Reise, Reise - Rammstein Testberichte
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- Cover-Design: sehr gut
- Klangqualität: sehr gut
Tests und Erfahrungsberichte
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RAMMSTEIN IM WANDEL?
01.11.2004, 13:43 Uhr von
MOFFt
Hallo ... ich bin bereits ein "alter Yopi-User" ... zumindest war ich bereits einige Monate dabei...4- Cover-Design: gut
- Klangqualität: sehr gut
Pro:
sie experimentieren, mehr Texte, mehr melodische Klänge, wird von mal zu mal hören immer besser, gute Ballade(n)
Kontra:
teilweise zu wenig harte Riffs, beim ersten Mal hören unerwartet bzw. fast sogar etwas enttäuscht, anders als andere Rammstein Alben.
Empfehlung:
Ja
Endlich ... nach langer Rammstein-Durststrecke (Mutter 2001), kam Ende September 2004 nun ein neues Rammstein-Album mit Titel Reise, Reise in unsere CD-Läden. Zwar bin ich im Zuge der Kopierschutz-Anstrengungen diverser Plattenfirmen und Künstler schon seit langem auf CD-Kauf-Boykott, doch bei Rammstein muss ich eine Ausnahme machen - ohne vorher ein Lied gehört zu haben, musste ich hier einfach zugreifen (und diese CD ist auch mit keinem Kopierschutz versehen)
=ALLGEMEINES===
Kurz bevor die CD erschienen ist, hörte man schon des öfteren zwei Songs von diesem Album ... Mein Teil und Amerika ... ich selbst habe auch diese beiden Songs vorher nicht gehört, doch in MTV o.ä. wurden in letzter Zeit häufig diese beiden Rammstein-Klänge vernommen, vor allem auch da Rammstein diese beiden auch als Singles rausbrachte.
Hier gehts aber um das komplette Album, also zuerst ein paar allgemeine Worte dieser Ausgabe.
Das Cover ist in orange, weiß gehalten mit der Aufschrift Flugrekorder, nicht öffnen. Natürlich sieht man auch Bandname, Logo und Album-Titel. Zwei weiße Streifen gehen quer über den orangen-farbenen Hintergrund. Auf der Rückseite des Cover-Books ist eine Plakete aufgenietet, auf der die Songtitel und deren Dauer stehen.
Im Booklet selbst ist jedem Song eine Seite gewidtmet, jeweils in den Farben weiß, schwarz, orange, wobei die Hintergründe meiner Meinung nach verschiedene rampunierte Flugzeugteile darstellen.
Die CD selbst stellt eine Art Kompass oder Radar dar.
Gekauft hab ich mir die CD bei Amazon um 14,50 EUR. Ebenfalls erhältlich wäre eine limitierte Auflage, die 2 Euro mehr kostet, wobei ich nicht weiß wo da der Unterschied liegt - nur ein Aufdruck?
Egal ... stürzen wir uns gleich mal auf das wichtigste, die Songs ...
=DIE SONGS===
-01- Reise, Reise (04:12 min)
Ein paar Trommeln, dann einige Sekunden Stille bevor Schlagzeug und tiefe, heavy Gitarre(n)riffs im Chorus ertönen. Langsam tönen die Melodien aus den Boxen bis Tills Stimme tief und mit gewohnt rollendem R einsetzt.
Reise, Reise, so der Covertitel der als erster Song eine gekonnte Eröffnung beginnt.
Durchwegs gesprochen, wie wir es von Rammstein kennen, bis auf den Refrain der gesangsähnlich wirklich gut klingt zu den kräftigen Gitarren.
-02- Mein Teil (04:33 min)
Mit einem Schlag beginnen gewohnte, harte Rammstein Riffs und Schlagzeug ... ein paar Takte, dann ruhige Passage im Hintergrund. Im Vordergrund ertönt eine verzerrte, etwas kranke Stimme die einen schnell und unverblümt zum krassen Thema des Songs führt. Der Kanibale bzw. das willige Opfer werden hier besungen.
Auffallend deutlich drängen sich einem die Worte in die Ohren ... heute treff ich einen Herrn, der hat mich zum Fressen gern ... ich esse weiter unter Krämpfen ...
Der Refrain, hart, kräftig unterstützt mit Gitarren, besingt Mein Teil ... denn du bist, was du ißt. Sicher nicht jedermanns Geschmack, vor allem der Text wird wieder manchen schockieren, wie wir es von Rammstein ja gewöhnt sind!
-03- Dalai Lama (05:39 min)
Mit ruhigem Synthesizer und ebenso ruhiger Stimme beginnt der nächste Song, bis langsam das Schlagzeug einsetzt.
Der Refrain kommt gekonnt, gesprochen aber dennoch melodisch, ein interessanter Song mit viel relativ viel Text für Rammstein meiner Meinung nach. Dies ist übrigens eine Eigenheit dieser CD, die mir als doch eher neu in Rammsteins Reihen aufdrängt. Wirkt gut finde ich, ebenso wie die gesungenen Chor-Passagen.
Auf jeden Fall ne Empfehlung für diesen Song.
-04- Keine Lust (03:43 min)
Was ist das für ein Anfang? Nicht dass er schlecht wäre ... aber von Rammstein?
Reine Synthesizerklänge, ruhige, hallende, bis Trommeln und Gitarre einsetzen. Sicher ein völlig neuer Anfang für Rammstein ... es geht um Lust bzw. die fehlende Lust ... keine Lust etwas zu kauen, denn ich hab keine Lust es zu verdauen ... ein Text über den man nicht zu viel nachdenken sollte. Der Song gefällt einen, oder nicht. Empfehlung gebe ich an dieser Stelle keine ab, obwohl er auch zu den Neuheiten von Reise, Reise gehört - auf jeden Fall keine typische Rammstein Manier.
-05- Los (04:24 min)
Und gleich gehts weiter in ähnlicher Art ... völlig neuer Anfang für Rammstein-Songs. Akustische Gitarre! Das soll Rammstein sein? Gut die Stimme von Till kommt einem dann ja vertraut vor, zwar auch gesprochen doch irgendwie völlig neu. Wir waren namenlos, ohne Lieder ... etwas sanglos, sind wir immer noch ... so wird der Anfang Rammsteins beschrieben. Es wurde Zeit ... LOS ...
Und dann setzt auch noch ein verstärkender Bass ein, keine krasse Gitarre, keine heavy Riffs, dafür weiterhin die akustische Gitarre!? Hier wartet man vergeblich auf Rammstein-vertraute Riffs ... doch irgendwie kommt der Song gut - vor allem die Idee finde ich gut!
Sie haben einen Namen ... etwas sanglos - sind wir immer noch ... ihr werdet lautlos ... uns nie los ... so endet der ungewöhnliche Track von Rammsteins neuer Reise, Reise.
-06- Amerika (03:47 min)
Neben Mein Teil ist Amerika der zweite in letzter Zeit häufig gespielter Titel. Beide kamen auch als Singel heraus. Ein sehr kritischer Song über Amerika, die alle führen bzw. beherrschen wollen. Dieses wird als Tanz dargestellt - Amerika lässt die ganze Welt tanzen.
We are all living in Amerika, Amerika ist wunderbar ... Coca-Cola, sometimes war ... ein paar Ausschnitte, die den Song ganz gut beschreiben!
Meiner Meinung nach guter Song, doch sicher auch nicht ganz Rammstein typisch - lässt sich aber gut anhören!
-07- Moskau (04:17 min)
Von Amerika gehts nach Moskau ... die Stadt ist eine Dirne, die es Till angetan hat im siebten Song. Der ganze Song ist durchzogen von deutschen Texten des Sängers und russischen Passagen einer jungen Frau. Ebenfalls völlig neu für Rammstein, könnte man bisher mit nichts vergleichen von ihnen. Echte Rammstein Fans wird der Song schockieren, andere finden ihn sicher gut. Ich lege mich hier irgendwo ins Mittelmaß.
-08- Morgenstern (04:00 min)
Chorgesang leitet den nächsten Song ein, der jedoch schnell wieder in diesmal typischen Rammstein-Stil verfällt.
Sie ist hässlich daß es graut ... Text, Instrumente und abgehackte Instrumente fallen hier in gewohnte Rammstein-Manier. Doch auch hier ist verdächtig viel Text zu vernehmen.
Der Song wirkt er so richtig nach ein paarmal anhören ... Taktwechsel fehlen hier natürlich ebenso wenig wie Tills gewohnte, tiefe, rauhe Stimme. Nach den letzten Song(s) wohl eine Erholung für Hardcore-Rammsteiner ;)
-09- Stein um Stein (03:53 min)
Und weiter gehts mit typischen rammSTEINigen Songs ... der Vergleich mit Klavier drängt sich hier sofort auf. Sowohl von Geschwindigkeit, Wechsel zwischen ruhigen Teilen und aggressiven Abschnitten, als auch vom Text lässt sich Stein um Stein gut mit dem Klavier vergleichen. Er baut ein Haus, ohne Fenster ... Stein um Stein, mauer ich dich ein ... ich werde immer bei dir sein.
Mir persönlich gefällt der Song nur zeitweilig, ebenso wie Klavier.
-10- Ohne dich (04:32 min)
Nach relativ aggressivem Ende von Stein um Stein, werden die Ohren mit einer Ballade besänftigt. Wenn Rammstein einen traurigen Liebessong schreiben, kommt wohl einer wie Ohne Dich raus.
Ein ruhiger, aber hörenswerter vorletzter Track um ihn kurz zu beschreiben mit kräftigen Refrains, langsamen aber starken Gitarren und Gesangseinlagen von Till.
-11- Amour (04:51 min)
Die Liebe wird als wildes Tier besungen ... geht auf Jagdt bei Kuss und Kerzen ... lässt dich fallen weich wie Schnee. Eine ruhige Ballade, die echt gut wirkt und die CD ruhig ausklingen lässt. Ob dieses Ende Rammstein-typisch ist wage ich zu bezweifeln, doch zur CD Reise, Reise passt der Abschluß ganz gut!
Auf jeden Fall ein ebenfalls hörenswerter Song.
=EINDRUCK===
Ich denke die neue Rammstein CD gehört zu den CDs, die einem beim ersten Mal anhören noch nicht vom Hocker reißen, dann aber von mal zu mal besser werden und meiner Einschätzung nach langen Hörspaß garantieren.
Voller Erwartung drückte ich die CD beim ersten mal anhören in meine Anlage und lauschte den Songs, doch ein richtiger Knaller war irgendwie noch nicht dabei ... mir fehlten einfach mehr harte Riffs, es waren zu viele (für Rammstein) unerwartete Songs dabei. Doch schon beim zweiten Mal reinhören wirkte der ein oder andere Songs besser als zuvor und mittlerweile finde ich fast die komplette CD super, interessant und empfehlenswert.
Meiner Meinung nach experimentieren Rammstein ein wenig, jedoch ohne zu viel von ihrem ursprünglichen Stil (Herzeleid, Sehnsucht) abzuweichen. Sie finden eine gute Mischung aus harten Riffs (könnten doch ein paar mehr sein), Texten die teils schockieren andererseits aber zu denken bewegen und auch melodischen Passagen.
Von der Idee finde ich Los wirklich gut, wo sie auf ihre Entstehungsgeschichte eingehen ... wir waren namenlos, ohne Lieder, sanglos, ... sie waren schockiert, ratlos, fassungslos, das wird zensiert ... und später dann ... wir haben einen Namen, die Worte kamen, wir sind nicht klanglos, doch etwas sanglos. Diese Worte verpacken meiner Meinung nach genau deren Eindrücke, die ich Anfangs von ihnen erhalten habe ... etwas schockiert über die Texte, mehr gesprochen als gesungen, doch harte Klänge und Riffs. Mehr und mehr haben sie sich nun aber zu mehr Worte, aber immer noch gute Klänge und harte Riffs hinentwickelt, und einen Namen haben sie sich mittlerweile sicher schon gemacht.
Wie gesagt ... mir gefällt die CD immer besser ... für echte Rammstein Fans sicher ein Muß, wobei man doch vorher mal reinhören sollte, da sie vor allem im Vergleich zu Herzeleid und Sehnsucht doch sehr anders ist. Gebt dem Album jedoch die Chance ein zweites oder drittes Mal reinzuhören, ich denke vielen wird es ähnlich ergehen und die Songs wirken immer besser und besser.
Ich find mittlerweile viele Texte von Rammstein gut, da sie viele Dinge kritisch betrachten, andere wieder einfach so hart wie sie in real auch sind dem Hörer reindreschen mit harten Riffs. Klar, schockieren bringt Propaganda, doch die Texte sagen etwas aus - auch wenn es bei Rammstein Songs nicht immer leicht zu interpretieren ist.
An dieser Stelle also für die neue Rammstein CD eine Empfehlung mit einem kleinen Vorbehalt sich die CD erst mal anzuhören, da sie meiner Meinung nach doch schon teilweise stark von deren Anfangs-Stil abweicht.
Dank fürs Lesen ... viel Spass beim Reisen mit Rammstein ...
... heute schon geMOFFt? weiterlesen schließen -
Und die Wellen weinen leise...
3- Cover-Design: gut
- Klangqualität: sehr gut
Pro:
Drei Songs
Kontra:
Till
Empfehlung:
Ja
Jetzt ist es passiert. Auf dem Vorgänger, „Mutter“, hatte es sich schon abgezeichnet, doch so recht dran glauben wollte ich eigentlich nicht. Und doch: „Reise, Reise“ entspricht genau meinen Erwartungen. Ist das jetzt gut oder schlecht? Beides. Und das ist schade.
Die besorgniserregende Entwicklung, von der ich spreche: Band vs. Gesang, Till Lindemann gegen den Rest der Welt. „Reise, Reise“ ist musikalisch so meilenweit entwickelt, dass es fasziniert. Gleichzeitig hat sich Till seit den Gründungstagen der Band so gut wie gar nicht entwickelt – und: Hand auf´s Herz, „Reise, Reise“ ist viel zu gut für seine Darbietung. Meist zu einfallsreich für seine Texte. Zu originell für unorginelle Urtrieb-Gesänge und rollende R´s wie im zweiten Weltkrieg. Ein Klotz am Bein.
So ist „Reise, Reise“ beides geworden: Anbetungswürdig und fürchterlich. Ein schizophrenes Album.
Die Frage ist natürlich: Wären Rammstein ohne Till Lindemann noch Rammstein? Die Antwort ist denkbar einfach: Nein. Es gibt verschiedene Lösungswege. Neuer Sänger, Neuer Name. Oder die Rückbesinnung auf alte Tage. Warum nicht nochmal an das Debüt „Herzeleid“ anknüpfen? Die perfekte Symbiose. Da haben Rammstein noch miteinander Lieder aufgenommen und nicht gegeneinander. Von mir aus auch „Sehnsucht“, Pt. II. War ja im Grunde auch kein schlechtes Album. Auf „Mutter“ gab es schon erste Probleme, wenn auch nur dezent. Natürlich: Songs, wie „Mein Herz Brennt“ oder „Sonne“ wären ohne einen Till Lindemann nicht halb so packend gewesen. Doch andererseits wären Kunststücke wie „Mutter“, „Spieluhr“ oder der bis dato schönste Rammstein-Song „Nebel“ noch viel, viel besser geworden.
Gespannt darf man sein, wie die Fans „Reise, Reise“ aufnehmen werden, denn Experimentierfreudigkeit wird selten belohnt. Vielleicht ein gutes Mittel Rammstein die Wurzeln wieder schmackhaft zu machen. Man kann nur hoffen, dass ihr künstlerischer Anspruch noch nicht allzu groß geworden ist. Doch „Reise, Reise“ lässt anderes vermuten. Zumal es auch letztlich schade wäre, die Weiterentwicklung von diesem Album nie zu Ohren zu bekommen. Hin- und hergerissen. „Reise, Reise“ ist einerseits klar das beste Album der Band, andererseits auch klar das Schlechteste. Und das auch nur, weil man aus dem Album in anderer Besetzung so viel mehr hätte machen können. Ein Jammer.
Soll man dankbar sein, für die guten Ansätze oder traurig, weil man die Ansätze wegen Lächerlichkeiten nicht ausbauen konnte?
Eigentlich passt das ganz gut ins Bild, denn wenn Rammstein eines immer waren, dann kontrovers. Letztlich habe ich auch nur ein Luxusproblem mit der Band. Trotzdem: Rammstein stehen an der Schwelle. Den Sprung in neue Dimensionen wagen. Oder in der Vergangenheit bleiben und der Zukunft schüchtern hinterher winken. Wie das Ganze ausgeht, kann man sich denken: Rammstein werden sich entweder auflösen (schließlich kriselte es schon vor diesem Album gewaltig) oder weiter den faulen Kompromiss zwischen Weiterentwicklung und auf der Stelle treten ausleben. Beide Aussichten sind nicht besonders rosig.
Reise, Reise.
Witzig ist, dass das Album unter dem Kopfhörer eine enorme Detailverliebtheit an den Tag legt, über die man sonst so schön hinweghören kann. Schon allein der Opener und Titeltrack birgt mehr Details in sich, als ein Album wie „Sehnsucht“ insgesamt. Wie auch schon auf dem letzten Album „Mutter“, haben Rammsten für den Opener ein Orchester engagiert. Allerdings diesmal nicht, um den „Kashmir“-Vergleich noch offensichtlicher zu machen, sondern diesmal um den schleppenden Grundtun des Songs besser zu untermalen.
Insgesamt ist „Reise, Reise“ ein ziemlich typischer Rammstein-Track mit dem bekannten Seeman-Motiv. Ein paar schöne Textzeilen, majestätisch, pathetisch. Und doch ziemlich handzahm. Etwas, was sich später auf dem Album noch öfter bestätigen wird, deutet sich hier schon an: Die Gitarrenarbeit ist ziemlich amerikanisch geworden. Eigentlich eine gute Idee, die typischen und legendären Rammstein-Riffs um ein nu-metallisches Element zu erweitern. Insgesamt ein guter Song, der zum Ohrwurm mutiert. Nicht nur, weil der Titel so abgrundtief böse ist.
Um die erste Single gab es einen großen Aufruhr. Kein Wunder, wenn man sich mit einem Thema auseinandersetzt, welches die Medien und auch die Bevölkerung mit Ekel aufnahmen (Die olle Kannibalen-Story). Schön wenigstens, dass Rammstein das Stück nicht als Auskopplung geplant hatten, sondern die Plattenfirma darauf bestand, „Mein Teil“ als erste Vorabsingle zu präsentieren. Letztlich ist die Wahl nicht so wichtig, denn musikalisch gesehen gibt es auf „Reise, Reise“ keine typischen Singles. Eigentlich wäre jeder Song recht gewesen – und keiner, doch dieser weckt nunmal Interesse und Aufsehen. Man musste wirklich hinter dem Mond leben, um nicht von der Promokampagne erfasst zu werden. Vorallem die Bild-Zeitung tat sich hier positv hervor. Jetzt, wo es eine neuerliche Kannibalen-Geschichte gab, wird der ganze Staub wohl nochmal aufgewirbelt.
Musikalisch ein toller Song – mit einer Ausnahme. Der Refrain. Hier macht Herr Lindemann alles kaputt. Dieses urtypische, leicht schräge Geseier - „Es ist mein Teil“. Da hilft auch der charmante Stotterer zwischendurch nichts. Ansonsten ideenreich wie selten. Die verzerrte Strophe, die Keyboardteppiche (Stichwort: Chor) über den Riffs. Die auseinandergefetzte Bridge („Denn du bist, was du isst...“). Solch einen Song hätten Rammstein vor ein paar Jahren niemals aufgenommen. Schlicht aus dem Grund, dass ihnen die Idee gefehlt hätte. Allerdings hat man auch hier immer das Gefühl: Da geht mehr. Rammstein klemmen sich zu sehr ins Songkorsett und wollen die ominöse Schwelle einfach nicht übertreten. Ihre Entscheidung.
„Dalai Lama“ bildet zusammen mit „Los“ und „Stein Um Stein“ die Achse des Guten.
Für Rammstein-Verhältnisse ist erstgenannter Song richtg clever arrangiert. Spannend durch die leisen, fiesen Clean-Gitarren, das böse Erwachen durch die fetten Stakkato-Riffs. Netter Rhythmus. Dazu kommt noch die ein oder andere fiese Überraschung, z.b. die netten Keyboardmelodien von Flake Lorenz oder der ein oder andere Versetzer. Unauffällig eingestrickt und dadurch ziemlich groß.
Oh Wunder, der Text kann mit der musikalischen Qualität mithalten. Eine tragische Geschichte, schön verpackt in ein originelles Grundfundament. Eng verknüpft mit dem Artwork – Flugschreiber, etc. - zumindest mehr als der Titeltrack. Schön kryptisch „Dalai Lama“ betitelt – hier passt alles. Bis auf Till Lindemann. Seine übertriebenen R-Roller und sein normaler Strophengesang werten den Song einfach ab. So leid es mir tut. Auch wenn er sich wirklich Mühe gibt. Stichwort: Chor. In so hohen Sphären würde man den Guten (?) niemals wähnen. Trotzdem etwas deplaziert. Dennoch ein Song, den man uneingeschränkt gut finden kann. Tills´s Stimme läuft unter Kollateralschaden.
Auch „Los“ ist unglaublich gut. Und zeigt, wie locker Rammstein an die ganze Sache rangehen. Erfrischend, ungewöhnlich und einfach lecker. Hätte „Reise, Reise“ nur Songs von diesem Kaliber zu bieten, dann wäre das Ding auf jeden Fall ein „Album des Jahres“-Kandidat. „Los“ beschreibt die bisherige Bandgeschichte ganz gut und ist textlich im Gegensatz zu anderen Retrospektiven überhaupt nicht peinlich. Vorallem die Selbstironie („Etwas sanglos sind wir immer noch...“) ist super – und zeigt das Dilemma, welches ich schon ansprach, super auf. Nach solch einer Selbsteinschätzung kann man Till eigentlich nicht wirklich sauer sein. Nur ein bisschen.
Der Song wird nur von Akustikgitarren vorangetrieben und überzeugt durch coole, lockere Vibes, die fast schon etwas Country-artiges an sich haben. Ganz Groß: Die Tarantino-Gitarren zwischendurch. Dazu das gewohnt trockene Drumming von Christoph Schneider. Jawoll!
„Stein um Stein“ dagegen ist sicherlich Geschmackssache. Ich liebe den Song wegen dem endlos fiesen Text („Stein um Stein mauer ich dich ein“) und den kontrollierten Gitarrenausbrüchen beim Refrain. Hat was von dieser „Heirate Mich“-Ästhethik, nur noch krasser. Die Gitarren sind auch hier betont amerikanisch und klingen erstaunlich unteutonisch. Gut so. Und dann noch die Steigerung incl. Soundeffekten. Super. Auch dank Till. Komisch, nicht? Vielleicht verbindet mich doch so eine Art Hassliebe mit ihm. Hier kommt sogar der unendliche Pathos nicht übertrieben, sonst trägt zum Wohlbefinden bei.
Damit wären die Songwunder geklärt. Ganz klar das Beste, was Rammstein je auf Band gebracht haben. Doch leider gibt es da noch ein paar Songs mehr, die sich meistens nicht mit Ruhm bekleckern.
Da hätten wir „Keine Lust“ - Auch hier ist es eigentlich nur der Text und Till, die den Song völlig zerstören. Musikalisch ist das hektische Ding mit den tiefen Riffs und schönen Synth-Klängen gar wunderbar. Aber sonst? Legen wir das Mäntelchen des Schweigens darüber. Da hilft auch das süß-trotzige „Nein, ich hab keine Lust“ nicht. Könnte man eigentlich ausschneiden und runterspülen. Aber da CDs so empfindlich sind...
„Amerika“ dürfte inzwischen auch mehr als hinlänglich bekannt sein. Ein Song, der eigentlich gar nichts kann, außer Anerkennung für seine politischen Aussage zu bekommen. Und deshalb wichtig. Schön zur Daseinsberechtigung gestichelt. Natürlich ist das Ding auch ein Ohrwurm, aber mehr so einer den man nicht haben möchte. Den man doof findet, aber gegen den man nichts tun kann.
Cool: Die offensichtlichen Nu Metal-Riffs gegen Ende. Und die beißende Ironie. Letztlich wahrscheinlich der richtige Holzhammer. Natürlich hätte man die Kritik an „Amerika“ graziler verpacken können, aber Zeilen wie „Coca-Cola, Sometimes War“ haben schon was für sich. Warum nicht? Bin mal gespannt, wie das Stück in den USA aufgenommen wird. Könnte kommerzieller Selbstmord gewesen sein. Oder das genaue Gegenteil. Wird sich noch rausstellen, ob Rammstein das Richtige gemacht haben...
...gönnen würde ich es ihnen trotz Songs wie „Keine Lust“ oder „Morgenstern“. Letzter ist wohl der Blasseste auf „Reise, Reise“. Zuviel Pathos, aber abgesehen davon völlig unspektakulär. Wiederrum nette Stakkato-Riffs und der Refrain wird ebenfalls ordentlich gesteigert, aber ansonsten bietet der Song relativ wenig. Jedenfalls nichts, über das es sich noch zu berichten lohnen würde.
Ähnlich wie „Ohne Dich“ - der zweite Ausfall. Dass Rammstein richtige Lovesongs schreiben können, zeigte damals schon „Nebel“ (für mich immer noch einer der besten Rammstein-Songs überhaupt, auch auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen) und zeigt diesmal auch „Amour“ - „Ohne Dich“ hat da einfach keine Chance. Zu Wischi, zu waschi, zu pathetisch, theatralisch, nennt es, wie ihr wollt, ich nenne es jedenfalls langweilig. Nicht ansprechend, weil kein Haken bei der Sache ist. „Amour“ ist tragisch, „Nebel“ auch, „Ohne Dich“ ist einfach nur doof. Schade.
Um den Faden wieder aufzugreifen: „Amour“. Ein toller Song. Zwar nicht wirklich liebevoll, aber doch irgendwie gemein und teilweise sogar wahr. Das, was das Stück so toll macht, ist vorallem der Schluss: „Bitte, Bitte, gib mir Gift“. Denn „Die Liebe ist ein wildes Tier“. Ein unschönes Ende. Oder doch so toll? Jedenfalls gibt es dem Stück das gewisse Etwas, das „Ohne Dich“ fehlt. Warum nicht gleich so? Zehn Songs hätten es auch getan. Schließlich ist „Reise, Reise“ für Rammstein-Verhältnisse mit 50 Minuten ganz gut proportioniert.
Bleibt noch ein weiterer strittiger Song namens „Moskau“. Nichts dagegen, wenn man eine Ode an eine Stadt schreibt. Und auch nichts dagegen, wenn man eine Frau als Bild für die Stadt besingt, aber irgendwie ist mir der Text zu konkret. Zumal man auch ohne den Titel „Moskau“ sofort wissen würde, um welches Stadt es sich handelt. Dazu gibt es noch eine Gastsängerin, die dem ganzen einen deutlichen T.A.T.U.-Anstrich gibt. Steht Rammstein allerdings ganz gut zu Gesicht. Ansonsten ist der Song ein flockiger Rocker und der schnellste Song auf „Reise, Reise“. Und dennoch will mir das Ding nicht uneingeschränkt gefallen. Mal hui, mal pfui. Kontrovers. Wie Rammstein eben sind.
Wir halten fest: Viel Licht, viel Schatten. Ein komisches Verhältnis. Letztlich brachten es Spinal Tap schon Anfang der Achtziger auf den Punkt: „There Is Such A Thin Line Between Stupid And Clever...“ - wie wahr, wie wahr.
Was insgesamt gesehen auch interessant ist: „Reise, Reise“ ist ziemlich ruhig geworden. Außer „Stein um Stein“ gibt es keinen wirklich harten Song. „Mein Teil“ ist nur stellenweise wirklich hart (Ha, ein Wortspiel vor dem Herrn!), ansonsten gibt es schleppende oder schnell-poppige Kost. Letztlich macht das aber nichts aus, denn richtig harte Songs können Rammstein seit „Herzeleid“ nicht mehr schreiben. Und die Scheibe ist ja bekanntlich auch schon wieder fast zehn Jahre alt. Wie doch die Zeit vergeht...
Es fällt ebenfalls auf, dass sich Rammstein und Jacob Hellner bei der Produktion doch merklich zurückgehalten haben. Natürlich verlangt „Reise, Reise“ keinen Megabreitwandsound, wie „Mutter“ damals, da die CD generell reduzierter ist, aber es ist schön, dass die Jungs nicht der Versuchung erlegen sind, das Ding gnadenlos zu überproduzieren. Da wo es nötig ist, drückt der Sound immer noch mehr als nötig, doch dezentere Songs wie „Los“ sind ebenfalls genau richtig ausbalanciert. Respekt, dass das wieder so wunderbar hingeghauen hat. Hätte nicht gedacht, dass die Band nach „Mutter“ noch dazu fähig ist, die Produktion etwas zurückzufahren.
Ich bin gespannt, wohin die Reise, Reise Rammstein noch führen wird. Interessant wird es wohl in jedem Fall werden, denn mit diesem Album hat die Band endgültig bewiesen, dass sie eine der außergewöhnlichsten Bands Deutschlands sind. Und zwar nicht nur was das Image angeht. Vorallem musikalisch. Nur zu allem Überfluss mit dem falschen Sänger gesegnet.
Schicksal. Zufall. Absicht? Wer weiß das schon...
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RAMMSTEN – Reise, Reise
(Universal, 2004)
01. Reise, Reise
02. Mein Teil
03. Dalai Lama
04. Keine Lust
05. Los
06. Amerika
07. Moskau
08. Morgenstern
09. Stein Um Stein
10. Ohne Dich
11. Amour weiterlesen schließenKommentare & Bewertungen
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campimo, 27.05.2006, 10:48 Uhr
Bewertung: sehr hilfreich
Sehr schöner tiefgründiger Bericht. Einziger Kritikpunkt: Als Nichtkenner muß man sich erst eine Weile einlesen, bevor man bemerkt ob Reise,Reise ein Album oder eine Maxi ist. Aber das ist bei der schönen Analyse und Meinung nicht schlimm, daher trotzdem e
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moniseiki, 19.03.2006, 21:58 Uhr
Bewertung: sehr hilfreich
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anonym, 19.03.2006, 16:52 Uhr
Bewertung: sehr hilfreich
Und schon gegengelesen... LG, Marianne ;-)
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anonym, 19.03.2006, 16:39 Uhr
Bewertung: sehr hilfreich
*** sh & Lg *** Christina :)
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