Bulimie Testbericht

Dies sind Tagebuchaufzeichnungen die ich im Sommer während eines Klinikaufenthalts geschrieben habe. Es beschreibt ungefähr einen Zeitraum von etwa 3 Stunden. Ich denke dies gibt mehr Einblick was bei dieser Krankheit in einem vorgeht als meine Lebensgeschichte es tun würde.

10. Juni 2009

22. Uhr. Mein Gott ist mir schlecht. Mein Halt tut weh. Mein Hunger war so groß und ich bin zum Abendessen. Nach dem ersten Bissen war dann wieder alles vorbei, die Kontrolle dahin. Ein halbes Brot, 2 Scheiben Käse. Die Schüssel mit dem Grießbrei leerlöffeln. Die Leere füllen, Verzweiflung, Anspannung. Fressdruck, ich kann nicht mehr dagegen ankämpfen. Ich gehe in mein Zimmer, stecke mit 10 Euro in die Hosentasche. Sage Frau Nell ich will spazieren gehen, lasse mir die Tür aufschließen. Draußen. Ich bin nicht mehr ich selbst, das Monster Bulimie hat wieder Besitz von mir ergriffen. Ich laufe wie fern gesteuert zum Penny, kann nur noch ans Essen denken, hoffe auf Erleichterung, obwohl ich irgendwo weiß dass sie nur kurzfristig ist. Aber es zählt nur der Augenblick. Mein Versprechen hat keine 24 Stunden gehalten. Im Laden nehm ich mir 2 Schokopudding mit Sahne, Schokolade, Erdnüsse, Chips. Ich überlege nicht lange, will nur schnell was zum Fressen und ab zur Kasse. Aus Angst die Sachen abgenommen zu bekommen und um meiner Fresslust möglichst schnell nachgeben zu können hab ich die Sachen in einer Ecke auf dem Supermarktparkplatz in mich reingestopft. Erst 2 Löffel Schokopudding, dann Nüsse und Chips mit Pudding, dazwischen Schoki. Alles Durcheinander geschlungen, all die verbotenen Leckereien. Die Leute haben mich angestarrt. Was sie wohl gedacht haben, wie sie mich unbeherrschte, verfressene Drecksau beim mampfen gesehen haben. Aber in dem Moment war es mir egal, der Suchtdruck war stärker. Dann weiter zur Tankstelle, ein Domino- Eis kaufen und eine Schachtel Lucky Strike. Das Eis auf dem Rückweg runter schlingen. Zum Bach gehen, Krümel von Händen und Mund waschen. Zurück zu Haus 8, mittlerweile ist es fast 20 Uhr. Mir ist übel, mein Bauch ist voll und schmerzt. Total aufgebläht, ich sehe aus wie im 6. Monat schwanger. Ich muss das Essen wieder los werden. Angst. Panik. Ich versuche es nochmal mit Kotzen, ging früher ja auch. Ich nehme mir eine Flasche Wasser, gehe ins Bad. Ich trinke gierig. Stelle den Wasserhahn an, um die Würggeräusche zu übertönen. Ramme mir die Hand tief in den Hals und welch Glück, diesmal klappt es. Ich trinke, spucke, trinke, kotze bis das Wasser alle ist. Mein Hals tut furchtbar weh. Ich lasse mir Halsschmerztabletten geben, rauche 2 oder 3 Zigaretten. Mir ist immer noch übel von meiner Fressorgie. Noch eine Flasche Wasser, noch eine Runde Kotzen. Ich trinke und spucke bis nur noch klares Wasser kommt. Ich habe ein furchtbar schlechtes Gewissen, bin traurig, verzweifelt. Wenigstens ist der quälende Hunger jetzt weg. Es sind nur noch Übelkeit und Schmerzen übrig. Die Bulimie verschlimmert sich täglich; in verdammt rasendem Tempo. Wo soll das ALLES noch enden? Wie soll es weiter gehen? Ich habe jegliche Kontrolle über mein Essverhalten verloren, die Bulimia hat von mir Besitz ergriffen. Sie ist wie ein zweites Ich, überschattet mein wahres selbst. Das Ganze hat eine richtige Eigendynamik entwickelt. Ich kann nicht mehr.

©Judith 29. Oktober 2009