne und gehört zum Départment La Manche. Somit kann man im Rahmen einer Bretagne-Reise getrost einen Besuch des Mont Saint-Michel mit einplanen.
Wir haben mit dem Auto ab Freiburg im Breisgau etwa eineinhalb Tage gebraucht (keine Autobahnbenutzung), um dorthin zu gelangen. Ab Rennes fährt man noch eine knappe Stunde gen Norden, schon ist man am Ziel.
Es ist Ende Juni. Die aufkommende Hitze, die im Innern Frankreichs noch viel stärker ist als in Deutschland in diesen Tagen, hat uns ans Meer vertrieben. Wir sind also ohne große Planung einem spontanen Entschluss gefolgt und haben somit auch kein Quartier gebucht. Aber kurzfristig eine Unterkunft zu finden, sollte kein Problem sein. Hotels und Fremdenzimmer ("Chambres d'hôtes") gibt es hier genug. Eng werden könnte es nur im August, wenn halb Frankreich Urlaub macht. Da wir noch nie hier waren, verschaffen wir uns erst einmal einen Überblick. Der letzte Ort vor Mont Saint-Michel ist Beauvoir mit einem Ortskern und einer künstlichen Siedlung aus Hotels und anderen touristischen Einrichtungen. Hier in diesem neuen Teil möchte ich nicht wohnen, das ist mir einfach zu Disneyland-mäßig.
Wir fahren zunächst bis zum Felsen vor. Da man am breiten Straßenrand nicht parken darf, müssen wir auf den gebührenpflichtigen Parkplatz (4€). Aufgrund der Größe und der vorhandenen Busse, Camper und PKWs ahnen wir schon, welcher Menschenauflauf uns hier erwarten würde. Auf dem Parkplatz gibt es Hinweise, bis wann man an bestimmten Stellen sein Auto entfernen sollte, damit es nicht absäuft.
Denn nirgendwo in Europa sind die Gezeiten so stark ausgeprägt wie hier. Der Unterschied zwischen Ebbe und Flut kann je nach Jahreszeit und Mondphase bis zu 15m betragen, wobei sich das Meer im Spiel zwischen Sonne, Erde und Mond 18km weit zurückzieht. Es ist später Nachmittag, aber von Flut noch keine Spur. Heute wird sie gegen 19Uhr30 kommen. Der Mont Saint-Michel und das umgebende Wattenmeer sind also "trockengelegt". Man sieht Menschenmassen durchs Watt ziehen. Wir gehen erst mal in die Festung. Eintritt wird hier zunächst noch nicht fällig. Denn die Festung ist ein richtiges kleines Dorf mit vielen Hotels, Restaurants und Souvenir-Shops. Ich möchte am liebsten gleich wieder rückwärts raus, denn so einen Rummel hatte ich hier nicht erwartet. Aber abgesehen von den bekannten Bauwerken in Paris ist der Mont Saint Michel die meistbesuchte Attraktion Frankreichs. Kein Wunder also, dass hier u.a. englische Schulklassen und Busladungen von Japanern ein und ausströmen. Der Baedeker-Reiseführer empfiehlt, auf der Burg zu übernachten, um die Atmosphäre richtig kennenzulernen. Aber danach ist mir gar nicht, da ich keine Lust verspüre, am Morgen durch Touri-Geschrei geweckt zu werden. Oder ich wache morgens auf und ein Japaner sitzt mit seiner Kamera vor meinem Fenster. Neben einer Besichtigung der gewaltigen Festung möchten wir natürlich auch eine gemütliche Wattwanderung machen. Deshalb planen wir dafür einen ganzen Tag und zwei Übernachtungen ein. Wir fahren die etwa 2-3km bis Beauvoir zurück. Im ersten Hotel, wo wir nach einem Zimmer fragen, haben wir kein Glück, dafür aber nebenan im Hotel Gué de Beauvoir, wo wir für 48€ pro Nacht zuzüglich Frühstück ein Zimmer nehmen.
Baedeker weist auch auf den schönen Sonnenuntergang hin, den man vom Mont Saint-Michel erleben könnte. Allerdings ist heute Sommeranfang, wir haben Mitteleuropäische Sommerzeit und wir befinden uns noch viel tiefer im Westen als Grönemeyer besingt. Somit dürfte es etwa 23 Uhr werden, bis hier und heute die Sonne untergeht. Und dann wollen wir auch nicht mehr zum Felsen. Stattdessen freuen wir uns auf unser Abendessen, das wir nebenan in einem Restaurant, das auf "Fruits de mer" spezialisiert ist, genießen. Für 75€ ordern wir eine Meeresfrüchteplatte für 2 Personen: Hummer, Languste, jede Menge Austern, Garnelen und Meeresschnecken. Es ist die größte meines Lebens, und wir bringen nicht alles weg. Das will schon was heißen.
Der Berg des heiligen Michaels ist dem gleichnamigen Erzengel gewidmet. Denn einer Legende zufolge soll dieser im Jahr 708 dem Bischof von Avranches befohlen haben, auf dem im Meer befindlichen Berg Tombe eine Kapelle zu bauen. Im Laufe der Zeit entstand nach und nach das, was wir heute sehen können. Die gewaltige kirchliche Festung besteht aus einer großen Abteikirche, einem romanischen und einem gotischen Kloster und 4 Krypten. Die Befestigung als Schutz gegen die Engländer wurde noch vor dem hundertjährigen Krieg im 14. Jahrhundert errichtet. Wurde der Felsen über die Jahre immer von Mönchen bewohnt, so wurden diese während der französischen Revolution vertrieben, und die Festung wurde zum Gefängnis (bis 1863). Eine Geschichte zwischen dem "Namen der Rose" und Alcatraz! Der Damm, der die einstige Insel mit dem Festland verbindet, wurde 1879 errichtet. Erst seit 1966 leben wieder einige Benedektinermönche auf dem Mont Saint-Michel.
Am nächsten Morgen fahren wir dann nochmals zum Mont und stellen unser Auto flutsicher ab. Das Meer ist bereits längst von seinem Landbesuch zurück (Flut war gegen 7Uhr), einzelne Priele bilden jedoch noch für trockene Füße unüberwindliche Wassergräben, in denen das Wasser meereinwärts strömt. Aber wir wollen ja erst auf die Festung. Also schließen wir uns dem multikulturellen Lindwurm an, der sich durch die schmalen Gassen an Geschäften und Restaurants vorbei in Richtung Abtei schlängelt. Auch Kleinkinder bleiben hier nicht verschont, sie werden in Kinderwägen chauffiert und teils steile Treppen hochgehievt. Auch vielen älteren Leuten, die nicht mehr so gut zu Fuß sind, ist der Weg in die heiligen Hallen offenbar nicht zu weit. Bereits Jesus machte ja Lahme wieder gehend. Vielleicht hofft hier auch so mancher auf ein Wunder. Eine wundersame Überraschung ist heute jedenfalls für alle bereitet. Die Abtei ist das ganze Jahr lang tagtäglich von 9-19 Uhr geöffnet, in der Nebensaison etwas kürzer. Nur heute nicht. Durch einen Anschlag an der großen Pforte erfahren wir, dass ein "mouvement de grève" daran Schuld sei. Dabei handelt es sich nicht etwa um eine Grabverlegung, sondern viel mehr um eine Streikbewegung. Streiken im Streikland Frankreich sogar die Mönche? Wer auch immer hier streikt, ich kann es verschmerzen. Notfalls könnten wir am nächsten Morgen ja nochmals herkommen. Somit laufen wir die frei zugänglichen Bereiche der Festung ab, genießen manch herrliche Aussicht und schießen natürlich viele Fotos. Und in den Seitengassen entkommt man auch dem Haupttouristenstrom.
Es ist dann auch schon bald gegen Eins. Um diese Zeit, sollte die Ebbe am größten sein. Wir also raus in die unendliche Weite des Watts. Es sind noch kaum Leute unterwegs. Wir ziehen unsere Schuhe aus, krempeln die Hose hoch. Am Rande ist es noch teilweise felsig. Der Rest ist Sand und Wasser. Die Priele sind nicht mehr tief, und man findet leicht Stellen, wo man problemlos durchgehen kann. Eine stundenlange Wattwanderung haben wir jedoch nicht vor. So etwas sollte man ohne kundigen Führer nicht unternehmen, weil das Meer schneller zurückkommt, als man denkt. Denn wenn es kommt, fließt es mit 1m/s zurück. So schnell kann man auf weichem Untergrund nur schwerlich laufen. Wir gehen vielleicht einen halben Kilometer hinaus und dann in weitem Bogen zurück. Möwen begleiten uns. Es ist ein herrlicher Tag. Tags zuvor brauchte ich bei der Meeresbrise noch eine Jacke. Heute reicht ein T-Shirt, denn die Sonne brennt herunter. Zum Glück habe ich morgens mein Gesicht gut mit Sonnenschutz eingeschmiert. Leider habe ich Nacken und Arme dabei vergessen. Das würde mir spätestens am Abend bewusst werden. Aber der Sonnenbrand hält sich in Grenzen.
Ab ca. 15 Uhr sehen wir in der Ferne viele kleine Punkte. Und es werden immer mehr. Menschen, die aus dem Meer kommen. Es handelt sich offenbar um geführte Watt-Wanderungen. Ich vermute, die einzelnen Gruppen (immer so zwischen 10 und 30 Leuten) werden mit dem Bus zu einem Ufer auf der Ostseite gekarrt und dort zum rechten Zeitpunkt rausgelassen, so dass sie ohne Zeitdruck das Watt trockenen Fußes überqueren können und dabei einige Stunden unterwegs sein können. Ich habe mal in Australien zur Dämmerung Hunderte von Zwergpinguinen aus dem Meer kommen sehen. Daran muss ich jetzt zurückdenken, wenn ich jetzt die menschlichen Heimkehrer sehe.
Die ungünstigen Zeiten der Flut und ihre relativ geringe Ausprägung zu dieser Jahreszeit haben mich dieses Mal nicht erleben lassen, wie der Mont Saint-Michel ganz von Wasser umgeben ist. Auch einen Sonnenuntergang habe ich hier nicht beobachten können. Aber meine Liebe zu Frankreich, Meer, Watt, Wein und Meeresfrüchten werden sicher dafür sorgen, dass ich irgendwann wiederkomme. Vielleicht zu einer anderen Jahreszeit, wobei ich nicht sicher bin, ob es in Frankreich streikfreie Jahreszeiten gibt. Schließlich streikt hier sogar das Meer täglich stundenlang.
Copyright LosGatos
Erstveröffentlichung 3.7.2005
Veröffentlicht außer bei Ciao derzeit nur noch bei Yopi weiterlesen schließen
Bewerten / Kommentar schreiben