CharlesAndMarie Testbericht

Nicht wahr, Sie haben es sich fast gedacht, dass der Oscar in der Überschrift nicht der aus der Mülltonne ist, der im englischsprachigen Original der Sesamstraße „Oscar, the grouch“ heißt?



Nein, Ihnen ist sicher klar gewesen, dass mit dem Oscar, der sich bei Charles und marie wohl gefühlt hätte, der anglo-irische Dichter und Schöngeist Oscar Wilde gemeint ist. Der war ein ziemlicher Dandy, und seiner Aussprüche zum Thema Luxus („Man umgebe mich mit Luxus. Auf das Notwendige kann ich verzichten“) sowie zu Geschmack („Ich habe einen ganz einfachen Geschmack: Ich bin immer mit dem Besten zufrieden“) bedienen sich seit Jahr und Tag nicht nur Unternehmen gern, die ihren Kunden Mineralwässer, Schreibgeräte und anderes schmackhaft zu machen versuchen. Selbst auf dem Sterbebett soll der unglückliche Wilde noch ganz Ästhet gewesen sein: Einer müsse gehen, habe er gesagt, die Tapete oder er. Die Tapete, die damals im Hotel in der Pariser Fremde hing und die scheußlich gewesen sein muss – sie hat den großen Oscar Wilde dann leider doch überlebt.

Was hätte er wohl zum Sortiment von Charles & Marie gesagt?

Ich nehme an, er wäre angetan davon gewesen, bietet der Shop doch vornehmlich Dinge an, die nicht unbedingt zur Grundausstattung eines durchschnittlichen Haushalts gehören. Will sagen: www.charlesandmarie.com bietet nicht gerade die bare necessities of life. Eher schon das Gegenteil: schöne Dinge, die man nicht vornehmlich um ihrer Funktion willen kauft. Womit ich nicht sagen will, die Dinge, die man hier kaufen kann, hätten keinen Gebrauchswert – das nun nicht.

Trotzdem werden praktisch veranlagte, rein nutzwertorientierte schwäbische Hausfrauen und andere Wirtschafter ob der Dinge im Shop wahrscheinlich verständnislos den Kopf schütteln: Warum sollte man denn auch 18 Euro für ein dreiteiliges, quietschbuntes Kunststoff-Besteck ausgeben, dessen Form einem barocken Vorbild nachempfunden ist? Warum sollte man den gleichen Betrag für einen Kaffeebecher ausgeben, der aussieht wie einer der Papierbecher, in denen eilige Yuppies morgens auf dem Weg zur Arbeit ihre latte schlürfen, der aber in Wirklichkeit aus doppelwandigem Porzellan besteht und mit einem Deckel aus Silikon ausgestattet ist? Richtig: Solche Dinge kauft man nicht, weil es keine billigeren Ausweichmöglichkeiten gäbe. Man kauft sie aus Spaß an der Freud’ – oder eben gar nicht.

Zugegeben: Oft genug schleiche ich um die Dinge aus dem ständig wechselnden Sortiment (dass es wechselt, dafür sorgt schon die Rubrik Soup du Jour mit ihren Artikeln, die es jeweils nur einen Kalendertag lang zu kaufen gibt) auch nur herum. Ich liebäugele zum Beispiel schon sehr lange mit den witzigen Frühstücksbrttechen, in deren Maserung man an passender Stelle kleine Figürchen gelasert hat: Der Eskimo, der da an den Holzwellen Platz genommen hat, sieht wirklich so aus, als angle er sich einen Fisch aus einem Astloch.

Tatsächlich habe ich erst zweimal etwas bei Charles & Marie gekauft – und das erste Mal ist bereits so lange her, dass mir gerade heute einfach nicht einfallen will, was ich dort damals gekauft habe. Sobald es mir wieder eingefallen ist, werde ich es nachtragen. Was ich noch in Erinnerung hatte, war die Tatsache, dass Charles & Marie schnell liefern – verdammt schnell, und vor allem sehr viel schneller, als es die Firmenadresse im sonnigen San Francisco zunächst vermuten ließe. Am vergangenen Freitag habe ich den oben beschriebenen Becher (der sich bezeichnenderweise I am not a paper cup nennt) bestellt – und gestern, am Montag, hat UPS mir das Paket bereits zugestellt. Des Rätsels Lösung: Offenbar wird sehr dezentral ausgeliefert, denn bei der Versandadresse auf meinem Paket handelt es sich um eine Anschrift im schönen Taunus.

Eine zweite Sache, die mir entfallen war, ist mir dann beim Öffnen des Paktes wieder in den Sinn gekommen: Stimmt ja – Charles & Marie war dieser Laden, der nicht nur online Wert auf gefällige Gestaltung des Shops und ansprechende Präsentation des Sortiments legt, sondern der sich auch nach dem Onlinekauf erkennbar Mühe gibt, sich gegenüber seinen Wettbewerbern abzugrenzen und sich unverwechselbar zu machen – zum Beispiel dadurch, dass die Rechnung nicht „einfach so“ irgendwo im Karton landet, sondern in einen schicken, kleinen Pappumschlag eingesteckt wird: Ich bin mir sicher, Oscar hätte das ebenso hübsch gefunden wie ich.


R e s ü m e e

Freundinnen und Freunde schöner Dinge, die meist (aber durchaus nicht immer) auch einen Gebrauchswert bieten, kommen hier auf ihre Kosten: Der Shop www.charlesandmarie.com bietet immer wieder Dinge des täglichen Bedarfs, die von Designern neu interpretiert wurden. Die Ergebnisse sind nicht immer billig, überraschen und amüsieren meist und bewegen sich oft genug irgendwo in der Grauzone zwischen Kunst und Kitsch.