China Testbericht

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Erfahrungsbericht von HilkMAN

Hohe Berge und schmutzige Affen

Pro:

-

Kontra:

-

Empfehlung:

Ja

Etwa 160 Kilometer südlich von Chengdu liegt einer der berühmteren heiligen Berge Chinas, der Emeishan (sprich ungefähr Ömäischan). Wer sich in Sichuan aufhält und Lust auf ein Naturerlebnis der besonderen Art verspürt, sollte versuchen, einige Tage für einen Besuch dieses imposanten Ortes abzuzweigen.

Es ist ein leichtes, von Chengdu aus Busse in den Ort Emei zu finden (das „shan“ heißt einfach nur „Berg“). Wie lange die Fahrt dauert, ist stark davon abhängig, ob Euer Busfahrer ebenso mit dem Leben abgeschlossen hat wie unserer, der sich erst dann wohlzufühlen schien, wenn er mit Affentempo auf der Gegenfahrbahn langbrausen durfte. Ich glaube, die offizielle Fahrtzeit beläuft sich auf etwa vier Stunden.

Solltet Ihr die Tour überleben, gelangt Ihr an den Fuß des Berges. Dort befinden sich die üblichen Touri-Abzock-Stationen mit allerhand Brimborium (ja, das Besteigen des Berges kostet sogar Eintritt, was aber in unserem Fall nicht sonderlich sorgfältig kontrolliert wurde - ich glaube, wir wurden nur zur Kasse gebeten, weil wir ziemlich lange unten herumlungerten. Der Eintritt belief sich auf etwa 3 DM. Unterwegs führt der Weg noch einmal durch ein bestimmtes Kloster – es gibt keinen Weg drumrum, und natürlich kostet es Eintritt – typisch chinesische Wegelagerei, hihi. Wer eine Weile in China war, schmunzelt darüber).

Wenn Ihr diese erste Hürde überwunden habt, dann gelangt Ihr auf eine Treppe. Und das ist auch das, was Euch längerfristig erwartet: Treppensteigen. Der Emeishan ist nämlich gut 3000 m hoch, die Talstation liegt gerade mal 500 m über dem Meeresspiegel, und Ihr wollt da hoch. Ist nicht so ein Zuckerschlecken wie mal eben die Treppen zum Eifelturm hochzuklettern. Nun ist es eben auch nicht so, daß es schlicht 2500 Meter hochgeht, nein, das ist ein Berg mitten in der Natur, das heißt es geht auf und ab und wieder auf und wieder ab (und ganz selten auch einmal ebenerdig), so daß Ihr insgesamt so 24 bis 30 Kilometer Treppen vor Euch habt (je nach Route).

Der erste Teil erscheint eher erholsam. Gut, Treppensteigen hat wohl niemand als Hobby, aber es geht recht gemächlich aufwärts, und stellt für einigermaßen gesunde Menschen wohl kaum ein ernstes Hindernis dar. Wir legten diesen ersten Abschnitt gleich nach Ankunft und Mittagessen zurück, und gelangten dann am Nachmittag nach Wanniansi, das erste der zahlreichen Klöster, die an der Strecke liegen und die auch Herbergen für müde Reisende sind. Dieses ist ziemlich groß und erschien uns ein guter Ort, um für die anstehenden Strapazen Kräfte zu schöpfen. Für ein paar Mark kommt Ihr hier einfach, aber nett unter (erwartet bitte keine Badewannen oder deutsche Tageszeitungen in Eurem Zimmer).
Außer uns waren kaum Langnasen in der Gegend, so daß wir etwas auffielen. Wie wir schnell merkten, wollten die durchaus zahlreichen chinesischen Pilgernden und Wandernden den Berg ganz gemächlich angehen. So auch wir – dennoch entschieden wir uns dafür, gegen sechs Uhr morgens aufzubrechen. Erstens, weil es dann auf der Strecke noch eher ruhig zugeht, zweitens, weil die Sonne dann noch nicht so brennt.

In aller Herrgottsfrühe wälzten wir uns also aus den Betten, nahmen ein kleines erstes Frühstück ein (mitgebrachte Sachen, im Kloster waren wir so ziemlich als erste wach) und machten uns auf den Weg.
Nun, was läßt sich über das Treppensteigen groß erzählen? So manches. Die steinernen Stufen, die teilweise vor Hunderten von Jahren angelegt worden sind, sind eher auf Lamafüßchen der Schuhgröße 36 ausgerichtet als auf meine Tibet-Stiefel der Größe 47. Das macht sie zwar gelegentlich etwas eng, dafür aber auch wenig steil, was wir sehr schätzen lernten. An einigen Stellen, besonders im unteren Verlauf des Wanderweges, sind sie leider durch „moderne“ Betonstufen ersetzt. Diese sind unangemessen hoch, so daß die entsprechenden Stellen wesentlich anstrengender zu begehen sind.
Dennoch konnten wir uns in gemächlichem Tempo voranarbeiten. Die Landschaft war wunderschön, in sehr sattem Grün mit gelegentlichen hübschen Panoramablicken. Die Strecke selbst ist mit einer einfachen Karte kaum zu verfehlen, denn sie wird sehr viel begangen (und es gibt auch nichts Ernsthaftes zu sehen, das weit von ihr weg liegt). In unregelmäßigen Abständen liegen an ihr buddhistische und taoistische Klöster oder auch kleine weltliche Gebäude, in denen es etwas zu essen oder Übernachtungsmöglichkeiten gibt. Dazwischen trefft Ihr immer mal wieder auf Souvenirbuden, mit dem üblichen Zivilisationsmüll. Über eine der angebotenen Waren werdet Ihr Euch zwangsläufig irgendwann sehr freuen: Über Wasserflaschen. Der Weg ist weit, und wenn die Sonne herunterbrennt (ein beachtlicher Teil des Weges ist allerdings auch angenehm schattig), braucht Ihr viel Wasser. Grundsätzlich kann ich sagen, daß Ihr Euer Tempo sehr schön selbst wählen könnt, denn alle paar Kilometer gibt es eine Herberge, in der Ihr für die Nacht unterkommen könnt.

Dennoch bleibt es nicht aus, daß manche Abschnitte geradezu bedrohlich steil wirken, und die Wandernden manchmal fast der Mut verlassen mag. Aber dann gab es immer wieder diese lustigen Situationen, die für mich schon fast ein chinesisches Klischee geworden sind und die meist etwa etwa so abliefen: Drei Kilometer nach dem letzten Kloster schnauften wir im Schneckentempo eine irre steile Treppe hoch und starrten einander an jedem Absatz verzweifelt an. Und dann kam plötzlich ein chinesischer Mittvierziger in Anzugjacke und Badelatschen an uns vorbeigejoggt – mit ZIGARETTE IM MUND. Hm, wenn die das können... Meist kamen dann bald danach ein paar fröhlich grinsende Chinesen vorbei, die uns anboten, uns mit einer Art Stoffsänfte zu tragen. Wir lehnten dankend ab (unter reichen Einheimischen mag das beliebt sein, aber mir ist es dann doch lieber, einigermaßen sicher auf eigenen Füßen zu stehen).

Wir waren bester Laune und konnten (trotz ausgiebiger Pausen) das Wandern nicht sein lassen. Und so begab es sich, daß wir bald sehr weit vorankamen. Nach vielen Kilometern befanden wir uns schließlich in einem der schönsten Abschnitte der Strecke, einem recht waldigen Wegesstück. Plötzlich sahen wir an einer Telegrafenleitung eine größere Familie Affen auf uns zuhangeln. Wunderschön, dachten wir uns, und waren wieder einmal froh, die Tour gemacht zu haben. Etwas irritiert waren wir dann aber doch, als eine etwa 70 Zentimeter große Affendame ohne jede Scheu auf uns zukam und einen Blick in unsere Jackentaschen warf. Da sie dort nichts Eßbares fand, begann sie, sich sichtlich für meinen leichten Stoffrucksack zu interessieren. Und hupp, schon war sie mir auf den Rücken gesprungen.

Da ich wenig Lust hatte, hintenüberzufallen (sie hatte ganz schön Speck auf den Rippen), nahm ich den Rucksack samt Affendame ab und hielt ihn oben an der Verschlußschnur zu (muß ja nicht jeden Affen in meinen Rucksack lassen, zumal die Viecher nicht eben sauber und unsere Klamotten schon mit Fingerabdrücken bedeckt waren). Siegessicher schaute ich sie an, mit dem „So, und was bringt Dir das jetzt“-Blick. Unbeeindruckt griff sie beidhändig an die Hauptnaht und trennte diese mit einem gezielten Ruck auf. Da ich noch weniger wollte, daß sie den Rucksack zerstört, ließ ich los, woraufhin sie sich mit dem Rucksack auf den Boden setzte und diesen auszuräumen begann. Unterdessen versuchte ich, mit guten Argumenten auf sie einzureden, was sie nicht weiter zur Kenntnis nahm bzw. mich bei zu großer Annäherung mit grimmigem Fauchen auf Abstand hielt. Da es meiner menschlichen Freundin zwischen ihren Lachkrämpfen gelang, auch einmal auf den Auslöser zu drücken, gibt es ein ganz lustiges Foto von dieser Diskussion.

Schließlich sah die Äffin ein, daß es nichts zu essen zu finden gab, warf meine restlichen Utensilien in den Dreck und wandte sich ohne ein Wort des Dankes dann meiner Freundin zu, die einen Rucksack gleicher Bauart mit sich führte. Diese war allerdings gewarnt und ging wesentlich entschlossener vor, so daß wir die Übeltäterin schließlich in die Flucht schlagen konnten.
Beim nächsten Souvenirstand kauften wir dann einen Wanderstab – angesichts der Fingerabdrücke brauchten wir dem Verkäufer nicht mehr zu erklären, warum. Die Einheimischen tragen die Dinger nicht mit sich herum, weil sie sich damit abstützen wollen, sondern weil die Affen wissen, daß sie sich vor denen zu hüten haben.
Trotzdem waren wir weiterhin guter Laune, denn der Schaden war minimal geblieben und der Spaß im Nachhinein nicht unerheblich gewesen.

Des Nachmittags hatten wir dann tatsächlich den Hauptteil des Weges zurückgelegt, etwa 24 Kilometer, wenn ich mich richtig erinnere. Mittlerweile befanden wir uns auf beachtlicher Höhe, aber eben immer noch nicht hoch genug. Da wir beide keine Hardcore-Wandervögel sind, beschlossen wir, den Rest des Weges zu schummeln und nahmen die letzte Seilbahn des Tages. Die letzten ca. sechs Kilometer hätten wir wahrscheinlich auch noch geschafft, aber die noch am gleichen Tag einzuschieben, wäre doch ein wenig arg strapaziös gewesen. Diejenigen Einheimischen, die nur mal schnell die Aussicht genießen wollen und denen es nicht so sehr um das gute Karma geht, das sie mit dem Erklimmen des Berges anhäufen, können mit dem Auto hier hochfahren und dann das letzte Stück per Seilbahn zurücklegen.

Die Bahn hangelt sich in schwindelerregender Höhe über die bewaldeten Hänge. Leuten mit schwachen Nerven empfehle ich, die Augen zu schließen. All anderen werden es lieben. Aber was die Aussicht betrifft, sind wir noch nicht auf dem Höhepunkt angelangt (dazu gleich mehr). Die Bahn endet etwas unterhalb des Gipfels. Bis ganz nach oben sind es vielleicht noch ein paar hundert Stufen – ein Klacks. Allerdings war bei unserer Ankunft dichtester Nebel aufgezogen, so daß wir so gut wie nichts mehr sehen konnten. Es war gespenstisch. Ich war ein kleines Stückchen vor meiner Freundin, weil ich eigentlich schon mal eine der Herbergen klarmachen sollte, von denen es auf dem Gipfelplateau einige gibt. Als ich also zu meiner Rechten schemenhaft ein Gebäude wahrnahm, ging ich hinüber – es war allerdings irgendein anderes Haus. Immerhin wurde ich dort in die richtige Richtung gedreht. Bei einer Sichtweite von mittlerweile allenfalls noch fünf Metern dauerte es allerdings eine ganze Weile, bis ich meine Freundin wiedergefunden hatte – sie war inzwischen an mir vorbeigelaufen, weil sie das Haus nicht mal mehr gesehen hatte.

Wie dem auch sei, wir quartierten uns für ein paar Mark in einem kleinen Hotel ein, was ebenfalls einfach, aber ordentlich war. Dann ruhten wir uns erst einmal aus. Schließlich ist das, wofür die Leute hier hochkraxeln, vor allem der Sonnenaufgang.
Scheußlich früh standen wir also am nächsten Morgen auf und gingen zum nahegelegenen Aussichtspunkt. Es war zwar dunkel, aber der Nebel hatte sich verzogen. Der Sonnenaufgang war nicht so spektakulär, wie er sonst angeblich manchmal ist, da sich einige Wolken dazwischenbefanden.

Dafür bot sich etwas, das wohl nicht alltäglich ist: Für etwa eine Viertelstunde gab es freie Sicht nach unten. Ich bin nie mit einem Fallschirm abgesprungen oder so, und für mich bekam das Konzept „unten“ hier eine völlig neue Dimension. Mit zitternden Beinen hangelte ich mich am Geländer bis zur letzten Brüstung vor (auch davon gibt es ein lustiges Foto...) und riskierte einen Blick – auf die Ortschaft Emei, die 2500 Meter unter mir lag. Ich rede hier nicht von einem sanften Hang oder so, sondern von einer schroffen, nahezu senkrechten Felswand. Sowas gibt es auf der Erde sicherlich nicht allzu häufig. Das nette daran ist, daß während des Aufstieges steile Abhänge am Wegesrand sehr selten waren, dieser also auch für ängstlichere Naturen kein Problem sein sollte.
Auch ein Blick in die andere Richtung lohnte sich. Obwohl Emeishan der höchste Berg weit und breit ist, ragten über die Wolken weitere Berggipfel fern im Westen auf – Tibet. Mein erster Blick auf dieses Land, was unser nächstes Ziel sein sollte.

So, genug gelabert. Noch ein paar praktische Tips: Nehmt gute Schuhe mit, das sollte klar sein. Niemand möchte mit Blasen an den Füßen Treppen steigen. Dann braucht Ihr einen Wanderstab, wegen der Affen. Warme Kleidung ist wichtig, für den Gipfel (dort wird es nachts seeehr kalt, fragt in der Herberge nach zusätzlichen Decken). Und Wasser, wie schon gesagt (obwohl dies unterwegs auch erhältlich ist: Davon könnt Ihr nie genug haben). Etwas Geld für die Herbergen, eventuell eine Kamera – und ansonsten möglichst wenig.
Übernehmt Euch nicht. Die Strecke ist allemal zwei Tage wert (wir haben vielleicht etwas übertrieben). Wer überanstrengt ist, ist deutlich überanfällig für leichte Höhenkrankheit, wie sie auf 3000 Meter Höhe durchaus schon auftreten kann. Meiner Freundin ging es oben gar nicht so gut. Aber ich selbst bin auch kein Extremsportler, sondern ziemlich normal, und ich habe es gut vertragen.

Und ich würde sofort wieder hochlaufen, wenn ich in der Gegend bin. Nicht nur wegen meines Seelenheils (es gilt eben als sehr verdienstvoll, den Aufstieg zu machen) – sondern vor allem wegen eines besonderen Naturerlebnisses, das für den Massentourismus glücklicherweise leidlich ungeeignet ist und deshalb hoffentlich seinen speziellen Charme auch in der Zukunft wird bewahren können.

HilkMAN
P.S.: Auf dem Abstieg sind wir nur das Stück zu Fuß gegangen, das wir am Vortag mit der Seilbahn zurückgelegt, und sind dann mit dem Bus hinabgefahren.

16 Bewertungen, 3 Kommentare

  • FloVi

    13.05.2002, 19:02 Uhr von FloVi
    Bewertung: sehr hilfreich

    Das Foto würd ich gern mal sehen. Eigentlich bin ich schwindelfrei, aber ich denke mal bei 2,5 km käme ich auch nicht mehr auf den Gedanken runterzuspucken. ;-)

  • Renator

    25.02.2002, 11:12 Uhr von Renator
    Bewertung: sehr hilfreich

    Da hast dich aber mal wieder ins Zeug gelegt!

  • Goregrind

    22.02.2002, 07:38 Uhr von Goregrind
    Bewertung: sehr hilfreich

    yeah hilki.. da hast es wieder geschafft was ein bericht ;o)))).. gruß gore