Das Jugendgericht Testbericht

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Summe aller Bewertungen
  • Unterhaltungswert:  durchschnittlich
  • Informationsgehalt:  durchschnittlich
  • Präsentation:  durchschnittlich
  • Spaß:  durchschnittlich
  • Spannung:  durchschnittlich
  • Romantik:  wenig

Erfahrungsbericht von *sannah*

Mini-Soaps im Gerichtssaal

Pro:

-

Kontra:

-

Empfehlung:

Nein

„Der Richter und sein Henker“ von Friedrich Dürrenmatt war bei uns in der 9. Klasse Pflichtlektüre. Um ehrlich zu sein konnte ich damals mit dem Autor, den ich inzwischen sehr schätze, noch gar nichts anfangen. Doch das kann auch an meinem damaligen Deutschlehrer liegen, der mir gleich im ersten Aufsatz in der 9. meine erste 5 überhaupt reindonnerte, eine 5+ immerhin... aber was war ich beleidigt! *schmunzel* Damals...

Irgendwie müssen wir im Verlauf von diesem Thema (vielleicht passte es auch in Sozi zu der Zeit ganz gut ?) auf die Idee gekommen sein, an einem Vormittag drei öffentlichen Jugendgerichtsverhandlungen am Soltauer Amtsgericht beizuwohnen. Wir Schüler waren natürlich begeistert, denn alles ist besser als herkömmlicher Unterricht. Die einzige Bedingung, die uns der Richter in seiner kurzen Einweisung nannte, war vollkommende Ruhe zu bewahren und einfach nur zuzuhören. Und wir taten unser Bestes.

Letztendlich ergab sich dann, dass einer der Fälle kurzfristig wegen Nichterscheinen des Angeklagten vertagt worden war und wir nur noch zwei Verhandlungen verfolgen konnten. Im ersten der beiden Verfahren ging es um Betrug und Urkundenfälschung, die Angeklagte war zwar schon 20, wurde aber dennoch nach Jugendstrafrecht verurteilt, da sie auch auf uns als neutrale Beisitzer den Eindruck eines unsicheren naiven verwirrten kleinen Blondchens machte, irgendwie nur aus Liebe (ein klassisches Motiv) gehandelt hat und eigentlich so gar nicht wirklich zu wissen schien, was da mit ihr passierte. Die Beweislage war auch recht eindeutig und sie war auch geständig, das Urteil fiel also recht angemessen mild aus.
Der zweite Fall war aus unserer Sicht schon um einiges interessanter – hier ging es um schweren Fahrraddiebstahl. Die beiden Täter waren am Tatort gesehen worden, hatten kein Alibi und sind geschnappt worden, als sie die Räder verhökern wollten. Dennoch waren sie nicht geständig, behaupteten weiterhin, sie hätten die Räder unabgeschlossen an der Straße gefunden und sie einfach nur mitgenommen, da sie keinen Besitzer ausfindig machen konnten. Und natürlich wollten sie sie gleich auf der nächsten Polizeidienststelle abgeben... So oder so ähnlich redeten sie sich immer wieder raus, wir Zuhörer bebten innerlich vor Lachen und als einer der Angeklagten wieder ansetzte zu behaupten, er habe das Rad nur zufällig gefunden, konnte eine Mitschülerin nicht mehr an sich halten und platzte heraus: „Es lag da so im Gebüsch rum!“, was der Angeklagte auch gleich (froh ?) aufgriff und seinen Redeschwall mit einem „Ja, genau so war das!“ fortsetzte. Wir anderen lachten (mehr oder weniger) in uns hinein, der Richter unterbrach das Verhör kurz und ermahnte die Mitschülerin, sich in Zukunft doch nicht mehr einzumischen, sonst müssten wir den Saal verlassen. Aber wir durften bleiben und erlebten noch die Verurteilung der ungeständigen Täter zu einer Geldstrafe und Sozialstunden.
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Heute, gut fünf Jahre später, kann ich dieses Spektakel täglich von Montag bis Freitag um 16:00 Uhr auf RTL miterleben. Der Sender sprang mit dem „Jugendgericht“ auf den Zug der Real-Gerichtsshows auf, kurz bevor dieser abfuhr. Parallel zu Richter Alexander Hold auf Sat1 kümmert sich die Richterin Dr. Ruth Herz um die Straftaten Jugendlicher, die gleichzeitig die Hauptzielgruppe dieser Sendung sind.

Pro einstündiger Sendung (netto eher 45 Minuten) werden zwei Fälle verhandelt, die Angeklagten sind zwischen 14 und 21 Jahren alt. Im Alter von 14 bis 17 Jahren wird in jedem Fall nach Jugendstrafrecht verurteilt, von 18 bis 21 hängt dies von der individuellen Reife des Angeklagten ab. Die Palette reicht von Betrug über Diebstahl bis hin zu Tötungsdelikten.

Die Staatsanwaltschaft wird in jeder Sendung von Dirk Küchmeister vertreten, ich schätze ihn auf Mitte 30, der bereits bei der Konkurrenz (Barbara Salesch) Erfahrung als Fernsehjurist sammeln konnte. Gegenüber Angeklagten oder unglaubwürdigen Zeugen greift er auch schon mal zu einem härteren Ton, wird wahlweise fast beleidigend oder jugendlich-kumpelig, aber eher ersteres. Er ist ausgebildeter Jurist, wie auch die „echte“ Richterin.

Die ewig lächelnde Frau Dr. Herz (sie hat die 50 auch schon überschritten) war in ihrem früheren Leben (was auch immer sie bewogen hat, den „seriösen“ Richterjob in den Wind zu schießen) wirklich einmal Richterin am Jugendgericht. Ihr Markenzeichen sind an einer Kette baumelnde Brillen in den unterschiedlichsten Farben – Brillen sollen doch einen intellektuellen Eindruck bewirken, oder irre ich mich da? Zu ihren schauspielerischen Fähigkeiten (denn die verhandelten Fälle sind ja alle fiktiv) möchte ich mich später noch äußern.

Zur Verteidigung der Angeklagten wechseln sich vor allem drei Rechtsanwälte ab, ich bin der Meinung, auch vereinzelt schon ein viertes oder fünftes Gesicht erblickt zu haben, aber ich mag mich irren. Auch sie nehmen vor allem die Zeugen der Gegenseite kräftig ins Kreuzverhör oder liefern sich mehr oder weniger tiefgründige Rededuelle mit der Staatsanwaltschaft. Ihr Mandant ist stets unschuldig oder zumindest vermindert schuldfähig durch die bösen bösen Umstände, das versteht sich von selbst...

Als vierter unveränderlicher Punkt dieser „Gerichtsshow“ gibt es noch die beiden Vertreter (m und w) der Jugendgerichtshilfe, die abwechselnd über die Reife des/der Angeklagten entscheiden. Dies spielt zum einen bei den volljährigen Angeklagten eine Rolle, wenn es darum geht, ob sie jetzt nach Erwachsenen- oder Jugendstrafrecht verteilt werden sollen, zum anderen prüft es die allgemeine Schuldfähigkeit der Angeklagten vor deren sozialem Hintergrund.

Kommen wir nun zum interessanten Teil der Sendung und vielleicht auch dieser Meinung: die Angeklagten und die Fälle.
Wie schon oben erwähnt, sind die Fälle fiktiv und Angeklagte und Zeugen Laiendarsteller. Und das merkt man auch. Ebenso wie die der Richterin sind auch deren schauspielerischen Fähigkeiten sehr begrenzt, wobei es natürlich immer wieder (erfreuliche) Ausnahmen gibt. Hätte ich ungefähr fünf Pfund Zwiebeln geschnitten, würde ich sicherlich auch eine wunderbare traurige und verheulte Mutter des Opfers abgeben; die Zuhörer drücken ihren Unmut gegenüber einer Zeugin mit wenig gekünstelt oder verabredeten „Buuuuh!!!“-Rufen aus (wie sogar Raab bemerkte) und alles in allem wirken Fälle und Personen sehr gekünstelt, gestellt und klischeeüberladen.

In meinen Augen sind die Fälle erdachte Handlungsstränge, die bei „Unter Uns“ oder „GZSZ“ keine Verwendung mehr fanden. Doch zur Verdeutlichung vielleicht einige Beispiele:

Fall 1:
Ein 17jähriges Blondieschnittchen ist angeklagt, ihren Freund, von dessen Mandelallergie sie wusste, bei Sexspielchen à la 9 1/2 Wochen mit Mandelpudding (mit Chilisauce) gefüttert zu haben und damit sein Ersticken (denn ihm waren die Augen verbunden und er war ans Bett gefesselt) mutwillig in Kauf genommen zu haben. Die *oh Wunder* herbeistürzende Mutter konnte ihm gerade noch das Leben retten. Nachher deckt die Oma auf: Mutter (36 (!!!) Jahre alt und im H&M-Styling) und Tochterfreund haben ein Verhältnis, die Tochter wusste irgendwie davon und wollte sich auf diese Weise rächen. Das Urteil: Durch ihr Geständnis kommt sie mit Sozialstunden davon, ihren Freund ist sie nun aber auch los, aber solange ihre Oma noch zu ihr hält...

Fall 2:
Ein Satanspärchen (in dementsprechender Montur) ist angeklagt, ihren Lover mit der Aussicht auf wilden heißen schmutzigen hemmungslosen Sex nackt in einen Sarg gesperrt und bei lebendigem Leibe begraben zu haben. Der Pfarrer rettete ihn mit starken Unterkühlungen am nächsten Morgen. Im Laufe des Prozesses appelliert der Geschädigte immer wieder an das Gewissen des Mannes, dass er von ihr, der „Satansbraut“, nur ausgenutzt werde. Bis kurz vor Ende der Verhandlungsdauer schweigt er, bis es plötzlich aus ihm rausbricht: „Ich habe es satt, mich von Dir verarschen und mit hineinziehen zu lassen. Ich gestehe, aber ich habe auf Deine Anweisungen hin gehandelt!“ Überraschung? Nicht wirklich.

Denn wer einmal in der Übung ist, kann spätestens nach dem zweiten Zeugen (der „überraschenden Wende“) erahnen, wie der Fall ausgeht, ob der Angeklagte wirklich schuldig ist oder ob ein Zeuge der eigentliche Täter ist und die Anzeige nur zum Selbstschutz aufgegeben hat.

Die Verkörperung von Klischees (jede kritische Auseinandersetzung mit ihnen bleibt allerdings außen vor) steht ebenfalls ganz oben auf dem Programm:
Sozialpädagogen tragen Schlappen, Schlabberklamotten und (falls weiblich) Schmuck aus dem Afrika-Shop en masse.
Wenn sich jemand Männliches im Laufe des Prozesses als homosexuell outet, ist es nicht so, dass man davon nichts gemerkt hätte. Ich sage nur „tataa“...
Äußerst beliebt im Profil von Eifersuchttätern sind „sozial Bessergestellte“, die dann monatlich schon einmal 500 Euro Taschengeld bekommen.
Die Reihe ließe sich jetzt noch nahezu endlos fortsetzen.

Allgemein kann ich damit schließen, dass der angestrebte Lehrwert dieser Sendung (Jugendprozesse zur Abschreckung potentieller jugendlicher Straftäter) in etwa dem ihrer Realitätsnähe entspricht. Oder kann man etwa aus einer der vielen Daily-Soaps Lehren für’s Leben ziehen? Wohl kaum.

Und außerdem in noch einem weiteren Punkt nicht besonders realitätsnah: Wenn ich mir das nach 5 Jahren nicht falsch gemerkt habe, finden Verhandlungen mit Tötungsdelikten zumindest vor dem Jugendgericht immer unter Aufschluss der Öffentlichkeit statt. Damit gingen dem Jugendgericht aber einige Fälle flöten.
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Mein Lieblingszitat aus der Sendung ist auch recht „aussagekräftig“: „Er hat mich psychisch fertig gemacht! Und seelisch auch!“

Was meint Ihr, wie fertig ich bin... *g*
Aber für einen amüsanten Nachmittag (im Gedanken „Oh wie schlecht!“...), wer die Stunde entbehren kann, immer mal wieder geeignet, Suchtgefahr ausgeschlossen, Lachkrämpfe nicht.