Pro:
einfühlsam, bewegend, gute Darsteller/Musik/Fotografie; passables Bonusmaterial
Kontra:
kein Regiekommentar, keine engl. Untertitel
Empfehlung:
Ja
Dieser romantische, ungewöhnlich erzählte Liebes- und Geschichtsfilm erhielt in Hollywood neun OSCARs! Alle weiteren Worte sind als Einleitung überflüssig.
Filminfos
O-Titel: The English patient (USA/GB, 1996); DVD: 1999
FSK: ab 12
Länge: 154 Min.
Regisseur: Anthony Minghella
Drehbuch: Anthony Minghella, nach dem Roman von Michael Ondaatje
Musik: Gabriel Yared ("Besessen")
Darsteller: Ralph Fienes, Juliette Binoche, Kristin Scott Thomas, Willem Dafoe, Colin Firth, Jürgen Prochnow u.a.
Handlung
Im Oktober 1944 gelangt der Ungar Laszlo Almásy (gesprochen: ol'mahschi) als Schwerverwundeter in ein italienisches Dorf, transportiert von einer kanadischen Sanitätseinheit. In einem Kloster kümmert sich Hana, eine der kanadischen Krankenschwestern (Binoche), liebevoll um ihn. Sein Gesicht und ein Großteil seiner Haut sind bei einem Flugzeugabsturz verbrannt und müssen sich wieder regenieren, hofft sie. Gegen die Schmerzen verabreicht sie ihm Morphiumspritzen. Während Hana glaubt, auf ihr liege ein Fluch, der ihren Freunden stets den Tod bringe, erinnert auch Laszlo (Fiennes) sich mit Schmerzen an die Tage, die hinter ihm liegen - und wie es kam, dass er in der libyschen Wüste abgeschossen wurde.
In den dreißiger Jahren hatte er sich als Archäologe einer britischen Expedition in die libysche Sahara angeschlossen. Sie wurde angeführt von Madox (Julian Wadham) und begleitet von Sir Geoffrey Clifton (Colin Firth) und seiner schönen Frau Katherine (Kristin Scott Thomas). Noch verbirgt Almásy seine Liebe zu Katherine, doch sie kommt ihm allmählich auf die Schliche.
Laszlo entdeckt eine archäologische Sensation: die Höhle der Schwimmer, die so genannt wird, weil die Höhlenmalereien zahlreiche Schwimmer zeigen (vor Jahrzehntausenden war die Sahara eine grüne und blühende Gegend). Lady Clifton malt die Bilder nach und schenkt einige davon dem Grafen. Sie hat offensichtlich etwas für den schweigsamen Ungarn übrig.
Immer wieder werden Laszlos Erinnerungen unterbrochen, von Schmerzen, von Besuchern. Doch dann erinnert er sich an die Nacht im Sandsturm, die Katherine mit ihm allein verbrachte, während sie vom Sand zugeschüttet wurden - an die märchenhaft leidenschaftlichen Tage in Kairo, bevor ihr Mann etwas von ihrer Affäre erfuhr. Und schließlich an die Wirren der deutschen Vormarsches auf die libysche Festung Tobruk, die 1942 an Rommels Truppen fiel und in die sie gerieten.
Ein Besucher im Kloster namens David Caravaggio (was für ein unglaublicher Name - so hieß ein berühmter Maler) interessiert sich auffällig für die Identität Almásys. Doch ist der Verbrannte wirklich jener Mann, der laut Caravaggio als Spion für die Deutschen arbeitete? Aus Almásys Rekonvaleszenz wird eine Belagerung. Denn Caravaggio (W. Dafoe) gedenkt sich dafür zu rächen, dass Laszlo den Deutschen geholfen hat, die ihm selbst dann beim Verhör die Daumen abschnitten - nun ist auch Caravaggio auf Morphiumspritzen angewiesen, um die Schmerzen auszuhalten.
Während sich in Laszlos Erinnerungen seine Affäre mit Lady Clifton zu einer unglaublichen Tragödie auswächst, verliebt sich Hana, die geduldige Krankenschwester mit dem Fluch, in einen indischen Minensucher (Naveen Andrews aus "Kama Sutra"). Sie findet Anlass zur Hoffnung - und erweist ihrem "englischen Patienten" eine letzte Gnade. Dann ist der Krieg ist aus.
Mein Eindruck: der Film
Diese komplexe Geschichte funktioniert also auf drei oder noch mehr Ebenen. Da ist zum einen die Dreiecksgeschichte der Vergangenheit, als Laszlo seine tragisch endende Affäre mit Katherine hat. Da ist zum anderen die Gegenwart im italienischen Kloster, in dem Laszlo in einem einem gewissen für die jahrelang erlebten Liebesfreuden in der Währung des Schmerzes "bezahlt". Ihm bleibt nur noch die gnadenvolle Zärtlichkeit Hanas.
Und da sind die Wechselfälle, die der historische Verlauf mit sich bringt: Dabei befindet sich der Ungar zwischen allen Fronten - als Spion von allen Seiten verdächtigt, gefangengenommen, schließlich abgeschossen. Als eine Nemesis dieser Ebene taucht schließlich Caravaggio bei ihm auf, um ihn zu belagern - und schließlich selbst Erlösung zu finden. Seine neue Liebe heißt Gioia - Freude.
Der einzige Ort, wo Laszlos Liebe zu Katherine blühen und gedeihen konnte, war die Wüste. Und die "Höhle der Schwimmer" enthielt den Anfang und das Ende ihrer Beziehung. So als sei dies ein Hinweis, dass die tiefste und natürlichste Liebe ein Ergebnis der archaischen Sehnsüchte und Wünsche sei, von denen Menschen schon seit der Zeit der "Schwimmer", der Höhlenmenschen, erfüllt werden. Doch die modernen Zeiten, sie lassen diese Liebe nur sehr eingeschränkt zu - und fordern stets ein Opfer. Auch das höchste.
Die Inszenierung
Für diese anrührende Erzählung finden der Regisseur und sein Kameramann wundervolle Bilder wie aus einem Bildband über die Wüste: Dünen werden zu einem Meer, werden zu weiblichen Formen, werden zu einem Spiegel des Unterbewussten. Wenn hana und ihr Inder in der Klosterkapelle die Fresken betrachten, so ist dies ein erotischer Tanz - und wir tanzen durch das Auge der Kamera mit. Dazu erklingt eine phantastische, höchst romantische Musik von Gabriel Yared.
Erstklassige Schauspieler wie Jueliette Binoche sprechen einfühlsame, oft einfallsreiche und ironisch zugespitzte Dialoge. Dabei fällt auf, dass die Frauen oftmals die besseren Zeilen sprechen, insbesondere Kristin Scott Thomas. Dies steht im Einklang mit der Ironie, die sich häufig aus ihrer heimlichen Liebesaffäre mit Almásy ergibt. Geradezu boshaft wird die Ironie, wenn die Soldaten im Hof eines Gebäudes ein bekanntes Weihnachtslied anstimmen und man durch eine halbdurchsichtige (opake) Glasscheibe zwei sich liebende Körper im angrenzenden Gebäude sehen kann: Weihnachten ist die Zeit der Liebe, fürwahr. Der Filmtitel selbst ist ja im Grunde pure Ironie.
Die DVD
Technische Infos
Bildformate: 16:9 Widescreen
Tonformate: DD 5.1
Sprachen: D, Engl.
Untertitel: Dt.
Extras:
- Making-of (Trailer + Behind the scenes & Interviews)
- Fotogalerie
- 2 Trailer zu "Der englische Patient"
- weitere Trailer
- Cast & Crew: Bio- & Filmografien
- Sehr schönes Bewegtmenü im Stil eines alten Fotoalbums
Mein Eindruck: die DVD
Das Informativste an der DVD, die von BMG angeboten wird, ist sicher das halbstündige Making-of. Dies ist eine merkwürdige Mischung aus Trailer-Ausschnitten, Interviews mit Ralph Fiennes und J. Binoche sowie einem umfangreichen Teil, den man am treffendsten als "Hinter den Kulissen" bezeichnen könnte. Hier sehen wir die Hauptdarsteller, den Buchautor, den Regisseur und seine Crew an den wichtigsten Drehorten - sei es in der tunesischen Wüste, in einem Teehaus (Ballszene) oder in einem italienischen Kloster. Die "Höhle der Schwimmer" dürfte im Studio erbaut worden sein.
Ergänzend wurden Bio- und Filmografien sowie eine Fotogalerie beigefügt. Ansonsten kann man in etlichen Trailern schwelgen, natürlich auch von "Der englische Patient". Auf sehr schöne Weise wurde das Bewegtmenü im Stil eines alten Fotoalbums aufgemacht. Es entspricht dem Erinnerungsbuch, das Almásy immer mit sich herumschleppt - eine Spiegelbild seiner Identität. Man findet sich sofort zurecht, glaubt sich aber in den 30er oder 40er Jahren. Der Film ist definitiv eine Zeitreise.
Unterm Strich
"Der englische Patient" ist sicherlich einer der schönsten, romantischsten und besten Liebesfilme der letzten zehn Jahre. Kein Wunder, dass für diese gesamtleistung insgesamt neun OSCARs vergeben wurden. Wer zweieinhalb Stunden in tiefen Emotionen baden und seinen "emotionalen IQ" trainieren möchte, der kommt hier voll auf seine Kosten. Auch die kleinen grauen Zellen bleiben nicht untätig, denn da die Geschichte(n) nicht linear erzählt wird, sondern ähnlich wie in "Besessen" stets in Rückblicken, ist man gezwungen, die Einzelstücke selbst zusammenzusetzen und das Zusammenspiel von Rückblick und Gegenwart zu durchschauen und zu bewerten. Eine reizvolle Aufgabe, ohne Zweifel.
BMG hat auch diese DVD nicht ganz auf dem heute gewohnten Standard ausgestattet. So fehlt etwa der Regiekommentar. Aber das fällt kaum auf. Und wer will schon wirklich einen Kommentar zu den wunderschönen Liebesszenen hören? Eben. Daher also fünf romantische Sterne.
Michael Matzer (c) 2003ff weiterlesen schließen
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