Pro:
sehr einfühlsam in Idee, Inszenierung und Darstellung, erstklassige Darsteller/Musik/Sound- und Bildqualität
Kontra:
4:3-Format; erfordert ein paar Kenntnisse der biografischen Hintergründe V. und L. Woolfs
Empfehlung:
Ja
Die preisgekrönte Verfilmung des Bestsellers von Michael Cunningham ist sehr gelungen, wie ich finde. Drei Frauenschicksale sind durch die literarische Figur der Mrs. Dalloway eng miteinander verbunden, ohne es zunächst zu ahnen. Doch das Schlusskapitel lässt das Schlimmste befürchten.
Filminfos
°°°°°°°°°°°
O-Titel: The Hours (USA, 2002), DVD: 2003
FSK: ab 12
Länge: ca. 114 Min.
Regisseur: Stephen Daldry
Drehbuch: David Hare
Buchvorlage: Michael Cunningham
Musik: Philip Glass
Darsteller:
Merryl Streep spielt Clarissa Vaughn, New York City 2001
Ed Harris spielt ihren Freund Richard Brown (2001)
Jeff Daniels spielt Clarissas Ex-Freudn Louis Waters, der zuvor Richards Freund war
Claire Danes spielt Julia, Clarissas Tochter
Allison Janney: Clarissas Geliebte Sally Lester
Nicole Kidman spielt Virginia Woolf, ca. 1923, Richmond
Stephen Dillane spiel Leonard Woolf, 1923
Miranda Richardson spielt Vanessa, Virginias Schwester
Julianne Moore spielt Laura Brown, ca. 1951, Los Angeles, und 2001, New York
John C. Reilly spielt Dan Brown, ihren Mann
Jack Rovello spielt Lauras Sohn: Richard, der jetzt Clarissas Freund ist (1951)
Handlung
°°°°°°°°°°°
Durch die nonlineare Schnitttechnik sind die drei Erzählstränge eng miteinander verwoben, und der gemeinsame Nenner ist Mrs Dalloway. Zunächst lediglich eine Figur eines Romans von Virginia Woolf - zudem ein Alter Ego - , avanciert Mrs. Dalloway in den Deckeln eines Buches zu einer Lebensmöglichkeit, um schließlich dann als Verkörperung in Gestalt einer Lektorin quasi zum leben zu erwachen. Diese Entwicklung scheint zunächst zufällig und willkürlich zu sein, doch die Konsequenzen sind sehr ernst, um nicht zu sagen: tödlich. Die Parallelen sind unübersehbar.
Die Erfinderin: Virginia Woolf
Wir verfolgen die letzten Jahre der britischen Schriftstellerin Virginia Woolf (gespielt von N. Kidman), und zwar in umgekehrter Perspektive: Am Anfang geht sie zum Fluss, um sich dort zu töten. Am Ende, dem Ende des gesamten Filmes bringt sie dieses Vorhaben zur Vollendung. Leonard, ihr Mann und Verleger, kommt zu spät, um die geistig und seelisch Kranke davon abzuhalten. Das ist im Kriegsjahr 1941. Das Schicksal des drohenden Freitodes hängt wie ein Damoklesschwert über dem Leben der beiden Seelenverwandten Virginia Woolfs. (Wer den Film mehrmals, wie empfohlen, anschaut, wird dies umso schmerzlicher bestätigt finden.)
Die Nachahmerin: Laura Brown
Zehn Jahre später liest die einfache Hausfrau und Mutter Laura Brown (Moore) Woolfs Roman "Mrs. Dalloway" und findet darin Grund, ihre Lebenssituation einer Neueinschätzung zu unterziehen. Sie findet wenig, das sie veranlassen würde, mit diesem Leben fortzufahren. Sie ist Mutter eines etwa achtjährigen Sohnes, Richard (der später wieder auftaucht), der sie liebt. Sie ist Ehefrau eines sie ebenfalls liebenden Ex-Soldaten, der in seinem Beruf durchaus erfolgreich ist. Laura ist schwanger und erwartet bald eine Tochter. Ihre Freundin Kitty kommt zu Besuch, mit einer schlechten Nachricht: Sie hat möglicherweise Gebärmutterkrebs. Ähnliche Befürchtungen lassen den Geburtstagskuchen misslingen.
An diesem Morgen beschließt sie daher, Mrs. Dalloways Alternative auszuprobieren und zu versuchen, sich in einem Hotelzimmer das Leben zu nehmen. Ihr Sohn Richard ahnt bereits etwas, kann sie aber nicht zurückhalten...
Die Verkörperung: Clarissa Vaughan
Die New Yorker Lektorin Clarissa (Streep) plant fünfzig Jahre später eine große Party zu Ehren ihres literarischen Schützlings Richard Brown, der mit einem wichtigen Literaturpreis für sein Lebenswerk ausgezeichnet werden soll. Richard hat AIDS, und das bedrückt sie. Sie war in ihrer Jugend einen Sommer lang seine Freundin, dann lernte er Louis Waters (Daniels) kennen, seine zweite Liebe. Richard nennt Clarissa "Mrs. Dalloway", weil er sich noch sehr gut daran erinnert, dass seine Mutter dieses Buch las, bevor sie für einen Tag verschwand.
Als Waters auftaucht, hat Clarissa einen kleinen Zusammenbruch und dunkle Vorahnungen. Auch ihre Lebensgefährtin Sally Lester und ihre Tochter Julia (entstanden aus einer künstlichen Befruchtung) können sie nicht aufmuntern. Als sie Richard besucht, kommt es zu einer Katastrophe: Er wirft sich aus dem Fenster in die Tiefe.
Ob Clarissa diese Wunde überlebt? Sie bedarf dringend der Erlösung, und die taucht wenig später in Gestalt einer Mrs. Laura Brown auf: Richards "Monstrum"!
Mein Eindruck
°°°°°°°°°°°
Virginia Woolfs Idee ist ebenso einfach wie genial: a day in the life of... = a life in a day. Michael Cunningham, der Autor von "The Hours/Die Stunden", packt noch zwei drauf: Three lives in one day! Und der Film versucht diesen Ansatz adäquat umzusetzen. Daher die ausgefeilte Schnitttechnik, die von einer der drei Hauptfiguren zur nächsten wechselt, um die Parallelen bzw. Unterschiede aufzuzeigen.
Dadurch möchte der Cunningham-Roman ebenso wie Daldrys preisgekrönte Verfilmung (Silberner Bär, Oscar für Kidman) die verketteten Prozesse darstellen, die a) auf die Hauptfiguren einwirken und b) sie mit einander auf verhängnisvolle Weise verknüpfen.
Alle drei Frauen fühlen sich mit ihrer Umgebung nicht im Reinen. Woolf schon gar nicht, wie man an ihrem Verhalten beim Besuch ihrer Schwester Vanessa (Richardson), einer dreifachen Mutter, ablesen kann. Bei der Beerdigung eines toten Vogels legt sie dem Vogel rote Rosen aufs Grab. Das und die Fragen ihrer Nichte Angelica (die Engelhafte) bringt sie auf den Gedanken, dass es für ihre neueste "Heldin", Clarissa Dalloway doch noch eine Erlösung geben muss. Nicht so für Virginia, die ins Wasser geht, um ihren geliebten Gatten Leonard zu erlösen und von ihrer Bürde zu befreien, wie sie behauptet.
Doch woran krankt das Leben Laura Browns? Das Dasein in der kleinen herausgeputzten Vorstadt ist perfekt: Sie wird von Mann und Sohn geliebt, ist werdende Mutter. Doch ihr bietet das Leben keine Perspektiven außer Krankheit (Kittys Krebs und Unfruchtbarkeit) und weitere Kinder. Soll das schon alles gewesen sein? Doch der Tod ist keine Alternative, wie sie im letzten Augenblick erkennt. Ihre Wahl jedoch ist für Richard ebenso schlimm: Das macht sie zu seinem Monstrum. Doch sie hat eine gute Entschuldigung für Clarissa Vaughan.
Richard fragt Clarissa einmal, was sie davon hat, dass sie ihn pflegt, wie eine Mutter es täte. Tut sie das nicht mehr für sich als für ihn? Sie muss auf die harte Tour lernen, den nur einen Sommer lang besessenen Geliebten loszulassen und dennoch zu überleben. Auch bei ihr befindet sich die gesellschaftliche Fassade in krassem Kontrast zum privaten Glück.
In Richards Freitod, eine Parallele zu Woolfs Freitod, ist die Kette des Prozesses, den die Erfindung von Mrs. Dalloway ausgelöst hat, zu ihrem tragischen Ende gekommen. Weil Virginia Dalloway als Alternative erfunden hat, tötete sich Richards Mutter beinahe und verschwand dann, wodurch sie ihn traumatisierte. Seine Existenz definierte wiederum Clarissa Vaughans Leben, wodurch sie Ähnlichkeit mit Mrs. Dalloway annahm: die Verkörperung.
Logischerweise müsste Richards Tod nun zu ihrem Tod fürhren, dieser wieder zu den Leiden von Julia und Sally - die Kette der tödlichen Verwundungen ginge fort und fort. Nur das Auftauchen von Laura Brown kann Erlösung bringen, denn sie hat es geschafft, die Kette zu durchbrechen und zu überleben. Dafür hat sie einen sehr hohen Preis bezahlt. Und daher kann man gut verstehen, warum viele Frauen nicht bereit sind, diesen Preis zu zahlen und in der Kette leidend zu verbleiben.
Jede der drei Frauen probiert eine Alternative: lesbische Liebe. Obwohl tabuisiert oder gar verboten, so darf man doch wie Goethes Faust einen Augenblick -nein: "die Stunden"! - des Glückes stehlen und eine andere Frau küssen: Virginia und Vanessa, Laura und Kitty und schließlich Clarissa und Sally. Die beiden letzteren haben kein Tabu mehr zu fürchten, und erlöst sinken sie einander in die Arme. Ist also die Utopia Virginias endlich Wirklichkeit geworden? Es sieht ganz so aus, doch den Preis mussten Virginia und Laura zahlen.
Die DVD
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Technische Infos
Bildformate: 4:3
Tonformate: Deutsch in DD 5.1 und DTS, GB in DD 5.1
Sprachen: D, GB
Untertitel: D
Extras:
- Trailershow:
- Mississippi - Fluss der Hoffnung
- The Hours
- Open Hearts
- Bounce
- No Man's land
- Requiem for a dream
- Miss Daisy und ihr Chauffeur
- Weil es dich gibt (Serendipity)
Mein Eindruck: Die DVD-Versionen
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Der Sound ist ausgezeichnet gelungen. Insbesondere die DTS-Qualität, Dolby Digital noch überlegen, versetzt den Zuschauer, der über eine angemessene Anlage verfügt, direkt ins Geschehen - sei es am Fluss, in dem sich Viginia ertränkt, sei es auf dem Bahnhof von Richmond, wo sie nach London fliehen will. Sehr wichtig ist der Sound für die einfühlsame und eigentümliche Minimalist-Misuk von Philip Glass: wunderschön und doch zugleich gewöhnungsbedürftig.
Über das Bild lässt sich streiten. Standardmäßig wird es im 4:3-Format wiedergegeben, und das bedeutet, dass links und rechts einiges abgeschnitten wird. Schon an den Vorspann-Credits ist dies zu erkennen. Links fehlen mindestens drei Buchstaben der eingeblendeten Namen, ebenso natürlich am rechten Rand. Die Bildqualität hingegen ist erstklassig.
Außer den zahlreichen Trailern hat die Leih-DVD kein Bonusmaterial aufzuweisen. Im Unterschied dazu bietet die Kauf-DVD Extras zuhauf:
• The Hours Special: eine Art Making-of
• Darsteller und Crew
• Blick hinter die Kulissen
• TV-Spots USA
• Fotogalerie
Also fehlt auch hier ein Regiekommentar, der uns das Werk in seinem Sinngehalt näherbrächte.
Unterm Strich
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"The Hours" ist ein Film, der nicht nur das Auge anspricht, sondern vor allem das Gehör beansprucht. Man muss den Worten der Figuren unbedingt folgen, um sich ausmalen zu können, worum es wirklich geht. Es tritt kein Lehrer oder Weiser auf, der alles erklärt. Das wäre für einen Film über Frauenemanzipation ja wohl auch kaum angemessen. Der Zuschauer muss sich die Befunde, die ihm als Indizien bereitgelegt werden, selbst erklären und zu einem Bild zusammenfügen, das einen Sinn ergibt. Am besten tauscht man seine Untersuchungsergebnisse mit Freunden und Freundinnen aus. Denn auf Anhieb wird man kaum bis zum Grund dieses tiefen Brunnens vorstoßen.
Die DVD ist in der Leihfassung aufgrund des exzellenten Tons und des einwandfreien Bildes eine Freude, sonst aber nicht. Nur die Kaufversion liefert auch die Fülle des Bonusmaterials, das zur Verfügung steht. Das ist eine wirklich bedauerliche Produkt- und Preispolitik des Studios.
Hinweis: Den Angaben, die Amazon.de über die Jahreszahlen der Ereignisse im Film macht, ist nicht zu trauen. Sie weichen alle von meinen eigenen "Befunden" ab...
Michael Matzer (c) 2003ff
Info: www.thehoursmovie.com (ohne gewähr)
----- Zusammengeführt, Beitrag vom 2005-05-08 16:27:23 mit dem Titel Die Jahre, Liebster, die Stunden
Die preisgekrönte Verfilmung des Bestsellers von Michael Cunningham ist sehr gelungen, wie ich finde. Drei Frauenschicksale sind durch die literarische Figur der Mrs. Dalloway eng miteinander verbunden, ohne es zunächst zu ahnen. Doch das Schlusskapitel lässt das Schlimmste befürchten.
Filminfos
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O-Titel: The Hours (USA, 2002)
FSK: ab 12
Länge: ca. 114 Min.
Regisseur: Stephen Daldry
Drehbuch: David Hare
Buchvorlage: Michael Cunningham
Musik: Philip Glass
Darsteller:
Merryl Streep spielt Clarissa Vaughn, New York City 2001
Ed Harris spielt ihren Freund Richard Brown (2001)
Jeff Daniels spielt Clarissas Ex-Freudn Louis Waters, der zuvor Richards Freund war
Claire Danes spielt Julia, Clarissas Tochter
Allison Janney: Clarissas Geliebte Sally Lester
Nicole Kidman spielt Virginia Woolf, ca. 1923, Richmond
Stephen Dillane spiel Leonard Woolf, 1923
Miranda Richardson spielt Vanessa, Virginias Schwester
Julianne Moore spielt Laura Brown, ca. 1951, Los Angeles, und 2001, New York
John C. Reilly spielt Dan Brown, ihren Mann
Jack Rovello spielt Lauras Sohn: Richard, der jetzt Clarissas Freund ist (1951)
Handlung
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Durch die nonlineare Schnitttechnik sind die drei Erzählstränge eng miteinander verwoben, und der gemeinsame Nenner ist Mrs Dalloway. Zunächst lediglich eine Figur eines Romans von Virginia Woolf - zudem ein Alter Ego - , avanciert Mrs. Dalloway in den Deckeln eines Buches zu einer Lebensmöglichkeit, um schließlich dann als Verkörperung in Gestalt einer Lektorin quasi zum leben zu erwachen. Diese Entwicklung scheint zunächst zufällig und willkürlich zu sein, doch die Konsequenzen sind sehr ernst, um nicht zu sagen: tödlich. Die Parallelen sind unübersehbar.
Die Erfinderin: Virginia Woolf
Wir verfolgen die letzten Jahre der britischen Schriftstellerin Virginia Woolf (gespielt von N. Kidman), und zwar in umgekehrter Perspektive: Am Anfang geht sie zum Fluss, um sich dort zu töten. Am Ende, dem Ende des gesamten Filmes bringt sie dieses Vorhaben zur Vollendung. Leonard, ihr Mann und Verleger, kommt zu spät, um die geistig und seelisch Kranke davon abzuhalten. Das ist im Kriegsjahr 1941. Das Schicksal des drohenden Freitodes hängt wie ein Damoklesschwert über dem Leben der beiden Seelenverwandten Virginia Woolfs. (Wer den Film mehrmals, wie empfohlen, anschaut, wird dies umso schmerzlicher bestätigt finden.)
Die Nachahmerin: Laura Brown
Zehn Jahre später liest die einfache Hausfrau und Mutter Laura Brown (Moore) Woolfs Roman "Mrs. Dalloway" und findet darin Grund, ihre Lebenssituation einer Neueinschätzung zu unterziehen. Sie findet wenig, das sie veranlassen würde, mit diesem Leben fortzufahren. Sie ist Mutter eines etwa achtjährigen Sohnes, Richard (der später wieder auftaucht), der sie liebt. Sie ist Ehefrau eines sie ebenfalls liebenden Ex-Soldaten, der in seinem Beruf durchaus erfolgreich ist. Laura ist schwanger und erwartet bald eine Tochter. Ihre Freundin Kitty kommt zu Besuch, mit einer schlechten Nachricht: Sie hat möglicherweise Gebärmutterkrebs. Ähnliche Befürchtungen lassen den Geburtstagskuchen misslingen.
An diesem Morgen beschließt sie daher, Mrs. Dalloways Alternative auszuprobieren und zu versuchen, sich in einem Hotelzimmer das Leben zu nehmen. Ihr Sohn Richard ahnt bereits etwas, kann sie aber nicht zurückhalten...
Die Verkörperung: Clarissa Vaughan
Die New Yorker Lektorin Clarissa (Streep) plant fünfzig Jahre später eine große Party zu Ehren ihres literarischen Schützlings Richard Brown, der mit einem wichtigen Literaturpreis für sein Lebenswerk ausgezeichnet werden soll. Richard hat AIDS, und das bedrückt sie. Sie war in ihrer Jugend einen Sommer lang seine Freundin, dann lernte er Louis Waters (Daniels) kennen, seine zweite Liebe. Richard nennt Clarissa "Mrs. Dalloway", weil er sich noch sehr gut daran erinnert, dass seine Mutter dieses Buch las, bevor sie für einen Tag verschwand.
Als Waters auftaucht, hat Clarissa einen kleinen Zusammenbruch und dunkle Vorahnungen. Auch ihre Lebensgefährtin Sally Lester und ihre Tochter Julia (entstanden aus einer künstlichen Befruchtung) können sie nicht aufmuntern. Als sie Richard besucht, kommt es zu einer Katastrophe: Er wirft sich aus dem Fenster in die Tiefe.
Ob Clarissa diese Wunde überlebt? Sie bedarf dringend der Erlösung, und die taucht wenig später in Gestalt einer Mrs. Laura Brown auf: Richards "Monstrum"!
Mein Eindruck
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Virginia Woolfs Idee ist ebenso einfach wie genial: a day in the life of... = a life in a day. Michael Cunningham, der Autor von "The Hours/Die Stunden", packt noch zwei drauf: Three lives in one day! Und der Film versucht diesen Ansatz adäquat umzusetzen. Daher die ausgefeilte Schnitttechnik, die von einer der drei Hauptfiguren zur nächsten wechselt, um die Parallelen bzw. Unterschiede aufzuzeigen.
Dadurch möchte der Cunningham-Roman ebenso wie Daldrys preisgekrönte Verfilmung (Silberner Bär, Oscar für Kidman) die verketteten Prozesse darstellen, die a) auf die Hauptfiguren einwirken und b) sie mit einander auf verhängnisvolle Weise verknüpfen.
Alle drei Frauen fühlen sich mit ihrer Umgebung nicht im Reinen. Woolf schon gar nicht, wie man an ihrem Verhalten beim Besuch ihrer Schwester Vanessa (Richardson), einer dreifachen Mutter, ablesen kann. Bei der Beerdigung eines toten Vogels legt sie dem Vogel rote Rosen aufs Grab. Das und die Fragen ihrer Nichte Angelica (die Engelhafte) bringt sie auf den Gedanken, dass es für ihre neueste "Heldin", Clarissa Dalloway doch noch eine Erlösung geben muss. Nicht so für Virginia, die ins Wasser geht, um ihren geliebten Gatten Leonard zu erlösen und von ihrer Bürde zu befreien, wie sie behauptet.
Doch woran krankt das Leben Laura Browns? Das Dasein in der kleinen herausgeputzten Vorstadt ist perfekt: Sie wird von Mann und Sohn geliebt, ist werdende Mutter. Doch ihr bietet das Leben keine Perspektiven außer Krankheit (Kittys Krebs und Unfruchtbarkeit) und weitere Kinder. Soll das schon alles gewesen sein? Doch der Tod ist keine Alternative, wie sie im letzten Augenblick erkennt. Ihre Wahl jedoch ist für Richard ebenso schlimm: Das macht sie zu seinem Monstrum. Doch sie hat eine gute Entschuldigung für Clarissa Vaughan.
Richard fragt Clarissa einmal, was sie davon hat, dass sie ihn pflegt, wie eine Mutter es täte. Tut sie das nicht mehr für sich als für ihn? Sie muss auf die harte Tour lernen, den nur einen Sommer lang besessenen Geliebten loszulassen und dennoch zu überleben. Auch bei ihr befindet sich die gesellschaftliche Fassade in krassem Kontrast zum privaten Glück.
In Richards Freitod, eine Parallele zu Woolfs Freitod, ist die Kette des Prozesses, den die Erfindung von Mrs. Dalloway ausgelöst hat, zu ihrem tragischen Ende gekommen. Weil Virginia Dalloway als Alternative erfunden hat, tötete sich Richards Mutter beinahe und verschwand dann, wodurch sie ihn traumatisierte. Seine Existenz definierte wiederum Clarissa Vaughans Leben, wodurch sie Ähnlichkeit mit Mrs. Dalloway annahm: die Verkörperung.
Logischerweise müsste Richards Tod nun zu ihrem Tod fürhren, dieser wieder zu den Leiden von Julia und Sally - die Kette der tödlichen Verwundungen ginge fort und fort. Nur das Auftauchen von Laura Brown kann Erlösung bringen, denn sie hat es geschafft, die Kette zu durchbrechen und zu überleben. Dafür hat sie einen sehr hohen Preis bezahlt. Und daher kann man gut verstehen, warum viele Frauen nicht bereit sind, diesen Preis zu zahlen und in der Kette leidend zu verbleiben.
Jede der drei Frauen probiert eine Alternative: lesbische Liebe. Obwohl tabuisiert oder gar verboten, so darf man doch wie Goethes Faust einen Augenblick -nein: "die Stunden"! - des Glückes stehlen und eine andere Frau küssen: Virginia und Vanessa, Laura und Kitty und schließlich Clarissa und Sally. Die beiden letzteren haben kein Tabu mehr zu fürchten, und erlöst sinken sie einander in die Arme. Ist also die Utopia Virginias endlich Wirklichkeit geworden? Es sieht ganz so aus, doch den Preis mussten Virginia und Laura zahlen.
Mein Eindruck: Die VHS
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Der Sound ist ausgezeichnet gelungen. Der Dolby-Digital-Klang versetzt den Zuschauer, der über eine angemessene Anlage verfügt, direkt ins Geschehen - sei es am Fluss, in dem sich Viginia ertränkt, sei es auf dem Bahnhof von Richmond, wo sie nach London fliehen will. Sehr wichtig ist der Sound für die einfühlsame und eigentümliche Minimalist-Misuk von Philip Glass: wunderschön und doch zugleich gewöhnungsbedürftig.
Über das Bild lässt sich streiten. Standardmäßig wird es im 4:3-Format wiedergegeben, und das bedeutet, dass links und rechts einiges abgeschnitten wird. Schon an den Vorspann-Credits ist dies zu erkennen. Links fehlen mindestens drei Buchstaben der eingeblendeten Namen, ebenso natürlich am rechten Rand. Die Bildqualität hingegen ist erstklassig.
Unterm Strich
°°°°°°°°°°°°°°
"The Hours" ist ein Film, der nicht nur das Auge anspricht, sondern vor allem das Gehör beansprucht. Man muss den Worten der Figuren unbedingt folgen, um sich ausmalen zu können, worum es wirklich geht. Es tritt kein Lehrer oder Weiser auf, der alles erklärt. Das wäre für einen Film über Frauenemanzipation ja wohl auch kaum angemessen. Der Zuschauer muss sich die Befunde, die ihm als Indizien bereitgelegt werden, selbst erklären und zu einem Bild zusammenfügen, das einen Sinn ergibt. Am besten tauscht man seine Untersuchungsergebnisse mit Freunden und Freundinnen aus. Denn auf Anhieb wird man kaum bis zum Grund dieses tiefen Brunnens vorstoßen.
Hinweis: Den Angaben, die Amazon.de über die Jahreszahlen der Ereignisse im Film macht, ist nicht zu trauen. Sie weichen alle von meinen eigenen "Befunden" ab...
Michael Matzer (c) 2005ff
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