Pro:
Ungemeine Spannung mit Realitätsbezug
Kontra:
Die Zahl der handelnden Personen steigt stetig an
Empfehlung:
Ja
"Erwartung" - so lautet der deutsche Titel des neuesten Buches aus der Carl-Mörck-Reihe des dänischen Thriller-Autoren Jussi Adler Olsen. Warum der Verlag diesen Titel gewählt hat, weiß nur er allein. Möglicherweise aber kennt der Namensgeber mich, denn ich hatte voller Spannung dieses Werk erwartet und es sofort geordert, als es auf dem deutschen Markt erhältlich war. Inzwischen ist der Roman auch gelesen - und ich kann darüber berichten. Übrigens: Der Untertitel "Der Marco-Effekt" entspricht der Übersetzung des Titels im dänischen Original und trifft den Kern der Sache wesentlich besser.
Der Kauf
Das 2013 im Deutschen Taschenbuch-Verlag (dtv) erschienene gebundene Buch mit 576 Seiten und eine stolzen Gewicht von fast 800 Gramm wurde von mir beim Internet-Anbieter buecher.de geordert. Fällig waren für das Werk 19,90 Euro, geliefert wurde - ohne Berechnung zusätzlicher Versandkosten - nur zwei Tage nach der Bestellung per DHL.
Das Aussehen
Das Buch im Format 22 mal 15 Zentimeter ist in schwarzer Pappe gebunden und verfügt über ein bei der Lektüre hilfreiches rotes Lesebändchen. Der papierne Schutzumschlag nennt auf seiner Vorderseite in überdimensonaler hellblauer Großschrift den Namen des Auutoren, darunter in weiß den Titel des Buches. In der unteren Hälfte ist eine rötliche Feder zu sehen. Auf der Rückseite gibt es eine kurze Leseprobe, eine noch kürzere Inhaltsangabe und eine - natürlich positiv ausfallende - Pressestimme. Die Innenseiten des Schutzumschlages bieten eine etwas umfangreichere Inhaltsangabe und Informationen über den Autoren sowie Hinweise auf die zuvor bereits erschienen vier Bücher aus der Reihe.
Der Inhalt
Korruption und Mord in Kopenhagen. Ein obdachloser Teenager, der um sein Leben kämpft. Der in Dänemark bislang erfolgreichste Fall für das Sonderdezernat Q jetzt endlich auf Deutsch!
Marco ist fünfzehn und hasst sein Leben in einem Clan,dessen Mitglieder von ihrem gewalttätigen und zynischen Anführer Zola in die Kriminalität gezwungen werden. Als er sein Sklavendasein nicht mehr aushält und flieht, stößt er ganz in der Nähe von Zolas Wohnsitz auf eine Männerleiche Die Suche nach dem Mörder führt Carl, Assad, Rose und Gordon, den Neuen im Sonderdezernat Q, tief hinein in das Netzwerk der Kopenhagener Unterwelt, in den Sumpf von Korruption und schweren Verbrechen in Politik und Finanzwelt und sie zieht Kreise bis in den afrikanischen Dschungel. (buecher.de)
Der Autor
Jussi Adler-Olsen wurde 1950 in Kopenhagen geboren. Mit seiner Thriller-Serie um Carl Mörck vom Sonderdezernat Q und seinen Romanen (unter anderem "Das Washington-Dekret" und "Das Alphabethaus") stürmte er die internationalen Bestsellerlisten. Seine preisgekrönten Bücher wurden bislang in 35 Länder verkauft und werden mehrfach verfilmt. Der Autor studierte Medizin, Soziologie, Politische Geschichte und Film und arbeitete in vielen verschiedenen Berufen. Er gilt als bestverkaufter dänischer Krimiautor. Jussi Adler-Olsen ist verheiratet und Vater eines Sohnes.
Leseprobe (1. Kapitel)
René E. Eriksen war nie ein übermäßig vorsichtiger Typ gewesen. Vielleicht hatte es deshalb in seinem Leben Niederlagen und Siege in unvorhersehbarer Abfolge gegeben. Dennoch war er, wenn er dieses Leben in seiner Gesamtheit betrachtete, mit dem Resultat recht zufrieden. Letztlich war das Glück doch immer auf seiner Seite gewesen.
Trotzdem zählte René sich zu den bedachtsamen Menschen. Schon als kleiner Junge hatte er bei großen und kleinen Problemen gern hinter der Schürze seiner Mutter Schutz gesucht. Und irgendwie hatte sich das fortgesetzt, auch als Erwachsenem war es ihm stets gelungen, eine Hintertür offenzuhalten, wenn er sich in Neues stürzte.
Aus diesem Grund hatte er auch reiflich überlegt, als ihn an jenem Nachmittag sein guter Freund und früherer Klassenkamerad Teis Snap, Direktor der Karrebæk-Bank, in seinem Büro im Außenministerium angerufen und ihm einen Vorschlag unterbreitet hatte. Einen Vorschlag, den ein Mann in Renés gehobener Position unter normalen Umständen als völlig inakzeptabel verworfen hätte.
Die Bankenkrise hatte gerade begonnen, ihr hässliches Gesicht zu zeigen: Es war die Zeit, in der sich die Konsequenzen aus dem fatalen Zusammenspiel von gieriger Börsenspekulation und verantwortungsloser Wirtschaftspolitik messerscharf abzeichneten.
Genau das war auch der Grund für Teis Snaps Anruf gewesen. "
Die Karrebæk-Bank ist in zwei Monaten insolvent, wenn wir nicht umgehend zusätzliches Kapital beschaffen", hatte er damals unumwunden gesagt.
"Und was ist mit meinen Aktien?" Die Frage war René unwillkürlich herausgerutscht, als er mit deutlich erhöhtem Puls an sein Pensionärsdasein erster Klasse unter südlichen Palmen dachte, das ihm versprochen worden war. Ein Traum, der nun wie ein Kartenhaus in sich zusammenzufallen drohte.
"Tja, was soll ich dir sagen? Wenn wir nicht schnellstens Geldzuflüsse organisieren, verlieren wir alles. So sieht es aus", antwortete Teis Snap.
Die nun folgende Pause war eine Pause unter Freunden. Eine dieser Pausen, in der es keine Möglichkeit für Protest oder theoretische Einwände gab.
Meine Meinung
Gleich vorab: Meine zugegebenermaßen hohen Erwartungen an das neue Werk Jussi Adler-Olsens wurden nicht enttäuscht. Wieder einmal schafft es der Autor, einen spannenden Kriminalfall mit Gesellschaftskritik und zugleich einer humorvollen Rahmenhandlung zu verbinden, was es dem geneigten Leser leicht macht, seinen Gedanken zu folgen - auch wenn die Geschichte auf unterschiedlichen Handlungsebenen erzählt wird. Angemerkt sei gleich zu Beginn dieser Kritik, dass gerade die angesprochene Rahmenhandlung ein Grund dafür ist, dass nach Möglichkeit kein Leser dieses Werk als seinen ersten Adler-Olsen-Roman lesen sollte - hier ist es sinnvoll, die chronolgische Reihenfolge (also: zunächst "Erbarmen", dann "Schändung", anschließend "Erlösung" und "Verachtung") einzuhalten, weil die Hauptpersonen sich stets weiter entwickeln und ihr Handeln wie Denken oftmals Bezug auf das Geschehen in den Vorgänger-Romanen nimmt. In diesem Zusammenhang finde ich es übrigens ausgesprochen gut, dass die handelnden Personen nicht - wie bei vielen anderen Serien-Romanen - auf der Stelle stehen bleiben, sondern dass hier eine Entwicklung zu erkennen ist, was ganz aktuell vor allem die Vergangenheit von Mörcks undurchsichtigen Assistenten Assad betrifft.
Aber: Natürlich ist diese Rahmenhandlung nur ein willkommenes Beiwerk. Schließlich hat das kleine Sonderdezernat Q der Kopenhagener Polizei wieder einmal einen Fall zu lösen - obwohl Carl Mörck das anfangs gar nicht will, weil er sich viel mehr mit seinen privaten Problemen zu beschäftigen hat. Die Bankenkrise dürfte Jussi Adler-Olsen animiert haben, seinen Plot zu entwickeln. Und, da darf ruhig Widerspruch kommen: Das Ganze wirkt realistisch und unterstreicht nur das inzwischen wohl weltweit geltende Negativ-Image der Kreditinstitute, bei denen Profit vor allem anderen steht und nicht nur Korruption und Unterschlagung erlaubt, sondern sogar Morde. Natürlich wird sich niemand aus den Chef-Etagen die Hände schmutzig machen, aber wenn dann hilfsbereite Gangs zur Verfügung stehen (und auch die gibt es in ähnlicher Form wirklich), dann wird das alles ganz einfach gemacht und von den tragenden Säulen der Gesellschaft gar nicht wirklich wahrgenommen.
Wie so oft in der realen Geschichte ist es eine Einzelperson, die aus dem Hamsterrad zu fliehen versucht und dabei ausschließlich Gutes im Sinne hat, in diesem Falle der gerade 15-jährige Marco, den Adler-Olsen in seiner Intelligenz und Handlungsweise möglicherweise etwas überzeichnet, der aber eher so etwas wie ein Sinnbild darstellt. In "Erwartung" aber ist dieser Marco eine reale Person, mit der der Leser bangt und zittert, mit der er auf ein gutes Ende hofft. Wer allerdings Adler-Olsen kennt, der weiß, dass dieser Autor seine Romane nicht immer und unweigerlich mit einem Happy-End ausklingen lässt. Ob er das dieses Mal tut, wird erst sehr spät zu erfahren sein. Die Moral von der Geschichte ist eine einfache: Immer wieder versuchen wenige Gute, sich gegen das scheinbar übermächtige Böse durchzusetzen. Und auf diese wenigen Guten müssen wir bauen, wenn unsere Gesellschaft überleben soll. All das spricht der Autor natürlich nicht aus, er meint es aber. Gut, dass Adler-Olsen dabei keineswegs den verbalen Zeigenfinger hebt, sondern den Leser selbst schlussfolgern lässt.
Es bleibt die Frage offen, warum der Konsument diesen Carl Mörck eigentlich mag. Dessen Charaktereigenschaften sind nämlich definitiv nicht so gestaltet, dass er sofort Jedermanns Freund sein könnte - eher im Gegenteil. Aber vielleicht liegt genau dort das Geheimnis des Erfolges, denn all die gleichgeschalteten Menschen interessieren uns nicht mehr wirklich, sondern die mit Ecken und Kanten ziehen unsere Aufmerksamkeit auf sich. Und wenn viel Negatives von einem großen Positiven überlagert wird, dann ist letztlich doch alles gut. Oder? Ich jedenfalls mag Carl Mörck und alle Mitarbeiter seines Sonderdezernats, wobei Adler Olsen allerdings aufpassen muss, hier nicht zu viele Charaktere einzubauen, denn das würde den Leser irgendwann überfordern. Der im neuesten Band neu eingeführte Gordon zum Beispiel erscheint mir überflüssig zu sein. Aber vielleicht ist ihm ja in der auf zehn Bände angelegten Reihe noch eine kommende Schlüsselposition zugedacht? Wir werden es sehen - ich jedenfalls freue mich schon auf das im Jahr 2014 zu erwartende neue Abenteuer aus der Feder des dänischen Bestseller-Autoren.
Anzumerken ist abschließend noch, dass Adler-Olsen den Leser rein sprachlich keineswegs überfordert, sondern ihn mit zumeist kurzen Sätzen und viel wörtlicher Rede geschickt durch das Geschehen führt. Auch die unterschiedlichen Handlungsebenen, die dafür sorgen, dass der Leser mehr weiß als die Protagonisten des Werkes, tragen dazu bei, dass ein zunächst nur allmählich ansteigender Spannungsbogen bald schon in höchster Höhe verharrt und erst kurz vor Schluss rapide abstürzt. Das Buch ist in Prolog, 43 Kapitel und Epilog eingeteilt, wobei oftmals ein Kapitel-Ende auch den Wechsel der Handlungsebene bedeutet, was dem Konsumenten eine gute Möglichkeit zur Lese-Pause bietet. All zu lang allerdings fielen diese Lesepausen zumindest bei mir nicht aus, denn dafür war das Geschehen viel zu spannend. Und ich wollte doch die Lösung des Rätsels wissen beziehungsweise dessen Aufklärung miterleben. Das ist inzwischen geschehen. Und ich bleibe dabei, dass für mich Jussi Adler-Olsen eine der ganz großen Thriller-Autoren der Gegenwart ist, der es problemlos mit seinen britischen und amerikanischen Vorgängern aufnehmen kann, wobei der Däne es sogar schafft, noch etwas mehr Menschlichkeit in seine Romane einzubauen als andere. Aber das scheint ja ohnehin eine Spezialität der skandinavischen Autoren zu sein, deren Helden niemals fehlerfrei sind. weiterlesen schließen
Bewerten / Kommentar schreiben