Ansichten eines Clowns (Taschenbuch) / Heinrich Böll Testbericht

ab 2,89
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Erfahrungsbericht von Triel

Ich bin ein Clown und sammle Augenblicke

Pro:

sehr kritisch und trotzdem nicht langweilig

Kontra:

--

Empfehlung:

Ja

Heinrich Böll – Ansichten eines Clowns

Der Schriftsteller Heinrich Böll dürfte wahrscheinlich jedem ein Begriff sein. Eines seiner bekanntesten Werke, die meisten zählen zur Trümmerliteratur, ist „Ansichten eines Clowns“. Es ist die Geschichte eines „Unangepassten“ in Deutschland zu Beginn der 60er Jahre, der nur seine eigenen Wertmaßstäbe verteidigt und dadurch den gesellschaftlichen Abstieg erfährt. Da man um den Roman zu verstehen sowohl Böll als auch die Bundesrepublik zu Beginn der 60er Jahre kennen muss werde ich etwas weiter ausholen.
Ich habe mir natürlich wie immer die größte Mühe gegeben KEINE SPOILER einzubringen.

Der Autor
Heinrich Böll wird 1917 in Köln geboren, nach dem Abitur beginnt er zunächst eine Lehre zum Buchhändler die er aber abbricht um Schriftsteller zu werden. Nachdem er aus dem Krieg zurückgekehrt ist Heiratet er Annemarie Cech sie bekommen zwei Söhne, da die Erfolge als Schriftsteller ausbleiben muss er Hilfstätigkeiten ausüben um seine Familie ernähren zu können. 1949 erscheint seine erste Erzählung „Der Zug war pünktlich“ und von nun an veröffentlicht er regelmäßig. Böll erhält zahlreiche Preise für seine Werke, als wichtigsten den Literaturnobelpreis 1972. Er war Zeit seines Lebens entschiedener Kriegsgegner und politisch sehr engagier, so nahm er während des kalten Krieges an Demonstrationen teil und hielt Reden.
Im Zusammenhang mit „Ansichten eines Clowns“ ist es noch interessant, dass Böll 1976 aus der katholischen Kirche ausgetreten ist. Er verstarb 1985 in Langenbroich.

Andere wichtiges Werke:

Der Zug war pünktlich (1949)
Wanderer, kommst du nach Spa.. (1950)
Und sagte kein einziges Wort (1953)
Haus ohne Hüter (1954)
Das Brot der frühen Jahre (1955)
Doktor Murkes gesammeltes Schweigen und andere Satire (1958)
Billard um halb zehn (1959)
Ansichten eines Clowns (1963)
Gruppenbild mit Dame (1971)
Die verlorene Ehre der Katharina Blum oder: Wie Gewalt entstehen und wohin sie führen kann (1974)
Berichte zur Gesinnungslage der Nation (1975)

Allgemeines
Erstausgabe: 1963
Ca. 300 Seiten
Preis: 9,00 Euro
ISBN: 3423004002

Der Roman ist zu ca. ¾ im inneren Monolog geschrieben, d.h. die Gedanken des Protagonisten werden wiedergegeben. Eine chronologische Reihenfolge wird deshalb nicht beachtet, Schnier erzählt zwar sein ganzes Leben, tatsächlich vergehen von Beginn bis zum Ende des Buches in etwa vier Stunden.

Die Bundesrepublik Deutschland zu Beginn der 60er Jahre
Die Bundesrepublik wurde von der konservativen CDU/CSU unter Konrad Adenauer regiert, die bezeichnenderweise als Wahlslogan „Keine Experimente“ hatte. Zudem bestand eine Verbindung zwischen der Regierung und der katholischen Kirche wodurch die Kirche eine nicht unerhebliche Machte besaß. In dieser konservativen Zeit lebt der Protagonist des Buches „Hans Schnier“, ausgerechnet in Bonn (alle anderen Werke von Böll spielen in seiner Heimatstadt Köln), dem Regierungssitz und zudem eine sehr konservative Stadt.

Charakterisierung des Protagonisten Hans Schnier
Hans Schnier stammt ursprünglich aus einem reichen Elternhaus sieht sich aber gezwungen sich von seiner Familie zu entfernen um seine eigenen Vorstellungen zu verwirklichen. Seine Charakterstärke zeigt sich auch als er selbst in seiner Notsituation kein Geld von seinen Eltern annehmen will sondern eher den gesellschaftlichen Abstieg in Kauf nimmt. Er sagt über sich selbst „Ich bin ein Clown und sammle Augenblicke“, er lebt nur für das Hier und Jetzt, macht sich keine Gedanken um die Zukunft. Zur Realität hat er wenig Bezug, so hat er während seiner Beziehung mit Marie nie erkannt was ihr fehlt, noch will er die Trennung von ihr wahrhaben sondern sucht die Schuld bei anderen.

Inhalt
Der Roman beginnt mit der Ankunft Hans Schniers in seiner Wohnung in Bonn. Er kommt von einem Auftritt zurück den er abbrechen musste da er betrunken war. Als er in seiner Wohnung ankommt denkt er über sein bisheriges Leben nach. Seine langjährige Beziehung zu Marie ist letztendlich daran gescheitert, dass sie als gläubigen Katholikin nicht mehr mit ihm in „wilder Ehe“ zusammenleben wollte und sich immer mehr katholische Freunde (Schnier nennt sie abwertend den „katholischen Kreis“) gesucht hat. Schnier denkt auch über das Verhältnis zu seiner Familie nach, besonders seiner Mutter bringt er wenig Liebe entgegen, das sie seiner Meinung nach verantwortlich am Tod seiner Schwester Henriette ist. Henriette wurde von ihrer Mutter in den Militärdienst geschickt wo sie umkam, dieses Ereignis hat das nie besonders enge Verhältnis von Schnier zu seiner Mutter vollkommen zerstört. Da der Clown sich in einer finanziellen Notlage befindet macht er sich auch Gedanken darüber wen er um Geld „anpumpen“ könnte. Zunächst entscheidet er sich aber Freunde von Marie anzurufen um ihren momentanen Aufenthaltsort zu erfahren. Als dies nicht glückt ruft er seine Mutter an, jedoch nicht um sie um Geld zu bitten sonder lediglich um sie zu provozieren und mit ihrer Vergangenheit (seiner Meinung nach hat sie sich auch während der Nazizeit an das System angepasst und sich bis heute damit nicht auseinandergesetzt) zu konfrontieren. Nach diesem Anruf tätigt er noch weitere bei Freunden und sein Vater kommt zu Besuch, letztendlich muss Hans Schnier aber einsehen, dass die Gesellschaft ihn nicht annimmt wie er ist und er entscheidet sich für seine eigene Identität und gegen die gültigen Konventionen.

Leseprobe
[Erinnerung von Schnier an den Tag als er seine Schwester Henriette das letzte Mal gesehen hat, sie hat sich freiwillig bei der Flak gemeldet und fährt gerade mit dem Bus ab als Schnier von der Schule nach Hause kommt]

Ich winkte noch einmal hinter der Straßenbahn her, in der Henriette davonfuhr, ging durch unseren Park nach Hause, wo meine Eltern mit Leo schon bei Tisch saßen. Es gab Brennsuppe, als Hauptgericht Kartoffeln mit Soße und zum Nachtisch einen Apfel. Erst beim Nachtisch fragt ich meine Mutter, wohin Henriettes Schulausflug führe. Sie lachte ein bisschen und sagte: „Ausflug. Unsinn. Sie ist nach Bonn gefahren, um sich bei der Flak zu melden. Schäle den Apfel nicht so dick. Junge, sieh mal her“, sie nahm tatsächlich die Apfelschalen von meinem Teller, schnippelte daran herum und steckte die Ergebnisse ihrer Sparsamkeit, hauchdünne Apfelschalen in den Mund. Ich sah Vater an. Er blickte auf seinen Teller und sagte nichts. Auch Leo schwieg, aber als er meine Mutter noch einmal ansah, sagte sie mit ihrer sanften Stimme: „Du wirst doch einsehen, dass jeder das Seinige tun muss, die jüdischen Yankees von unserer heiligen deutschen Erde wieder zu vertreiben.“ Sie warf mir einen Blick zu, mir wurde unheimlich, sie sah dann Leo mit dem gleichen Blick an, und es schien mir, als sei sie drauf und dran, auch uns beide gegen die jüdischen Yankees zu Felde zu schicken.

Meine Meinung
Heinrich Böll sagt selbst über seinen Roman, dass er in erster Linie einen Liebesgeschichte darstellt. Diese traurige Liebesgeschichte hat Böll allerdings mit scharfer Kritik an der Katholischen Kirche und der Gesellschaft der Nachkriegszeit versehen. Man kann euch heute noch Parallelen zum gegenwärtigen Verhalten eben dieser erkennen und das macht den Roman selbst 40 Jahre später noch äußerst lesenswert. Sehr unterhaltsam und niemals langweilig wird beschrieben wie der unangepasste Außenseiter Hans Schnier, der eigentlich ein tragischer Held ist, an der Scheinheiligkeit der Gesellschaft zu Grunde geht. Man fühlt mit ihm und bemitleidet ihn, gleichzeitig wird dem Leser die Doppelmoral der Katholiken vor Augen geführt und man fängt unwillkürlich sich zu fragen inwiefern dieses mit dem christlichen Glauben vereinbar ist. Auch die Kritik an Personen die sich nie mit ihrer Vergangenheit im Nazisystem auseinandergesetzt haben, wie Böll an Schnier Mutter eindrucksvoll zeigt, sondern sich lediglich versuchen sich immer in die beste Position der jeweiligen Zeit zu rücken, lässt den Leser nicht unberührt sondern fordert klar dazu auf sich Gedanken über die sogenannten „Mitläufer“ zu machen und hält jedem einzelnen den Spiegel vor.

Alles in allem ein sehr lesenswerter Roman der viel zum Nachdenken anregt, dabei aber nie langweilig oder moralisch wird.


Ich hoffe mein Bericht hat euch gefallen, ich freue mich auch immer über Kommentare (auch Kritik, dürft gerne ehrlich sein) und natürlich Bewertungen.

Geschrieben für Yopi, CIAO und dooyoo

183 Bewertungen, 35 Kommentare

  • hbscgirl

    21.07.2008, 13:32 Uhr von hbscgirl
    Bewertung: sehr hilfreich

    liebe grüße

  • MichiStephan

    13.07.2008, 14:21 Uhr von MichiStephan
    Bewertung: sehr hilfreich

    Ganz liebe Grüße, Michi

  • hjid55

    14.06.2008, 21:48 Uhr von hjid55
    Bewertung: sehr hilfreich

    Sehr hilfreich und liebe Grüße Sarah

  • Laranjeira

    14.06.2008, 16:02 Uhr von Laranjeira
    Bewertung: sehr hilfreich

    lieben Gruß Ivonne

  • ingoa09

    12.06.2008, 12:48 Uhr von ingoa09
    Bewertung: sehr hilfreich

    Sehr gut beschrieben! Gruß Ingo

  • DIETERBAER4711

    25.05.2008, 17:16 Uhr von DIETERBAER4711
    Bewertung: besonders wertvoll

    SUPER ! Sehr Gut ! LG Petra :-)

  • ronald65

    19.05.2008, 10:31 Uhr von ronald65
    Bewertung: sehr hilfreich

    sh

  • Striker1981

    18.05.2008, 15:27 Uhr von Striker1981
    Bewertung: sehr hilfreich

    SH und Liebe Grüße vom STRIKER`

  • frankensteins

    18.05.2008, 13:55 Uhr von frankensteins
    Bewertung: sehr hilfreich

    sehr gut beschrieben lg

  • try_or_die87

    18.05.2008, 00:27 Uhr von try_or_die87
    Bewertung: sehr hilfreich

    Liebe Grüße aus Regensburg

  • PaterBrown

    03.05.2008, 01:00 Uhr von PaterBrown
    Bewertung: sehr hilfreich

    ...ich zitiere hier folgende Passage aus Dr. Murkes gesammeltes Schweigen: ------------------------- :-D

  • trullilu

    14.04.2008, 18:38 Uhr von trullilu
    Bewertung: sehr hilfreich

    Liebe Grüße

  • festinalente

    08.04.2008, 09:21 Uhr von festinalente
    Bewertung: sehr hilfreich

    sh und lg

  • paula2

    03.04.2008, 13:34 Uhr von paula2
    Bewertung: sehr hilfreich

    liebe Grüße

  • wolli007

    02.04.2008, 21:17 Uhr von wolli007
    Bewertung: sehr hilfreich

    lg Wolli

  • Suggababe2

    03.04.2006, 22:03 Uhr von Suggababe2
    Bewertung: sehr hilfreich

    sh ! LG Micha :-)

  • swissflyer

    29.03.2006, 20:12 Uhr von swissflyer
    Bewertung: sehr hilfreich

    -------- |//---------------------------- <br/>-------(o o)-------------------------- <br/>--ooO-(_)-Ooo-------------------- <br/>---Gruss, Patrik------------------

  • misscindy

    29.03.2006, 01:16 Uhr von misscindy
    Bewertung: sehr hilfreich

    Sehr hilfreich. LG Sylvia :-)

  • LeonTheProfi

    23.03.2006, 15:26 Uhr von LeonTheProfi
    Bewertung: sehr hilfreich

    freue mich auf gegenlesung

  • Nathalie

    03.03.2006, 16:30 Uhr von Nathalie
    Bewertung: sehr hilfreich

    sh+Vlg Nathalie

  • skorbut

    26.02.2006, 20:10 Uhr von skorbut
    Bewertung: sehr hilfreich

    sehr hilfreich

  • AngelikaBS

    21.01.2006, 17:11 Uhr von AngelikaBS
    Bewertung: sehr hilfreich

    LG von Angelika :-)

  • sindimindi

    19.12.2005, 00:06 Uhr von sindimindi
    Bewertung: sehr hilfreich

    Hervorragende Kritik, die bei Ciao! sogar ein "bh" verdienen würde...:-) - interessant wäre es doch gewesen, wenn der Katholik Böll auf den damaligen, jungen Professor der Theologie Ratzinger gestoßen wäre...ob die sich wohl irgendwie verstanden

  • anonym

    18.12.2005, 17:14 Uhr von anonym
    Bewertung: sehr hilfreich

    sh, LG Birgit :-)

  • Nina1805

    17.12.2005, 22:30 Uhr von Nina1805
    Bewertung: sehr hilfreich

    Ich kenne das Buch auch! sh, Gegenlesungen garantiert! ;-) <br/>

  • suesses

    17.12.2005, 00:14 Uhr von suesses
    Bewertung: sehr hilfreich

    sehr schöner Bericht, ich kenne das Buch!

  • MasterDeniz

    14.12.2005, 22:30 Uhr von MasterDeniz
    Bewertung: sehr hilfreich

    Sehr Hilfreich! Schönen gruß Deniz :-)

  • topfmops

    21.11.2005, 17:49 Uhr von topfmops
    Bewertung: sehr hilfreich

    sehr schön!!

  • glowhand

    19.11.2005, 17:17 Uhr von glowhand
    Bewertung: sehr hilfreich

    guter bericht!

  • animaldream

    14.11.2005, 17:50 Uhr von animaldream
    Bewertung: sehr hilfreich

    einfach ein Muss! LG animaldream

  • Lotosblüte

    17.09.2005, 01:24 Uhr von Lotosblüte
    Bewertung: sehr hilfreich

    über eines meiner Lieblingsbücher. lg

  • Fluetie

    16.09.2005, 18:29 Uhr von Fluetie
    Bewertung: sehr hilfreich

    :-) lg Dirk

  • Bea_im_Netz

    16.09.2005, 14:11 Uhr von Bea_im_Netz
    Bewertung: sehr hilfreich

    Buchbesprechung! Lg Bea

  • antjeeule

    15.09.2005, 16:07 Uhr von antjeeule
    Bewertung: sehr hilfreich

    Diese Rezension hat mir bei dooyoo schon sehr gut gefallen. LG, Antje

  • Rumyana7

    15.09.2005, 15:23 Uhr von Rumyana7
    Bewertung: sehr hilfreich

    Werk gerade wieder. Lieben Gruß aus Sofia