Armenien Testbericht

No-product-image
ab 12,15
Auf yopi.de gelistet seit 09/2003

5 Sterne
(2)
4 Sterne
(0)
3 Sterne
(0)
2 Sterne
(0)
1 Stern
(0)
0 Sterne
(0)

Erfahrungsbericht von nurnur

Eindrücke einer Armenien-Reise

Pro:

s.o.

Kontra:

fällt mir ehrlich gesagt nichts ein

Empfehlung:

Ja

Armenien ist ein kleines Land von ungefähr 30.000 Quadratkilometern Größe, das entspricht etwa dem Bundesland Brandenburg. Der heutige Staat ist nur ein kleiner Teil des ehemaligen armenischen Siedlungsgebietes, dessen Großteil auf dem Gebiet der heutigen Türkei und Irans lag. Auf der Landbrücke zwischen Schwarzem und Kaspischem Meer gelegen stellte das Land immer ein Tor zwischen Europa und Asien dar, war Station bedeutender Handelswege – u.a. der Seidenstraße – und Austragungsort nicht selten blutiger Konflikte. Die Zeugnisse einer wechselhaften Geschichte und jahrhundertelangen Begegnung der Kulturen sind entsprechend dicht gesät. Jede Reise kann nur zu kurz sein ...

Nachdem wir den Nachtflug und die drei Stunden Zeitverschiebung bei Freunden in Jerewan ausgeschlafen haben beschließen wir, den Tag in der Stadt zu verbringen. Obwohl schon seit der Alt-Steinzeit besiedelt, ist Jerewan als Stadt doch einigermaßen unerträglich. Aber das rege kulturelle Leben und vor allem die Museen entschädigen für die Hitze und die schlechte Luft. Wir besuchen "alte Bekannte" im Matenadaran, dem Museum für mittelalterliche armenische Handschriften. Man kann die illuminierten Blätter nicht oft genug sehen, sie sind in ihrer Farbigkeit und ihren Ornamenten einzigartig. Die Ausstellung zeigt nur einen Teil der Sammlung, die eine der reichsten der Welt ist und im Matenadaran auch restauratorisch und wissenschaftlich gepflegt wird. Sie spielt eine herausragende Rolle für die nationale Identität der Armenier: Die armenische Sprache und ihr Schrifttum war und ist für das in alle Welt zerstreute Volk immer eine der stärksten gemeinsamen Wurzeln.

Am nächsten Tag verlassen wir Jerewan in südöstlicher Richtung und fahren zum Kloster Chor Wirap, das auf einem kleinen Hügel vor dem übermächtigen biblischen Ararat liegt. Es wacht über dem Verlies, in dem der Gründer der armenischen Kirche Gregor der Erleuchter 15 Jahre lang gefangen gehalten wurde. Armenien ist stolz darauf, als erste christliche Nation gelten zu können, soll Gregor doch im Jahre 301 freigelassen worden sein, um das Christentum als Staatsreligion zu etablieren.

Unsere Fahrt führt weiter in die Berge zu einem der östlichsten Vorposten griechisch-hellenistischer Kultur, dem Tempel von Garni. Frauen aus dem Dorf bieten den Reichtum des Landes an, eingekochtes oder getrocknetes Obst und eine besondere Spezialität namens "Sudschuk". Diese Delikatesse sieht aus der Ferne nach Wurst aus, erweist sich aber als aufgefädelte Walnusskerne in einem dicken, getrockneten Sirup aus Feigen, Rosinen und Granatäpfeln.

Gut versorgt fahren wir ein paar Kilometer weiter zum Wehrkloster Geghard, das am Ende eines Tales tief in den Berg hineingebaut ist und wie getarnt zwischen den Felsen steht. Es war eins der bedeutendsten Klöster, vor allem wegen einer "prominenten" Reliquie: der Lanzenspitze, mit der nach dem biblischen Bericht dem gekreuzigten Christus in die Seite gestochen wurde. Heute ist die Spitze im Museum des "armenischen Vatikans" in Etschmiadsin zu besichtigen. Nicht nur deshalb ist die dortige Kathedrale einen Besuch wert, den man am besten zu Gottesdienstzeiten plant, um die Liturgie mit ihren großartigen Gesängen miterleben zu können. In direkter Nachbarschaft sind die Ruinen von Zvartnots zu besichtigen, einer Rundkirche aus dem 7. Jahrhundert. Dieses Bauwerk wurde zwar schon im Jahre 930 durch ein Erdbeben zerstört, erreichte aber nicht nur wegen seiner Größe weltweite Bedeutung, die selbst die Grundmauern immer noch spüren lassen.

Nach unseren Ausflügen in die Geschichte zieht es uns in die Natur und wir fahren in den Nordosten zum Sewan-See. Die "Autobahn" – da gibt es nichts zu lachen, das ist die mit Abstand beste verfügbare Straßenqualität! – führt aus der Araxebene hinauf. Der stetige Anstieg führt durch eine karge Landschaft in unzähligen Braun- und Ockertönen und sich ständig ändernden Kontrasten. An manchen Stellen halten wir an und sammeln Splitter des schwarzen vulkanischen Glasgesteins Obsidian. Über all dem lässt sich ganz vergessen, dass zwischen Jerewan und dem Sewan-See ein Unterschied von fast 1000 Höhenmetern liegt. Als wir am Ufer parken und aussteigen, ist es merklich kühler und die Luft das angenehmste Gegenteil zum Jerewaner Smog. Trotzdem glaubt man auch hier nicht, an einem Hochgebirgssee auf fast 2000 Meter Höhe zu stehen, der mit über 1.300 km2 Fläche mehr als doppelt so groß ist wie der Bodensee.

Armenien gilt als Open-Air-Museum und auch hier kann man den Zeugnissen der Geschichte nicht ausweichen: Ein kurzer Spaziergang führt auf die ehemalige Sewaninsel, aus der eine Halbinsel geworden ist seit der Absenkung des Wasserspiegels zu Bewässerungs- und Energiezwecken. Dort sind in einer unüberbietbar malerischen Lage einige Gebäude des Sewanklosters aus dem 9. Jahrhundert erhalten – immer wieder staunt man als westeuropäischer Besucher, Baudenkmale sind hier im Durchschnitt einfach eine Epoche älter als wir es von zu Hause gewohnt sind! Nach einem kurzen und ziemlich erfrischenden Bad in dem tiefblauen Wasser genießen wir am Strand gebratene Fische mit frischen Kräutern und Lawasch: Das dünne Fladenbrot wird beinahe zu allem gereicht, manche verstehen es zuerst falsch als Serviette und legen es zur Seite. Man backt es traditionell an den Wänden eingegrabener Tonkrüge, an deren Boden ein Holzkohlefeuer glüht.

Die Fahrt geht weiter Richtung Norden, die Landschaft wechselt mit jeder Kehre der kurvenreichen Bergstraße und ist immer stärker bewaldet. Unser Ziel ist der äußerste Nordosten, wo wir in einem kleinen Dorf an der Grenze zu Aserbaidschan von der Familie eines Freundes erwartet werden. Wir fahren durch ehemaliges Kampfgebiet – zerschossene Dörfer, nicht wieder besiedelt, sofern sie in Reichweite der aserischen Geschütze liegen. So bedrückend die Fahrt durch die zerstörten Orte und so hart das Leben in diesem toten Winkel auch ist – so herzlich werden wir empfangen. Wir wandern in der Abenddämmerung zu einer mittelalterlichen Festung und besichtigen die Schützengräben unter den jahrhundertealten Mauern. Später setzen die Trinksprüche beim Willkommen der Gäste und dem Lob der Hausfrau ein, gedenken einige Wodka später der Gefallenen des Dorfes um schließlich bei Sarkis zu landen, der immer noch Junggeselle ist. Wir fotografieren ihn am Morgen vor der Abfahrt und versprechen, ihm mit dem Bild eine Frau zu suchen.

In einem großen Bogen fahren wir in Richtung Südwest zurück bis zum Aragats, dem mit 4095 Metern höchsten Bergmassiv auf armenischem Staatsgebiet. Die letzte Station dieser Tour ist die Festung Hamberd an seinen südlichen Ausläufern. Auf einem riesigen Basaltsockel thront die Anlage, die bis ins 7. Jahrhundert zurückreicht. Die Kirche und die mächtigen Grundmauern lassen die Wehrhaftigkeit aber auch die gute Ausstattung und Komfort erahnen. Überhaupt erscheint der Zustand der Kirche in dieser von Krieg und Naturkatastrophen heimgesuchten Region wie ein Wunder – wahrscheinlich sind deshalb gerade hier viele Sträucher zu "Wunschbäumen" umfunktioniert worden. Tücher, manchmal auch Papier oder Reste von Plastikfolie werden um die Äste geknotet als Zeichen für einen Wunsch, den man an so einem Ort gut aufgehoben weiß.

Die Natur ist rauh und wild, die Hänge kaum bewachsen, überall bricht vulkanisches Gestein mit seinen Farben und Mustern durch. Die Landschaft lädt ein zum Wandern, auf den Gipfel des Aragats sind Trekkingtouren möglich. Noch ist längst nicht alles gesehen, hier möchte ich diesen kleinen Streifzug aber enden lassen. Wer nach Armenien reist, wird für das Auge mehr als genug finden, kann den unterschiedlichsten Spuren folgen und wird sicher nicht wieder abreisen ohne Freundschaft geschlossen zu haben mit diesem Land "auf der Schwelle" und seinen überaus gastfreundlichen Menschen.

Ich hoffe, Ihr vermisst hier keine technischen Reiseinformationen, ich wollte eher meine Eindrücke von Armenien schildern. Vielleicht schreib ich noch einen extra Bericht ;)

17 Bewertungen