Pro:
Umfangreiche Recherchearbeit bis ins Kleinste; Sensibilisierung für ökologische Zusammenhänge
Kontra:
Aufgebläht mit ausufernden wissenschaftlichen Details und aussagearmen Nebenhandlungen; flache, klischeehafte Charaktere; ärgerlicher Schluss ohne wirkliche Überraschung
Empfehlung:
Nein
Literarische oder filmische Katastrophenszenarien und Endzeitvisionen scheinen den Menschen von je her anzuziehen. Ob nun die Bedrohung aus den Tiefen des Alls - also von irgendwelchen wild gewordenen Aliens ausgeht -, das Übel von einem aus der Bahn geratenen Meteoriten veranlasst wird, oder möglicherweise der ganze Schlamassel der die Menschheit an den Rand der Ausrottung bringen könnte, sich durch Erdbeben, Vulkanausbrüche, Überschwemmungen oder dramatische, klimatische Veränderungen äußert – also eher Hausgemacht ist – eines ist sicher: Das alles hat halt immer irgendwie etwas von einem faszinierenden, überdimensionierten Autounfall an sich, bei dem es den meisten Betrachtern unmöglich scheint nicht wenigstens einen kurzen Blick zu riskieren, um aber gleichzeitig zu hoffen, dass man selber davon möglichst verschont bleibe.
Frank Schätzing, der mit „Tod und Teufel“ ein viel beachtetes Debüt vorweisen kann, fabrizierte in seinem von ihm in fünfjähriger Recherchearbeit entwickelten Öko-Triller DER SCHWARM so etwas wie ein Mittelding zwischen abgedrehter utopischer Science-Fiction und einem realistischeren Szenario, vor dem viele Experten immer wieder warnen, und dessen wirkliches Eintreffen sozusagen alles andere als weit hergeholt scheint. Schätzing machte sich schlau bevor er ans Werk ging, und sammelte eine lange Liste von Insiderwissen an, ehe er seine Variante eines riesigen Desasters einer biblischen Plage gleich wahr werden- und unseren Planeten heimsuchen lässt. Der Mensch als vermeintliche Krone der Schöpfung muss dieser heraufziehenden Gefahr entgegentreten, die sich schließlich als seine bisher größte Herausforderung herauskristallisiert. Daran hängt nicht mehr und nicht weniger die alles entscheidende Frage, ob die eigene Spezies imstande sein wird zu überleben.
– Die Handlung
An verschiedensten Stellen auf der ganzen Welt beginnt sich das Unheil abzuzeichnen. Zuerst unmerklich – im Verborgenen. Dann aber mit unübersehbaren erschreckenden Folgen für ein stabiles globales Zusammenwirken, das Leben wie wir es kennen auf der Erde erst möglich gemacht hat.
Der Biologe und Genussmensch Singur Johanson, wird von einer guten Freundin im Auftrag einer Ölbohrfirma angeheuert, die bei der Suche nach neuen Bohrgründen vor Norwegen auf einen mysteriösen Wurm gestoßen ist, der sich rapide auf dem Meeresboden verbreitet hat. Als Johanson die Würmer untersucht stellt er schnell fest, dass mit den Tieren etwas nicht stimmt: Diese Art dürfte es so eigentlich gar nicht geben. Der Biologe gibt der Ölfirma den Rat die Borungen einzustellen solange nicht geklärt ist, ob das massenhafte Auftreten des Wurmes ein Sicherheitsrisiko in sich birgt.
Zur selben Zeit macht der Walforscher Leon Anawak, der sich mit seiner Abstammung als eingeborener Inuit (Eskimo) sichtlich schwer tut, seinerseits seltsame Beobachtungen. Erst kommen die Wale von ihrer weiten Wanderung nicht rechtzeitig zurück, als er mit dem Boot und einer Besatzung von gut zahlenden Touristen die See absucht. Dann, als sie doch noch verspätet eintreffen, spielen die Meeressäuger komplett verrückt. Völlig unvermittelt greifen sie die Boote an. Diese Attacken sind ungemein raffiniert geplant und die Ausführung zeugt von hoher Effizienz und Erbarmungslosigkeit. Im weiteren Verlauf stellt sich heraus, dass es sich keineswegs um einen Einzelfall handelt, sondern dieses Phänomen weltweit auftritt. Sogar größere Schiffe werden im Zusammenspiel mit sich am Rumpf festsetzenden Muscheln in die Knie gezwungen, sodass der Schifffahrtsverkehr langsam zum erliegen kommt.
Als Anawak der Geschichte genauer auf den Grund gehen will wird plötzlich klar, dass sich das Militär für die sich hereinbrechenden, ungewöhnlichen Ereignisse interessiert. Alles scheint irgendwie miteinander verknüpft zu sein. Doch bevor die Wissenschaftler hinter die Zusammenhänge kommen, ist es auch schon zu spät: Die Westküste von Europa wird durch einen ungeheuren Tsunami weggespült, dessen Auslöser tatsächlich in den ominösen Würmern steckt, die zu Abermillionen den Meeresgrund destabilisieren. Doch das ist nur der Anfang von einem voraussichtlich nicht mehr abwendbarem Ende: Auf der ganzen Welt scheint ein Horrorszenario dem Nächsten zu folgen. Die Angriffswelle kommt samt und sonders aus den Ozeanen, und diese Attacken scheinen von einer ungemein einfallsreichen Intelligenz geleitet. Was steckt dahinter? Und können die in aller Eile zusammengetrommelten Wissenschaftler noch das herannahende Armageddon abwenden, das wie ein Damoklesschwert über der Menschheit schwebt...
- Die Kritik
Das Interesse am Thema ist groß. Wie anders ist es sonnst zu erklären, dass sich Schätzings Öko-Thriller über Wochen und Monate mit Dan Browns Verschwörungsgeschichte „Sakrileg“ um die Spitze der Bestsellerlisten prügelt? Die traurigen Begebenheiten die jüngst erst wieder deutlich zeigten, wie leicht der Mensch zum Spielball einer verheerenden Zerstörungsgewalt von Mutter Natur werden kann, kurbeln diesen Gesichtspunkt ohne Zweifel noch einmal so richtig an. Denn fast schon in der Manier eines Propheten zeichnet der Autor ein Szenario, das die Wirklichkeit nunmehr teilweise einzuholen begann, auch wenn er sich in manchem Detail doch ein wenig irrte. So schreibt er, dass die Region der Philippinen und Südostasiens mit dem Phänomen der Tsunamis wohl besser zurechtkäme, als wenn ein derartiges Ereignis z.B. vor der Küste Europas stattfände, da diese Gegend derartige Naturschauspiele von je her eher gewöhnt sei und auch Frühwarnsysteme besser funktionieren würden.
Doch solche Fehleinschätzungen kann man Schätzing natürlich nicht unbedingt zum Vorwurf machen. Zum Vorwurf machen kann man ihm dagegen eher schon, dass er sich aus unzähligen insiderbezogener Quellen bediente, diese dann aber für die überwiegende Mehrheit der Leserschaft nicht ausreichend auf ein allgemein verständliches Vokabular herunterrechnete. Sicherlich ist zu spüren, dass sich der Autor bemühte komplizierte Zusammenhänge vorzugsweise in der Meeresbiologie anschaulich zu vermitteln. Leider ist ihm das nur selten gelungen, sodass seine Erklärungsversuche immer noch viel zu umfangreich, ausschweifend und kompliziert ausfallen.
Doch auch die Handlung, die von Anfang an sich an den einzelnen, recht unterschiedlichen Charakteren festmacht, und die jeweils an verschiedenen – immer wieder wechselten - Schauplätzen spiel, ist nicht unbedingt ein Ausbund an geradliniger, vorankommender Schreibweise. Manch Nebenstrang der eigentlich einer tieferen Beleuchtung der einzelnen Figuren dienen sollte, wirkt im Nachhinein eher belanglos und auf zig Seiten unnötig ausgewalzt. Die Spannung die zweifellos sich daraus nährt, was das Geheimnis der beginnenden globalen Veränderungen ist, und wer sich dahinter wohl verbergen mag, sackt so ein ums andere Mal bis ins Bodenlose bzw. die Tiefsee ab.
Hier wurden leider gute Ansätze und viel Potenzial in den Wind geschossen. Ein Lektorrat das sich nicht hätte scheuen lassen sollen, rigoros mit dem Rotstift durch die Kapitel zu streichen, hätte meiner Meinung nach wahre Wunder, oder zumindest eine deutliche Verbesserung bewirkt. Es dauert z.B. oftmals viel zu lange bis ein Erzählstrang, der an einer besonders spannenden Stelle abgebrochen wird, dann irgendwann wieder weitergeführt wird, sodass sich die Geschichte als Ganzes völlig unnötig in die Länge zieht. Vergleicht man das von mir schon erwähnte Werk Dan Browns und seine darin enthaltende, packende Cliffhanger-Eigenschaften (ein gutes Beispiel wie ich finde), so bleibt festzustellen, dass bei Schätzig in dieser wichtigen Beziehung vieles im Argen liegt. Darüber können auch seine eingebrachten, von akribischer Detailverliebtheit zeugenden Fachkenntnisse zum Thema Meereskunde nicht hinwegtäuschen.
Man quält sich einfach ein ums andere Mal durch Abhandlungen die zwar jederzeit durchdacht, aber bedauerlicherweise viel zu selten wirklich mitreißend sind. Abschnitte die etwa der Identitäts- und Selbstfindungssuche des Indianers Anawak auf den Grund gehen sollen, oder jene bei der der Biologe Johanson darüber sinniert, ob er im Leben alles richtig gemacht hat, sind ja schön und gut. Wenn diese Geschichten dann aber erst mächtig aufgebläht werden, und man als Leser schnell merkt, dass auch ein ähnlicher passenden Effekt mit einem viel bescheidenen Anriss solcher Nebenhandlungen erzielt worden wäre, dann ist das schon ziemlich ärgerlich.
Des Weiteren mäkelt Herr Schätzing geflissentlich an Hollywood-Produktionen zum Thema herum, vergisst aber gleichzeitig, dass er selbige als Aufhänger und Inspirationsquelle seiner eigenen Arbeit in Anspruch nimmt. So könnte eine Mischung von James Camerons Tiefseeabenteuer „The Abyss“ und die nach außerirdischer Lebensform fahndende Si-Fi Mär „Contact“, vorliegendes Szenario gar nicht mal schlecht beschreiben. Doch von einer etwaigen Würdigung weit und breit keine Spur. Der Autor kehrt vielmehr immer wieder den Schulmeister heraus, wenn er diese und andere Genre-Filme zum Anlass nimmt, das Ganze als unrealistisches Geplänkel aus der Traumfabrik abzuwerten. Dazu fiele mir allenfalls nur noch eine einzige passende Antwort ein: Nämlich dass derjenige der im Glashaus sitzt, besser nicht mit Steinen werfen sollte.
Richtiggehend actionlastig wird das Geschehen dann doch noch, wenn auch erst kurz vor dem Finale, in dem es Schätzing (fast schon ein wenig überraschend) mächtig krachen lässt. Versöhnen wird dieser - jetzt endlich in kurzen Kapiteln zelebrierte Showdown – wohl niemand mehr so recht. Schon auf Grund dessen, da der Autor es nicht lassen konnte ganz am Schluss in einem esoterischen, eher unglücklichen Mischmasch, dem Leser seine ureigenste Sichtweise einer möglichen Weltanschauung aufs Auge zu drücken.
Sicher – bei vielen mag die Rechnung aufgehen, und der Autor stößt bei diesem Publikum mit seiner Aussage auf offene Augen und Ohren. Wenn der Autor dadurch ein verstärktes Nachdenken, sowie eine Sensibilisierung für die untrennbaren Zusammenhänge das komplexe Ökosystem in dem wir leben betreffend schafft, dann meinen uneingeschränkten Glückwunsch. Einen von vorne bis hinten mitreißenden Roman zu Wege zu bringen, bei dem man einfach mitfiebert, ist da aber schon eine andere, mindestens genauso wichtige Disziplin. Bei mir wirkte weder das Eine noch das Andere so richtig. Da ist es fast schon ein wenig schade um die Zeit die es brauchte sich durch den dicken Wälzer hindurchzuarbeiten.
Das Fazit
Wer’s bisher immer noch nicht gemerkt haben sollte: Schätzing – selbst begeisterter Hobbytaucher und Anhänger des nassen Elements – konnte mir einfach zu keinem Zeitpunkt das Gefühl geben, das Buch nicht aus er Hand zu legen. Umgekehrt allerdings dann schon eher. Das allein spricht schon eine überaus deutliche Sprache. Charaktere, die nie wirklich Tiefe erfahren (außer sie saufen auf offener See ab) auch wenn der Autor noch so viel über sie schreibt; wissenschaftliche Abhandlungen, die über das Verständnis wohl eines jeden hinausgehen, dem nicht gerade Schwimmflossen zwischen Finger und Zehen wachsen, trüben diese von Gigantomanie befallene Wasserschlacht doch ungemein, und machen sie nur schwer verdaulich.
Da ist es beinahe bezeichnend, dass sich der Autor aus dem Fundus erfolgreicher Hollywood-Filme bedient, an diesen wiederum aber kaum ein gutes Haar lässt. Die im Vorfeld erstellte, umfangreiche Recherchearbeit wurde ohne Rücksicht auf Ausgewogenheit auf Teufel komm raus verbraten. Das ist umso trauriger, weil das Talent Schätzings zum Schreiben durchaus vorhanden ist, und dieses sich immer wieder durch einen heillos aufgeplusterten Plot ins rechte Licht zu rücken versucht.
Für eine Wissenschaftliche Dissertation hätte Frank Schätzings 1000 Seiten Epos meine ungeteilte Anerkennung und volle fünf Sterne eingeheimst. Für ein fantastisches und spannendes Stück Literatur, das vornehmlich und in erster Linie der Unterhaltung dienen sollte, muss es sich freilich mit (m)einer immer noch wohlwollenden Bewertung von knappen drei Sternen zufrieden geben.
© winterspiegel für Ciao & Yopi
Frank Schätzing
Der Schwarm
Roman
Kiepenheuer & Witsch Verlag
1000 Seiten
Preis: ca. 25 € weiterlesen schließen
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