Der gute Mensch von Sezuan (Taschenbuch) / Bertolt Brecht Testbericht

Laut dem Buch "Der gute Mensch von Sezuan": JA.

Auch ich musste in meiner Schulzeit u.a. dieses Werk von Bertold Brecht analysieren, sowohl Kapitelweise als auch Charakter für Charakter.

Entgegen ähnlicher Pflichtlektüren, die dem angehenden Abiturienten ja nicht erspart bleiben, hat mir "Der gute Mensch von Sezuan" ganz besonders gut gefallen.
Mehr noch, ich finde, es ist ein herrvoragendes Buch, welches seinem Alter zum Trotz (geschrieben wurde es bereits 1938) immer noch auf die heutige Zeit beziehbar ist und keineswegs befremdlich oder veraltet wirkt.

Ganz im Gegenteil: beinah erschreckend ist die Tatsache, dass sich seit "damals" der Mensch nur ums geringste - wenn auch zum schlechten hin - geändert hat.
Genauso egoistisch und ausbeuterisch wie heute waren auch damals einige Bürger; aber genauso gibt und gab es auch damals wie heute "gute Seelen", die das Dasein zwar erträglicher machen, andererseits aber auch ausgenutzt werden.

Von eben so einem Menschen handelt Bertold Brecht's "Der gute Mensch von Sezuan".



//GROBER UMRISS DES GESCHEHENS//

Hauptperson des Stückes ist wohl eindeutig Shen Te, die von drei Göttern als "guter Mensch" erkannt wird.

Diese sind nämlich auf der Suche nach einem guten Menschen, um zu einer Bestätigung dafür, daß die Erde so bleiben kann, wie sie ist, zu gelangen.

Im 1. Kapitel hilft der Wasserverkäufer Wang jenen drei Göttern bei der Suche nach einer Bleibe für die Nacht. Als die ihre Hoffnung schon beinahe aufgegeben haben, erklärt sich die Prostituierte Shen Te, die von allen nur "Engel der Vorstädte" genannt wird, als einzige im ganzen Dorf dazu bereit, die Götter für diese Nacht bei sich aufzunehmen.
Um diese gute Tat verrichten zu können, verzichtet sie sogar auf einen Freier, womit ihr wiederrum das Geld für die Miete fehlt. Als Dank erhält sie von den Göttern 1.000 Silberdollar, von denen sie einen kleinen Tabakladen erwirbt und den Armen Wohltätigkeiten in Form von Reis, Tabak und einer Unterkunft entgegenbringt.

Die Armen jedoch nutzen Shen Te's Gutmutigkeit schamlos aus, erfinden aber in einer Notsitution für sie "ihren Vetter" Shui Ta; in dessen "Rolle" Shen Te nuzn immer dann schlüpft, wenn die gesellschaftlichen Umstände bzw. ihre Gutmütigkeit sie zu ersticken drohen.

Als Shui Ta verkleidet, vertreibt sie mit Hilfe der Polizei die Obdachlosen aus ihrem Laden und erkennt später - während der Hochzeitsfeier - den wahren Charakter des arbeitslosen Fliegers Sun, in den sie sich eins als Shen Te verliebte und überlässt diesen nun seinem Schicksal.

Shui Ta fädelt nun eine Vernunftheirat mit dem Barbier Shu Fu ein; in ihrer wahren Rolle (also als Shen Te) hält sie jedoch an ihrer Liebe zu Sun fest und verlässt ihn erst, als Sun mit der Vermählung auf Shui Ta, bzw. dessen Geld, warten will.

Sodann möchte Shen Te jedoch nicht mehr in die Rolle Shui Ta's flüchten, sondern versucht, ihre Schwierigkeiten fortan als sie selbst zu meistern - was ihr aber nicht zu gelingen scheint.

Schlimmer noch: Da Shui Ta zunehmend vermisst wird, kommt der Verdacht auf, da sie ihren Vetter beseitigt habe und wird letztendlich, gegen Ende des Buches, verhaftet.

Wieder drohen ihre Almosen sie zu ruinieren, doch als sie im Hinterhof einen im Mülleimer fischenden Jungen sieht, wird ihr klar, dass es so nicht weitergehen kann und verspricht ihrem ungeborenen Kind, dass sie für es gegebenenfalls "zum Tiger" werden würde.

Aus dieser Not heraus und nicht zuletzt zum Wohle ihres Kindes schlüpft sie ein letztes Mal in die Rolle ihres fiktiven Vetters und eröffnet in den Baracken Shu Fus eine Tabakfabrik, in der sie die Armen zu einem Hungerlohn arbeiten lässt und ausbeutet.

Sun hingegen stellt sie/er vor die Wahl: entweder geht er wegen Bruch des Heiratsversprechens und Erschleichung von 200 Silberdollarn ins Gefängnis, oder er arbeitet seine Schulden in der Fabrik ab.

Sun entschliesst sich, in der Fabrik zu arbeiten, wo auch er anscheinend ein besserer Mensch wird: als der Aufseher ihm nämlich sechs Silberdollar auszahlen will, erwidert er, dass er nur fünf bekäme....


//SONSTIGES & BESONDERHEITEN//

- Dies nur als grober Um- und Anriss des Buchgeschehens, da ich hier nicht zu viel vorneweg nehmen möchte.
Auch wenn Berthold Brecht's Werk mit 144 Seiten recht "mager" daherkommt, so verbirgt sich hier jedoch viel mehr, als bei herkömmlichen Büchern.

Vorab sei gesagt, dass "Der gute Mensch von Sezuan" nicht als eingentlicher Roman geschrieben wurde, sondern als Theaterstück veröffentlicht wurde.

Als "Besonderheit" sei zu erwähnen, dass die Zuschauer bzw. die Leser selbst angesprochen werden.
An einer Stelle wendet Shen Te sich mittels einer Rede an das Publikum und bezieht es somit in das Bühnengeschehen ein.

Des öfteren neigt der Zuschauer / Leser dazu, sich mit einer gespielten Rolle zu personifizieren - Brecht möchte dies durch oben genannte Rede verhindern und drängt das Publikum somit zurück in die objektive Rolle.

Durch diesen "Schockeffekt" soll das Publikum und nicht zuletzt der Leser zum Nachdenken und anschliessendem Handeln in "seiner Welt" motiviert werden.


//SCHLUSSFOLGERUNG & ERGO//

Diesem Werk liegt ein unsentimentaler, unbedinger Mut zum Leiden zugrunde.

"Der gute Mensch von Sezuan" kreist um die Frage, ob der Mensch in der "damaligen" (um 1940 rum) Zeit überhaupt noch würdig leben kann; den Mut findet, hart "nein" zu sagen, mutiger zu sein als seine Götter, die in faulem Harmoniestreben nichts anderes vermögen, als dem Guten für die für das Leben notwendige Bosheit zu rationieren.

Ich denke, oben genannntes war nicht nur zur Enstehungszeit sowie zum Zeitpunkt der Uraufführung des Stückes aktuell, sondern -leider- auch noch heute.

Denn damals wie heute denken viel zu viele ausschliesslich an sich selber - das jeder sich selbst der nächste ist, ist daran noch das erfreulichste.

Doch wo liegt die Lösung?

Ich denke: in jedem von uns selbst.

Denn wie auch in Brecht's Stück entzieht sich Gott scheinbar auch hier der Verantwortung (im Buch durch ihre Rückkehr in den Himmel, da sie der Meinung sind, das Shen Te trotz ihrem Doppelspiel ein guter Mensch sei und die Erde demzufolge weiterhin so bestehen kann, wie sie ist, immer war und wohl auch sein wird) - die Menschen müssen endlich einsehen, dass sie selbst auch viele Fäden in der Hand halten.

Wir sollten nicht immer darauf werden, dass der liebe Gott "es schon richten wird"; sondern endlich damit anfangen, bei und uns selbst zu "etwas zu richten".

Denn wer soviel Kraft hat, zu zerstören und zu verschlechtern; der muss auch irgendwo die Kraft haben, zu helfen und zu verbessern.

Im Buch fleht Shen Te die Götter verzweifelt um Hilfe an; wird allerdings von ihnen ignoriert und als "guter Mensch von Sezuan" gepriesen.

Auch ihre weiteren Hilfeschreie bleiben ungehört - aber war sie nicht ohnehin in der Lage, sich selbst und anderen zu helfen?

Kurz und gut:
Bertold Brecht möchte nicht zeigen, wie die Welt ist und was der Mensch soll, sondern wie die Welt werden sollte und was der Mensch tun muss.

Nicht das Denken bestimmt das Sein, sondern das gesellschaftliche Sein bestimmt das Denken.

Und noch kürzer:
Eine Lektüre, die - verstärkt noch durch das offene Ende - jeder mal gelesen haben sollte. Nicht nur im Deutschunterricht!

Um es in den Worten des Epiloges auszudrücken:
jeder der dieses Bühnenstück kennt, dem dies alles nicht egal ist; sollte sich angehalten fühlen, für sich selbst einen "einzigen Ausweg aus diesem Ungemach zu finden":

"Der einzige Ausweg wär aus diesem Ungemach:
SIE selber dächten auf der Stelle nach
auf welche Weise dem guten Menschen man
zu einem guten Ende helfen kann.
Verehrtes Publikum, los, such die selbst den Schluss!
Es muss ein guter da sein, muss, muss, muss!"