Pro:
Komödiantische Situationen sind vorprogrammiert.
Kontra:
Der Rote Knopf erfüllt seine Aufgabe nicht.
Empfehlung:
Ja
Auch Net-Süchtige verlassen ab und an das Haus, zwangsläufig spätestens immer dann, wenn sich der kleine Hunger zwischendurch bemerkbar macht. Dann ist das Nächstliegende gerade gut genug - in meinem Fall der TENGELMANN in München Schwabing am Kurfürstenplatz.
Die Ladenkette TENGELMANN (mein Naturalien-Provider) hat sich in Sachen KUNDENSERVICE etwas Neues einfallen lassen, womit sie sich aufs Amüsanteste von der Konkurrenz abhebt: Bei den Kassen hängt dort nämlich neuerdings ein dicker, fetter roter Knopf von der Ladendecke. Auf einem kleinen Schildchen wird die Neuerung dem USER erklärt. Sinngemäß etwa: "Lieber Kunde, um unseren Service zu verbessern, bieten wir Ihnen im Bedarfsfall die Möglichkeit, weiteres Kassenpersonal anzufordern". Tolle Einrichtung auf den ersten Blick, ist man doch des ewigen Schlangestehens und Wartens überdrüssig.
Von den drei Kassen, die mein TENGELMANN als Nadelöhr zum Ausgang anbietet, ist auch zu Hauptgeschäftszeiten immer nur eine, nämlich die Mittlere, besetzt. Dementsprechend lang ist die Warteschlange. Interessant nun zu beobachten, wie sich die schlangestehende Kundschaft diesem ROTEN KNOPF gegenüber verhält. Die meisten Wartenden blicken zwar ehrfurchtsvoll und neugierig zu ihm empor, trauen sich jedoch nicht, ihn zu berühren. Man will ja schließlich nicht den allseits eingeschliffenen Lauf der Dinge durcheinander bringen (ich nehme an, das sind größtenteils die CDU/CSU Wähler).
Nassforsche Medienpraktikantinnen und Rot/Grün Wähler hingegen stürzen sich auf den ROTEN KNOPF, vermittelt er ihnen doch das vermeintlich befriedigende Gefühl, Kontrolle ausüben zu können, eben "am Drücker" zu sein. FDP Wähler drücken den Knopf nicht selber; sie bitten den Vordermann darum. REPS malträtieren den ROTEN KNOPF mit Bierflaschen. So es denn in München überhaupt PDS Wähler und TENGELMANN-KUNDEN in Personalunion gäbe, forderten sie bestimmt für jeden Shopper einen ROTEN KNOPF bereits am Eingang (Der rote Begrüßungsknopf). Der Herrgott hat einen bunten Tiergarten.
Ich drücke diesen ROTEN KNOPF jedes Mal wenn ich bei TENGELMANN einkaufe, nicht aus politischer Überzeugung, sondern weil sich bei mir seit dem Verlassen meines Computers die ersten Entzugserscheinungen bemerkbar machen. Ich kann hier etwas ANKLICKEN - geil. Das ist wie Methadon - eine Ersatzdroge. Dafür bin ich TENGELMANN unendlich dankbar.
Egal welch politischer Couleur, passieren tut eh nichts. Wer da angenommen haben mag, kassierwütige Filialleiter würden herbeigestürzt kommen, um den versprochenen Kundenservice in die Tat umzusetzen, der irrt gewaltig. Stattdessen dröhnt eine unüberhörbar laute Bimmel in penetranten Intervallen durchs ganze Geschäft und manch ahnungsloser Kunde mag erschrocken mutmaßen, die Ladenkasse sei überfallen worden und jemand habe Alarm ausgelöst.
Die ersten Kunden verziehen missmutig und lärmgeplagt ihre Gesichter und halten sich die Ohren zu. Andere drehen sich fragwürdig verdutzt zu ihren Hintermännern/-frauen in der Schlange um. Blickkontakte und zaghaft verunsichertes Lächeln in einer ansonsten von Anonymität und stoischen "stone-face" Mentalität beherrschten Gesellschaft machen sich breit. Die Leute in der Schlange fangen plötzlich sogar an, sich miteinander zu unterhalten. Es ist sehr kommunikativ.
Typische Dialogfetzen in der Warteschlange:
"Was soll der Schmarrn, wenn keiner kommt?".
"Das ist doch alles bloß Verarsche!"
"Wie kann man denn das wieder abstellen?".
"Sans an Elegtrigor oda wos?"
"Wo bleibt denn die Polizei solange?".
"Ist jemand verletzt?".
"Welcher Depp hat den Alarmknopf druckt?".
"Brennen dürft's hier aber au net, gell?".
Im Regelfall nach etwa sieben Minuten stürzt ein Azubi herbei, mit hochrotem Kopf, als habe man ihn gerade auf der Toilette beim Rauchen erwischt. Die Schlange der Wartenden teilt sich schnurstracks auf; ein Teil hastet voreilig zur rechten Kasse, der andere Teil stürzt überhastet zur linken Kasse. Die Chancen: Fifty-Fifty. Die Vordersten an der besetzten Kasse winken dankend ab und verharren geduldig auch weiterhin in der Mitte.
Sport, Spiel, Spannung. Welche Kasse mag der Azubi wohl öffnen? Aber da, was macht der denn? Er geht zum ROTEN KNOPF und betätigt den versteckten "release-button". Der Bimmelalarm ist beendet. Wir sind erlöst. Eine gespenstische Stille liegt über TENGELMANN. Dann verschwindet der Azubi wieder in den Tiefen der Regalschluchten, noch schneller, als er gekommen war.
"He Sie da, und was ist mit der Kasse?".
Die Frage bleibt unerhört und verhallt in den unendlichen Weiten zwischen vergifteten Pamperswindeln, süßem Senf und Kichererbsenkonserven.
Plötzlich ist Action angesagt. Die vergeblichen Links- und Rechtssteher versuchen, sich wieder in die Mittelschlange einzuordnen.
"Ich war vorhin aber vor ihnen gestanden".
"Dat kanns'te deiner Omma erzählen!"
"Aua, so passen sie doch auf, wo Sie hintreten". "Wollen Sie sich nicht wenigstens bei der Dame entschuldigen?".
"Bei welcher Dame?".
"Na, bei der hier!".
"Nö!".
Nach einer Weile kehrt Beruhigung ein. Die Wartenden haben ihre ursprüngliche Position und Reihenfolge mit mehr oder weniger akzeptierten Verlusten murrend wieder eingenommen. Vorsichtig recke ich meinen Klickfinger erneut zum ROTEN KNOPF empor. "N E I N !" schreit's durchs Geschäft. Die Meute ist zu Allem fähig. Ich lasse tunlichst davon ab.
TENGELMANN ist in seinem Warensortiment überdurchschnittlich teuer, teils sogar horrend überteuert (dafür ziehe ich 4 yopi-Punkte von der Höchstnote ab). Aber was dort an Unterhaltung geboten wird, ist unbezahlbar. Der ROTE KNOPF verdient den KLEINKUNSTPREIS (dafür gibts die yopi Höchstnote). Ich spare mir den Weg ins Kabarett zur "Münchner Lach- und Schießgesellschaft" und geh' zu TENGELMANN.
UPDATE vom 12.02.2002:
Zu meinem Bedauern musste ich bei meinem letzten TENGELMANN-Besuch feststellen, dass der Rote Knopf abmontiert wurde, und dort, wo er einstmals Aufmerksamkeit erregend von der Decke baumelte, jetzt ein schwarzes Loch die Asbestplatten verunstaltet. Wie mir inzwischen die TENGELMANN-Kassiererin meines Vertrauens mitteilte, hat TENGELMANN den Roten Knopf wegen dieses Beitrags abgeschafft. Diese Meinung wurde unter den KASSIERERINNEN der Supermarktkette wie eine heisse Kartoffel gehandelt und in Windeseile verbreitet. Sie hätten der Geschäftsleitung damit angeblich die Tür eingetreten, waren sie doch selbst die Hauptleidtragenden des Klingelterrors und mussten hernach auch noch den berechtigten Frust der Kundschaft tolerieren.
Der Kampf der Kassiererinnen hatte Erfolg. Die Geschäftsleitung entschied, den Roten Knopf, zumindest in Süddeutschland, ganz abzuschaffen. Schade eigentlich. Die Kassenschlange bei TENGELMANN gibt nun keinen Anlass für humoreske Beobachtungen mehr her. Mein schmerzliches Beileid an alle Kabarettisten und Parodondisten.
VORTEILE:
Kabarett zum Nulltarif.
NACHTEILE:
Warensortiment teils horrend überteuert. weiterlesen schließen
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