Pro:
Das Album, das Konzept, die Stimme, die Musik, ...
Kontra:
Na also bitte ....
Empfehlung:
Ja
Lange habe ich mich ja davor gedrückt über meine absolute Lieblingsscheibe zu schreiben. Zu hoch schienen mir die Anforderungen einem solchen Meisterwerk gerecht zu werden. Zu vergleichen vielleicht nur noch mit dem legendären „The Wall“ von Pink Floyd. Und zwar sowohl von der musikalischen Genialität, als auch von der gesellschaftspolitischen Aussage. Nun habe ich mich entschlossen meine Skrupel beiseite zu legen und meine Meinung hierzu kund zu tun. Zur Einleitung ein ganz kurzer Überblick wer QUEENSRYCHE überhaupt sind:
Gegründet wurde die Gruppe Anfang der 80er von den 5 Highschool-Freunden Geoff Tate (Gesang), Chris deGarmo (Gitarre), Michael Wilton (Gitarre), Eddy Jackson (Baß) und Scott Rockenfield (Schlagzeug) im idyllischen Örtchen namens Seattle *g*. Anders als bei Retortenmusik heutzutage üblich verschanzten sich die 5 talentierten Musiker erst mal eine geraume Zeit in Ihrer Garage um Ihren eigenen Stil zu kreieren. Um die Aufmerksamkeit einer Plattenfirma zu erregen beschloß man Ende 1982 eine Demokassette mit 4 Stücken aufzunehmen. Diese Demokassette verkaufte sich sagenhafte 20.000 Mal und der Grundstein für eine Weltkarriere war gelegt. Die folgende Diskografie mag unvollständig sein, ich habe nur die Scheiben aufgelistet die ich selbst besitze:
1982 Queensryche
1984 The Warning
1986 Rage for Order
1988 Operation: Mindcrime
1990 Empire
1991 Operation: Livecrime
1994 Promised Land
1997 Hear in the now Frontier
1999 Q2K
2001 Live Evolution
2003 Classic Masters
2003 Tribe
Wir schreiben also das Jahr 1988. Die Sandinisten schließen in Nicaragua einen Waffenstillstand, Kathi Witt hängt die Schlittschuhe an den Nagel, Jaques Chirac tritt nach Mitterand-Sieg zurück, Bayer Leverkusen gewinnt den einzigen Titel der Vereinsgeschichte und unsere Steffi gewinnt erstmals in Wimbledon. Die USA schießen ein Verkehrsflugzeug mit 290 Passagieren ab, die Piper Alpha fliegt in die Luft, die Geiselnahme von Gladbeck findet statt, der Golfkrieg zwischen Iran und Irak wird beendet und der Ort Ramstein erlangt traurige Berühmtheit. Gorbatschow wird Staatspräsident der UdSSR, Bush sen. gewinnt die Wahlen in den USA und Lockerbie wird zum Synonym für Flugzeugattentate. Ein wahrlich bewegendes Jahr in dem QUEENSRYCHE ihr Meisterwerk veröffentlichen.
Lange wurde es ja nach dem Vorgängeralbum erwartet und schon vorab mit allerlei Lob überschüttet, doch erst als die ersten Pressungen über den Tisch diverser Plattenläden wanderten wurde wohl klar, daß nach diesem Album in der Rockmusik eine neue Zeitrechnung begonnen hatte. Der Seattle-Fünfer hatte nicht nur, wie allgemein erwartet, ein musikalisch perfektes Werk abgeliefert, sondern sich mit einem Konzeptalbum in ein Genre gewagt, daß durch THE WALL quasi einen „Übervater“ besaß, an dessen Denkmal man nicht rütteln konnte. QUENNSRYCHE haben es gewagt und auch geschafft.
Wie auch bei Pink Floyd’s Meisterwerk ist die Geschichte untrennbar mit der Musik verbunden, so daß ich dieses eine Mal auch auf eine Einzelsongbesprechung verzichten werde. Das Album muß als Einheit gesehen werden und die Singelauskopplungen sind ein Frevel sondergleichen und haben das Ansehen der Firma EMI bei mir nicht gerade steigen lassen. Die Geschichte handelt von Mary, dem charismatischen Mr. X, Pater William und Nikki. Mr. X, die zentrale Figur, würden wir als Blender, Führer, Sektenführer, ja als Faschisten oder Kommunisten (je nach Gusto) bezeichnen. Sektenführer trifft es aber meiner Meinung nach am besten. Sein Ziel ist, sich die Menschen untertan zu machen und er schreckt auch vor brutalsten Mitteln nicht zurück. Mord, Gehirnwäsche, alles nur für das große Ziel. Doch begeben wir uns einfach hinein in die Geschichte ...
2 aufeinander aufbauende Intros, I REMEMBER NOW und ANARCHY-X, führen uns schon in die mystische und düstere Atmosphäre ein, die uns durch das komplette Album verfolgen wird. Wie ein Hörspiel wird das Ganze aufgebaut und eiskalter Schweiß macht sich bei mir auch 15 Jahre später noch breit, wenn ich die Worte „I remember now – I remember how it started – I can’t remember yesterday – I just remember doing what they told me, told me, told me told me“. ANARCHY-X hingegen leitet erstmals die Musik ein und ist als Vorspiel zu REVOLUTION CALLING zu sehen. Dr. X wird uns hier erstmals näher gebracht und vor allem das WARUM? beleuchtet. „I used to think that only America's way, way was right - But now the holy dollar rules everybody's lives - Gotta make a million doesn't matter who dies“ Aktueller den je würde ich mal sagen. Hämmernd, fast schon anklagend wird uns in einem Song, der vor Brillianz nur so sprüht „Revolution calling“ eingehämmert. Geoff Tate’s einzigartige Stimme scheint für derartige Exzesse wie geschaffen und schon nach dem ersten echten Song sollte der Blutdruck beim Hörer kräftig angestiegen sein.
Weiterhin ohne Pause (fast alle Lieder gehen direkt, oder mittels eines kleinen Hörspiels ineinander über) wohnen wir in OPERATION: MINDCRIME der Gefügigmachung von Nikki bei. Ab sofort ist er eine Tötungsmaschine im Auftrag des „Herren“. Mit dem Stück SPEAK folgt nun der erste Höhepunkt des Albums. Ständig pendelnd zwischen der schnellen, melodiös und hoch gesungenen Strophe und dem düsteren Refrain. Tiefe Einblicke in die Seele und die Gedankenwelt von Nikki sollen uns wohl auf das was nun folgen wird vorbereiten. „The rich control the government, the media the law - to make some kind of difference“
In SPREADING THE DISEASE einem ziemlich schnellen Titel begegnen wir erstmals Mary, einer Sripperin, Hure oder wie auch immer. Goeff’s Stimme in diesem Stück ist einfach der Hammer. Eindringlich, melodisch und fast 4 Oktaven „breit“. Harmoniegesänge in verschiedensten Versionen treiben mir regelmäßig die Tränen in die Augen. Mary ist mit 16 von zu Hause abgehauen und arbeitet seither am Times Square horizontal. Und gleich bekommt die Kirche, die sich in Gestalt von Pater William als Mary’s Retter vorstellt noch einen mit, denn auch er ist eigentlich nur auf Mary’s „Dienste aus. Und wieder eine Textzeile die aktueller ist denn je und deshalb von mir zitiert wird: „Politicians say no to drugs - While we pay for wars in South America (live wird hier Saudi Arabia gesungen) - Fighting fire with empty words - While the banks get fat - And the poor stay poor - And the rich get rich - And the cops get paid - To look away - As the one percent rules America“
In THE MISSION werden wir Zeuge eines Auftragsmordes von Nikki und dessen Gewissensbissen danach. Sehr anklagend ist auch die Musik und der Gesangsstil gehalten. Wenn wir eine Vinylplatte haben, erheben wir uns und drehen sie um (das ist eine der wenigen Augenblicke wo ich die CD favorisiere, denn dort geht das Album nahtlos ohne Pause weiter).
Bei SUITE SISTER MARY handelt es sich um das zentrale Stück des Albums. Mit über 10 Minuten Laufzeit ist es auch entsprechend lang. Hier treffen die Handlungen der Personen erstmals aufeinander. Und es ist ein gottgleich komponiertes Stück mit Gastsängerin Pamela Moore, Kirchenchören und dergleichen. Dieses Stück ist derart komplex und gleichzeitig verspielt, daß man es nicht beschreiben kann. Hier ist eindeutig hineinhören angesagt. Der Song steigert sich in eine Dramaturgie hinein, die ich vorher und auch nachher nicht gehört habe. Nikki erhält von Mr. X den Auftrag Mary und den Pater, die sich gegen die Organisation gestellt haben, auszulöschen. Nikki tötten den Priester und begibt sich in ein Zwiegespräch mit Mary (was für eine Stimme). Und dieser Satz dreht die Geschichte: „I see myself in you, parallel lives - Winding at light-speed through time“. Am Ende des Songs sind Mary und Nikki eine eingeschworene Gemeinschaft mit Mr. X als Feind.
Ob dramaturgisch bedingt oder nicht, hier haben wir eine Ruhephase zwischen den Liedern. Ein Pause. Mir gefällt es nicht, aber man wird sich schon was dabei gedacht haben. THE NEEDLE LIES ist der härteste Song des Albums und berichtet darüber wie Nikki sich noch einmal zu Dr. X begibt um ihm seine Gefolgschaft aufzukündigen. Dieser macht ihm jedoch klar, daß es kein zurück gibt.
ELECTRIC REQUIEM ist wieder nur ein Transferstück, kurz und mit der düsteren Vorahnung, Mary könnte etwas zugestoßen sein. BREAKING THE SILENCE erschließt sich mir textlich leider nicht so ganz. Ich vermute mal, Nikki macht sich über ihn und Mary Gedanken. Der Song ist auch relativ eingängig und wurde als Single ausgekoppelt. Ein schöner Midtempo-Rocker, der nicht ganz in der düsteren Stimmung die das Album sonst verbreitet, mitschwimmt.
Die nächste Singleauskopplung war I DON’T BELIEVE IN LOVE, einem wieder etwas düstererem Song in dem sich Nikki fragt ob er von Mary hintergangen wurde, da er sich nun in der Gewalt von Mr. X befindet. Gefesselt, gedemütigt und gepeinigt. Hat ihn Mary verraten? Ist er auf das Spiel hereingefallen? WAITING FOR 22 geht in MY EMPTY ROOM über, welches aber auch nur als Opener für EYES OF A STRANGER dient. Hier kommen die größten Assoziationen zu Pink Floyd’s Meisterwerk auf. Düster, schwer und voller unerträglicher Spannung hören wir zu was nun geschehen mag.
Wir erfahren das bittere Ende. Mary ist tot und Nikki noch immer in der Gewalt von Mr. X. Hier schließt sich der Kreis zum Opener. Nun wird auch einiges klarer, was wir dort als Hörspiel vernommen haben. Das findet aber mal selber heraus, ich will ja nicht alles verraten. Hier endet also die Geschichte und sie beginnt gleichzeitig. Über die Symbolik dieses Aufbaus liese sich trefflich streiten, deshalb lasse ich jegliche Andeutungen hierzu mal bleiben.
FAZIT:
Was soll man bei einem solchen Album schon als Fazit schreiben? Genial, einfach genial. Ich habe mich in meinem Bericht mehr auf die Geschichte und die Symbolik konzentriert, aber Ihr dürft mir ruhig glauben wenn ich Euch sage, daß natürlich auch die Musik, die uns die fünf da präsentieren von allerhöchstem Niveau sind. Hardrock in einer anderen Dimension. Düster und doch melodisch. Mystisch und doch klar. Hart und doch eingängig. Brilliant gespielt und glänzend produziert. Es ist übrigens die einzige LP die ich habe, deren Seitenspielzeit (auf Seite 2) 33:30 Minuten beträgt.
OPERATION: MINDCRIME ist in der Musikgeschichte sicherlich ein Meilenstein. Ähnlich wie Metallica in ihrem „One“-Video, packen QUEENSRYCHE hier ein heißes Eisen an. Die amerikanische Medien-, Politik- und Religionslandschaft wird gehörig angegriffen. Assoziationen zu dem Film „The Wave - Die Welle“ sind fast zwangsläufig. Die 12 Euro die das Album mittlerweile nur noch kosten dürfte sollte man auf alle Fälle investieren, wenn man ein perfektes Album besitzen möchte. Sollte man jedoch zu der Sorte Mensch gehören, die Musik als Einwegware sehen und die weder zuhören können noch Zeit haben sich mit solchen Dingen mal auseinander zu setzen, dann ist es vielleicht sinnvoller das Geld für Sachen wie Gummibärchen oder Pokémon-Bilder auszugeben.
Leider schaffte es die Band nie wieder an dieses Album anzuknüpfen. Empire war zwar noch sehr eingängig, verkaufte sich auch entsprechend gut, aber die Kluft zum Genialen 88er war leider immer ziemlich groß.
Keep on rockin‘ and stay tuned, René weiterlesen schließen
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