Pro:
spannend, gruselig, tiefgründig, fabelhafter Nicholson, gutes Making-of mit Kommentar, guter Sound
Kontra:
keine Filmografien
Empfehlung:
Ja
Auch wenn nur noch wenig an Stephen Kings Roman erinnert, so ist doch Stanley Kubricks Film die eindrucksvollste Interpretation dieses Stoffes: Wahnsinn bricht aus, als die Geister des einsamen Overlook Hotel von seinem Hausmeister Besitz ergreifen. Jack Nicholson als der axtschwingende Jack Torrance ist mittlerweile eine Ikone des modernen Horrorkinos geworden.
Filminfos
°°°°°°°°
O-Titel: The Shining (USA 1979), SK-Collection DVD: 2003
FSK: ab 16
Länge: 115 Min.
Regisseur: Stanley Kubrick
Drehbuch: Stanley Kubrick/Diane Johnson, angelehnt an den Roman von Stephen King
Musik: Penderecki, Bartók, Ligeti, Wendy Carlos
Darsteller: Jack Nicholson, Shelley Duvall, Danny Lloyd, Scatman Crothers, Joe Turkel u.a.
Handlung
°°°°°°°°
Der Lehrer und Möchtgern-Schriftsteller Jack Torrance (Nicholson) nimmt einen merkwürdigen Job an: Er soll als Hausmeister auf das 1909 erbaute, feudale Skihotel The Overlook Hotel in den Rocky Mountains aufpassen. Das Risiko dabei: fünf Monate totale Einsamkeit. Ob seine Frau Wendy (Duvall) und sein kleiner Sohn Danny (Lloyd) es mit ihm aushalten werden? Die Familie zieht am Gespensterfeiertag von Halloween ein, am 30. Oktober. Wendy fühlt sich wie auf einem "Geisterschiff".
Doch Danny ist ein Kind mit einem Talent: Er verfügt über das Shining, das aus einer Mischung von Empathie, Hellsehen und telepathischer Verständigung mit anderen Shinern besteht. Auch Jacks Vorgänger, der Farbige Hallorann (Crothers), hat das Shining und erklärt es Danny auf sehr freundliche und einfühlsame Weise (eine der positivsten Szenen des gesamten Films). Wenn Danny eine Vorahnung hat, lässt er seinen "Freund" Tony seinen Zeigefinger bewegen, als wäre das eine Bauchrednerpuppe. Tony hat beim Overlook-Hotel ein ganz schlechtes Feeling.
Und in der Tat stimmt etwas nicht mit dem riesigen Gebäudekomplex. Gleich bei seinem Vorstellungsgespräch bekam Jack vom Geschäftsführer, Mr. Ullman, erzählt, dass hier vor etwa neun Jahren (1970) einer der Hausmeister, ein gewisser Charles Grady, seine zwei Töchter und seine Frau erschlagen und zerstückelt habe, bevor er sich selbst erschoss. Ist es Gradys ruheloser Geist, der sich Jacks bemächtigt? Er schnauzt seine Frau an, dass sie ihn nicht beim Schreiben stören soll. Doch, wie Wendy später zu ihrem Entsetzen entdeckt, schreibt Jack zwar sehr fleißig hunderte von Seiten voll, tippt aber immer nur einen einzigen Satz: "All work and no play make Jack a dull boy" (zu deutsch etwa: "Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen", aber der Knackpunkt besteht ja im Namen "Jack"). In Zimmer Nr. 237 hat Jack eine entsetzliche Begegnung mit einer nackten Frau in der Dusche (eine Anspielung auf die Duschszene in "Psycho") - Mrs. Grady?
Zwei der fesselndsten Szenen spielen im Ballsal des Hotels, dem opulenten "Gold Room". Jack setzt sich an die Bar, woraufhin sofort ein Geist auftaucht. Es ist Lloyd (Joe Turkel aus "Paths of Glory" und "Blade Runner"), der mephistophelische Barmixer. Und er sagt Jack, dass er im Hotel nichts zahlen müsse, aber auch keinen Kredit hat. Nach einem kleinen Missgeschick lernt Jack auch einen Kellner namens Delbert (nicht Charles!) Grady kennen, und der erzählt ihm, dass Jack er sei und er Jack, und sie seien schon immer hier gewesen (genauer: mindestens seit 1921). Und was er, Jack, wohl dagegen unternehmen wolle, dass sich sein Weib und Kind so aufmüpfig gegen ihn benähmen, hm?
Leider hat Wendy kein Verständnis für Jacks plötzlich hervorbrechende autoritäre Ader und verpasst ihm eins mit dem Baseballschläger. Im Vorratsraum eingesperrt, verrät er ihr, dass sie leider nicht wegfahren kann, da er in weiser Voraussicht das Schneefahrzeug (es gab noch keine Jetskis) ebenso lahmgelegt habe wie das Sprechfunkgerät. Es gibt für sie kein Entkommen, denn draußen tobt ein Schneesturm. Der kleine Danny schreit "Redrum!" Das heißt sowohl "red room" (rotes Zimmer) als auch "murder" (Mord) rückwärts gelesen, beispielsweise im Spiegel. Spiegel spielen von Anfang an eine wichtige Rolle, ebenso wie Vögel, die Vorboten der Gefahr und des Chaos.
Einer der Hotel-Geister muss ihn wohl aus dem Vorratsraum befreit haben, denn wenige Minuten später sehen wir Jack mit einer riesigen Axt durch die verlassenen Korridore hasten. Nachdem er den per Shining herbeigeeilten Halloran erschlagen hat, geht er auf seine Frau und seinen Sohn los...
Die DVD
°°°°°°°°
Technische Infos
Bildformate: 4:3 Vollbild
Tonformate: DD 5.1
Sprachen: D, GB
Untertitel: D, GB, NL, SWE, NOR, DAN, FIN, Ital., Isländisch, Dt. für Hörgeschädigte
Extras:
- Kommentiertes "Making of The Shining" von Vivian Kubrick
- Originaltrailer (ein Wasserwand aus Blut strömt dem Zuschauer entgegen; sonst nichts)
Mein Eindruck
°°°°°°°°°°°°°
"The Shining", so der Originaltitel, war Kubricks erster Versuch im Horrorgenre, und das Ergebnis stellte einen Meilenstein des Horrorfilms dar. Die nervenzerfetzende, moderne Musik von Ligeti, bartók und Penderecki sägt permanent an den Nerven des Zuschauers, so dass es nur sehr wenige Szenen gibt, in denen man sich entspannen kann. Eine dieser Szenen ist jene, in der Halloran dem kleinen Danny erklärt, was Shining ist und dass es noch andere wie Danny gibt, die das Shining haben - Leute wie Halloran. Also ist Danny möglicherweise doch nicht schizophren, wie bereits zu Anfang, in Denver, zu befürchten war, als er zu seinem Finger sprach.
Rezeptbuch für Wahnsinn
Der ganze Film ist in höchstem Maße emotional, doch diese Gefühle entstammen offenbar einem Rezeptbuch für Wahnsinn. Zum Ausbruch kommt diese Demenz nach etwa einem Monat Aufenthalt im Hotel. Zunächst sind es "nur" Hass und Entfremdung, die entstehen, dann ein ausgeprägter Verfolgungswahn, der in allen drei Bewohnern zum Ausbruch kommt. Allerdings ist es vor allem der besessene Jack, der den Verfolger spielt, wie in seinem Reim von dem größen, bösen Wolf und den kleinen Schweinchen zum Ausdruck kommt. Schon ziemlich sieht Jack einmal auf das Modell des künstlichen Labyrinths hinab, das den großen Garten des Hotels beherrscht. Und durch einen absolut genialen Schnitt (wie in "2001") schauen seine Augen, ersetzt durch Kamera in einem Hubschrauber, auf die Mitte des Labyrinths hinab, in dem sich seine Frau und sein Sohn befinden. Jack hält sich für Gott, aber er wird dort unten, im Labyrinth der Welt, sein Ende finden.
Gekürzte Fassung
Ursprünglich war der Film 146 Minuten lang, doch schon nach der ersten Voraufführung kürzte Kubrick die Schlussszene, in der Ullman Wendy im Krankenhaus besucht. Und für den europäischen Markt strich Kubrick nochmals 27 Minuten aus der US-Kinofassung (übrig bleiben 119 Minuten), darunter einige Visionen Wendys sowie Szenen mit Danny und ihr. Das ist aber nicht schlimm, denn die dabei transportierten Aussagen sind zum Teil in anderen Szenen enthalten oder angedeutet.
Kannibalismus
Auch Wendy hat eine Horrorvision, wie der Zuschauer überrascht feststellt, denn bislang war sie nicht als empfänglich für übersinnliche Wahrnehmungen dargestellt worden. Allerdings erzählt Jack am Anfang, dass sie eine Vorliebe für Horror- und Gruselgeschichten habe. Er erfährt zudem vom Schicksal einer Siedlertruppe, die einmal wie die Torrances in den Bergen eingeschneit wurde und auf die Stufe des Kannibalismus zurückfiel. Die Stufe, auf die Jack zurückfällt, als er sich den Geistern des Overlook Hotels ergibt (er ist schließlich der Hausmeister, einer der wechselnden "caretaker"), ist die des seelischen Kannibalismus: Er fällt über seine Familie her. Was dies über den Charakter einer Gesellschaft aussagt, die vom Hotel symbolisiert wird, dürfte naheliegen.
Das Ausschnittbuch
Doch wie entsteht die enge Verbindung zwischen Jack und der Welt des Hotels? Auch das Hotel selbst ist ein Labyrinth, wie sich an den langen Korridoren des Colorado Salons, in dem Jack schreibt, und an den verwinkelten Gängen im alten Flügel, wo Jack wohnt, ablesen lässt. Und es ist angefüllt mit Erinnerungen. Diese sind verewigt im Ausschnittbuch, das eines Tages neben Jacks Schreibmaschine auftaucht. Es ist ein Requisit von zentraler Bedeutung, denn es erlaubt Jack nicht nur den Eintritt in die Geisterwelt, sondern auch die Identifizierung seiner Bewohnung. In der roten Toilette des Goldenen Salons kann er den Kellner sofort als Delbert Grady identifizieren, weil dieser auf einem Foto von 1921 zu sehen ist, als er den Nationalfeiertag feiert (dieses Foto sieht der Zuschauer erst am Schluß).
Trug und "Psycho"
Das Hotel-Labyrinth umgibt auch Jack mit Trugbildern, obwohl er sich wie Gott im Zentrum der Welt wähnt (wir sehen nur Wendy und Danny draußen, Jack nur am Schluss). Das krasseste Beispiel dafür ist die Szene im grünen Bad des "verbotenen" Zimmers Nr. 237, wo der Vierfachmord geschah. Jack sieht eine schöne Nackte aus der Dusche à la "Psycho" hervorkommen und lässt sich von ihr zu einem Kuss verführen. Doch als er in den Spiegel hinter ihr schaut, erblickt er kein makellos gebautes Model, sondern die Wasserleiche einer alten Frau, deren Haut sich bereits ablöst! Nur die Spiegel haben etwas mit Wahrheit zu tun, und die Wahrheit liegt im Unbewussten. Daher erblickt Danny als erster das Unheil, das im Hotel wartet: In der Wohnung seiner Familie starrt er in den Badspiegel und schaut dort den unheilkündenden Blutschwall, der von roten Aufzugtüren hervorbricht. Sein Unterbewusstsein weiß, was auf ihn wartet.
You got style!
Das gesamte Innere des Hotels ist bis ins Kleinste durchgestylt, und auch das Labyrinth mit seinen 13 (!) Fuß hohen Hecken (das bei King nicht vorkommt) wurde in den Elstree Studios nachgebaut (der "Schnee" ist natürlich kein Schnee). Kein Detail ist dem Zufall überlassen, alles hat eine Bedeutung, von den Messern in der Küche bis zu den Indianerreliefs (vier Figuren = 2x2) im Colorado Salon. Man könnte eine strukturalistische Analyse darüber schreiben, und in der Tat hat Thomas Allen Nelson diese Analyse für seinen Kubrick-Band in der Heyne Filmbibliothek (Nr. 32/64) vorgenommen. Die Fülle an Befunden ist höchst interessant und kann in diesem Bericht lediglich angedeutet werden.
Die DVD
°°°°°°°°
Die Silberscheibe verblüfft den Zuschauer, der bislang nur TV-Aufführungen von "Shining" gekannt hat, mit einem satten, reichen, klaren Sound in Dolby Digital 5.1 und einem kontrastreichen, scharfen Bild, das keine Wünsche offen lässt. Surround-Effekte werden aber nicht ausgenützt. Leider sind auch nicht alle Sätze zu verstehen, besonders die leise gesprochenen. Es ist ratsam, die deutschen Untertitel (evtl. die für Hörgeschädigte) einzuschalten.
Sehr aufschlussreich ist Vivian Kubricks Dokumentation der Entstehung des Films. Vivian war damals 17 und arbeitete im Art Design. Die Doku beginnt in Jack Nicholsons kleiner Umkleide, der Weg führt dann durch die Korridore des Studios (ein Labyrinth!) bis zum ersten Treffen des Tages mit Stanley. Jack ist äußerst freundlich, doch wenn man ihm genau zuhört, klingt er, als wolle er seinen Zuhörer auf den Arm nehmen. Auch Danny Lloyd, Scatman Crothers und Shelley Duvall kommen zu Wort, Kubrick jedoch nur indirekt.
Es wurde des öfteren in der Presse berichtet, dass Kubrick Duvall zur Schnecke gemacht habe. Kubrick ist diesbezüglich nicht mehr zu sprechen, doch Duvall gesteht freimütig in der Doku, dass dies zwar der Fall war, aber ihrer Darstellung der Wendy genützt habe. Manchmal scheint es sich auch lediglich um Verständigungsschwierigkeiten gehandelt zu haben.
Erstaunlich ist aber, dass Ms. Duvall einmal dick in Decken eingehüllt wird, weil sie krank ist: Der Stress des einjährigen Drehs setzte ihrer Gesundheit heftig zu. Kein Wunder: Sie musste ständig schreien, heulen, kreischen, weinen und jammern. Nach einer Weile könnte dies nicht nur dem Schauspieler, sondern auch dem Zuschauer auf die Nerven gehen.
Ganz anders hingegen Danny Lloyd und Nicholson. Danny hat keine Probleme, doch Nicholson muss mehrere Takes machen, bevor Kubrick zufrieden ist, selbst wenn die Emotionen noch so wahnsinnig und überzogen erscheinen. Ein anderer Schauspieler wäre ausgerastet und hätte den Krempel hingeschmissen. Nicholson aber wird bis heute mit seiner Rolle als verrückter Jack identifiziert.
Man ist erstaunt zu erfahren, dass der komplette Set einmal niederbrannte - doch Vivian war zu der Zeit in London und nahm nichts davon auf. Außerdem schneite es einmal, wodurch die Unmengen von Salz, die den Filmschnee darstellen sollten, sich in Wasserpfützen verwandelten - großartige Ironie. Für Filmkenner ist interessant, dass "Shining" einer der ersten Filme war, für die eine Steadicam eingesetzt wurde - besonders gut zu sehen in der vorletzten Aufnahme, in der der Kameraman hinter Wendy hersaust. Die zahlreichen Erkundungsfahrten Dannys wurden mit einer auf einem Rollstuhl montierten Steadicam gedreht.
In einem benachbarten Studio drehte gerade Weltstar James Mason ("Lolita") und kam mit seiner Familie herüber, um Jack Nicholson hallo zu sagen. Außerdem sind Vivians Mutter und Tante sowie Vivian selbst in der Ballszene zu bewundern. Das Ambiente stammt aus den Zwanzigern, aber der "gräßliche Teppich" aus den Siebzigern.
Obwohl übrigens "Wendy Carlos" in den Musik-Credits des Films aufgeführt wird, ist ihre Musik nicht verwendet worden - als Ausgleich hat Vivian ein Sibelius-Stück in Carlos' Bearbeitung in die Doku integriert.
Die Doku ist zwar mit Vivians Kommentar versehen, leider ist dieser aber nicht in deutsche Untertitel umgesetzt worden. Man sieht also die Untertitel der Doku, nicht die des Kommentars. Dadurch wird der Kommentar nur für Leute verständlich, die sehr gut britisches Englisch verstehen, denn Vivian benutzt eine Menge umgangssprachlicher Ausdrücke wie "gazillion" und "gianormous" (= gigantic + enormous). Dann aber ist auch der Kommentar recht witzig.
Unterm Strich
°°°°°°°°°°°°°
Wer genügend Geduld und Nerven aufbringen kann, für den ist "Shining" ein unvergessliches Filmerlebnis. Für jeden Kubrick-Fan ist es sowieso Pflicht. Leider war Stephen King nicht sonderlich glücklich darüber, was der Maestro mit seinem Buch angestellt hatte - das sind die Schriftsteller mit Verfilmungen ihrer Werke. Doch "Shining" ist ein durchdachtes und mit zahlreichen Bedeutungen aufgeladenes Kunstwerk, das sich dem Zuschauer erst nach mehrmaligem Betrachten erschließt - vielleicht sogar niemals. Und das ist eines der Kennzeichen eines wirklichen Kunstwerks.
Als Horrorfilm funktioniert der Streifen ebenfalls. Der Zuschauer muss aber beachten, dass Kubrick sämtliche Motive und Themen des Genres kennt, zitiert und den nichtsahnenden Horrorfan auf falsche Fährten führt - der Film ist ebenfalls ein Labyrinth, in dem die Bedeutungsebenen und -zusammenhänge erst hergestellt werden müssen. Die Struktur aber ist klar: Bevor wieder eine schreckliche Tat geschieht, mehren sich bei Danny die Vorahnungen ("Redrum!" und Blutschwall). Es gibt Höhepunkte und Entspannung, also Rhythmus. Als sein Vater ihn jagt, um ihn zu erlegen (und zu essen?), steigert sich Ästhetik aus Schnitt, Musik und Optik zu einem Crescendo.
Die DVD lohnt sich durchaus. Für Cineasten liefert das Making-of wertvolle Einblicke in den Dreh und die Gedanken der Darsteller. Dem Filmgenießer bietet die DVD optimale Sound- und Bildqualität.
Michael Matzer (c) 2003ff weiterlesen schließen
Bewerten / Kommentar schreiben