Airoh Tyger Testbericht

Airoh-tyger
ab 114,65
Auf yopi.de gelistet seit 07/2004

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Erfahrungsbericht von Tut_Ench_Amun

Die pharaonische Thermoplast-Totenmaske

Pro:

Vielseitig, da Cross- und Integral/Straßenhelm gleichzeitig / moderater Preis / Schönes Design / Gute Ergonomie

Kontra:

Windgeräusche / \"nur\" Polycarbonat / Lässt sich nur umständlich airbrushen

Empfehlung:

Ja

Die Helmpflicht auf dem Motorrad herrscht ja schon lange, vorbei die Zeiten, wo man mit Opas Wehrmachtshelm auf der Rübe ungestraft durch die Weltgeschichte gondeln durfte. Auch bei Suppen- oder Tupper-Schüsseln besteht die Gefahr von den Ordnungshütern aus dem Verkehr gefischt zu werden. Die Sparte hat sich immer mehr in Richtung Hightech entwickelt. Heute ist es kein Problem „mal eben“ locker 700 (und mehr) Euro für einen renommierten Helm auf den Tisch zu blättern – Frage: Will man das? Ich jedenfalls nicht. Ich achte zwar auch auf die Marke und deren Ruf, doch halte ich mich seit ich damals mit 16 den A1-Lappen gemacht habe eher im Low- oder MidPrice Segment auf. Gar nicht so leicht einen günstigen Helm zu finden, der a) in vielerlei Hinsicht etwas taugt und b) auch noch prima auf meiner Murmel aussieht. Mein alter Integralhelm lag nun in den letzten Zügen und es wurde Zeit sich mal wieder auf die Pirsch zu begeben.

Ich bin ein Wanderer zwischen den Welten, einerseits fahre ich gerne Rennbrötchen, da ist ein Racinghelm sicher erste Wahl. Andererseits habe ich meine Liebe für Offroad und Enduro über die Jahre stetig ausgebaut, da ist eher ein Crosshelm vonnöten. Das einfallsreiche Konzept der italienischen Helmschmiede Airoh richtet sich haargenau an Leute wie mich, die mit wenigen Handgriffen den Einsatzbereich wechseln möchten. Mit seinem eigenwilligen, insektoiden Aussehen verleiht der Tyger einem ansonsten sonst so anonym wirkenden Helmträger einen Charakterkopf. Hat auch nicht jeder. Beides ist mir persönlich einigermaßen wichtig - Motorradfahrer stehen ja sowieso im Ruf unverbesserliche Individualisten zu sein. Ein Helm ist auch gleichzeitig Ausdruck der Persönlichkeit. Und Hand aufs Herz: Mit einem reinen Crosshelm auf einem Straßenhobel, das sieht nicht einfach nur besch...eiden aus, das fährt sich auch so – umgekehrt genauso, wenn auch nicht ganz so schlimm.

    Pack den Tiger auf den Tank | Steckbrief
  • Modell: TYGER
  • Art: Hybrid-Helm (Vollintegral / Enduro)
  • Farben: Schwarz/matt und Silber*
  • Gewicht: 1350 – 1450 Gramm (je nach Konfiguration)
  • Helmschale: Thermoplast / Polycarbonat **
  • Norm: ECE 22-05
  • Polsterung: CoolMax ™ / Polyester
  • Visier: Polycarbonat (AntiFog, kratzfest – erhältlich in Klar und Getönt)
  • Belüftung: Kinn (permanent) und Stirn (zuschaltbar)
  • Kinnriemen-Verschluss: Schnapp/Clickschloss
  • Hersteller: Airoh / Italy (www.airoh.com)
  • Bezugsquellen: div. Motorradfachgeschäfte (u.a. Louis, Polo, Hein Gerricke)
  • UVP: 159 Euro

*)Lieferbar ist der aktuelle Tyger (Saison 2003/04) nur noch in schwarz/matt und silber. Meine Version hingegen ist schwarz/glänzend und weist ihn damit als älteren Vertreter der Produktionslinie 2002/03 aus. Dafür war er mit 99 Euro ordentlich billiger, als das neuere Modell. Ein Preisvergleich lohnt sich also. Ansonsten hat sich nichts gravierend geändert. Gleiche Technik – Gleiche Optik. Auch die Ersatzteile passen untereinander.

**)Hochleistungshelme werden aus robusteren Verbundstoffen, wie Carbon, GFK oder Lexan gefertigt. Der Tyger als Helm in der unteren Preisregion erlaubt sich solchen Luxus nicht. Die Polycarbonat-Helmschale ist aus einem Stück im Spritzgussverfahren entstanden und erfüllt natürlich alle erforderlichen ECE-Normen, was die gesetzlich geforderte Schlagfestigkeit angeht. Polycarbonat ist kein schlechtes Material, sein größter Vorzug ist neben der niedrigen Produktionskosten bei der Verarbeitung, das geringe spezifische Gewicht. Es hat aber ein paar kleinere Nachteile gegenüber Verbundstoffen, so ist Polycarbonat weicher und anfälliger für Kratzer. Das ist nicht nur eine Sache der Optik. Manch harmlos aussehende Beschädigung der Schale kann zu (mit dem bloßen Auge unsichtbaren) Strukturschwächen, und somit zum Bruch im Ernstfall führen.


Tipp
Das beliebte Bekleben mit Stickern aller möglichen Sponsoren und/oder vermeintlich witzigen Sprüchen sollte man unterlassen, die im Klebstoff enthaltenen Lösemittel greifen das Material an. Airbrushen gestaltet sich bei Helmen aus PC ebenfalls schwierig. Anschleifen darf man sie nicht und bei Farben auf Lösemittelbasis, gilt das Gleiche, wie bei Aufklebern. Bliebe als Alternative noch Kunststoffprimer und Farben auf Wasserbasis plus das spätere (zwingend notwendige) Überziehen des Helmes mit Klarlack. Ziemlich aufwendig. Ich brushe selbst sehr gern, doch bei Helmen aus PC ist der Arbeitsaufwand ungebührlich hoch, sodass ersichtlich wird, warum man stets teurere Helme aus Verbundstoffen airbrusht, die billigeren jedoch nur in Ausnahmefällen.

Im Visier des Pharao
Ohne Aufpreis liegt alles Erforderliche für den Umbau bei. Im Lieferumfang befindet sich neben dem Helm mit vormontiertem Schirm auch noch ein Klappvisier und die passenden (größeren) Seitenblenden, für den Fall, dass man den Tyger als Vollintegralhelm ohne den Schirm fahren möchte. Eine Kombination aus Schirm und Visier ist selbstredend auch möglich. Beim Kauf ist zu beachten, dass nicht alle Anbieter das getönte Visier dazu packen, sondern das ungetönte. Im Bestelltext von Hein Gerricke etwa ist das klare Visier als Lieferumfang angegeben, während bei der Louis-Kette (da hab ich meinen Helm gekauft) im Katalog und im Webshop nicht nur das getönte Visier auf dem Helm abgebildet ist, sondern auch in der Produktbeschreibung explizit genannt wird. Meiner bescheidenen Meinung nach, sieht aber NUR das schwarz getönte Visier auf diesem Helm auch wirklich akzeptabel aus, vom besseren Sonnenschutz mal abgesehen.

Im Endeffekt ist das jedoch – wie alles im Leben – Geschmackssache. Nebenbei bemerkt, das klare Visier ist für Nachtfahrten aus nachvollziehbaren Gründen besser geeignet, als das Dunkle. Beide Arten sind zwar kratzfest und AntiFog beschichtet jedoch für diese Preisklasse üblich nicht in Supravision erhältlich. Klartext: Die Antibeschlag-Beschichtung muss von Zeit zu Zeit mittels Spray selbst erneuert werden. Die vollständig aus Kunststoff gefertigte Visiermechanik ist keine Ausgeburt an Hightech und recht einfach gestrickt. Eine kleine Metallkugel in den Seitendeckeln sorgt auf jeder Seite dafür, dass das Visier in 4 Stellungen einrasten kann, indem sie in entsprechende Löcher greift. Keep it simple, lautete hier wohl die Devise. Gehalten wird das Visier von je einer großen Plastik-Schraube auf jeder Seite, die ähnlich einem Bajonettverschluss funktioniert. ¼ Umdrehung reicht zum lösen und anziehen.

Alle Anbauteile sind einzeln zu bekommen, bei Verlust oder Beschädigung sicher beruhigend zu wissen – wirklich billig sind diese zwar nicht (Die Visierscheibe kostet beispielsweise 49 Tacken – egal ob getönt oder nicht), doch ist es günstiger, als gleich einen neuen Helm kaufen zu müssen. Wahlweise sind Visiere auch noch verspiegelt und im Iridium-Look (schimmert bläulich) erhältlich. Die Seitendeckel und Schirm passenderweise in Schwarz oder Silber. Werkzeug braucht man nicht, um die Teile auszutauschen oder den Helm umzubauen, eine 20 Cent-Münze für die seitlichen Verschlußmuttern der Visiermechanik sollte man aber parat haben. Alle anderen Verbindungen sind nur geclippst und mit relativ hohem Kraftaufwand zu lösen. Wenig vertrauenserweckend sind dabei die Rastbolzen der Seitenblenden aus Kunststoff, man muss kein Prophet sein, um vorauszusehen, dass die irgendwann mal ausleiern dürften. Bislang schlagen sie sich jedoch tapfer.

Hightech-Totenmaske | Ergonomie & Handling
Ein sehr wichtiger Punkt ist der Tragekomfort des Helmes. Er darf nicht drücken aber auch nicht auf der Rübe hin- und herschlabbern. Der Helm muss auch ohne ihn mit dem verstellbaren Kinnriemen per Click-Schloss fixiert zu haben spack auf der Murmel sitzen. Ist er hingegen zu fest drohen irgendwann Kopfschmerzen. Konzentrationsmängel und ein Verlust der Freude am Fahren sind die Folge. Gefährlich. Normal fallen Helme eigentlich immer etwas kleiner aus, als die Hutgröße, die auf ihnen vermerkt ist, daher kauft man Helme in der Regel eine Stufe größer. Der Tyger fällt da aus dem Rahmen. Mein Helm hat die Größe L und deckt damit die Spanne von Hutgröße 59 – 60 ab. Das kommt hin. Mein Kopfumfang beträgt 59 cm und der Tyger passt, wie angegossen. Mit 1350 – 1450 Gramm (je nach Konfiguration) ist er auch ein richtiges Leichtgewicht.

Das Innenleben ist unter der PC-Außenschale zusätzlich als Prallschutz mit Hartschaum ausgepanzert und grob auf die Kopfform angepasst. Den eigentlichen Sitz ermöglicht jedoch die Polsterung aus weichem Schaumstoff mit CoolMax-Gewebeüberzug. CoolMax ™ ist eine patentierte Polyesterfaser aus dem Hause DuPont ™, die atmungsaktiv ist, schweißabsorbierend und antibakteriell (und somit geruchshemmend) wirkt. Motorradfahrern ist das Material und der Markenname sicher geläufig, denn viele Helmhersteller verwenden es zur Innenpolsterung. Die Innenpolster kann man auch komplett herausnehmen und in der Maschine waschen. Im oberen Bereich des Helmes (von der Stirn über das Scheitelbein bis zum Hinterkopf) ist ein langer Belüftungskanal eingearbeitet, dieser hat Verbindung mit den Luftschlitzen auf der Helmaußenseite. Die Stirn/Oberkopf-Belüftung kann per Schieber geschlossen oder geöffnet werden, die seitlichen und die vorderen Luftschlitze am Kinnbogen sind jedoch permanent offen.

Der Fahrtwind orgelt selbst bei montiertem und geschlossenem Visier hinein - vor allem durch die großflächigen Öffnungen am weit vorgestreckten Kinnsegment, die nur mit einem relativ groben Schutzgitter versehen sind, um etwa Insekten am Eindringen zu hindern. Je nach Geschwindigkeit tränen die Augen durch die Zugluft. Bei Regen und entsprechend hohem Tempo gelangt zudem feiner Wasserspray durch das Netz ins Innere – trotz geschlossenem Visier. Eine Möglichkeit die Frontbelüftung zu verriegeln wäre wünschenswert gewesen, Vollblut-Integralhelme haben so etwas ausnahmslos, doch der Tyger ist nun mal in erster Linie von der Konstruktion her ein Crosshelm. Man merkts. Nicht nur optisch. Die seitlichen Lüftungsöffnungen sind unkomplizierter, da sie strömungstechnisch eleganter angebracht sind.

Fürs Gelände ist das Schalenmaterial streng genommen nicht widerstandsfähig genug, da nimmt man lieber robustere Helme aus unkaputtbaren Verbundwerkstoffen, statt wie hier relativ empfindliches Polycarbonat. Der Tyger ist im Prinzip für wilde Offroad-Eskapaden zu schade, schnell kloppt man dabei unschöne und für die Sicherheit nicht ungefährliche Macken rein. Für temporeiche Jagden über unser wunderschönes Autobahn- und Landstraßennetz ist er umgebaut zum Integralhelm (ohne den bremsenden Schirm) einen Tick zu zugig und auch laut. Ein Tribut – wie bereits gesagt - an die weit vorgestreckte Kinnpartie eines Endurohelms und die große Luftöffnung. Vorteil der markanten Kinnpartie andererseits: dank der extremen Keilform ist der Helm aerodynamisch sehr gut ausbalanciert, was den Druck auf die Nackenwirbel bei hohen Geschwindigkeiten minimiert.

Das Beste aus zwei Welten? | Fazit
Es ist halt kein sündhaft teurer Helm von Shoei, UVEX, Schuberth oder AGV um mal ein paar klangvolle Namen, die auch im Profi-Motorsport gern verwendet werden, einzustreuen. Die Verarbeitung ist entsprechend der Preisklasse in Ordnung, wenn auch nicht überragend – funktionell, doch (zu)viel Plastik an den wichtigen, beweglichen oder abnehmbaren Stellen. Die Idee an sich ist pfiffig. Ich kenne keinen Hersteller, der etwas ähnliches bietet. Zudem hat das Teil ein sehr individuelles und ansprechendes Design.

Man muss bei Hybriden zwangsläufig immer Abstriche gegenüber speziell auf den Einsatzzweck zugeschnittene Ausrüstung machen, das ist klar. Besonders bei den Fahrleistungen in Sachen Windgeräusche, Zugluft im Helm und Spritzwasser zeigt der Daumen von neutral bis unten, bei Crossbetrieb relativiert sich das Ganze ein wenig, denn dort trägt man eh eine zusätzliche Schutzbrille und verzichtet auf das Vollvisier. Bei Vielseitigkeit, Passform, Pflege und (speziell nach Umbau zur Integralversion) Aerodynamik kann der Tyger wieder Boden gut machen. Tendenziell ist und bleibt er aber eher ein Endurohelm, dort liegen seine Wurzeln und größten Stärken, der Umbau zur Straßenvariante ist in meinen Augen lediglich ein nettes Gimmick. Ein GUT meinerseits hat sich der erschwingliche Allrounder somit locker verdient.

So Long

Der Streethawk-Pharao

PS:
Nein ICH bin nicht besoffen und auch nicht für das Produktbild verantwortlich, doch anscheinend ist die Redaktionsarbeit bei YOPI nur alkoholisiert zu ertragen. Wie anders ist es zu erklären, dass bei einem ganzen Haufen Berichte, die Abbildungen mit hochprozentigen Spirituosen als Platzhalter versehen werden? ;-)

34 Bewertungen, 3 Kommentare

  • Michael-at-Home

    31.07.2004, 02:44 Uhr von Michael-at-Home
    Bewertung: sehr hilfreich

    Aaaah ja. Also meine Augen doch noch in Ordnung... Zu deinem exzellenten Bericht: Schade, dass man hier kein "bh" vergeben kann. *lol* Gruß Micha

  • klukklukkluk

    29.07.2004, 11:27 Uhr von klukklukkluk
    Bewertung: sehr hilfreich

    Ich wurde neulich auch Opfer dieses Alk-Bugs ;-)

  • Madrianda

    29.07.2004, 10:39 Uhr von Madrianda
    Bewertung: sehr hilfreich

    Dacht ich doch zunächst, bei mir im Kopf stimmt heute morgen irgendwas nicht... Helm und Schnapsbottle *g* Paßt irgendwo nicht so ganz zusammen, sollte zumindest ;-) Grüßles Beate