Amoklauf in Erfurt Testbericht

No-product-image
ab 13,64
Auf yopi.de gelistet seit 09/2003

Erfahrungsbericht von enno59

Zeit der Trauer

Pro:

-

Kontra:

-

Empfehlung:

Nein

Der Amoklauf in Erfurt am 26.4.2002 hat uns alle geschockt. Niemand konnte begreifen, wie ein Mensch so etwas tun kann: erst 16 Menschen erschießen, 14 von ihnen – Lehrer – offenbar gezielt, dazu zwei Schüler und einen Polizisten. Wie jetzt bekannt geworden, hat der 19 Jahre alte Amokläufer seine Tat offensichtlich gut geplant und entsprechend gezielt ausgeführt. Das Entsetzen wird dadurch nicht geringer – im Gegenteil.

Inzwischen werden eine Reihe von Stimmen laut, die nach den Ursachen für diese Katastrophe suchen. Da werden die verschiedensten Dinge genannt: von einer angeblichen Schuld von Schützenvereinen bis hin zu einer behaupteten gesellschaftlichen Antipathie gegen Lehrer, die durch die Ergebnisse der Pisa-Studie noch verstärkt worden sei. Ich finde es ziemlich geschmacklos, wie manche Politiker und Funktionäre hier in Wahlkampf bzw. Lobbyismus machen.

Sicher ist der legale Besitz einer Waffe an sich unproblematisch, wenn... Leider gibt es mir hier zu viele "wenns". Daß Waffen von Sportschützen zu Hause aufbewahrt werden dürfen, finde ich schon sehr problematisch. Was spricht denn dagegen, die Waffen dort zu verschließen, wo sie ausschließlich verwendet werden? Ich finde, daß der Umgang mit Waffen nichts alltägliches sein sollte, egal ob zum Sport oder sonstwozu (Polizei etc. mal ausgenommen). Die Mißbrauchsmöglichkeiten sind mir einfach zu fatal: Amok, Diebstahl , Unfall... Ich denke, daß die Hürden, die ein Amokläufer zu überwinden hat, so hoch zu legen sind wie es irgend geht. Sportschützen werden mit einer Beschränkung ihrer "Freiheit" leben müssen.

Natürlich reicht es nicht aus, die Hürden bezüglich der Waffen zu erhöhen. Genausowenig wie es ausreicht, Gewaltvideos und -spiele zu verbieten - was aus meiner Sicht dennoch Sinn gibt. Denn in diesen wird Gewalt als Lösung von Problemen prinzipiell für möglich gehalten – ein Tabubruch erster Güte. Und im übrigen eine Einstellung, die unserem Grundgesetz diametral gegenübersteht.

Natürlich ist es nicht so, um dies mal festzuhalten, daß jeder Sportschütze oder jeder, der Gewaltspiele spielt, gleich ein Amokläufer wird (das behauptet meines Wissens auch niemand). Deswegen halte ich Argumente wie "Ich spiele diese Spiele schon lange und bin kein Psychopath, der Leute umbringt" für Scheinargumente, die am Kern der Sache vorbeigehen. Die genannten Dinge sind nämlich nur begünstigende Sachverhalte – Ursachen sind sie nicht.

Deshalb reicht es nicht aus, über Sportvereine und Gewaltspiele zu diskutieren. Es muß auch überlegt werden, was in unserer Gesellschaft so falsch läuft, daß Jugendliche und junge Erwachsene dermaßen unter Druck geraten können, daß sie glauben, keinen anderen Ausweg mehr zu kennen. Glaube keiner, daß dies nur ein Problem der Institution Schule ist.

Ich kann nur hoffen, daß wir die Ursachen für ein solches Verhalten wir herausfinden und dann ändern können. Erste Überlegungen zu den Ursachen gibt es bereits. Ein übergroßer Teil von Amokläufern ist männlich, und häufig genug empfinden sie sich als Verlierer. Offensichtlich kollidieren hier Selbstwahrnehmung und Rollenverständnis. Schuldzuweisungen, wie sie der bayerische Innenminister Beckstein vom Stapel gelassen hat, sind nicht nur unmoralisch, sie bringen für die Analyse gar nichts. Denn die eigentliche Ursache scheint nicht in dem einen oder anderen Gesetz, das es so oder anders gibt oder nicht gibt, zu liegen, sondern eher in der grundsätzlichen Strukturierung unserer Gesellschaft. Konkurrenz, Bürokratie (wer in Thüringen das Abitur nicht schafft, hat keinen Schulabschluß!) sind da zuerst zu nennen. Hinzu scheinen einzelne Versäumnisse zu kommen. So hat wohl das Gymnasium die Eltern des jungen Mannes nicht über den Schulverweis informiert.

So scheint es ein ganzes Bündel von Ursachen und begünstigenden Faktoren zu geben. Das gilt es aufzudröseln. Später. Jetzt ist noch nicht die Zeit dafür. Jetzt ist die Zeit der Anteilnahme mit den Angehörigen der Opfer, die Zeit der Trauer, die Zeit der Verarbeitung des Unfaßbaren.

25 Bewertungen, 2 Kommentare

  • RIPwolf

    31.05.2002, 12:20 Uhr von RIPwolf
    Bewertung: sehr hilfreich

    ich muss dir ganz ehrlich sagen. wenn ich mal so drüber nachdenke was da passiert ist bin ich jetzt noch geschockt. Das ist nicht so leicht zu verstehen wieso ein mensch zu so einer Tat fähig ist

  • Maxilenium

    30.04.2002, 19:52 Uhr von Maxilenium
    Bewertung: sehr hilfreich

    Gut beschrieben, Sehr ausfühlich. lg maxi