Pro:
Design, Handlichkeit
Kontra:
Verarbeitung, Langzeitqualität
Empfehlung:
Ja
1. Allgemeines zur Modellgeschichte
Die Marke Vespa gehört zum Piaggio-Konzern, der außer unter dem eigenen Piaggio-Label auch noch „Gilera“-Zweiräder vertreibt.
Auch wenn die „Vespa“ gerne als Gattungsbegriff für Roller missbraucht wird, gibt es tatsächlich nur wenige Roller, die sich mit diesem Namen schmücken dürfen. Jahrzehntelang beschränkte sich die Auswahl auf die klassischen PK- und PX-Modelle sowie die etwas luxuriösere und größere „Cosa“.
Was adelte nun die ET4 bei ihrem Erscheinen Ende 1996 zum Tragen des Vespa-Schriftzuges? Zuallererst orientierte sie sich optisch an ihren legendären Vorgängerinnen. Auch wenn alles etwas runder und moderner wirkte, war die Ähnlichkeit unverkennbar – sogar die 10-Zoll Räder hatte man beibehalten. Der Begriff des Retro-Looks war damals glaube ich noch nicht geboren, trifft aber den Kern der Sache und nährt die Vermutung, dass Piaggio hier Trendsetterarbeit geleistet hat.
Nächster wesentlicher Punkt war das Karosseriematerial. Meines Wissens verfügen nur Vespen (und natürlich deren indische Bajaj-Lizenzbauten) über eine echte Blechkarosserie und heben sich damit wohltuend von den üblichen Plastikbombern im Rollerbereich ab.
Das war’s dann allerdings mit den Gemeinsamkeiten, denn zentraler Bestandteil des ET4-Konzept war es, historische Vespa-Komponenten mit der Technik der Jetztzeit zu verknüpfen. Dementsprechend verfügte die ET4 nicht mehr über eine Drehgriffschaltung, sondern über eine stufenlose Automatik. Der Motor befand sich nicht mehr neben, sondern liegend vor dem Hinterrad – endlich konnten Vespen auch ohne die sonst zum Gewichtsausgleich nötige Schlagseite durch den Verkehr wuseln, und sogar für ein Helmfach unter der Sitzbank ließ der Motor nun Platz.
Ach ja, der Motor. Ein Sakrileg in den Augen der eingefleischten Vespa-Fans wurde Wirklichkeit. Wie die Typenbezeichnung bereits erahnen lässt, nahm die ET4(Takt) Abschied von den berühmten, drehschiebergesteuerten Zweitaktern und verwendete stattdessen den kurz zuvor mit der Piaggio Sfera 125 eingeführten Viertakter, ein nicht besonders aufregender Zweiventiler mit 10,7 PS Leistung.
Was Piaggio da auf die Räder gestellt hatte, überzeugte auf ganzer Linie. Die ET4 war klein, kompakt und unwahrscheinlich handlich. Trotzdem bot sie Fahrer und Beifahrer ausreichend Platz mit der Einschränkung, dass man die Soziusfußrasten „vergessen“ hatte und stattdessen auf ein verlängertes Trittbrett setzte – leider kein Ersatz. Grandios war seinerzeit das Abblendlicht aus dem H7-Scheinwerfer, ein wahres Flutlicht im Vergleich zu den sonst üblichen Funzeln.
Die Automatik stellte sich, typisch für Piaggio, als überragend abgestimmt heraus und sorgte für gute Beschleunigungswerte, die Höchstgeschwindigkeit mit angegebenen 90 km/h sorgte dagegen nicht eben für Begeisterungsstürme.
Dass der Motor eine Weiterentwicklung des Sfera-Aggregates war, erwies sich in der Folgezeit leider nicht als Vorteil. Bis zum Baujahr 1998 litten einzelne Exemplare an nicht zu stillendem Öldurst, der sich nur durch Ersatz der Kolbenringe beheben ließ. Ein dunkles Kapitel, da es sich um einen für Nichtschrauber nur teuer zu behebenden Mangel handelt, der zudem häufig erst nach Ablauf der Garantie auftrat. Obwohl es sich eindeutig um einen Konstruktionsfehler handelte, zeigte sich Piaggio nicht besonders kulant und bot bestenfalls den Ersatz der Materialkosten an – Pfennigartikel. Viele Motoren dürften außerdem verraucht sein, da der Ölverbrauch wirklich biblische Ausmaße annehmen konnte, der Ölhaushalt des gesamten Maschinchens aber gerade 850 ml beträgt.
Mit dem Modelljahr 2000 wurden dann die neuen „LEADER“-Motoren mit 125 und 150 ccm eingeführt, eine neue Vierventiler-Generation mit leicht erhöhter Leistung und bislang ohne größere Probleme.
Der Neupreis für 125er Exemplare liegt heute bei ca. 3.000 EUR.
2. Unsere ET4
Gekauft haben wir die ET4, weil wir ein Zweitfahrzeug - neben dem Auto - gesucht haben, mit dem man bei Bedarf oder nach Lust und Laune am Wochenende mal ein paar Kilometer abspulen kann. Den Rest der Zeit konnte sie dann in der Garage vor sich hin schlummern.
In dieser Zeit erfüllte die ET4 die in sie gesetzten Erwartungen. Sie war hübsch anzusehen, leicht und problemlos zu fahren. Die Beschleunigung ging in Ordnung, die Höchstgeschwindigkeit mit Tacho 90 eher nicht. Der Ölverbrauch war deutlich, aber nicht besorgniserregend. Der Sozius findet auf der Sitzbank genügend Platz, die Füße sind aber beim besten Willen nicht unterzubringen, ohne die Kniegelenke zu verdrehen und Verkrampfungen auszulösen. Der Anbau der Fußrastenanlage aus dem Originalzubehör-Programm verringert diese Probleme zwar, kann sie aber auch nicht beseitigen, dafür sind die Ausleger einfach zu kurz. Schade!
Durch Umzug und Jobwechsel ergab sich, das aus dem Lust-und-Laune Roller plötzlich ein Fortbewegungsmittel wurde, auf das ich bei meiner täglichen Fahrt zur Arbeit angewiesen war. Auch eine Garage gab's nicht mehr. Für diesen Zweck hatten wir die ET4 nicht gekauft und, wie sich zeigen sollte, ist sie dafür auch nicht geeignet.
Aber der Reihe nach. Ich zähle zu den Menschen, die ihre Fahrzeuge gut behandeln. Dazu zählt für mich ein schonendes Einfahren der neuen Maschine, ein schonendes Warmfahren nach jedem Start, regelmäßige Wartungen und Inspektionen beim Händler.
Dementsprechend verzichtete ich auf meinem 12 km langen Arbeitsweg auf die Autobahn, da dies nach ca. 1,5 km Fahrt bereits mehr oder minder Vollgas bedeutet hätte und nahm gelassen die längere Fahrzeit durch die Stadt in Kauf. Die ET4 dankte mir die Behandlung mit ständig steigendem Ölverbrauch. Die Ansicht eines weiteren ciao-Mitgliedes, dieser bekannte Mangel liesse sich durch vernünftiges Einfahren des Motors umgehen, kann ich also nicht bestätigen. Es ist wohl vielmehr so, dass dieser Mangel an einigen Modellen auftrat, an anderen eben nicht. Da ich für eine Reparatur auf die Werkstatt angewiesen bin, habe ich sie unter ständiger Beobachtung des Ölstandes so weit wie möglich 'rausgezögert, aber bei der 10.000er-Inspektion ging's nicht mehr anders. Hat mich mit Arbeitslohn runde 250€ gekostet. Ölverbrauch seitdem 0,0, Höchstgeschwindigkeit - vielleicht auch durch die zu diesem Zeitpunkt gewechselten Variorollen und Treibriemen - 100 bis 105 km/h.
Bei der Gelegenheit hat mein Händler direkt die Ventile eingeschliffen (hatte ja auch schon 10.000 gelaufen, das Teil). Nach seiner Aussage würde der Zylinderkopf noch "mindestens bis 20.000" halten. Schöne Aussichten.
Ab einem Kilometerstand von ca. 6.000 - 7.000 km habe ich die ET4 nur noch alleine bewegt, da die Federelemente, speziell natürlich das hintere Federbein, keinen Sozius mehr verkraften konnten. Auch diese Reparatur habe ich so lange wie möglich 'rausgezögert, schließlich kennt man ja Strecke und Schlaglöcher. Bei der 15.000er-Inspektion gab's neue Bitubos vorn und hinten, bloß keinen Serienschrott mehr. Die nächsten 250€.
Inzwischen ist der Scheinwerferreflektor angelaufen wie bei einer 60er-Jahre Vespa. Wird beim Händler wohl 70€ kosten. Da fallen die zweimal jährlich zu wechselnden H7-Birnen á 7€ schon nicht mehr ins Gewicht.
Die "verchromte" Auspuffblende ist inzwischen völlig ver- und festgerostet, mein Händler hat bei der Inspektion auf einen Austausch verzichtet, da sonst wohl die Schrauben abgerissen wären. Ich werde damit leben.
Positiv ist die - trotz aller Macken - hohe Zuverlässigkeit der ET4. Ich bin bis heute nicht einmal liegengeblieben, der Motor startet auch nach Wochen und bei zweistelligen Minustemperaturen zuverlässig.
3. Zubehör
Die Fußrastenanlage habe ich bereits erwähnt, bleibt mir also, über mein zweites Originalzubehör zu berichten. Ich kann nichts dafür, aber wenn die Sprache auf dieses Teil kommt, muss ich mich rechtfertigen!
Also, vergesst nicht, die ET4 ist für mich ein Gebrauchsgegenstand, ich benutze sie jeden Tag! Überlegt doch nur, wie praktisch dieses Ding ist! Ich war jung, und ich brauchte den Platz!
Ja, ich gestehe. Ich fahre einen Roller mit Topcase. Wenn ihr mich nun verstoßen wollt, sagt es ruhig. Bewertet alle meine Artikel negativ, bewerft mich mit Dreck.
Ich stimme euch zu, es gibt kein schönes Topcase. Wenn man denn unbedingt eins braucht, kann man sich nur für das entscheiden, das am wenigsten sch*** aussieht – und das bietet nun mal der freundliche Piaggio-Händler an. Lackiert in Fahrzeugfarbe, am klassischen ET4-Design orientiert und unglaublich teuer – wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, habe ich seinerzeit 250 DM dafür hingeblättert.
Was bekommt man dafür geboten? Natürlich ein weiteres Ärgernis. OK, ein Integralhelm passt so gerade rein, aber für das Geld kann man getrost mehr erwarten.
Das Teil wird mittels eines einzigen Kunststoffhäkchens am serienmäßigen Gepäckträger arretiert. Jedesmal, wenn ein Beifahrer was von der tollen Rückenlehne faselt, setzt bei mir spontane Schnappatmung ein. Bloß nicht, hier wird gerade gesessen!
Das Case verfügt noch nicht mal über eine Dichtung. Es regnet zwar trotzdem nicht rein, dafür klappert der Deckel aber fröhlich, wenn er nicht gerade durch pralle Ladung daran gehindert wird.
Das Schloss verströmt italienische Lebensfreude pur. Es lässt sich mittlerweile auch mit nur halb eingestecktem Schlüssel öffnen – allerdings nur im Sommer. Im Winter neigt es trotz regelmäßiger Pflege zum unvermittelten Einfrieren, natürlich während der Fahrt. Habt ihr eine Ahnung, wie dämlich man sich vorkommt, wenn man vor dem Büro erst das Feuerzeug bemühen muss, um an seine liebevoll geschmierten Bütterchen zu kommen?
Meine Empfehlung daher: setzt euch nicht dem Topcase-Spott aus und investiert die Kohle lieber in einen anständigen Rucksack.
4. Fazit
Billig ist so eine ET4 nur, wenn sie nicht bewegt wird – steuerfrei und für 40 EUR/Jahr zu versichern. Im Alltagsbetrieb nagt der Verschleiß ebenso am Portemonnaie wie der Wertverlust, mehr als 500 EUR könnte ich für mein Exemplar nur durch die eingebauten Bitubos bekommen. Ein Schönwetterroller für ein paar vergnügliche Kilometer im Jahr, deshalb ein "gut" in der Beurteilung. Wer was für jeden Tag, Wind und Wetter braucht, sollte sich lieber bei den Japanern umschauen. weiterlesen schließen
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