Belcanto - Udo Lindenberg Testbericht

Belcanto-udo-lindenberg
ab 2,37
Auf yopi.de gelistet seit 09/2003
5 Sterne
(2)
4 Sterne
(0)
3 Sterne
(0)
2 Sterne
(0)
1 Stern
(0)
0 Sterne
(0)
Summe aller Bewertungen
  • Cover-Design:  sehr gut
  • Klangqualität:  sehr gut

Erfahrungsbericht von eulenfan

Belcanto - Sanfte Panik

Pro:

-

Kontra:

-

Empfehlung:

Ja

Wenn man im Lexikon den Begriff „Belcanto“ nachschlägt, findet man folgende Definition: „’Schöngesang’, Gesangsideal bei dem die Qualität der Tongebung Vorrang vor Textverständlichkeit und dramatischem Ausdruck genießt.“ Belcanto ist also das, was die großen Ariensänger üblicherweise betreiben. Wenn die Königin der Nacht in Mozarts „Zauberflöte“ so hoch trällert, dass man gar nicht mehr versteht, dass sie ihrer Tochter androht sie zu verstoßen, das ist „Belcanto“. Und nun nennt niemand geringeres als Udo Lindenberg sein Album „Belcanto“. Ein Paradoxon? Nein. Denn schön ist das Album auf alle Fälle.

Schon lange ist Lindenberg ein Fan des Babelsberger Filmorchesters gewesen, und schließlich fand er sogar Gelegenheit, mit dem Ensemble zusammenzuarbeiten. Ergebnis dieser Zusammenarbeit sind siebzehn der schönsten Titel von Lindenberg, noch schöner interpretiert als im Original. Wer die üblichen Punkrockelemente bei Lindenberg bevorzugt, ist hier falsch. Diese sind komplett weggefallen, auch wenn das Album nicht nur langsame Lieder zu bieten hat.

Eingeleitet wird das Album durch „Cello“. Das Streichorchester schwelgt nur so beim Vorspiel, sanft und dezent fallen die Rhythmusinstrumente ein, bevor Lindenberg mit unglaublich viel Gefühl zu singen beginnt. Nie hätte ich gedacht, dass seine Musik so gut klingen kann, auch auf „Gänsehaut“ kam er nicht so sanft herüber!
Schon bei diesem Titel zeigt sich, dass „Belcanto“ nur zur Hälfte ernst zu nehmen ist: Die Texte sind allesamt verständlich, lediglich der Gesang ist besser als sonst beim Panikrocker.

Nun wird es etwas schneller: „Hoch im Norden“ erzählt Udos Kindheitsgeschichte – na ja, fast. Überraschend ist die gelungene Symbiose zwischen schnellem Staccatto-Rhythmus und sanften Streichern. Dass ein Sinfonieorchester rocken kann, ist zwar seit dem Münchener oder auch dem Wiener Sinfonieorchester bekannt, aber die Babelsberger haben es absolut drauf! „Hoch im Norden“ groovt sich regelrecht ins Ohr.

Sanft geht es weiter: „Horizont“ ist einer der erfolgreichsten Songs von Udo Lindenberg. Doch wer geglaubt hat, das Original sei wunderschön, der wird sich umschauen: Die hier angebotene Version mit leiser Oboe als Zweitstimme überbietet die allseits bekannte Version um Längen! Nicht ganz so schmalzig wie das Original, ist „Horizont“ auch in dieser Fassung dennoch unglaublich sanft und romantisch. Einfach ein Lied zum Träumen.

Noch ein wunderschöner Ohrwurm hinterher: „Mädchen aus Ostberlin“ mag an seiner Aktualität verloren haben, aber nicht an seinem Reiz und seiner Qualität. Wie auch im Original wird Udo von einem Piano begleitet, das jedoch viel klarer und gleichzeitig weicher klingt. Und dass, statt wie im Original von einem Rockfestival mit den Rolling Stones jetzt mit dem Panikorchester geträumt wird, ist nicht wirklich etwas schlechtes, oder?

„Du und ich“ ist wieder etwas schneller, ein Midtempo-Song so richtig schön zum Entspannen. Nichts ist schöner, als dieses Lied nach einem stressigen Arbeitstag zu hören! Durch das schnellere Tempo ist das Lied einerseits aufbauend, durch die schwelgenden Streicher gleichzeitig jedoch auch gut für die Nerven.

„Bis ans Ende der Welt“, wer kennt diese schönste musikalische Liebeserklärung nicht? Unterstützt von Piano und Streichern ist dies einfach ein Lied fürs Herz, für die Seele. Bei einem solchen Liebeslied wird einfach jeder schwach!

Sanft und ruhig geht es weiter, mit Klarinette und Streichern. Leider find ich grad meine CD-Hülle nicht, so dass ich Euch nicht mal sagen kann, wie dieses fantastische Stück heißt. Der Text beginnt auf alle Fälle mit „Man muss schon Schnaps getrunken haben, eh man vor Deinem Leibe stand…“ Die Holzbläser dominieren zwar die Begleitmusik, ohne aber aufdringlich zu wirken, und ohne die Streicher zu unterdrücken.

Auch den „Säufermond“ hat Udo Lindenberg neu interpretiert. Noch mehr als im Original verursacht dieses Lied eine mächtige Gänsehaut. Hier stimmt einfach alles: Instrumental, Gesang und Dramaturgie!

Nach „Bis ans Ende der Welt“ hat Udo Lindenberg noch eine wunderschöne Liebeserklärung am Start: Nur geht es in „Ich schwöre“ weniger um die Gefühle, sondern vielmehr um die Begleitzustände, darum, dass man immer füreinander da ist.

„Du lässt Dich gehen“ ist das Lied, das mir auf dieser Sammlung am wenigste gefällt. Zwar ist das Lied nicht schlecht interpretiert, doch passt es für mich nicht ganz so gut drauf. Warum, das ist schwer in Worte zu fassen.

„Ich lieb Dich überhaupt nicht mehr“ ist wieder eines der bekannteren Stücke von Udo Lindenberg. Sanft und gleichzeitig leicht rockig, gewinnt auch dieser Song durch die Orchester-Untermalung. Bei diesem Lied fällt besonders deutlich auf, dass sich Lindenberg offenbar mehr Mühe beim Singen gegeben hat, als er das normalerweise tut.

Natürlich darf auch „Ein Kommen und Gehen“ auf diesem Sampler fehlen. Ähnlich wie beim „Säufermond“ ist auch hier die Dramaturgie noch intensiver und damit der Gänsehautfaktor um ein Vielfaches höher als beim Original.

Und wieder ein Liebeslied: In „Wenn Du mein Kind wärst“ schildert Lindenberg, was er tun würde, wenn seine Freundin sein Kind, seine Schwester, seine Mutter wäre. Diese Assoziation bringt dieses einfache Lied, wo es im ersten Teil nur Gesang und Klavier gibt, einfach perfekt herüber. „Belcanto“ in seiner besten Form.

Der „Brief an den Jungen, der ich vor 30 Jahren war“ ist erneut ein Lied mit hohem Gänsehautfaktor. Lindenberg beschreibt voller Gefühl seine eigene Kindheit aus der Sicht seines eigenen, erwachsenen Ich. Eine unglaubliche Idee für ein Lied, und hervorragend umgesetzt, wenn auch hier der Gesang nicht ganz so gut ist. Trotzdem ein wunderschönes Lied.

„Die kleine Zockerin“ ist zwar sanft von der Begleitmusik her, doch der Gesang und Text sind aggressiv. Das Paradoxon der Hassliebe wird durch diese Art der Interpretation einfach wunderbar herübergebracht.

Ein alter Marlene-Dietrich-Chanson ist das vorletzte Lied auf „Belcanto“. Eingeleitet durch ein von der Dietrich höchstpersönlich gesprochenes Intro, besticht „Illusions“ besonders durch die raue, eben nicht ganz so perfekte Stimme Lindenbergs, der sich mit der Höhe schwer tut. Eine wunderbare Interpretation eines wunderschönen Stücks.

Den Abschluss macht ein schnelleres Stück: „Säuferland“ rockt etwas, ohne die Sanftheit des Sinfonieorchesters zu verleugnen. Der Refrain geht derart ins Ohr, dass man nicht anders kann, als mitzusummen.

Nun, das waren also die siebzehn Titel des schönsten Udo-Lindenberg-Albums, das mir bisher in die Finger gekommen ist. Sanfte Töne kombiniert mit Lindenbergs Rockröhre ergeben hier traumhafte Musik, die einfach in jeden Plattenschrank gehört.


(Diese Meinung wurde von eulenfan auch bei dooyoo.de und ciao.de veröffentlicht)

6 Bewertungen